Tortoise @ Hansa39, München, 2016-05-29

tortoise

Über die durchwachsene Qualität des aktuellen Tortoise-Tonträgers ‚The Catastrophist‘ (2016, Thrill Jockey) war vor kurzem einiges zu lesen, auch hier war die Begeisterung nicht das, was man überbordend nennt, vom Konzertbesuch durfte dies trotz allem nicht abhalten, zu gut ist der Ruf der Band aus Chicago als exzellente Live-Attraktion, und Iron Maiden im Olympiastadion wäre (trotz ordentlicher aktueller ‚Book Of Souls‘-Scheibe) ob des seit Tagen anhaltenden Frühlingsgewitter-Wetters ohnehin keine Alternative gewesen.
Pure Freude vom Start weg bereitete der Auftritt des Quintetts im sehr gut gefüllten Hansa39-Saal, wie perfekt ineinander greifende Uhrwerk-Mechanik spielten die Herren McEntire, McCombs, Bitney, Parker und Herndon groß auf, so wie sich die fünf Musiker immer wieder multifunktional begabt an den Instrumenten abwechselten und so eine basisdemokratische Gruppen-Philosophie ohne hervorstechenden Band-Leader konzertant umsetzten, so perfekt harmonierte der stilistische Mix aus Fusion-Jazz, Kraut-, Prog- und Post-Rock, Dub und Ambient in sich gegenseitig bereichernder Koexistenz.
Lediglich Eleventh-Dream-Day-/Brokeback-Urgestein Douglas McCombs beschränkte sich auf das Musizieren an den Saitenintrumenten, der Rest der Combo brillierte im fliegenden Wechsel an Korg-/ Elektronik-/Synthie-Geräten, Schlagwerk, Gitarren, Bass und Vibraphon und sorgte so für permanent hohes musikalisches Spannungsniveau.
Die Band wäre wohl gut beraten gewesen, hätte sie ihr aktuelles ‚Catastrophist‘-Material konzertant eingespielt, die sieben aus dem neuen Werk dargebotenen Stücke entfalteten im Live-Vortrag eine betörende Dynamik und einen rhythmischen Drive, den man dem Material aufgrund konservierter Tonträger-Dokumentation nicht zwingend zugetraut hätte.
In Punkto Schmackes stand das punktuell aus dem Backkatalog selektierte, ergänzende Material den jüngsten Kompositionen der amerikanischen Post-Rock-Pioniere in nichts nach, vor allem die mit Wucht, Hingabe und technischer Finesse vorgetragenen Preziosen „I Set My Face To The Hillside“ vom hervorragenden ‚TNT‘-Album (1998, Thrill Jockey), „Prepare Your Coffin“ und das finale „Crest“ aus den beiden Zugaben-Blöcken ließen beim begeisterten Publikum alle Dämme in Richtung freudiges Applaudieren brechen.
Warum von allen Tortoise-Vollwerken einzig die Insel-Scheibe ‚Millions Now Living Will Never Die‘ (1996, Thrill Jockey) nicht bei der Auswahl der Instrumental-Wunderwerke berücksichtigt wurde, anyway, die Band wird’s wohl wissen, auch ohne Beitrag dieses Spitzenprodukts war das Münchner Tortoise-Konzert vom vergangenen Sonntagabend ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das nach gut 90 Minuten Experimental-Crossover-Vollbedienung keine Wünsche bei den Besuchern offen ließ.
Schön deppert wär man gewesen, wenn man da wegen irgendwelchen unterkühlten Plattenkritiken ferngeblieben wäre…
(***** – ***** ½)

Setlist: Seneca / The Catastrophist / Shake Hands With Danger / Hot Coffee / Gesceap / Eros / High Class Slim Came Floatin‘ In / Yonder Blue / Dot/Eyes / Tesseract / Ten-Day Interval / Tin Cans & Twine / At Odds With Logic / I Set My Face To The Hillside / Prepare Your Coffin / Crest

Tortoise Live @ Littlefield, Brooklyn/NY, 2016-03-17 -> nyctaper.com

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6 Kommentare

  1. Lieber Gerhard, da beneide ich Dich nun doch ein bisschen sehr: hab nie geschafft, Tortoise live zu sehen. Via Aufzeichnungen hatte ich immer den Eindruck bekommen, dass sie auf der Bühne eigentlich zuhause sind und bei Live-Sessions einen Heidenspaß haben, und Dein Beitrag klang ja auch danach. Viele Grüße, Sonja

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Sonja, ja, genau, Deine Einschätzung trifft es ziemlich gut, im Konzert blühen die richtig auf. Ich drück Dir die Daumen, dass es mal klappt mit einem Konzertbesuch. Morgen spielen sie in Köln, aber das ist von Hannover aus auch nicht gerade ums Eck…
      Liebe Grüße,
      Gerhard

      Gefällt 1 Person

    1. Wirklich schade, waren scheinbar sehr gut aufgelegt auf dieser Tour, was man allerorten so hört. Kommen aber hoffentlich irgendwann mal wieder.
      Viele Grüße,
      Gerhard

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