Reingehört (226): Van der Graaf Generator, Bob Weir, Marianne Faithfull, Van Morrison

Abendrot im Hinterhof @ KAP37 München 2015-05-13

Van Der Graaf Generator – Do Not Disturb (2016, Esoteric Antenna)
Dreizehntes Studio-Album der nordenglischen Progressive-Institution, eingespielt in der verbleibenden Trio-Besetzung Hammill / Evans / Banton, nach Andeutungen von Gründungsmitglied, Songschreiber und Mastermind Peter Hammill könnte es das letzte Werk in der jahrzehntelangen Historie der Band sein.
Schwergewichtige, intensive Experimental-/Prog-Rock-Dramen, verspielt-virtuose Tempi-Wechsel, ambitionierte, Jazz-Rock-artige Improvisationen in einem stetigen Flow und nachdenkliche, Balladen-hafte Melancholie zum Ausklang, es ist alles enthalten, was eine gute und spannende VdGG-Platte seit jeher auszeichnet.
Hammills Stimme klingt bestimmt, erhaben, abgeklärt-wissend, für seine Verhältnisse jedoch geradezu altersmilde, die gewohnte, schneidende Schärfe des Anklägers bleibt weitestgehend außen vor.
In den Songtexten wird das Album beherrscht von Reflexionen über die Endgültigkeit, das Alter und das Vergehen der Zeit, in “Alfa Berlina” erinnert die Band an ihren frühen Erfolg in Italien, wo das 1971er-Album „Pawn Hearts“ (Charisma) seinerzeit tatsächlich die Album-Charts anführte.
Eine der letzten Bastionen des altgedienten Progressive Rock englischer Prägung und neben King Crimson die einzige auf Dauer gewichtige Band des Genres, nachdem Pink Floyd in der Post-Barrett-Phase zunehmend in Richtung Mainstream-Geldtöpfe schielten und viele andere Vertreter den Genannten ohnehin seltenst das Wasser reichen konnten.
Hammill und Co gelingt, was vielen Altersgenossen meist – wohl aufgrund der eigenen Hybris oder den pekuniären Verlockungen – verwehrt bleibt: Ein gewichtiges Spätwerk, und, sollte es tatsächlich der letzte Longplayer der Band sein, ein Abgang in Würde.
“More or less, all for the best, in the end it’s all behind you.”
(**** 1/2 – *****)

Bob Weir – Blue Mountain (2016, Legacy / Columbia)
Bei den Soloalben, in Sachen Nebenprojekte und hinsichtlich Songwriting war Grateful-Dead-Kumpel Jerry Garcia quantitativ und qualitativ mindestens immer eine Bartlänge voraus, das Solodebüt von Bob Weir war bis dato die rühmliche Ausnahme, auf „Ace“ (1972, Warner) finden sich etliche Klassiker wie „Looks Like Rain“, „Greatest Story Ever Told“ oder „One More Saturday Night“, die umgehend und verdientermaßen Eingang in das Dead-Live-Repertoire fanden, ansonsten war nicht viel los mit dem solistischen Output des Rhythmus-Gitarristen aus San Francisco, das Nachfolge-Album „Heaven Help The Fool“ (1978, Arista) oder seine Arbeiten mit der Combo Kingfish boten wenig Anlass zur Freude, das erste Album seines 80er-Jahre-Seiten-Projekts Bobby And The Midnites mag da noch am ehesten positive Erwähnung verdienen.
Umso mehr überrascht Weir mit seinem tatsächlich erst dritten Soloalbum unter eigenem Namen in seiner über fünfzigjährigen Karriere, unter Mithilfe von Dylan-Vorbild Ramblin‘ Jack Elliott, dem Songwriter Josh Ritter und der The National-Brüder Bryce und Aaron Dessner, mit denen er bereits auf dem Dead-Tribute-Sampler „Day Of The Dead“ zusammenarbeitete, spielte er mit „Blue Mountain“ ein entspanntes, homogenes Spätwerk ein, die zwölf neuen Arbeiten bieten relaxten Folk-Rock, getragene, nachdenkliche Balladen und dunklen Country-Blues, aus einem Guss, eine ureigene Atmosphäre erzeugend, den Geist des uralten Amerika atmend, ohne die ganz großen Aufreger, aber auch ohne Durchhänger. Willkommene Abwechslung zum Grateful-Dead-Live-Archiv-Veröffentlichungs-Marathon.
(****)

