Reingehört (419): Dine Doneff

„Rage, rage against the dying of the light.“
(Dylan Thomas)

Dine Doneff – Rousilvo (2018, neRED Music / ECM Records)

Stilistisch kaum eindeutig zu kategorisieren, umso ergreifender, erhebender und umfassender der Hörgenuss: Der unter dem Namen Kostas Theodorou geborene Multiinstrumentalist und Autodidakt Dine Doneff, der sich durch diverse Auftritte und Kollaborationen mit ortsansässigen Musikern unter anderem auch in der Münchner Szene einen Namen gemacht hat, gedenkt auf seinem kürzlich erschienenen Album „Rousilvo“ seiner mazedonischen Wurzeln. Aufgewachsen in der nordgriechischen Region Zentralmakedonien und damit unmittelbar aus eigener Erfahrung mit der beklemmenden Problematik vertraut, thematisiert Doneff auf dem Konzept-Werk das Verbot in der Region zu Zeiten seiner Kindheit, dass es der mazedonischen Minderheit von griechischer Regierungsseite untersagte, ihre Muttersprache zu pflegen, öffentlich zu sprechen oder sich in künstlerischer Form damit auszudrücken.
Dem Verschwinden dieser Kultur wirkt Doneff entgegen, indem er das Paradies seiner Kindheit in der Ortschaft Rousilvo – der slawische Name des griechischen Dorfes Xanthogeia – wiederauferstehen lässt, ein Paradies, dass beeinträchtigt wurde von den Restriktionen der Athener Regierung, in dem die mazedonischen Volkslieder in Vergessenheit gerieten, ein Ort, in dem die Frauen ihre im griechischen Bürgerkrieg gefallenen Männer und Söhne nicht angemessen betrauern konnten, weil sie ihre Gräber nicht kannten, und die Überlebenden an Gefängnis oder Exil verloren.
Melancholisch, getragen und im Grundton nachdenklich präsentieren sich die gewichtigen Tondichtungen auf „Rousilvo“, Dino Doneff und seine zahlreichen Mitmusiker_Innen verweben die alten Weisen der mazedonischen Folklore in stimmiger wie faszinierender Manier mit einem Jazz-Ansatz, der sich sporadisch im Neoklassik-Gewand zeigt, vor allem aber weit mehr Balkan-Blues sein will als losgelöstes Improvisieren, und mit Ausloten von atonalen (Un)möglichkeiten und selbstverliebtem Endlos-Gefrickel nichts am Hut hat, instrumentale Epen, die Anlehnungen durch das Oud- und Tablas-Spiel in orientalischen und nordafrikanischen Einflüssen finden, in denen die wunderschönen und klar strukturierten, hochmelodischen Piano-Balladen eines George Winston widerhallen und raumgreifende Bläsersätze erklingen, die sich zwischen verhaltener, dezent zur Schau getragener Lebensfreude und der schwermütigen Endgültigkeit von Beerdigungs-Marschmusik bewegen.
Dazwischen eingeflochten die Aufnahmen, die zweifellos die Essenz des Albums ausmachen: Sieben Frauenstimmen zwischen Alt und Sopran, im Chor oder solistisch, erweitert um Erzählungen aus Field Recordings, bringen in beschwörender Klage und sensibler Eindringlichkeit, zuweilen mit emotionaler Wucht vom Verschwinden bedrohte Volksweisen und Geschichten in mazedonischer Sprache zu Gehör, polyphon und in erkennbarer Verwandtschaft zu den Chören, wie sie auf den „Le Mystère des Voix Bulgares“-Aufnahmen aus den Achtzigern oder in den kürzlich hier vorgestellten Saze-Gesängen aus dem südlichen Albanien zu hören sind.
„Rousilvo“ wurde von Dine Doneff als Volksoper konzipiert, eine höchst gelungene und beeindruckende Arbeit, der es gelingt, eine Jahrhunderte alte Volksmusik-Tradition in moderne Klangsprache einzubetten und diese trotz diverser heterogener Stilmittel zu einem harmonischen, sorgfältigen und stimmigen Arrangement zu formen.
Das Album ist in Kooperation mit neRED Music beim renommierten Münchner ECM-Label erschienen.
(*****)

Dine Doneff begleitet am 8. März das Duo Canto Dei Sass‘ von Davide Casali Eschmann und Mathis Mayr bei der Aufführung von „Canti tra amore e rivolta“, einem Zyklus von Liedern zwischen Liebe und Aufstand, im Rahmen der Ausstellungseröffnung der beiden Künstler_Innen Annegret Hoch und Siegfried Kreitner, im Münchner Köşk, Schrenkstraße 8, 21.00 Uhr.

Weitere Konzerttermine von Dine Doneff:

14.02.Traunstein – Tropical
12.05.Heiligenkreuz im Lafnitztal/Österreich – Schnittpunkte Festival
06.07.Rudolstadt – TFF

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