Tag 2 der Postrock-Sause in Ostflandern. Ein rundum gelungener Start in den langen Konzert-Reigen glückte den Mannen von Besides auf großer Bühne, das Quartett aus der südpolnischen Kleinstadt Brzeszcze fesselte das Publikum mit exzellent atmosphärischem, differenziert austariertem Postrock, der große Emotionen in herrliche Melodien verpackte und entsprechend mit Herzblut vorgetragen wurde, die Band verdiente sich den frenetischen Applaus der dankbaren Hörerschaft redlich. Einmal mehr ein schönes Beispiel, dass beim dunk!Fest traditionell bereits mit dem ersten Act des Tages auf qualitativ ansprechendes Musizieren geachtet wird, ein Verheizen belangloser Vorbands, die sowieso keiner sehen und hören will, kommt bei der Veranstaltung am Jeugdheem De Populier seit Jahren nicht in die Tüte, auch das eine kleine, aber feine Nuance, die dieses Festival von anderen unterscheidet und auszeichnet.
Die Südafrikaner von Ohgod hatten im Nachgang zu den hymnischen Auslassungen der polnischen Kollegen einen schweren Stand, der erratische Crossover aus Math-, Post-, Prog-Rock und Postmetal, garniert mit jaulenden Achtziger-Heavy-Gitarren mochte nicht recht gefangen nehmen, zu unzusammenhängend und sprunghaft war das instrumentale Klangbild, als dass die Band aus Kapstadt damit vollumfänglich hätte punkten können. Umso verwunderlicher, da die Tonkonserven der Band durchaus gut hörbar ins Ohr gehen.
Beim ersten Wald-Konzert des Freitags stand dann die offenbar bei jedem dunk! obligatorische Maskierten-Nummer an, die großartigen Cineasten-Postrocker Nordic Giants sind aus 2016 noch in guter Erinnerung, Briqueville im Vorjahr, heuer verhüllten dann die drei Belgier von Wyatt E. in nahöstlicher Verschleierung die Identität, passend zum massiven „Oriental Doom“, wie sie ihre schwergewichtigen, gedehnten Drone-Beschwörungen nennen, eine in jüdischer Mystik und alttestamentarischer Historie verhaftete, von Tabla-Trommeln, schwerem Basstrommel-Anschlag, Loops und schneidenden Postmetal-Gitarren kreierte, Trance-lastige Hypnose-Wucht, die sich Sog-artig, in gedehnt-zähem Repetitiv-Modus entfaltete und sich in die Hirnwindungen fräste. Wyatt E. sorgten bereits 2016 beim dunk! für nachhaltigen Eindruck, im vergangenen Jahr mit schwerer Bibel-Kost auf ihrem exzellenten Tonträger „Exile To Beyn Neharot“ einmal mehr, und mit ihrem jüngsten Auftritt in der freien Natur haben sie dahingehend nochmals eine schwergewichtige Schippe draufgepackt. Ein erstes Highlight im Walde, der an diesem Tag in der Güte noch ein paar weitere Perlen bereithalten sollte.
Die Bandmitglieder des Kollektivs Au Revoir sind in verschiedenen Ecken der USA beheimatet, die räumliche Distanz tut der Freude an gemeinsamen Musizieren augenscheinlich keinen Abbruch, die Band überzeugte mit einem erhabenen, hymnischen, ergreifenden Breitband-Sound an der Schnittstelle Postrock/metal, der in der Live-Präsentation untrüglich von einer Frische zeugte, wie man sie einst in den Aufbruchtagen des Punkrock und später im Straight-Edge-Hardcore vernahm, ein belebendes Element, dass der instrumentalen Spielart durchaus dezent neue Nuancen hinzuzufügen wusste und die Nummer von ausgetretenen Pfaden wegführte, allein dafür Dank und Lob an die jungen Musikanten aus Amerika.
