„(…) Feierlich überreichte man mir die Weißwurscht. Ich roch, prüfte noch einmal, dann schob ich sie in den Mund und zuzelte, zuzelte – dann hielt ich die Haut triumphierend in die Luft. „Und?“ Erwartungsvolle Augen blickten mich an. „Und?!“ „Sehr guat!“, sagte ich, „Sehr guat! – narrisch guat!“ Überall ein erleichtertes Aufatmen. „Guat“, sagte der Metzger, „wenn’s aso is, dann vakauf ma’s!“
Ob Sie es glauben oder nicht, diese langjährige Prozedur hat mein Selbstbewusstsein enorm befördert.“
(Gerhard Polt, Hundskrüppel – Lehrjahre eines Übeltäters, Die Weißwurscht)
„Ein Mensch, der noch lebt, hat keine Biografie verdient.“
(Gerhard Polt)
Gerd Holzheimer – Polt (2012, LangenMüller)
Jeder kennt einen hier in Bayern, der den Polt nicht mag. Zu nah am bayerischen Gemütszustand ist er oft dran, zu deutlich kehrt er das Verbohrte, Verquere, Verstocke der Leute heraus, zu oft bleibt dem Zuhörer das Lachen im Hals stecken. Oder wie es ein guter Freund mal treffend auf den Punkt gebracht hat: „Meine Verwandtschaft kann über den Polt überhaupt nicht lachen, die sind alle genau so wie seine dargestellten Figuren.“
Der durch seine Schreibe unschwer zu erkennende Polt-Fan Gerd Holzheimer hat sich 2012, aus Anlass zum seinerzeit 70. Geburtstag des bayerischen Kabarett-Giganten, mit Gerhard Polt auseinandergesetzt, und eine formal als Biografie angekündigte Themensammlung angelegt, weniger chronologische Lebensgeschichte, vielmehr Interpretationsansatz, der dem Wesen, dem Welt- und dem kabarettistischen Verständnis Polts über Schilderung, Deutung und Durchleuchtung von Episoden, Begebenheiten und Schaffensphasen nahezukommen versucht, an vielen Stellen durchaus mit Erfolg, vor allem, was den ersten, biografischeren Teil des Buches, „Im Lauf der Zeit“ überschrieben, betrifft.
Der Hang zum makaberen Schwank offenbart sich beim kleinen Gerhard bereits in der Kindheit im erzkatholischen Gnadenort Altötting, das gemeinsam mit gleichgesinnten Kindkollegen ausgeführte „Hineinsystematisieren“ von lebenden Hühnern in das monumentale Panoramabild „Kreuzigung Christi“, dem einzigen in Europa noch erhaltenen Panorama mit religiösem Hintergrund, spricht Bände, die Lehrjahre des Hundskrüppels eben.
„Ich erinnere mich noch, in der Stiftskirche von Altötting stand eine Uhr, wo der Sensenmann jede volle Stunde gemäht hat. Aus dieser Zeit stammt meine fatalistische Lebensauffassung. Wer neben einem Friedhof aufwächst, braucht sich später die Seinsfrage nicht mehr zu stellen.“
(Gerhard Polt)
Es folgen Geschichten zu den späteren Lebensstationen, die Jugend in der Münchner Amalienstraße, in der Zeit noch nicht vom Schutt des Bomben-Kriegs befreit, das Studium der Politikwissenschaft, von Geschichte und Kunstgeschichte in München und, unkonventionell und ganz Polt, von Skandinavistik und Altgermanisch von 1962 bis 1968 an der Universität Göteborg.
Später dann, glückliche Fügung des Schicksals, das Zusammentreffen mit dem Regisseur Hanns Christian Müller und der Schauspielerin Gisela Schneeberger, beide kurioserweise mit Polt im gleichen Bauensemble in der Münchner Maxvorstadt aufgewachsen, „schöner hätten’s die Tauben nicht zusammentragen können“, wie’s bei uns im Volksmund so schön heißt. Das deutsche Kabarett-Schwergewicht Dieter Hildebrandt wird langjähriger Wegbegleiter, ebenso wie der österreichische Volksschauspieler und Kabarettist Otto Grünmandl und die Vorzeigekapelle des bayerischen Volksmusik-Undergrounds, die Well-Brüder und ihre Biermösl Blosn. Erfolge und Anfeindungen mit der Fernsehreihe „Fast wia im richtigen Leben“, Hildebrandt’s „Scheibenwischer“, unzählige Auftritte, solo oder mit der Biermösl Blosn, im Bierzelt genau so begeisternd wie vor dem schwedischen Königshaus, Platten- und CD-Aufnahmen zuhauf, Programme an den renommierten Münchner Theatern, und zumindest mit „Kehraus“ eine gewichtige Kino-Produktion – was sich auf dem Polt-Konto in den letzten 40 Jahren angesammelt hat, er selbst würde es wohl mit einem gern verwendeten Ausdruck auf den Punkt bringen: enorm.
