Lost & Found (5)

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Muddy Waters – Baby Please Don’t Go – Live At ‚Jazz Jamboree 76‘ (1992, ITM Media)
Vor kurzem die restliche monetäre Weihnachtszuwendung im Münchner Second-Hand-Mono-Laden verblitzt und diese Live-Perle aus dem Regal gefischt. Anfangs noch skeptisch beäugt, das Werk findet weder in der Waters-Biografie von Robert Gordon noch bei Wikipedia Erwähnung, hätte sich im schlimmsten Fall auch um ein Bootleg in schwindliger Ton-Qualität handeln können, für die paar Kröten war das Risiko aber überschaubar, erfreulicherweise hat sich die Scheibe als Volltreffer erwiesen.
Der große alte Mann des Chicago-Blues 1976 konzertant bei einem Jazz-Festival in Warschau mit seiner Band in der Besetzung Jerry Portnoy / Bob Margolin / Luther Johnson / Pinetop Perkins / Calvin Jones / Willie Smith, sozusagen am Vorabend vom Johnny-Winter-Einstieg, der Texas-Albino hat mit Muddy Waters bekanntlich ab Oktober 1976 vier exzellente, finale Alben produziert, auf der Polen-Aufnahme funktioniert die Band auch ohne seine Beteiligung vorzüglich und liefert ein beschwingtes, vor Spielfreude strotzendes Set aus weniger bekannten Blues-Nummern und Muddy-Waters-Live-Standards wie dem Titelstück, „(I’m Your) Hoochie Coochie Man“, „I Got My Mojo Working“ und „Everything Is Gonna Be Alright“.
Wunderbare Ergänzung zu ‚Fathers And Sons‘ (1969, Chess) und mit wesentlich mehr Drive als die ‚Muddy „Mississippi“ Waters – Live‘-Einspielung (1979, Blue Sky) aus den folgenden Jahren.
Empfehle beherztes Zugreifen, falls der Tonträger irgendwo aus der Grabbelkiste rauslunzt…
(*****)

Coco Schumann Quartett – Coco Now! (Live) (1999, Trikont)
Der „Ghetto-Swinger“ auf der Höhe seiner Kunst: Der 1924 in Berlin geborene und durch alle Höhen und Tiefen des Lebens gegangene Gitarrist Coco Schumann zieht auf dieser Live-Einspielung alle Register der Swing-, Blues- und Jazzgitarren-Kunst, zusammen mit seinen Berliner Mitmusikanten Hans Schaetzke, Sven Kalis und Kalle Böhm spielt er sich von der Muse geküsst durch Klassiker wie „Take the ‚A‘ Train“, dem vor allem durch Ray Charles populär gemachten „Georgia On My Mind“, durch das von Jazzern und Bluesern gleichermaßen geschätzte „Autumn Leaves“ oder dem Lester-Young-Standard „Lester Leaps In“, selbst eine irgendwie schon lange nicht mehr wohlgelittene, da nahezu tot-gecoverte Schickse wie das „Girl From Ipanema“ erscheint im neuen Gewand wieder als aufgedonnerte Schönheit in strahlendem Glanz auf dem Laufsteg.
Die Platte enthält zuhauf diese exzellenten, vom Swing beflügelten, glasklaren Gitarrenläufe Schumanns, die dem Grateful-Dead-Fan zwangsläufig die Frage aufdrängen, ob Ober-Dead Jerry Garcia mit dem Werk des Berliner Ausnahme-Gitarristen vertraut war und sich in seinen Endlos-Jams seiner Technik bediente, es gibt da zahllose Passagen im Live-Katalog der kalifornischen Cosmic-American-Music-Institution, da möchte man wetten…
Aufgenommen im Sommer 1999 während des „Festival Jazz Classica“ auf Schloß Elmau, dem am Fuße des oberbayerischen Wettersteingebirges gelegenen „Luxury Spa & Cultural Hideaway“, was hat der Coco eigentlich mit seinem Berliner Kaschemmen-Blues in diesem Upper-Class-Schuppen verloren?
(**** ½)

Eric Dolphy – The Illinois Concert (1999, Blue Note Records)
Mit „Softly, As In A Morning Sunrise“ und dem Billy-Holiday-Klassiker „God Bless The Child“ erklingen zwei Jazz-Standards, plus fünf eigenkomponierte Originale ergeben einen spannenden, ergreifenden und hochenergetischen Mix, mit dem der kalifornische Multi-Instrumentalist Eric Dolphy mit Unterstützung des Rhythmus-Duos Eddie Khan und J.C. Moses und des damals 22-jährigen Pianisten Herbie Hancock eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass Free- und Avantgarde-Jazz bei ihm noch hochmelodisch und auch für diese Richtung weniger aufgeschlossene Ohren jederzeit gut hör- und verdaubar klingt, vor allem, wenn Dolphy zu seinen unvergleichlich-einfühlsamen Sound-Meditationen auf der Flöte und der Bass-Klarinette an- und abhebt.
Bereits im März 1963 in Champaign bei einem Konzert an der University of Illinois mitgeschnitten, wurde dieses exzellente Live-Album erst 1999 vom Blue-Note-Label veröffentlicht.
Der großartige Eric Dolphy war unter anderem an der Einspielung von Klassikern des Genres wie Ornette Coleman’s ‚Free Jazz‘ (1961, Atlantic), zahlreichen Charles-Mingus-Alben und den John-Coltrane-Perlen ‚Africa/Brass‘ (1961) und ‚Impressions‘ (1963, beide: Impulse!) beteiligt, seine eigenen Veröffentlichungen waren und sind hochgelobt, ein Reinhören in die Live-Aufnahmen ‚At The Five Spot‘ (1961, New Jazz), in das zweite Studio-Album ‚Out There‘ (1960, New Jazz) oder den kurz nach seinem Tod veröffentlichten Meilenstein ‚Out To Lunch!‘ (1964, Blue Note Records) lohnt immer.
Eric Dolphy ist im Juni 1964 während einer Europa-Tournee viel zu früh im Alter von 36 Jahren in Berlin an den Folgen einer nicht diagnostizierten Diabetes-Erkrankung gestorben.
Frank Zappa, der Dolphy zu seinen maßgeblichen Einflüssen zählte, setzte ihm 1970 auf der LP ‚Weasels Ripped My Flesh‘ (Bizarre) mit der Instrumental-Nummer „Eric Dolphy Memorial Barbecue“ ein musikalisches Denkmal.
(**** ½ – *****)

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4 Kommentare

  1. Da schließe ich mich Erich´s Kompliment an, Gerhard. Schumann, Waters und Dolphy…eine richtig feine Auswahl. Und dann heißt es wieder eine weitere Kerze anzuzünden, für George Martin, dem „Fünften Beatle.“ Was Martin allein in den analogen Zeiten geleistet hat ist heute noch beeindruckend. Er verschmolz den Beruf des Produzenten mit dem des Arrangeurs und kreativen Ideengebers.
    Liebe Grüße,
    Stefan

    Gefällt 1 Person

    1. Danke, Stefan. Ja, George Martin, hab’s vorher gelesen. Ich wollte jetzt fast schreiben, der letzte der britischen Produzenten-Garde, aber Andrew Loog Oldham lebt ja tatsächlich noch, den hätte ich ehrlich gesagt nicht mehr im Diesseits vermutet, aber er ist mit 72 Jahren im Vergleich zu Martin fast noch ein Youngster.
      Liebe Grüße,
      Gerhard

      Gefällt 1 Person

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