Reingehört (122)

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Half Japanese – Perfect (2016, Joyful Noise)
Karl Bruckmaier, seines Zeichens Zündfunk-Radio-DJ, Pop-Kritiker der SZ, Autor und Übersetzer, hat in seinem Buch „Soundcheck“ (2000, C.H. Beck Verlag) Klang und Inhalt des Noise-Rock-/LoFi-Debüts ‚1/2 Gentlemen/No Beasts‘ (1980, Fire Records) der Combo um den Sänger und Gitarristen Jad Fair und dessen damals noch an Bord befindlichen Bruder David recht treffend wie folgt beschrieben:
‚“Ich habe keine Zeit, mit den Knöpfen rumzumachen. Reiß mir doch das Hemd vom Leib! Sagt die zu mir.“ Bumm bumm bumm, schepper, krach, schepper, twäng, twäng Punkrock. „Ich hab so wenig Zeit, und ich liebe dich. Drum reiß mir mein Hemd herunter, zerfetz es in tausend Stücke und schmeiß es neben das Bett. Sagt die zu mir.“ Song vorbei. Noch mehr? „Mein Mädchen lebt wie ein Beatnik, handelt wie eine Prinzessin, sieht aus wie ein Filmstar, bloß hübscher und irgendwie dünner, zeichnet wie Picasso, malt wie Matisse, und sie liebt mich, liebt mich, liebt mich.“ Song schon wieder vorbei.‘
Mit den Jahren wurde der Noise-Sound der Band sozialverträglicher, mit den Alben ‚Music To Strip By‘ und ‚Charmed Life‘ (beide: 50 Skidillion Watts) erreichte die Band Ende der Achtziger ein noch heute hörenswertes Zwischen-Hoch in Sachen Indie-/Alternative-/LoFi-Pop/-Rock, im Vorbeigehen wurden Helden des Genres wie der manisch-depressive LoFi-Künstler Daniel Johnston, Kurt Cobain und Sonic Youth massivst vom Half-Japanese-Sound beeinflusst, Ende der Achtziger tat man sich zum gemeinsamen Tour-Betrieb mit der ehemaligen Velvet-Underground-Drummerin Moe Tucker zusammen – welche, nebenher bemerkt, mittlerweile der republikanischen Tea-Party-Voll-Verblödung anheimgefallen ist – und betourte in dem Outfit im Vorprogramm zusammen mit Lou Reed die USA, jener soll der Legende nach vom quäckenden Gesang Jad Fairs nach wenigen Auftritten derart genervt gewesen sein, dass er diesem kurzerhand das Singen für den Rest der Tournee verbot, was zu einem Heulkrampf Fairs und einem kräftigen „Asshole!“ von dessen Seite in Richtung Onkel Lou geführt haben soll, ein Kraftausdruck, den der alte Ungustl sicher nicht zum ersten Mal vernahm…
Im Augsburger ‚Bootleg‘ (kennt den Laden noch wer?) stieß das seinerzeit ohne Lou auf wesentlich mehr Gegenliebe, die Kombi Tucker/Half Japanese trash-rockte den Laden ordentlich.
Ab Ende der Neunziger wurde es um die Band ruhiger, die Alternative-Tentacles-Scheibe ‚Hello‘ von 2001 und ‚Overjoyed‘ (2014, Joyful Noise) gaben sporadische Lebenszeichen.
2016 hören wir ein Half-Japanese-Format, das mit den wunderlich-schrägen Pop-Ergüssen der frühen Jahre weitaus wenig gemein hat, stattdessen Indie-/Alternative-Rock, wie man ihn von vielen anderen Bands auch kennt, als Alleinstellungsmerkmal bleibt die charakteristische Stimme Jad Fairs, des letzten verbleibenden Recken aus der Urbesetzung. Dahin ist er, der Do-it-yourself-Ansatz der frühen Tage, hinsichtlich handwerklichem Können war damals nicht viel los mit der Combo, Ideenreichtum und abseitige Einfälle gab’s aber um so mehr, und das ist wohl das Hauptmanko der neuen Scheibe: die sucht man hier nach über gut vierzig Jahren Bandgeschichte weitgehend vergebens.
(*** ½)

Half Japanese live @ archive.org

34 Kommentare

  1. “Mein Mädchen lebt wie ein Beatnik, handelt wie eine Prinzessin, sieht aus wie ein Filmstar, bloß hübscher und irgendwie dünner, zeichnet wie Picasso, malt wie Matisse.”