Kulturpreise „zum Sau-Füttern“, eine monatelange Ausstellung zum siebzigsten Geburtstag im Münchner Literaturhaus – zu Zeiten von Rhein-Main-Donau-Kanal-Bau und Wackersdorf noch auf einem Level mit bayerischen Staatsfeinden wie dem Passauer Kabarettisten und erklärten CSU- und Klerus-Feind Siegfried Zimmerschied, ist der Polt aus dem deutschen, speziell süddeutschen Kulturbetrieb heute nicht mehr wegzudenken, selbst beinharte CSUler gehören mittlerweile zum Stammpublikum.
„Früher habe ich von der alten Dame, sie hieß Zenta von Vegesack, bisweilen ein Zehnerl geschenkt gekriegt, um mir ein Eis zu kaufen. Aber seit sie zu meiner Mutter sagte: „Ich habe schon mit dem Zaren getanzt!“, und meine Mutter fragte „Mit welchem, Gnä‘ Frau?“ Seitdem habe ich nie mehr was gekriegt. Seltsam.“
(Gerhard Polt, Hundskrüppel – Lehrjahre eines Übeltäters, Seltsam)
Der zweite Teil des Buches, der den „Kosmos Polt“ hinsichtlich seiner Weggefährten wie den Biermösl Blosn oder den (nicht nur in dem Zusammenhang völlig überschätzten) Toten Hosen um den Punk-Kasperl Campino und der von Gerhard Polt bevorzugten Themen und Methoden durchleuchtet, geht dem Autor der Gaul hinsichtlich Interpretation des Polt’schen Schaffens mehrmals arg durch, die Verweigerungshaltung bezüglich Kooperation zum vorliegenden Werk, die Polt wiederholt auch zu anderen Gelegenheiten in dem Satz „I sog nix!“ manifestierte, wird in dem Abschnitt nachvollziehbar.
Wie der Presse seinerzeit zu entnehmen war, war er bockig, der Polt, hinsichtlich Interviews und Zusammenarbeit mit dem Autor Gerd Holzheimer, nicht weiter verwunderlich aufgrund des eingangs erwähnten Zitats. Machte die Sache für den Münchner Schriftsteller und promovierten Philosophen selbstverständlich nicht einfacher und erklärt größtenteils den unrunden Charakter des zweiten Abschnitts.
Holzheimer sinniert über den Umstand, dass der Polt diesen Erfolg nie gehabt hätte, gäbe es nicht die bayerische Staatspartei CSU, an der und deren typischen Wähler sich der Kabarettist reiben und abarbeiten konnte, andersrum wird wohl auch ein Schuh draus, die CSU wäre mitsamt ihrer vielbeschworenen Stammtisch-Hoheit und ihrer allumfassenden Präsenz im Freistaat kaum denkbar, wenn es nicht genau diese Beratungs-resistenten, sturen Querschädel im bajuwarischen Volksstamm gäbe, die wider besseren Wissens diesen Haufen immer wieder wählen, und die der Kabarettist immer wieder auf seine unnachahmliche Art so treffend porträtiert.
„Mit den Verlusten, die eine Gesellschaft zu beklagen hat, der die Nähe zu ihren eigenen Ursprüngen abhanden gekommen ist, besetzt er ein Thema der CSU, das diese Partei schon längst verloren hat. Es gibt eine seltsame Liebe zwischen einem Mann und einer Partei, in der die Partei ihren Mann erblickt, der Mann aber nicht seine Partei.“
(Gerd Holzheimer, Polt, Ohne uns gäb’s dich gar nicht: Gerhard Polt und die CSU)
Für jahrzehntelange Polt-Fans ist das Buch eine durchaus vergnügliche Lektüre, ob die zahlreichen Interpretations-Ansätze, Querverweise und Erklärungsversuche im eigenen Denk-Kosmos unterzubringen sind, kann nur der beurteilen, der das Werk des bayerischen Kabarett-Giganten letztendlich selbst durchdrungen hat, der vom Thema Unbeleckte wird dem Polt über die Lektüre kaum näher kommen, auch wenn das bayerische Wesen an sich an vielen Stellen durchaus originell und treffend erläutert wird.
