The great Eugene Chadbourne revisited, bereits zwei Wochen nach seinem grandiosen Auftritt mit Lokalmatador Titus Waldenfels und Drummer Schroeder in der angestammten Realwirtschaft Stragula im Münchner Westend noch einmal in oberbayerischen Gefilden, der Moosburger Jazzclub Hirsch machte es möglich und lud The Good Doctor Chad zusammen mit dem belgischen Bluesharp-Virtuosen und Rhythm-Junks-Musiker Steven De Bruyn aka Stevo Harpo in ihrer gemeinsamen Inkarnation als „Sonny And Brownie From Mars“ in die historischen Gemäuer des Furtnerbräu, zentralst in der altehrwürdigen Domstadt Freising gelegen, von München aus dreißig Kilometer den River Isar hinauf.
Kurz vor seiner Heimreise nach ausgedehnter Europa-Tour zurück in die Staaten – „My Wife couldn’t hardly remember my face…“ – hochwillkommen erneut die Gelegenheit, den großen Indie-Avantgardisten, Musikkritiker und Buch-Autor einmal mehr und zu dem Anlass in anderer als gewohnter Begleitung zu genießen, im gut gefüllten, Holz-vertäfelten Nebensaal des über fünfhundert Jahre alten ehemaligen Brauereigebäudes gestaltete Doc Chad zusammen mit dem Mundharmonika-Spieler aus dem schönen Gent den Abend deutlich experimenteller als seinen vor Kurzem bespielten Stragula-Gig, der für seine Verhältnisse jüngst geradezu konventionell als Folkrock- und Alternative-Country-Exkursion ausfiel. Der erste Teil des Konzerts am Freitagabend widmete sich einer ausgedehnten Würdigung US-amerikanischer Old Time Music, die Titel wie bei Chadbourne üblich aus einer umfangreichen Stoffsammlung spontan ausgewählt und dem Mitmusiker als improvisatorische Herausforderung und Aufgabe unvermittelt zum adäquaten Begleiten gestellt: Auch wenn Steven De Bruyn das ein oder andere Mal etwas zweifelnd und mit fragenden Blicken dem Meister nicht mehr folgen mochte und keinen Einstieg in das gemeinsame Musizieren fand, weil jener sich auf seinem Banjo in unvergleichlicher Chadbourne-Manier mit einzelnen, erratischen Saiten-Anschlägen und dissonantem Picking an der Auflösung jeglicher gängigen Song-Struktur abarbeitete, so entfalteten sich die allermeisten Nummern doch im Duo-Vortrag in einem Spannungsfeld aus angeschrägtem Freak-Out-Country-Blues, uraltem Outsider-Folk und zeitlosem Appalachen-Bluegrass, begleitet vom freien, beseelten und differenzierten Spiel auf der Bluesharp, das den Nummern trotz experimenteller Saiten-Frickelei, freigeistigen Folk-Drones und unkonventioneller Free-Jazz-Kakophonie den geerdeten Südstaaten-Touch der uralten Baumwollpflücker-Musik angedeihen ließ.
Neben einer Auswahl an Werken wie „Pastures Of Plenty“ aus der Feder von Woody Guthrie, die sich in der experimentellen Inspiration Chadbournes zu einem Ambient-artigen Desert Folk Free Flow ausdehnten, übernahm De Bruyn für eine Handvoll Eigenkompositionen das Ruder, bei einer flämisch besungenen Nummer wie bei einer modernen Blues-Adaption inklusive Loops und atmosphärischen Samples zog der sympathische Belgier alle Register seiner Kunst und zeigte eindrucksvoll, was auch beim Mundharmonika-Spiel mit entsprechendem Pedal-Einsatz alles an klanglichen Effekten möglich ist. „Another Kind Of Blues“, um den alten Charlie Harper von den UK Subs mit einem Album-Titel zu zitieren, auch wenn sich das Punk-Urgestein in dieser anderen Art des Blues mit seinen Vorstellungen wohl kaum wiedergefunden hätte.
Nach der Pause griff sich Chadbourne seine umgebaute, elektrisch verstärkte Resonator-Gitarre und schmetterte, grollte und parodierte sich durch eine Auswahl möglicher und unmöglicher Interpretationen aus dem weiten Feld der Pop- und Rockmusik, zu denen auch in dem Teil Steven De Bruyn mit seinem inspirierten Harmonika-Gebläse den Boden-Anker ins Fundament der Songs senkte. Den Petula-Clark-Hit „Downtown“ persiflierte The Good Doctor mit seiner unnachahmlichen Grimassen-Schneiderei, bevor der Sixties-Schlager zur reinen Mitsing-Nummer verkam, erinnerte er sich an seine eigenen Pedal-Fertigkeiten und jagte das gute Mainstream-Stück mit verzerrtem Hardrock-Trash durch den Killdozer-Fleischwolf. Die Interpretation von „Lucifer Sam“ entbehrte auch in der Chadbourne/De-Bruyn-Version nicht einer gewissen Psychedelic, wenn auch im Vergleich zum Pink-Floyd-Original in weitaus ferneren, windschieferen Outsider-Galaxien, in die sich dann tatsächlich nur noch ausgewiesen unerschrockene Soundtüftler wie der Doc zu entsprechenden Forschungszwecken vorwagen. Beim anrührenden Anstimmen des Nick-Drake-Klassikers „Time Has Told Me“ ließ Chadbourne hingegen den gebührenden Ernst walten und präsentierte den Song würdig als wunderschöne Ballade, als Absacker des Abends gegen Ende des Konzerts.
„There Is Nothing Like A Grateful Dead Concert“ ließen Garcia und Co oder irgend ein findiger Sprücheklopfer bei Warner Brothers damals zum Begleittext auf das Cover der „Europe 72“-Live-Scheibe der kalifornischen Jam-Institution pinseln, in Sachen Unvergleichbarkeit kann auch Eugene Chadbourne seit Jahrzehnten einen Riesen-Zylinder in den Ring schmeißen, und es klingt auch keines seiner Konzerte wie das andere, das demonstrierte er vor zwei Wochen in München, er hat es am vergangenen Freitag im uralten Freisinger Brauerei-Gebäude im Verbund mit dem flämischen Bluesharp-Meister Steven De Bruyn einmal mehr eindrucksvoll unterstrichen. Next Time wieder Stragula, I presume. Guten Heimflug, Doc, und eine sichere Wiederkehr im nächsten Jahr. Die Welt braucht so einiges an Erbauung in diesen Tagen, zwingend von Zeit zu Zeit ein Konzert von Eugene Chadbourne und seinen kongenialen Begleitern, so oft wie nur irgend möglich…
Muss toll gewesen sein. Ich habe ihn vor Jahren Mal live gesehen.
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Ja, doch, war’s. Der Mann und seine Musik sind immer wieder ein Genuss. Seine jeweiligen Begleiter natürlich auch.
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Das glaube ich gern.
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Eugene Chadbourne durfte ich 2 mal Live erleben. Lange her. Da war er noch mit seinen elektrischen Rechen unterwegs. Verrückter Typ der gute Musik macht und immer für Überraschungen gut ist.
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So ist es. Den elektrischen Rechen hab ich leider nie gesehen…
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