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Waldschmidt-Nelson - Malcolm X

„In 1960 I was a negro
And then brother Malcom came along
And then some nigger shot Malcom down
But the bitter truth lives on
(…)
With Malcom as our leader,
We learned
And thought
And thought we had learned
Things were better
Things were changing
But things were not together“
(Gil Scott-Heron, Evolution (And Flashback))

„Man macht dir nicht das Leben zur Hölle, weil du Baptist bist, man macht es dir nicht zur Hölle, weil du Methodist bist. Man macht es dir nicht zur Hölle, weil du Demokrat oder Republikaner bist… Und man macht dir gewiss nicht das Leben zur Hölle, weil du Amerikaner bist. Denn wenn du Amerikaner wärst, hättest du das Problem nicht. Man macht dir das Leben zur Hölle, weil du Schwarzer bist… das Leben von jedem von uns wird zur Hölle, aus diesem einen Grund!“
(Malcolm X, Message To The Grassroots)

Britta Waldschmidt-Nelson – Malcolm X – Eine Biografie (2015, Verlag C.H.Beck)

Die Dortmunder Anglistin und Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson hat mit dem vorliegenden Werk die erste deutschsprachige Biografie über den afroamerikanischen Bürgerrechts-Aktivisten Malcolm X veröffentlicht, die gut lesbare Abhandlung ist frei von jeglichen wissenschaftlich-theoretisierenden Ergüssen und mit 384 Seiten in einem auch für historisch interessierte Laien übersichtlichen Umfang.

Der 1925 unter dem Familiennamen Little in Omaha/Nebraska geborene Malcolm kam bereits in frühester Kindheit mit der von Marcus Garvey geprägten panafrikanischen Separationsbewegung in Berührung – die politischen Ansichten des Jamaikaners haben u.a. auch namhafte Reggae-Musiker beeinflusst, siehe z.B. die ersten Alben des unter dem Namen Burning Spear agierenden Sängers Winston Rodney – Malcolms früh verstorbener Vater Reverend Earl Little war Anhänger des vom Rastafari-Movement als Prophet verehrten Garvey.

Die Kindheit Littles war geprägt von Armut, dem bereits erwähnten frühen, gewaltsamen Tod des Vaters, Übergriffe von Weißen, die in der Brandstiftung des elterlichen Hauses mündeten und dem Nervenzusammenbruch der Mutter, der zu einem fünfundzwanzigjährigen Aufenthalt in einer Heilanstalt führte und so die Little-Geschwister durch Unterbringung in diversen Pflegefamilien trennte.
Obwohl hochintelligent, wurde dem jungen Malcolm von weißen Lehrern von einem Studium abgeraten, nach der Schule hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und rutschte zunehmend ins kriminelle Milieu ab, in der Bostoner Szene kam er unter anderem mit Jazz-Legenden wie Duke Ellington oder Count Basie in Kontakt.
Mitte der vierziger Jahre verdingte er sich als Drogen-Händler und Einbrecher in Harlem, Anfang 1946 wurde er für mehrere Brüche zu einer Gefängnisstrafe von 10 Jahren verurteilt.
In der Haft bildete sich Malcolm Little als Autodidakt, vor allem in den Bereichen Philosophie und Geschichte, über seinen Bruder Philbert kam er in der Zeit in Kontakt mit der „Nation Of Islam (NoI)“, eine 1930 durch Elijah Muhammad gegründete religiös-politische Organisation schwarzer US-Amerikaner außerhalb der islamischen Orthodoxie.

Nach Beitritt zu den ‚Black Muslims‘ nannte er sich Malcolm X, in Ablehnung des Namens Little, der nach Ansicht der „NoI“ nur von einem früheren weißen Sklavenhalter abstammen konnte.
Innerhalb der Hierarchie der „NoI“ stieg Malcolm X, bedingt durch sein gutes Verhältnis zum Führer Elijah Muhammad, schnell auf, wurde Leiter des Harlemer Tempels und nationaler Sprecher der „Nation“, in dieser Funktion prangerte Malcolm X den Rassismus der weißen Gesellschaft scharf an und lehnte jede Zusammenarbeit mit Weißen in Bürgerrechtsfragen, wie sie vor allem von Martin Luther King propagiert wurde, vehement ab.
Der Bruch mit der „Nation of Islam“ zeichnete sich ab, als Malcolm X sich entgegen dem Verbot der Organisation zunehmend zur US-Politik und – in dem Fall unglücklich – zur Ermordung Kennedys äußerte, zudem entfernten vermehrt in der Öffentlichkeit auftauchende Vorwürfe über außereheliche Affären und Korruption gegenüber Elijah Muhammad ihn mehr und mehr von seinem einstigen geistigen Vorbild.
Im März 1964 gründete er mit der „Muslim Mosque Inc.“ seine eigene Organisation und erklärte seinen Austritt aus der „NoI“, mit ihr wollte er den politischen schwarzen Nationalismus forcieren, in den er den afrikanischen Befreiungskampf, insbesondere gegen die internationale Ausbeutung der „Dritten Welt“, mit einbezog.
Nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka im April 1964 nannte er sich El Hajj Malik el-Shabbaz, schloss sich dem sunnitischen Zweig des Islam an, in dem Zug entlarvte er den unorthodoxen Glauben der „NoI“ als Irrlehre, was ihm den tödlichen Hass der „Nation“ einbringen und in seiner bis heute nicht restlos aufgeklärten Ermordung am 21. Februar 1965 in New York gipfeln sollte.

