Russian Circles – Guidance (2016, Sargent House)
Reichlich Zeit haben sich die Herren Cook, Sullivan und Turncrantz für ihr sechstes Vollwerk gelassen, nahezu drei Jahre sind seit Erscheinen des seinerzeit zurecht hochgelobten Post-Metal-Meisterwerks „Memorial“ (2013, Sargent House) ins Land gegangen. Um nicht lange um den heißen Brei rumzureden: Die Warterei hat sich mehr als gelohnt.
Die Band aus Chicago gestaltet dieser Tage ihre Konzerte wie einen Stahlbad-gleichen, fließenden Malstrom, dessen Wellen über die Zuhörer in sich auftürmenden Soundschichten hereinbrechen und in denen das Trio wiederholte Male in berückenden Lärm-Orkanen versinkt, aus denen sich im freien Fluss Zug um Zug immer wieder die Strukturen der einzelnen Instrumentalwerke herauskristallisieren, einem einzigen, berauschenden Gesamtkunstwerk gleich.
Nicht so auf dem soeben erschienenen aktuellen Tonträger, hier präsentieren sich die sieben neuen, gesangsfreien Arbeiten wesentlich differenzierter, voneinander abgegrenzter, stilistisch vielfältiger. Die Band verlässt wiederholte Male die Pfade des reinen Post-Metal, auf Parallelstraßen durchschreitet das Trio musikalisch Artverwandtes vom reinen Post- bis zum Siebziger-Jahre-geprägten Kraut-/Prog-Rock, bereits zum Einstieg glänzt das Album mit dem klassisch-progressiven Folk-Stück „Asa“. „Mota“ besticht durch eine ausgefeilte Melodie, geradezu ungewöhnlich für Russian-Circles-Verhältnisse, und tendenzieller Hinwendung zum meditativen Postrock in der Caspian-/Jesu-/Mogwai-Prägung. „Vorel“ und „Calla“ bieten mit viel Wucht und Druck die gewohnte Härte im Klangbild der US-Combo und „Lisboa“ wird in seiner getragenen, würdevollen Eleganz der schwermütigen Schönheit der portugiesischen Metropole an der Atlantikküste vollkommen gerecht.
Die Grundstimmung der Russian-Circles-Welt bleibt düster-dramatisch, die musikalische Präsentation variiert im Vergleich zu älteren Arbeiten um ein Vielfaches, hier zudem mit etlichen emotionalen, verhalten-hoffnungsvollen, mitunter euphorischen Gegenströmungen, die Ausbrüche sind gewollt und funktionieren reibungslos auf den Punkt gebracht – insofern dann doch wieder: alles im Fluss.
Sollte von Pelican, den Postmetal-Kollegen aus Illinois, in diesem Jahr keine Veröffentlichung mehr anstehen, wird „Guidance“ in dem Genre für 2016 vermutlich die Referenzaufnahme bleiben.
Den Schädel in den Sturm halten, den Tiefgang im Sumpf des Beliebigen/Belanglosen dieser Tage ausloten – Großartige Platte!
(*****)
65daysofstatic – No Man’s Sky: Music For An Infinite Universe (2016, Concord Records)
Mental schon mal auf einen weiteren tendenziellen Verriss der Combo eingegroovt, und dann das: sie haben es doch drauf, schau einer an. Konnte das Postrock-/Math-Rock-Quartett aus dem englischen Sheffield weder bei ihrem letzten München-Konzert noch beim Headliner-Gig am ersten Tag des diesjährigen Dunk!-Festivals vollends überzeugen (rein subjektive Einschätzung, klar) und auf dem letzten regulären Album „Wild Light“ (2013, Superball Music) auch nur äußerst bedingt, so offenbart die Band auf diesem Soundtrack für ein Playstation-Survival-Videospiel plötzlich erstaunliche Qualitäten in Punkto Kraut- und Postrock, Electronic-Ambient und dezentem TripHop. Das mag hinsichtlich Stil-Mix nicht weiter überraschen, was aber hier augenfällig ist, ist das völlige Fehlen von bombastischem Pomp, Kitsch, Keyboard-lastiger Überdrehtheit und Schielen nach den gefälligen Soundstrukturen, wie es Shrewsbury, Wolinski und Co gerne und oft in der Vergangenheit betrieben, auf „No Man’s Sky“ besinnen sich 65daysofstatic auf die wesentlichen Aspekte der Instrumentalmusik, völlig ungekünstelt entwerfen sie einen stimmigen Klangkosmos fernab jeglichen überflüssigen Zierrats. In dem beschallten Konsolen-Spiel geht es der Beschreibung nach um das Entdecken neuer Welten und die Hoffnungen/Ängste dahingehend, was sich an neuen Universen auftun wird im Erforschen bisher unergründeter Lebensräume, für die Band hat sich die begleitende Reise bereits mehr als gelohnt, strukturierter und klarer definiert waren sie nie im Entwurf ihrer experimentellen Kompositionen.
Besticht CD1 durch klangliche Vielfalt, in der vor allem der klassische Postrock dominiert, glänzt CD2 durch einen ausgeprägten Hang zum kontemplativ-meditativen Ambient, der in den sechs, jeweils um die circa zehn Minuten ausgedehnten Electronica-Entwürfen seine ganze Pracht entfaltet. Sterbende Planeten, die Weiten der Galaxien und ähnliches astronomisches Gedöns hat man mit den Klängen von 65daysofstatic seit jeher assoziiert, auf „No Man’s Sky“ ist dieser musikalische Ansatz endlich von jeglichem SciFi-Kitsch befreit.
„Dark Star“-Gedächtnispreis des Monats.
(**** – **** ½)
Konzertant im Rahmen der herbstlichen 65daysofstatic-Europatournee unter anderem am 6. November in der Münchner Kranhalle, weitere ausgewählte Stationen: 21.10. Genf/L’Usine PTR, 22.10. Zürich/Bergmal Festival, 07.11. Wien/WUK, 09.11. Berlin/C-Theatre, 10.11. Hamburg/Uebel & Gefährlich.
und immer wieder entdecke ich einfach grandiose Sachen bei Dir – Russian Circles sind wunderbar – danke :)
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Immer gerne :-) Ja, die sind ganz groß, und die neue Scheibe ist vielleicht sogar ihre Beste. Das Vorgänger-Album „Memorial“ ist schätze ich auch was für Dich, da singt Chelsea Wolfe auf dem Titelstück. Die Band Pelican aus Des Plaines/Illinois lege ich Dir in dem Zusammenhang auch dringend ans Herz, das ist auch unglaublich guter Instrumental-Stoff.
Viele Grüße,
Gerhard
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über den Sci-Fi Kitsch müssen wir allerdings noch mal diskutieren *schimpf* ;)
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Hmpf… ;-))) Sorry, ist halt nicht so meine Welt…. ;-)))
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