Reingehört (461): Pigeon

Pigeon – Pigeon (2018, Black Verb / Antena Krzyku / Dunkelziffer)

Warum in die Ferne schweifen, wo das Gute liegt so nah? Beim Noiserock/Postpunk gibt es selbstverständlich beim Lunzen über den großen Teich, in die europäischen Nachbarländer oder in andere Weltregionen auch viel zu entdecken, mit der Berliner Formation Pigeon tut das weite Ausschwärmen hingegen gar nicht Not, das lärmende Glück findet sich auch in weitaus näher gelegenen Wirkungsstätten in heimischen Auen und Fluren.
Mit dem selbstbetitelten Werk veröffentlichte die Band aus der Bundeshauptstadt nach einer Split-12″ mit der Combo Girlie und dem Kurz-Tape „Crooked Teeth“ im Mai ihren ersten Volle-Länge-Wurf, und daran haben die jungen Leute gut getan.
Eingerahmt von zwei kurzen, circa halbminütigen, wild flackernden Kakophonie-Kapriolen zum Einstieg in den Tonträger wie finalen Abgesang, gestalten Pigeon die weiteren neun, bei Weitem mehr als Songs erkennbaren Arbeiten zwar wesentlich strukturierter, aber nicht weniger intensiv in Umsetzung und Wirkungsweise. Es ist viel drin in der Musik der Berliner, ohne im Entferntesten überfrachtet oder konstruiert zu erscheinen: eine nervöse, treibende Rhythmik, die neben den virtuosen, zu Teilen angejazzten Drums von klirrenden Gitarren angefeuert wird, von ganz weit hinten aus dem Off lässt sich diffuses Prog-/Psychedelic-Lichtern weit mehr erahnen als konkret vernehmen – frei schwebende Meteoriten um ein lärmendes Indie-Rock-Gestirn, dessen träge Noise-Schwere in Rotation gebracht wird mit einer erfrischenden Zufuhr von (Post-)Punk- und New-Wave-Energie, die den himmelstürmenden Drive der Aufbruchstimmung einer längst vergangenen Rockmusik-Erneuerungs-Ära atmet.
Schweres Bass- und Feedback-Dröhnen der Gitarren, herrliches Pfeifen, Lautmalen und Übersteuern, das gekonnte Spiel mit Dissonanzen und ruppigem Saiten-Traktieren, ohne das experimentelle Geschepper zu überdehnen, immer im Dienste der stringenten Songstruktur, ein in die vorderste Konfrontationslinie drängendes Brennen nach Aktion, das die Krönung im Stakkato-artigen Heraus-Schwadronieren der Songtexte erfährt: Fordernde, nachdrückliche Ansagen, die sich am lyrischen Vortrag großartig abgeklärter Misanthropen von The-Fall-Ungustl Mark E. Smith bis – weitaus aktueller – Sleaford-Mods-Propagandachef Jason Williamson orientieren, ohne der stumpfen, epigonenhaften Nachmacherei zu verfallen.
Wie merken sie in der Spree-Metropole in solchen Fällen absolut treffend an: Total knorke, wa?
(*****)

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2 Kommentare

  1. Grossartigstens. Und der Sänger erinnert mit seiner Vortragsweise in der Tat ein wenig an Mark E Smith. Wenderte auf Bandcamp dann auch gleich in den Einkaufskorb. Merci für den Tipp.

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