Spitzenprodukte der Popularmusik (6)

„Geliebter Herr“, schleimte der Teufel, „fünf Wunder hast du vollbracht, aber fehlt nicht noch ein Wesen, nach deinem Ebenbild gemacht?“
„Das mach‘ dir selbst!“ sprach der liebe Gott, „ich bin müde, ich will schlafen!“
Und so hat am sechsten Tag der Teufel den Menschen erschaffen.
(Ludwig Hirsch, Im Anfang)

1998 haben die großen Unbekannten der amerikanischen Experimental- und Avantgarde-Musik, die kalifornischen Residents, ein Konzept-Album über die Bibel mit dem Titel „Wormwood: Curious Stories from the Bible“ veröffentlicht. Die Band überzeugte in früheren Jahren mit konzeptionellen Werken wie „The Third Reich ’n‘ Roll“ (1976) oder der hörenswerten Arbeit über die Inuit, „Eskimo“ von 1979 (alle: Ralph Records), mit „Wormwood“ taten sie sich und den Hörern keinen großen Gefallen, schwerfälliges, uninspiriertes Musiktheater, das vor allem auch auf der Bühne nicht funktionierte, wie ich damals recht angeranzt in der Münchner Muffathalle feststellen musste, lediglich der Klassiker „Old Time Religion“ als Abschlussnummer konnte das Publikum für das lange Ausharren entschädigen.

Einer, der das Thema Bibel-Konzept-Album wesentlich souveräner und mit weitaus erfreulicherem Ergebnis bereits im Jahr 1982 umsetzte, war der in der Steiermark geborene und in Wien aufgewachsene österreichische Liedermacher und Schauspieler Ludwig Hirsch. Mit seinem Album „Bis zum Himmel hoch“ gelang ihm ein ganz großer Wurf.
Ein Kriterium der Kolumne „Spitzenprodukte der Popularmusik“ ist, dass auf einem besprochenen Werk kein falscher Ton auftaucht und ein weiteres, dass ein Werk auch nach vielen Jahren nichts von seiner musikalischen und/oder inhaltlichen Kraft verloren hat, beides trifft für diese erhebende Platte ohne jede Einschränkung zu.
Wie bereits auf seinen Vorgängeralben „Dunkelgraue Lieder“ (1978), „Komm, großer schwarzer Vogel“ (1979) und „Zartbitter“ (1980) sind Hirschs Texte in ihrer hintersinnigen, kritischen und makaber-morbiden Art die besondere Würze der Platte, in seiner boshaften und doch auch mitfühlenden Art seziert er Bibelthemen aus dem alten Testament von der Genesis bis zum Turmbau von Babel und gibt den Geschichten eine ganz neue, überraschende Wendung, die Gläubige genauso wie Atheisten begeistern dürfte. Gleich zwei Stücke, „Papa, geliebter Papa“ und „Abel 82“, widmen sich dem Kain-und-Abel-Thema, beide auf absolut ergreifende und beklemmende Art, mustergültige Beispiele dafür, was deutschsprachige Liedermacherei an Großem zu schaffen vermag. Musikalisch bewegt sich das Werk zwischen Hirsch-typischem Chanson und – was Wunder – hymnischen, Kirchenmusik-artigen Chören. Unterstützt wird Ludwig Hirsch unter anderem von Herman van Veen, zahlreichen klassischen Musikern, dem Bergedorfer Kinderchor und asiatischen Field Recordings. 1982 erstmals erschienen, wurde „Bis zum Himmel hoch“ von Amadeo/Universal Records 2008 dankenswerter Weise auf CD wiederveröffentlicht.

Gefragt nach seinen musikalischen Einflüssen, antwortete Hirsch in einem Interview: „Vorbilder im eigentlichen Sinn hab ich keine. Ich mag Pink Floyd, Leonard Cohen und im Prinzip alle, die etwas zu sagen haben.“
Zu denen, die etwas zu sagen hatten, hat Ludwig Hirsch zweifelsohne selbst gehört.

Am 24. November 2011 hat sich Ludwig Hirsch im Wiener Wilhelminenspital aus einem Fenster gestürzt. Es wurde seinerzeit kolportiert, dass der 65-Jährige an Krebs erkrankt sei. Ein tragisches und auch spektakuläres Ende für einen Künstler, der selbst die leisen und nachdenklichen Töne pflegte.

(******)

Da fiel mein Turm in sich zusammen, und alle Kinder der Welt waren wieder, wie auf einen Schlag, über die ganze Erde zerstreut, und keiner verstand mehr die Sprache des anderen. (…)
Und an diesem Nachmittag beschloss der Franz, nicht Verhaltensforscher, sondern Ziegelhersteller, der Jakob nicht mehr Astronaut, sondern Technischer Zeichner zu werden, der Thomas beschloss, Architektur zu studieren, die kleine Hildi wollte sowieso immer Maurer lernen, und ich beschloss, ganz einfach Träumeerzähler zu werden.
Und wir schworen uns hoch und heilig: „Bald, sehr bald bauen wir einen Turm. Einen Turm, bis zum Himmel hoch!“
(Ludwig Hirsch, Der Turm (Für meinen Sohn Moritz))

5 Kommentare

    1. Liebe Karin,
      freut mich sehr. Mir ist das Herz tatsächlich auch aufgegangen, nachdem ich die Scheibe vor ein paar Tagen nach vielen Jahren mal wieder aus dem Regal holte… ;-)))
      Liebe Grüße,
      Gerhard

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