Lêtum, i, n : Dead, defund, erosion, ruined, destruction → Brüll-Attacken-Sludge-Metal von Lethvm in der friedlichen Waldidylle, mit der es dann durch den Auftritt der Brachial-Belgier für gut 40 Minuten vorbei war. Kein begleitendes Summen der Fauna und Vogelsang aus dem Unterholz mehr, stattdessen Würdigung/Zitieren diverser Säulenheiliger des Genres von Neurosis über Amenra bis zu den guten alten Black Sabbath im dunkel-düsteren Plattmach-Anschlag. Ob die lärmende Truppe dem Werk der Altvorderen allzu viel Neues hinzuzufügen hatten, sei dahingestellt, fotogen war der plärrende Langhaarerte in seinem Berserker-Gebaren indes ohne Zweifel, insofern wohl schwer vermutlich der am Öftesten abgelichtete Musikant beim diesjährigen dunk!, wenn schon nicht der Filigranste…
Da der Mensch die gesammelten visuellen und vor allem musikalischen Eindrücke verarbeiten und würdigen und darüber hinaus zur Aufrechterhaltung des Betriebs irgendwann Nahrung und Getränk zu sich nehmen muss, lässt sich zum Auftritt der norwegischen Postrock-Band SOUP nichts berichten, dafür ging es gestärkt und vor allem in Vorfreude zum nächsten erwarteten Highlight in den Wald, das sich dann auch prompt als solches erweisen sollte. Die Bühne gehörte für die nächsten 40 Minuten der großartigen Jo Quail, die englische Cellistin nahm mit sympathischem Wesen und vor allem einem exzellenten Solo-Konzert gefangen, das einerseits die elegischen Stärken der Neo-Klassik ausspielte, andererseits die Grenzen der gestrengen E-Musik weit hinter sich ließ. Inspiriert und gekonnt setzte die junge Frau aus London Samplings, Loops und experimentellen Bogen-Strich zur rhythmischen Befeuerung, Drone-artigen Verdunklung wie belebenden Einflechtung ergänzender Soundscapes ein und schuf so ein tonales Gesamtkunstwerk, das sich perfekt in das friedliche Vogelgezwitscher aus den Baumkronen und die ureigene Atmosphäre dieses außergewöhnlichen Konzert-Orts einfügte, einzig das Klicken der Hightech-Gerätschaften der notorischen Profi-Fotoreporter selbst in den ruhigen Passagen mochte die Ergriffenheit und pure Freude an diesem exzellenten Experimental-Auftritt ein wenig trüben. Jo Quail hat bereits bei ihrem Caspian-Vorprogramm-Auftritt in München im Hochsommer 2016 angedeutet, zu welch exorbitant gefangen nehmenden Klangreisen sie befähigt ist, in einem etwas gedehnteren zeitlichen Rahmen führte sie ihr Verständnis von moderner Klassik in der freien Natur zur Formvollendung.
Postrock für Deadheads, sowas geht auch. Grails aus Portland/Oregon zäumten das Pferd quasi von hinten auf, verließen damit umgehend die ausgetrampelten Pfade und Stammstrecken der instrumentalen Rockmusik-Beschallung und widmeten sich in einem ernsthaft vorgetragenen, mit viel technischer Finesse und experimentellem Impuls befeuertem Improvisations-Ansatz ihrem Crossover aus Space, Kraut und Siebziger-Jahre-Psychedelic, in der selbst Anlehnungen an den Blues, die Cosmic American Music im Geiste der „Dark Star“-Grateful-Dead-Endlos-Exerzitien, Pink-Floyd-artige Progressive-Bombastik und punktuelle Free-Jazz-Atonalität ihren Platz fanden. Eine Spielart des Postrock, bei der wohl selbst ein Warren Haynes oder Jerry Garcia mit der Zunge schnalzen würden, die nebst filigranem Gitarrenspiel und wummernden Bässen auch Platz bot für beseeltes Slide-Bottlenecken, und die vor allem für ein dickes Plus und die Ehrennadel in Gold für die angenehmste Abwechslung beim 2018er-dunk! sorgte. Grails-Mitbegründer Zakary Riles hat mit seinem Nebenprojekt Watter hier vor kurzem für Aufhorchen gesorgt, mit der Stammformation ist das noch um ein gutes Stück mehr gelungen. Da hat eine Band ihren eigenen Sound-Kosmos geschaffen und lebt ihn auch konzertant in grandioser Weise aus, Respekt.
Dahingehend mochte sich im Nachgang der Auftritt der Wiesbaden-Leipzig-Connection Radare auf der Waldbühne nahtlos ohne qualitative Abstriche einfügen, die deutsche Band beschreibt ihre Tonkunst wie folgt: „Fascinated by the romantic but spooky themes of Angelo Badalamenti, the introspection of Bohren & Club Of Gore, and the grittier works of Talk Talk“ – die Bohren-Nummer kaufen wir in jedem Fall, die Band ragte mit ihrem entschleunigten Slowcore, den tiefenentspannten Neo-Western-Soundtracks und Kraut-lastigen Postrock-Meditationen weit aus der großen Masse der Bands heraus, die passende Filmmusik zum puren Genuss und Verweilen in der freien Wildbahn, sporadisch mit schönen Saxophon- und Klarinetten-Einlagen unkonventionell bereichert. Wie auch bei Grails Merch-Zugriff Pflicht, den entschleunigten, angejazzten Kraut-Spaß braucht der Fan für die Zukunft konserviert noch des Öfteren im heimischen Kämmerlein.