Marianne Faithfull – No Exit (2016, Ear Music)
2014 hat Lady Marianne zur Krönung ihrer fünfzigjährigen Bühnenkarriere mit „Give My Love To London“ eines ihrer schönsten Alben eingespielt, ausgewählte Arbeiten des Meisterwerks bilden den Kern der Live-Aufnahmen von der seinerzeit anstehenden Promotions-Konzertreise. Mit dieser von der Tragik des Lebens, von Krankheit und Sucht und unzähligen Zigaretten geprägten, charakteristisch-brüchigen, verwüsteten Stimme und unter der Ägide von Bandleader Rob Ellis zelebriert Marianne Faithfull ausgewählte Preziosen wie die schwermütige Nick-Cave-Ballade „Late Victorian Holocaust“, eine auch im Live-Vortrag packende Version von „Falling Back“, dem lakonisch vorgetragenen Everly-Brothers-Klassiker „The Price Of Love“ und der Roger-Waters-Komposition „Sparrows Will Sing“ nebst Karriere-Highlights wie ihrer unverwüstlichen Debüt-Single „As Tears Go By“, dem bedrohlichen Drogen-Abgesang „Sister Morphine“ oder ihren Endsiebziger-Jahre-Hit „The Ballad Of Lucy Jordan“, der in seiner grundsätzlichen eleganten Dramatik vermutlich selbst in der Interpretation der unfähigsten Bierzelt-Kapelle nicht totzukriegen wäre.
(**** – **** ½)

Van Morrison – Keep Me Singing (2016, Caroline)
Zumindest im Titelstück und in seiner Interpretation des Blues-Standards „Share Your Love With Me“ blitzt der alte Glanz auf, daneben bietet Van The Man auf seinem neuesten Output ein paar wenige, zusätzliche passable Stücke, die sich zwischen dem üblichen, perfekt produzierten und orchestrierten Bar-Soul-Gejazze tummeln, das in seiner Belanglosigkeit charakteristisch ist für den weitaus größten Teil der VM-Aufnahmen der letzten zwanzig Jahre. Hand auf’s Herz: kein Mensch braucht eine weitere durchschnittliche Morrison-Produktion, wenn man auf Meisterwerke wie „Astral Weeks“, „Moondance“ oder „Beautiful Vision“ zurückgreifen kann.
(***)

9 Kommentare

  1. Also ich würd‘ jetzt nicht alles meiner tollen Aussicht und dem Meeresrauschen zuschreiben.
    So einen Satz wie den mit der grundsätzlichen Dramatik muss man echt erstmal hinkriegen (und viele andere ebenso).
    Liets sich einfach toll. Sogar nach dem zweiten Pott Kaffee (heißt: wirklich wach).
    Liebe Grüße in die Heimat!

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  2. Van der Graaf Generator – ich liebe diesen Bandnamen. Fast so toll wie Kunze-Knorr-Bremsen-Projekt (Keine sorge: es kam nicht über das Gedankenspiel hinaus, damals…vor langer Zeit.)

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    1. Sensationell !! ;-)) Schade, das nix draus wurde, bereits der Bandname hatte es in sich ;-)) Bei VdGG dachte ich in meinen jungen Jahren immer, das wären Holländer (was ja auch nicht weiter schlimm gewesen wäre).

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  3. ach, die altvorderen. da muss man sich erst einmal wieder reindenken. ;-)
    leider fehlt die zeit, sich nach allen seiten zu strecken.
    kann aber allesamt gut hören, nichts abschreckendes dabei.
    das stichwort garcia könnte man aber mal aufnehmen.
    da gab es tolle sachen…

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