„Trying to make these words fit for the song“
(Philip Bradatsch, Down Down Down)
Philip Bradatsch – Ghost On A String (2018, Trikont)
Der Mann ist in Sachen Live-Präsenz breit aufgestellt, ob beim international besetzten Muddy Roots Europe im fernen Belgien oder beim lokalen Münchner Stadtteil-Fest im schönen Giesing, ob als Frontmann der Allgäuer Indie-Folk-Kapelle The Dinosaur Truckers, als Picker des Bluegrass-Quintetts Munich String Band, als musikalischer Begleiter literarischer Lesungen oder solistisch auf eigene Rechnung, und auch auf seinem aktuellen Longplayer „Ghost On A String“ dehnt der Wahl-Münchner Philip Bradatsch stilistisch den Spagat, ohne im Entferntesten beliebig oder austauschbar zu erscheinen. Beim Solo-Erstwurf „When I’m Cruel“ aus dem Jahr 2015 steckten virtuoser Banjo-Bluegrass und seelenvolle Alternative-Country-Balladen einen stringenten Rahmen ab für die sensibel gepflegte Americana des begnadeten bayerischen Gitarristen, auf dem Folgewerk darf es dann auch zuweilen die Reminiszenz an die Pop-musikalischen Sechziger, eine Prise gewichtiger Heartland-Rock und die Anlehnung an die große amerikanische Songwriter-Tradition sein, fernab der Appalachen, der Lagerfeuer an staubigen Landstraßen und des Bierdunsts der rustikalen Fernfahrer-Kneipen.
Das über sechsminütige Titelstück liefert im Jahr des Herrn 2018 vermutlich mit die dramaturgisch spannendste und musikalisch ergreifendste Mutation vom akustischen Desert-/Alternative-Country hin zu elektrischem Southern-/Folk-Rock inklusive wunderschön singender Gitarren, in einem gleichsam völlig aus der Zeit gefallenen, zeitlosen wie dieser Tage seltenen Gewand, und damit in der aufgezeigten Inbrunst wertvoll wie kaum sonst was in unserer schnelllebigen Ära, inklusive Platten-beschließendem, kurzem Reprise als Crazy-Horse-Verneigung mittels jaulender, entfesselter Strom-Saiten. Wegen solchen Ausnahme-Nummern hat man sich früher die Alben ins Regal gestellt, selbst wenn der Rest der Platte qualitativ weit abfiel – was hier nicht der Fall ist. Schwergewichtige Fuzz-Gitarren hallen und lichtern auch im düsteren Downtempo-„Shadowland“ durch die Klanglandschaft und machen das Archaische, Finstere, unterschwellig drängend Bedrohliche in dieser Schattenwelt nahezu greifbar. Schade, dass David Lynch bis dato kein Faible für fundierte Folkrock-Psychedelic erkennen ließ, hier wäre die entsprechende Beschallung für seine diffus verstörenden, cineastischen Geistertänze zu haben.
„You’re Gonna Be OK“ ist trotz vordergründig ruhigem Fluss nicht zuletzt durch die orchestral wirkende, in Schichten aufgetragene Gitarren- und Orgel-Melodik und das beschwingte Klavierspiel von erstaunlichem Tiefgang und offenbart sich so völlig unaufdringlich, dafür umso nachhaltiger als großer Song.
Daneben legt Bradatsch auf dem Album Songwriter-Qualitäten auf dem Level von Größen wie Tom Waits oder Randy Newman an den Tag, am augenscheinlichsten bereits im Opener mit der nachdenklichen Piano-Ballade „Down Down Down“, mit dem feinen, zweifellos Güte-steigernden Unterschied, dass der Songwriter aus dem Allgäu anders als die berühmten US-Kollegen im Vortrag nicht mit ruinierter Krächz-Stimme den Bar-Blues krakeelt oder sprechsingend pseudo-intellektuell vor sich hin nuschelt zu seinem Klavierspiel, weit mehr der empathischen, beseelten und wohlklingenden Sangeskunst huldigt, so wie in allen anderen Songperlen des Tonträgers eben auch.
Gab mal eine Zeit, da hat ein fragwürdiger Literaturnobelpreisträger großartige Folkrock-Platten abgeliefert – mit „John Wesley Harding“ mindestens eine – und eine berühmte Combo aus Liverpool neben ihrem zu Teilen völlig überschätzten Material auf einem weißen Album, einem stinklangweiligen Konzept-Werk über einen Pfeffer-Sergeant und diversen anderen Belanglosigkeiten aus dem Mainstream-Kanon des schlechten Geschmacks auch eine Handvoll gepflegte Sixties-Psychedelic-Perlen und höchst selten sogar großes Pop-Songwriting für die Ewigkeit produziert, diese Ansätze rettet Bradatsch nebst vielen eigenen Ideen und Anmerkungen in zeitloser Form in das Hier und Jetzt und drückt ihnen gekonnt und inspiriert in seinen Geschichten über abgehängte Outsider, wärmende Radiatoren, die Liebe und das Leben in einer hoffentlich besseren Zukunft seinen eigenen Stempel auf.
Diese alljährliche Kohle-aus-der-Tasche-zieh-Nummer zum Weihnachtsgeschäft aus dem Hause Beatles und Erben ist einmal mehr eine höchst überflüssige, anstelle der aktuell angeleierten White-Album-Restmüllverwertung reichen die circa eineinhalb Songs mit den Fab-Four-Reminiszenzen auf dem jüngsten Bradatsch-Tonträger völlig aus zum Schwelgen in den Sixties.
Bei weniger versierten Musikern und Songwritern kann diese Bezugnahme auf die Pop- und Folk-Historie durchaus schiefgehen, falsche Herkunft, falsche Dekade, dieses letztendlich sinnlose Authentizitäts-Blabla, die ausgetretenen Pfade des Folk und Rock, man kennt diese Einwände und Vorbehalte zur Genüge, speziell hinsichtlich Nicht-Angloamerikanern. Ist aber nicht schiefgegangen, ganz im Gegenteil, Philip Bradatsch zelebriert seine musikalische Prägung und Weiterentwicklung auf „Ghost On A String“ mit seiner ureigenen Roots-Spielart großartig, auf einem der besten Songwriter-Rock-Alben des Jahres, und das bereits seit vergangenem Frühjahr, der Welt dargereicht über das geschätzte Münchner Indie-Label Trikont. Einziger Wermutstropfen: der jüngste Bradatsch-Wurf „Der einsame Tod des Ben Ahmad“, die exzellente, politisch hochaktuelle Interpretation der Dylan-Nummer „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, hat es leider nicht mehr auf das Album geschafft. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend…
(***** – ***** ½)
Philip Bradatsch ist in den nächsten Wochen und Monaten zu folgenden Gelegenheiten live on stage:
16.11. – München – Donisl
23.11. – Regensburg – Buchhandlung Dombrowsky
28.11. – München – Tollwood – 16.30 Uhr
23.12. – Kaufbeuren – Roundhouse
26.12. – Raalte – Taveerne Tivoli
28.12. – Aachen – The Wild Rover Irish Pub
29.12. – Aarschot – Winter Rumble
30.12. – Meppel – Clouso
03.01. – Herselt – Pallieter Cafe
04.01. – Marburg – Q
05.01. – Zürich – Gotthard Bar
12.01. – Glonn – Schrottgalerie Glonn
24.01. – München – Volkstheater
27.02. – Schwabmünchen – Buchhandlung Schmid