Reingehört (306): Willie Nelson, Ray Davies

Willie Nelson – God’s Problem Child (2017, Legacy)

Der texanische Outlaw Willie Nelson gibt sich auch im 84. Lebensjahr abgeklärt und relaxt, auf seinem in der vergangenen Woche erschienenen Album „God’s Problem Child“ blickt der altgediente Country-Crooner in einer Mischung aus Belustigung und Wehmut zurück auf vergangene Zeiten und wundert sich, dass er noch im Rennen ist, wo bereits so viele der musikalischen Weggefährten seiner Alterskohorte den letzten Road-Trip Richtung ewige Jagdgründe angetreten haben. Einer der letzten verbleibenden Großen der amerikanischen Country-Szene erfindet das Rad nach über sechs Jahrzehnten seines Schaffens hinsichtlich Sangesvortrag, Themen und musikalischem Arrangement gewiss nicht neu, mit aktuellen Eigenkompositionen und einer Handvoll Werken aus fremder Feder bringt Nelson mit altersmilder, vitaler, tiefenentspannter Stimme im bewährten Country-Swing und -Blues und einer feinen Auswahl an wohltemperierten Balladen, durchwirkt von Schmalz und Pedal-Steel-Schmelz, seine Geschichten zu Gehör, im Titelsong etwa begleitet von Tony Joe White und dem im vergangenen November dahingeschiedenen Leon Russell. Würdiges Alterswerk und ein feines Positiv-Beispiel dafür, dass viele Jahresringe allemal vor Torheiten wie etwa dem ungenießbaren American-Songbook-Gekrächze vom personifizierten Bad-Taste-Literaturnobelpreisträger-Joke schützen können.
(**** ½ – *****)

Ray Davies – Americana (2017, Legacy)

Ray Davies, der Kopf der legendären, 1996 aufgelösten UK-Rock’n’Roll-Urgesteine The Kinks hat dieser Tage im Hamburger Wochenblatt „Die Zeit“ in einem launigen Interview seine Eindrücke über die Heimatlosigkeit als Musiker, Auftrittsverbote in den USA und die Geschichte seiner in New Orleans eingefangenen Schussverletzung inklusive hoch sympathischen Anmerkungen über das Postkarten-Schreiben und die schöne westfälische Stadt Münster zum Besten gegeben, damit hat er ein paar weitere Stützbalken für den immerwährenden Sonderplatz im Herzen eingezogen, den er seit jeher als Songwriter, Sänger, Gitarrist und Produzent zahlreicher herausragender Alben seiner ehemaligen Stammcombo innehat, für sein jüngstes Solowerk „Americana“ kann es an dieser Stelle hingegen kaum Applaus geben. Die aktuelle Arbeit bietet nicht mehr als eine belanglose Sammlung an Mainstream-Schmonzetten, die im Sound weit über Gebühr im Beliebig-Austauschbaren versinken und die von Davies gewohnte, scharfe Beobachtungsgabe in den Texten schmerzlich vermissen lassen. Die Jayhawks um Gary Louris als Begleitband sind weit davon entfernt, die Nummer halbwegs anständig über die Bühne zu bringen, im Gegenteil, der Verdacht drängt sich auf, dass diese in jüngster Vergangenheit schwer im Mittelmaß versinkende Alternative-Country-Kapelle den prekären Zustand mit ihrer Füße-einschläfernden Beschallung noch verschärft, somit weiß Gott nicht die beste Wahl an Begleitmusikanten, der gute alte Ray hätte durch den letztjährigen, wenig anregenden „Paging Mr. Proust“-Output der Band eigentlich gewarnt sein müssen.
“Your time’s passed, now everyone asks for your version of history” – in dieser Form nicht mal das… mit „Americana“ hat Sir Ray einen Riesenschritt in das Lager derer getan, die durch uninspirierten Output im Alterswerk ihren Legenden-Status nachhaltig zu schädigen drohen.
(** ½ – ***)

2 Kommentare

  1. „Americana“ ist eher seicht, etwas zu gemächlich und manche Songs klingen einfach nur bescheuert. Schade! Ich fand Ray Davies erstes Solo-Album „Other’s People Live“ wirklich gelungen.

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