Ich selber verfolge den Polt seit 35 Jahren, in Bierzelten, auf Theater- und Kleinkunst-Bühnen, mittels Ton- und Bildkonserven sowieso, nie war er mir näher als im Rahmen der Oskar-Maria-Graf-Lesung Anfang 2002 im Münchner Residenztheater, an dem Abend hat einfach alles zusammengepasst, unser großer bayrischer Schriftsteller vom Starnberger See als Autor sowieso, Gerhard Polt hat die humorigen Texte Grafs gelesen, der leider viel zu früh verstorbene, große Schauspieler Jörg Hube übernahm die ernsten, politischen Passagen, und die Biermösl Blosn hat dazu schön musiziert. Ganz weit vorne sind wir auch noch gehockt, im Theater, oder wie der Metzger-Ade sagen würde: „g’sitzt“ – eh klar: enorm. Der Rudi Löhlein war an dem Abend glaub ich nicht da…
Made my day :-)
Hab ich wohl schon mal erzählt, aber dennoch: Ich durfte einmal einen Abend mit Polt und Schneeberger in einem Keller verbringen – und Polt war an dem Abend wirklich das, was man sich unter einem bayerischen Grantler vorstellt. Frau Schneeberger musste mich trösten, weil er mir jegliches Interview in Willy-Brandt-Manier („Ja“, „Nein“ „Ja“) verweigerte – es gibt ein Beweisfoto, wo die Schneebergerin mich in den Arm nimmt. Nun, genug mit Name dropping und Promi-Angeberei: Was ich eigentlich sagen wollte – dieser Grant, der Miesmut, den er auf der Bühne pflegt, das gehört bei dem dazu, das verzeiht man ihm – einer meiner Helden! Ach ja, und der Hube war einfach auch klasse!
Danke für die schöne Buchvorstellung und die Links – das bringt mich heute gut durch den Weiberfasching :-) Der in AuXburg besonders trostlos ist.
Liebe Grüße nach Minga.
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Liebe Birgit, nein, hast Du noch nicht erzählt, schöne Geschichte, kann ich mir gut vorstellen – eben nach dem Motto „I sog nix!“ ;-)))
Der Weiberfasching ist in Minga auch trostlos, glaub ich (gut, mir kann’s wurscht sein… ;-)))
Liebe Grüße,
Gerhard
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Mit dem Fasching habe ich es auch nicht so – nur werden sich heute im Büro wieder einige Kollegen aufstellen mit erwartungsfrohen Blicken und grässlichen Krawatten – und ich werde eben, um der Form zu genügen, die Schere zücken.
Aber der Gedankensprung kam eh so zustande, weil der Polt seinerzeit „Kehraus“ im örtlichen Kino präsentierte und im Anschluss im Schlosskeller einen Empfang mit Bürgermeister durchzustehen hatte – dazu hatte er offensichtlich keinen Bock :-)
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Wenn der Polt keinen Bock hat, wird’s haarig, das kann ich mir gut vorstellen. Den Fasching hamma ja bald überstanden, in München hat der eh erst zum Oktoberfest seine Hoch-Zeit….
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Problem war: Ich hatte auch keinen Bock :-) Also nicht wegen Polt, sondern wegen der Verunstaltung an sich :-)
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Na da sind ja zwei zusammengekommen… ;-) Obwohl ‚Kehraus‘ nicht schlecht war, ansonsten ist er cineastisch ja immer ziemlich daneben gelegen…
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«Ja – was den ganzen Haufen hier anbelangt, da hat sich nicht viel getan… Ist ja praktisch wie ein Friedhof hier, wer einmal ein Plätzchen hat, den kriegste nicht mehr weg.»
via ‹Stromberg› – der das ‹Sau-Füttern› auch drauf hat …
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Ja, der Stromberg. Hatte auch was, ich muss aber gestehen, ich bin nach der 1. Staffel ausgestiegen, irgendwann war’s immer das Gleiche…
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!
Und bei mir spätestens 2014 nach der Enttäuschung über Stromberg – Der Film.
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Hab ihn nicht gesehen, aber einige beinharte Stromberg-Fans haben sehr geknurrt…
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Lieber Gerhard,
Gerhard Polt begleitet mich auch schon viele Jahre auf das angenehmste, auch wenn ich nicht immer alles akustisch verstanden habe. Ich denke da u.a. an die Biermösl Blosn :) Trotzdem ein, wie Du richtig geschrieben hattest, Gigant des Kabaretts, von denen es immer weniger werden.
