Die von Karin Zwack und Dr. Daniel Bürkner kuratierte und vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München geförderte frameless-Reihe zur experimentellen Musik im digitalen Zeitalter ging am vergangenen Mittwoch in die zehnte und für das sich langsam verabschiedende Jahr 2016 letzte Runde, die Veranstalter hatten bei der Auswahl der Künstler zum Jahresfinale einmal mehr außerordentliches Gespür bewiesen.
Der über die Maßen gelungene Abend wurde im Kellergewölbe des Einstein Kultur von Ian Hawgood eröffnet, der gebürtige Engländer lebt und arbeitet derzeit in Warschau und ist Betreiber des Ambient-, Experimental- und Electronica-Labels Home Normal, bei seinem frameless10-Auftritt beeindruckte der Brite im abgedunkelten Gewölbe mit einer digitalen Elektronik-Arbeit, die zwischen pochend-monotonem Industrial-Beat, feinem, sphärischem Ambient, sich in die Gehörgänge fräsenden Electronica-Drones und erhabenen, nahezu sakralen, kontemplativen Momenten im Geiste der deutschen Kraut-/Ambient-Pioniere Popol Vuh alles bot, was das Herz der Experimental-Freunde begehrte. Selbst in den abstraktesten Passagen wohnte der individuell entworfenen Soundlandschaft ein latent vertrauter Grundton im Sinne des Wohlklangs inne, Verstörung über die komplexe Arbeit wäre fehl am Platze gewesen, was auch der herzliche und lang anhaltende Applaus des aufmerksamen Publikums unterstrich.
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Foto © Ian Hawgood / Courtesy Of The Artist / Vielen Dank an Karin Zwack
Das Quartett goat(JP) aus Osaka spielte instrumentalen Minimal Techno ohne Elektronik, mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Saxophon-Gebläse, dass weit mehr an harten Rhythmus-Gitarren-Anschlag als an Jazz angelehnt war. Die vier jungen Japaner zelebrierten präzise auf den Punkt gespielt eine treibende, harte, ineinander greifende Rhythmik, die sofort ihre hypnotische Kraft entfaltete. Der disziplinierte, nichtsdestotrotz im Klang ekstatische Vortrag rief in seinen wuchtigsten Momenten Erinnerungen an intensive, Gitarren-getriebene Stakkato-Attacken der Washingtoner Straight-Edge-Hardcore-Institution Fugazi wach und wurde in einem Intermezzo von digitaler Drone-/Doom-Elektronik unterbrochen und bereichert, die die Musiker zum Innehalten und Sammeln nutzten, um im finalen, euphorisierenden Werk punktuelle Gitarrenausbrüche zu wagen, die sich in ihrem explodierenden Anschlag in bester Postrock-Manier präsentierten. Ein mehr als würdiger Schlusspunkt für ein hervorragendes frameless/frameworks-Jahr, leider ließen sich die Musiker trotz frenetisch-gebührendem Applaus nicht mehr zu einer in dem Fall hochwillkommenen Zugabe bewegen. 45 Minuten Intensivst-Bedienung für zappelnden Körper und tanzenden Geist auf einem Niveau, dass Experimental- und Post-/Prog-Rockfreunde gleichermaßen zu beglücken wusste.
(***** ½)
Die Videoinstallation des Abends lieferte der 1987 in den Pyrenäen geborene Franzose Boris Labbé mit seiner Arbeit „Kyrielle“, für die er Aquarelle in Handarbeit fertigte und diese digitalisierte. In einem sich zusehends anschwellenden Gewirr gehen Menschen, stolpern übereinander und richten sich wieder auf. Der tägliche Kampf des Lebens, visualisiert in digitaler Verdichtung, ein Abbild der Beeinflussung des Organischen durch die Technik.
Der Künstler selbst beschreibt die Arbeit auf seiner Homepage wie folgt:
„The word Kyrielle in french means „long series of various things“, besides, le jeu des Kyrielles “the game of Kyrielles” is a word game that is presented as a child´s song, taking as the first syllable the last syllable of the previous expression as in the famous french nursery rhyme : Marabout, Bout de ficelle, Selle de Cheval, etc… The repeating rhythms and cycles have a hypnotic quality, and encourage the viewer’s eye to wonder playfully and explore different figures. The piece was built with 285 watercolors, letting the drawing deforms himself gradually from improvisation movements. The animated figures are developing a complex symmetric abstraction, and then returning to the minimalist aesthetic of the initial white. The final piece, on a palindromic form, was then digitally designed. Kyrielle was inspired, among others, from works like Tango of the filmmaker Zbigniew Rybczynski or the paint Children’s Games by Pieter Bruegel the Elder.“
Boris Labbé wurde für seine Arbeiten mit Preisen bei diversen Festivals ausgezeichnet, unter anderem bei der Ars Electronica, beim Annecy Festival, dem roBot Festival in Bologna und beim Multivision Festival in St. Petersburg.
spannende geschichte, wie immer. leider ohne mich.
danke für die einblicke. vor allem die japaner hätte ich gern erlebt.
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Ja, die waren klasse. Ian Hawgood aber auch. Vielleicht klappt’s beim nächsten Mal,
viele Grüße,
Gerhard
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