Reingehört (169)

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William Tyler – Modern Country (2016, Merge)
Post-Country, gibt’s den Begriff schon? Mindestens für den mutigen, experimentell angehauchten Opener „Highway Anxiety“ und den fulminanten Schlusspunkt „The Great Unwind“ müsste über diese Etikettierung nachgedacht werden, die fünf anderen Stücke des neuen William-Tyler-Albums dürften mit gängigeren Kategorisierungen wie Instrumental-Ambient-Folk und punktuellen, aber kaum dominanten Querverweisen zu Kottke, Knopfler, Frisell und Paris-Texas-Cooder auskommen, in allen Fällen ist eine exzellente Qualität der Aufnahmen garantiert.
Tyler, the unsung Hero der amerikanischen Alternative-Country-Gitarristen, hat in vergangenen Jahren stets, auch auf hiesigen Bühnen, als führender Saiten-Mann im Lambchop-Kombinat vom Wagner-Kurtl, bei dessen launigem Country-Nebenprojekt Kort oder auch auf diversen Silver-Jews-Tonträgern schwerst überzeugt, auf ‚Modern Country‘ liefert der junge Mann aus Nashville/Tennessee im Verbund mit dem Multi-Instrumentalisten Phil Cook, dem Tweedy-Bassisten Darin Gray und Wilco-Trommler Glenn Kotche einen wunderbaren Strauß an Gesang-freiem Wohlklang, der einmal mehr sein herausragendes Talent als hochtalentierter Gitarrist unter Beweis stellt. Das aktuelle Material besteht größtenteils aus melodischen Breitband-Kompositionen, es entfernt sich zusehends von den Akustik-Gitarren-Meditationen seiner früheren Solo-Einspielungen und setzt sich in Klangbildern gemäß den Statements zur Platte thematisch mit den verlorenen Werten Amerikas, dem Verfall nationaler Institutionen und zunehmender Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft des Landes auseinander.
Der britische Starkoch Jamie Oliver haut gern mal den Spruch „Not my cup of tea“ raus, wenn ihm was gegen den Strich geht, die neue Platte vom William Tyler hingegen ist absolut/total/definitiv/sowas-von meine Teetasse, ohne jeden Zweifel…
(***** – ***** ½)

William Tyler Live @ Capitol Theatre, Port Chester/NY, 2016-02-02 + Mercury Lounge, New York/NY, 2015-06-26 -> nyctaper.com

Austin Lucas – Between The Moon & The Midwest (2016, Last Chance Records)
Der Mann aus Bloomington/Indiana hat die vergangenen zehn Jahren den Weg vom Punk-infizierten Folk hin zum Nashville-angelehnten Country beschritten, auf seiner jüngsten Veröffentlichung bietet er beseelte, herzzerreißende, mit empathischem Gesang vorgetragene Balladen, gestandene Honky-Tonk-Kracher und die mit viel Schmalz unterlegten ganz großen Prärie- und von Hoffnungslosigkeit durchwirkten Verlassenheits-Gefühle – lobenswerter Weise mit deutlich mehr Schlagseite zum Alternative Country als zu Garth Brooks.
Soviel Soul und tiefempfunden Authentisches war lange nicht mehr in der amerikanischen Sattelschlepper-Musik…
(**** – **** ½)

Bob Dylan – Fallen Angels (2016, Sony)
Lange überlegt, ob man über diese Belanglosigkeit überhaupt groß Worte verlieren soll, aber nachdem Mr. Zimmerman altersmäßig vor kurzem ein Dreivierteljahrhundert vollgemacht hat, dann doch ein paar Anmerkungen: (1) Alles Gute nachträglich zum Geburtstag. (2) Auf seinem 37. Studio-Album ‚Fallen Angels‘ nölt sich Bob der Meister mit einer vermutlich durch Einsatz entsprechender Studiotechnik aufgebrezelten Stimme durch 12 klassische amerikanische Fremdkompositionen, musikalisch unterlegt mit tendenziell leicht fadem Country-Swing und artverwandtem, unaufgeregtem Geplätscher, überwiegend etwas erträglicher als auf diesem Sinatra-Müll vom Vorjahr. (3) Im Zuge der Sozial-Reformen sollte dringend in Erwägung gezogen werden, in Zukunft altgediente Pop-Ikonen der Zwangsverrentung zuzuführen, allein schon als Schutzmaßnahme gegen die schleichende Demontage der eigenen Legende.
(** ½ – ***)

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8 Kommentare

      1. Ja, dieses vielzitierte „American Songbook“ ist schon schwer überschätzt… Aber zumindest das, also die Nummer mit dem Überschätzen, kann einem bei den letzten Bob-Veröffentlichungen nicht passieren ;-)))
        Liebe Grüße,
        Gerhard

        Gefällt 2 Personen

  1. Lieber Gerhard,
    soweit mir bekannt ist, wurde das „Fallen Angels“ Album Anfang 2014 bei denselben Sessions in den Capitol Studios aufgenommen wie bereits sein Vorgänger-Album. Es sind dieselben Musiker, seine aktuelle Tourband. Es scheint fast als wenn Dylan seinem Ruf als Mr. Sorglos wieder Ehre gemacht hat. Nichts neues. Sondern die Reste der Session. In der Zwischenzeit, so hört man, soll er auch neue Songs eingespielt haben. Das ein Musiker im Alter sich seiner Vorbilder erinnert, und sich an das Great American Songbook wagt, konnte man schon vor Jahren in seinen Radio-Shows hören. Dennoch hätte ich mich über neue Songs gefreut.
    Liebe Grüße,
    Stefan

    Gefällt 1 Person

    1. Lieber Stefan,
      hab ich auch irgendwo gelesen, Resteverwertung von den Sinatra-Sessions, obwohl Reste seltsamerweise einen Tick gefälliger als der erste Wurf vom letzten Jahr (meine bescheidene und unmaßgebliche Meinung). Dylan-Eigenkompositionen wären denke ich allemal interessanter gewesen. Ob wir nochmal sowas wie ein ‚Time Out Of Mind‘-Wunderwerk erleben werden? Ich bin da langsam skeptisch bei ihm. Liebe Grüße,
      Gerhard

      Gefällt 1 Person

      1. Lieber Gerhard,
        Dylan hat sich in den 90´er Jahren ja auch wieder neu erfunden. Und in seinem künstlerischen Leben waren die Übergänge der einzelnen Stile meist fließend. Deine Skepsis teile ich…lasse mich jedoch gern positiv überraschen.
        Liebe Grüße,
        Stefan

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      2. Lieber Stefan, genau, harren wir der Dinge, die da noch kommen mögen und lassen wir uns im besten Fall positiv überraschen. Sollte das nicht klappen, gibt es im Dylan-Fundus ja genügend alte Klassiker, die ein Reinhören immer mal wieder lohnen,
        liebe Grüße,
        Gerhard

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