Britta Waldschmidt-Nelson analysiert vor allem den Wandel des radikalen Ansatzes der Rassentrennung und die vehemente Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit weißen Bürgerrechtlern zu Beginn der politischen Aktivitäten hin zu einer moderateren Politik nach seinem Austritt aus der „Nation of Islam“, zu einer Öffnung gegenüber liberalen Weißen und insbesondere zu einer möglichen Kooperation mit Martin Luther King und seinem „Civil Rights Movement“, gestützt nicht zuletzt auf die von Malcolm X zusammen mit Alex Haley, dem Autor des Weltbestseller „Roots“, verfassten „Autobiography of Malcolm X“, die wenige Monate nach dem Tod des afroamerikanischen Aktivisten erschien.

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Beklemmend liest sich die Dokumentation der letzten Wochen von Malcolm X. Bei vollem Bewusstsein des möglichen Anschlags auf sein Leben, der da kommen sollte, schonte er sich nicht, nahm keine Rücksicht auf das eigene Leben und seine Funktion als Ehemann und Familienvater, in dieser Radikalität vielleicht nur vergleichbar mit der letztendlich sinnlosen Aufopferung des argentinischen Revolutionärs Ernesto Che Guevara, der einige Jahre später im bolivianischen Hochland im Rahmen einer aussichtslosen Aktion den Tod finden sollte.

Wie auch Waldschmidt-Nelson in ihrem Nachwort bemerkt, ist der Einfluss von Malcolm X nach seinem Tod ungebrochen. 1966 kam es in den USA zur Gründung der „Black Panther Party“.
Während der Reagan-Ära verschlechterten sich die wirtschaftliche Situation in den afroamerikanischen Ghettos und die Rassenbeziehungen spürbar, dies fand nicht zuletzt Ausfluss in politisch radikaleren Texten von Rap-Musikern wie Public Enemy oder KRS-One, die sich auch inhaltlich auf den dynamischen Sprachstil von Malcolm X beziehen.
Bis heute ist das Bild der amerikanischen Gesellschaft in Großstädten unter anderem geprägt von weißem Rassismus, Polizeibrutalität gegenüber schwarzen Jugendlichen und der Verelendung der afroamerikanischen Unterschicht. Das Engagement für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit bleibt unerlässlich, hier spielt speziell in Bezug auf die Situation in den USA der in seiner letzten Lebensphase von Malcom X vertretene anti-rassistische Humanismus eine nach wie vor gewichtige Rolle.

„Ja, ich habe meine Rolle als ‚Demagoge‘ geschätzt. Ich weiß, dass Gesellschaften oft die Menschen umbringen, die geholfen haben, diese Gesellschaften zu verändern. Und wenn ich sterben kann, nachdem ich dazu beitragen konnte, die Dinge etwas zu erhellen und ein Stück der bedeutenden Wahrheit sichtbar zu machen, die dabei helfen wird, das bösartig im Körper Amerikas wuchernde Krebsgeschwür des Rassismus zu zerstören, dann ist Allah allein dafür zu loben. Nur für die Fehler bin ich verantwortlich.“
(Malcolm X, Autobiography)

Die Autorin Dr. Britta Waldstein-Nelson ist seit 2011 stellvertretende Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C. und seit 2013 Professorin für Amerikanische Geschichte und Kultur am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München und hier zuständig für die Gebiete African American Studies, Race & Gender, Religionsgeschichte,
Soziale Reformbewegungen, Politik, Transatlantische Beziehungen und kultureller Transfer.

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4 Kommentare

  1. Why the hell – lehnte er «jede Zusammenarbeit mit Weißen in Bürgerrechtsfragen, wie sie vor allem von Martin Luther King propagiert wurde» ab ???

    «My vision of a real humanity is of pure individuals relating to each other, but not tied in any relationship. They will be loving to each other, but not being possessive of each other. They will be sharing with each other all their joys and all their blessings, but never even in their dreams thinking of dominating, thinking of enslaving the other person.»

    – Osho (Bhagwan Shree Rajneesh)

    Gefällt 1 Person

    1. Er war bis zu seinem Austritt aus der NoI völlig auf eine eigene, schwarze Community, Kultur, Geschichtsschreibung etc. fixiert, die Weißen waren in seinen Augen schlicht Sklavenhalter-Gesellschaft.
      Es soll von Seiten der NoI absurderweise sogar zu Treffen mit dem KKK gekommen sein, um Absprachen in Sachen Rassentrennung zu treffen.
      Den Bhagwan kannte er wohl nicht (was auch nicht weiter schlimm ist ;-)))

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