Liebe Grüße aus dem grauen,kühlen und regnerischen Hamburg,
Stefan
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Lieber Stefan,
das gehaltvolle Kabarett scheint eine aussterbende Gattung zu sein, hier in Bayern ist dahingehend nicht mehr viel geboten, der grandiose Jörg Hube ist leider, wie gesagt, viel zu früh verstorben, Siegfried Zimmerschied hat seine besten Zeiten weit hinter sich, und auch der Polt zitiert sich zusehends mehr und mehr selbst, sein aktuelles Programm „Ekzem Homo“ wurde zum Jahreswechsel im Dritten ausgestrahlt, es hat mich – ich muss es gestehen – nicht vom Hocker gerissen. Bundesweit halte ich Christoph Sieber für einen Hoffnungsträger, der hat mir bisher immer gut gefallen.
Liebe Grüße, mit nasskaltem Wetter können wir momentan gut mithalten,
Gerhard
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Lieber Gerhard,
da hast Du Recht. Vermutlich reicht gehaltvolles Kabarett allein nicht um davon zu leben. Jörg Hube war auch einer Großen. Früher habe ich unregelmäßig bei Ottis Stammtisch hinein geschaut. Aus der glorreichen Münchener Zeit mit Polt, Hildebrandt, Grünmandl…ist ja keiner mehr am Leben. Und viele sind später, dem Trend folgend,mehr ins Comedyfach gewechselt. Sendungen wie „Die Anstalt“ sind noch Ausnahmen mit teils wirklich großen Perlen. Christoph Sieber hatte ich im BR gesehen. Der ist gut. Den Polt hat es irgendwie nie so ganz in die Öffentlichkeit getrieben. Der hat seine Sachen gemacht. Eigentlich hätte er jetzt das Alter für Leseabende, wie bei Hildebrandt. Sozsuagen als letzte Zugabe.
Hier bleibt es nasskalt und grau.
Liebe Grüße,
Stefan
P.S.Und zum Katar-Deal der Roten ein Beitrag von Extra3 :) http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/FCBtv-Unser-Freund-Katar,extra10780.html
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Lieber Stefan,
ich fürchte auch, dass man vom politischen Kabarett heute nicht mehr leben kann, Dieter Hildebrandt hatte früher mit dem ‚Scheibenwischer‘ wenigstens sein festes Auskommen, heute müssen wohl Zugeständnisse ans Comedy-Fach gemacht werden, schade.
Danke für den Link. Für die Roten gilt nach wie vor: zuerst das Fressen, dann die Moral (wenn überhaupt, manchmal nur das Fressen…).
Zweite Liga wird am Wochenende ja auch wieder ernst, die Winter-Transfers vom Kreuzer finde ich unter den gegebenen Umständen gar nicht so schlecht, immerhin sind es alles Spieler, die die deutschen Profi-Ligen kennen. Ob es einer wie der Beister noch bringt, wird sich zeigen, aber fünf Nieten wird er hoffentlich nicht gezogen haben und teilweise sind es auch hinsichtlich Leihe-Geschäft bis Saisonende relativ Risiko-arme Deals, was das Finanzielle betrifft. Mal sehen, vielleicht geht noch was.
Liebe Grüße,
Gerhard
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Lieber Gerhard,
ich bin schon dankbar wenn´s ab und an noch eine kleine Nische für das Kabarett gibt.
Ich denke, der Kreutzer hat aus dem wenigen das vermutlich beste heraus geholt. Alles Spieler Bundesligaerfahrung und fit sollten sie auch sein. Ich bin gespannt. Übrigens sprach der Finanzvorstand vom HSV mal Klartext und sagte, das der HSV wirtschaftlich wie sportlich ein Sanierungsfall ist. Doch beim HSV leiht man Spieler wie Drmic für 1,2 Mio plus Teilgehaltsübernahme für 15 Bundesligaspiele aus. Den Löwen drücke ich die Daumen. Es wird sehr schwer werden.
Liebe Grüße,
Stefan
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Danke, Stefan, es wird sehr schwer, keine Frage.
Liebe Grüße,
Gerhard
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polt ist einer der potentensten. meine lieblingswahrnehmung war sein auftritt bei einem feuerwehrjubiläum mitten im oberbayerischen, also bei uns hier um die ecke. der hat das feuchtfröhliche volk vor ihm derart auf die schippe genommen, dass selbst die nahe auf einer weide glotzenden rindviecher mehr verstanden hätten, als die geradewegs derbleckten.
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Ja, kann ich mir gut vorstellen. Hab ihn mal in einem Bierzelt bei einem Blaskapellen-Jubiläum erlebt, da war das ähnlich… ;-))
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