    What the Beats did for literature was like what Picasso and Matisse did for painting. The Beats took literature and poetry and turned it into an art, like expressionistic writing if you will. The Beatnik generation consists of the forefathers of this new ways of art..

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    1. Hallo Birgit, danke für Deine Anmerkung. Dass es von der Bildfläche verschwand, hab ich irgendwann mal mitgekriegt, wann genau und warum allerdings nicht. War jedenfalls ein netter Laden.
      Liebe Grüße,
      Gerhard

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      1. Laut dem Augsburger Pop-Wiki 1990 – allerdings findet sich auf YouTube noch ein Video eines Ärzte-Konzertes von 1993? ich kann mich jedenfalls nur erinnern, dass ich 89 mal dort war – vielleicht sind wir uns ja über den Weg gelaufen :-)

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      2. Anfang der 90er gab’s mal eine Warhol/Velvet-Underground-Ausstellung in Augsburg, in dem Rahmen hat Moe Tucker nochmal in der Stadt gespielt, ich dachte eigentlich, das wäre auch im Bootleg gewesen (ich war nur auf der Ausstellung, nicht im Konzert), aber dann war das wohl auch wo anders.

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      3. Ein wandelndes Lexikon dazu ist Arno Loeb (den findest Du auf Facebook als Arno Löb oder Arno Loeb): Der hat auch mal ein Augsburg-Poplexikon herausgebracht, singt bei „Impotenz“ (frag mich bitte aber nicht, wie ich das finde), und wollte auch mal ein Roy Black-Musical auf die Beine stellen – kurzum ein bunter Hund. Mehr hier: http://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/LoebArno
        Sein Sohn Elias macht schöne Musik, für den werbe ich hier gerne mal bei Dir – vielleicht magst Du ja mal reinhören: http://elias-loeb.blogspot.de/

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      4. Liebe Birgit – Nicht schlecht, der Elias Loeb. Seine ‚Vergessene Balladen‘-Sachen erinnern recht angenehm an Ludwig Hirsch.
        Das hier hat es mir auch angetan:
        Vielen Dank nochmal für den Tipp, liebe Grüße,
        Gerhard

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      5. Das freut mich, dass es Dir taugt. Und die Erinnerung an Hirsch kommt nicht von ungefähr – ich bin mal arg ins Fettnäpfchen bei ihm getreten, als ich über Hirsch, seinen Hero, irgendeine Bemerkung losließ (aber er war damals noch Teenie und ich hoffe, er hat das der „alten“ Freundin seiner Mutter inzwischen verziehen :-) )

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  2. ja, so ähnlich sehe ich das wohl auch. die ersten anzeichen, sprich höreindrücke, gingen in eine wesentlich konventionellere richtung als gewohnt. leider.

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  3. Wenn da jetzt hier plötzlich der Hirsch (der heute in 4 Wochen Geburtstag feiern könnte) aus Auxburg röhrt, muss ich mich dann doch noch mal mit einer Preziose zu Wort bzw. Ton melden – «Schneien» (von seiner CD «Ludwig Hirsch liest Weihnachtsgeschichten»):

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      1. meinte ich auch einmal, aber das Zeugs nahm doch viel Platz in Beschlag. Bislang nicht bereut und 2 Ausgaben, die eine mit den 100 besten Alben aller Zeiten sowie eine Ausgabe mit George Michael von 1999 auf dem Cover hab ich behalten. Du wirst dich fragen, wieso gerade die mit GM. Ich hatte die damals, als ich meine, mittlerweile jetzige Frau kennengelernt habe, mit dabei und Ihre Telefonnummer darauf notiert :-).

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