Reingehört (261): Hochzeitskapelle, The Notwist

HOCHZEITSKAPELLE @ innen.aussen.raum Maximiliansanlagen, München, 2015-08-03 (12)

Hochzeitskapelle – The World Is Full Of Songs (2016, Gutfeeling Records)
Das ist die Platte, die garantiert aus jedem mentalen Tief heraushilft, geht gar nicht anders. Das ist der Rhythmus, bei dem jede/r mit muss, sprichwörtlich. Und es ist auch die Platte, auf die die Hörerschaft sehnsüchtig gewartet hat, zumindest diejenigen, die die Münchner Hochzeitskapelle in den letzten eineinhalb Jahren bei irgendeiner Gelegenheit konzertant erleben durften, den Zauber, den Mrs. Zwirbl Evi Kegelmaier (Zwirbeldirn, Hasemanns Töchter, G.Rag), die Acher-Brüder Micha und Markus (The Notwist und weiß Gott was sonst noch alles an guten Bands aus Weilheim and elsewhere), Matthias Götz (u.a. Le Millipede, Alien Ensemble) und der umtriebige Münchner Jazzer Alex Haas bei ihren herausragenden Konzerten zu entfalten wissen, fängt der Debüt-Tonträger wunderbarst ein, das Quintett kredenzt in völlig tiefenentspannter Manier in zwanzig exzellenten Instrumental-Miniaturen ein komplexes, stimmig-musikalisches Seelenbad, wie es einem nur alle heiligen Zeiten zuteil wird. Swingende Gypsy-Jazz-Geigen, dezent nach vorne gemixter Rhythmik-Groove, garniert mit beseeltem Banjo-Scheppern, und nicht zuletzt diese geerdeten, völlig unaufgeregten, eine inwendige Grundgelassenheit transportierenden Bläsersätze, mit Tuba, Posaune und Trompete vorgetragen, eine musikalische Reise um den Globus, zwischen Kammermusik und rumpelnder Volksfest-Beschallung eingependelt, der Polka, dem Walzer, dem Country, dem jamaikanischen Ska, dem New-Orleans-Blues und dem Freigeist des Jazz die Ehre gebend, nie beliebig, immer so auf den Punkt gespielt, als wäre es anders gar nicht denkbar. Worldbeat und alles umarmender Pop im besten Sinne, vorrangig in einer exzellenten Auswahl an Fremdmaterial zelebriert, unter anderen kommt der große Minimalist Louis Thomas Hardin aka Moondog gleich zweimal zu Ehren, die legendären Skatalites ebenfalls, Sun Ra steht auf der Komponistenliste, der Camper-Van-Beethoven- und Cracker-Chef David Lowery, Reggae- und Dub-Innovator Lee Scratch Perry, bei „Bi Pet“ von Lali Puna bedienen sich die Achers sozusagen aus dem eigenen Fundus, und selbst der Chanson-Schmonzette „Comment te dire adieu“ von Francoise Hardy lässt sich in der Hochzeitskapelle-Version noch etwas abgewinnen.
Das Wunderwerk, das nicht zuletzt durch seinen gleichberechtigten und feinst aufeinander abgestimmten Instrumenteneinsatz beeindruckt, bei dem sich in basisdemokratischer Manier keiner der begnadeten Musiker als großer Zampano hervortun muss, wurde in der gebührenden Güte von Andreas Staebler aka G.Rag aufgenommen, abgemischt und beim eigenen Gutfeeling-Label auf den Weg gebracht, genau der richtige Mann für den Job, ist er doch in artverwandten Klängen mittels Vorstandschaft der eigenen Combos Los Hermanos Patchekos und Landlergschwister beheimatet und somit für die Nummer bestens beleumundet.
„The World Is Full Of Songs“, wie wahr, in dem Fall ausnahmslos nur gute…
(*****)

Die Hochzeitskapelle spielt live am 7. Januar in München im Optimal Plattenladen, Kolosseumstraße 6.

The Notwist – Superheroes, Ghostvillains + Stuff (2016, Alien Transistor)
Im Herbst gab es trotz vielfacher Nebenerwerbs-Beschäftigungen auch ein Lebenszeichen vom Mutterschiff der Acher-Brüder, The Notwist haben im vergangenen Oktober ihr erstes Live-Album veröffentlicht. Sechzehn auf Doppelalbum-Länge ausgelegte Arbeiten dokumentieren die Vielschichtigkeit der Weilheimer Indie-Rock-/Electronica-Institution in ihrer Bandbreite von der dunklen Schrammel-Gitarre und Ausflügen in den Hardcore-Bereich früher Tage bis zum aktuellen, filigranen, komplexen Elektronik-Indie-Pop-Klangbild, das die Band seit ihrem Postrock-/Jazz-/Ambient-Meisterwerk „Shrink“ (1998, Virgin) kultivierte und das sie weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und beliebt gemacht hat.
Das im Dezember 2015 im Leipziger Lichtspieltheater UT Connewitz mitgeschnittene Konzert zeigt die süddeutsche Combo in bestechender Form mit Schwerpunkt auf die nicht minder beeindruckenden Alben „Neon Golden“ (2002, Virgin) und „Close To The Glass“ (2014, Sub Pop), Energie trifft Poesie, treibende Beats und das Band-typische Indietronic-Georgel sorgen für die typische Notwist-Note, die durch das ab und an latent leiernde, mit dünner Stimme vorgetragene, Irritation und Spannung steigernde Singen Markus Achers noch unterstrichen wird. Was bei anderen Bands in einer über fünfundzwanzig-jährigen Historie als mehrfacher Bruch in der stilistischen Ausgestaltung erscheinen würde, fügt sich bei The Notwist zu einem immer wieder aufs Neue faszinierenden, ineinandergreifenden, multidimensionalen Klangkosmos zusammen. Die hinsichtlich Sound optimal produzierte Konzertaufzeichnung eignet sich auch wunderbar als Werkschau und Bestandsaufnahme für Notwist-Novizen.
(**** ½ – *****)

4 Kommentare

  1. die hochzeitskapelle wollte ich mir zum feste schenken lassen, also, wenigstens das album, aber es hat keiner übernommen. vielleicht hab ich es zu leis gedacht…
    naja, ich wollte eh in bälde mal den dorfener plattenladen besuchen, die haben das vinyl wohl im schaufenster. dank deiner begeisterung hier also noch mehr vorfreude.

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