Innere Sammlung, ein spätes Abendessen und der dringende Drang zur entspannenden Bier-Verkostung verhinderten ein längeres Verweilen bei den US-Postmetal-Brüllern von Rosetta im großen Zelt, der Auftritt des überdrehten und hochsympathischen Frontmanns Mike Armine und seiner Truppe hätte sicher die Aufmerksamkeit über die volle Distanz verdient, allein die allzu menschlichen Bedürfnisse forderten ihren Tribut.
Und hinsichtlich Postmetal stand mit dem Auftritt von Telepathy ein mehr als würdiger Ersatz als letzter Waldbühnen-Gig des zweiten Festival-Tages an, das Musikmagazin Punktastic ließ zur Veröffentlichung des letztjährigen Tonträgers „Tempest“ – der in der Tat ein exzellenter ist – gar folgendes Statement vollmundig verlauten: „Tempest may be one of the greatest post-metal albums ever recorded“, das lassen wir mal so dahingestellt sein, ohne Zweifel reihte sich der hochenergetische Gig des Quartetts aus dem südenglischen Colchester/County Essex nahtlos ein in große, denkwürdige Postmetal-dunk!-Auftritte, etwa denen von Pelican, set and setting oder Terraformer aus vergangenen Jahren. Die Combo um Basser Teddy-James Driscoll überzeugte mit einem stringenten, überwältigenden, ausdifferenzierten Set am oberen Intensitäts-Level, das ein in den eigenen Grundfesten erschüttertes wie gleichsam rundum beglücktes Publikum fand und zum Thema Postmetal in der Tat keine Fragen mehr offen ließ.
Der Tag-2-beschließende Headliner The Ocean aka The Ocean Collective, was soll man lange um den heißen Brei reden, die eindeutige Einschätzung zur Berliner/Schweizer-Postmetal-Institution bleibt schwierig. Im Herbst 2015 beim gemeinsamen Münchener Gig mit Mono und Sólstafir nur partiell überzeugend, mochte es in der vergangenen Freitag-Nacht erneut nicht recht funken. An den Vehemenz-Passagen gab es zu der Gelegenheit nichts auszusetzen, in den Momenten, in denen Sänger Loïc Rossetti zu seinen Schrei-Attacken ansetzte und sich sodann darin verlor, war durchaus die pure Schönheit im Inneren des Sludge-/Metal-Hurrikans zu erkennen, immer dann aber, wenn sich die Band in einem diffusen Dahindriften in ätherischem Shoegazer- und anderweitigem Postrock-/Ambient-/Experimental-Indie-Gelichter erging, drängten sich stirnrunzelnd-zweifelnd dicke Fragezeichen auf. Gegen eine schwer zu definierende, sich nicht eindeutig zuordnen lassende Gangart spricht grundlegend nichts, die Hörerschaft darf gerne gefordert und irritiert werden, wenn das Fazit aber Richtung „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ tendiert, kann es hinsichtlich musikalischer Erbauung eng werden. Anyway, nicht weiter tragisch, der zweite dunk!-Tag war insgesamt ein von äußerst positiven Eindrücken Gesegneter, da muss ein Headliner nicht jedermanns/fraus Geschmack treffen, und wer bei The Ocean nicht fündig wird, kann sich alternativ am Werk von Folge-Projekten wie Heads. von ex-Basser Chris Breuer, der Schweizer Combo Closet Disco Queen vom ehemaligen Drummer Luc Hess oder Autisti vom früheren Bassisten Louis Jucker gütlich tun.
was eine grandiose Festival-Berichterstattung, besten Dank. Muss ich mir unbedingt vormerken, um alles nochmal im Einzelnen Revue passieren zu lassen. Toll. Einfach Toll! Bin begeistert.
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Vielen Dank! – und: freut mich! Viel Spaß damit !
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Phänomenales „Geschreibsel“! Man meint man wäre selber da gewesen, wenn man das liest und die Musik dazu hört! Merci dafür!
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Merci für Dein nettes Feedback, Wig! Bis bald!
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Großartig, fühlt sich fast an als wäre ich dabei. Ich höre mich ganz langsam und genüsslich durch deine Berichte :)
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Freut mich! Viel Spaß beim durchhören. Nächstes Jahr fährst mit, würde ich vorschlagen. Du würdest es lieben, da bin ich mir sicher…
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