Fatum Nos Iunget – Der Wahlspruch vom Logo der Church Of Ra sollte sich am vergangenen Sonntag-Abend im Münchner Feierwerk für die Gläubigen einmal mehr erfüllen: das Schicksal hat die Kirchenvorstände der belgischen Postmetal-Institution Amenra wie im Mai vor einem Jahr mit den hiesigen Getreuen im Hansa39-Saal zur rituellen Reinigung zusammengeführt, ohne neues Material im Gepäck präsentierte die kultisch verehrte Band aus dem flandrischen Kortrijk eine repräsentative Werk-Auswahl aus den Teilen drei bis sechs ihres „Mass“-Zyklus.
Wer zu Amenra pilgert, dürfte gewahr sein, welch schwergewichtige Themen in kompromissloser Ausformulierung in dieser Messe zum Vortrag kommen: Bei Titeln wie „Am Kreuz“, „De Dodenakker“ oder „Deadborn And Burried“ liegt es unmissverständlich auf der Hand, dass hier kein Platz ist für Applaus-heischende Wohlfühl-Kommunikation mit dem Publikum, für Austausch der Konzert-üblichen Floskeln oder gar ein allseits gefälliges, lieblich ins Ohr schmeichelndes Klangbild. Auch wenn Sänger Colin H. Van Eeckhout die ein oder andere Nummer mit zart entrückten Klage-Gesängen einleitet, ist die Stoßrichtung des Quintetts doch stets eine eindeutige: Die radikale Würdigung und Auseinandersetzung mit der Trauer, mit dem physischen und psychischen Leiden, den dunklen und unverhandelbaren Seiten des Lebens. Aus jedem Amenra-Epos atmet der Hauch der Unausweichlichkeit, der Odem der letzten Wahrheiten aus den Gruben der Gottesacker und Gruften, aus den eigenen seelischen Abgründen, zum Ausdruck gebracht durch die innere, zerreißende Pein von Zeremonienmeister und Schmerzensmann Van Eeckhout selbst, gespeist aus seinen eigenen Erfahrungen und Emotionen, die er in reinigender, schierer Verzweiflung in die Welt hinausschreit. Der meditativen, spirituellen Katharsis gab sich CHVE wie stets in ritueller Übung zumeist vom Publikum abgewandt hin, in ausgelebter Fixierung auf den kaum greifbaren Wahnsinn, in gedeihlicher Symbiose mit dem lärmenden Beben seiner Mitmusiker. Ein erschütterndes, durch Mark und Bein gehendes Beben, dass Mathieu Vandekerckhove mit seinem harten Gitarren-Anschlag dominierte, mit voluminös berstenden Lärm-Kaskaden, die sich wie das wuchtige Implodieren eines brodelnden Stahlwerks ausnahmen, donnernd in der gebotenen Intensität von der Rhyhtmus-Abteilung mit Gitarrist Lennart Bossu, Basser Tim De Gieter und Drummer Bjorn J. Lebon potenziert. Stilistisch findet sich im Amenra-Sound das Erschütterndste wie Erbauendste aller Doom/Sludge- und Post-Metal/Core-Welten zu unvergleichlichen Lärm-Monolithen vereint, zu kollabierenden Sound-Wänden wie Momenten absoluten Friedens im Auge des donnernden Hurrikans. Der belgischen Ausnahme-Formation gelang am Sonntag-Abend zum wiederholten Male das seltene Kunststück, zutiefst anrührende, bisweilen verstörende Themen, die schwere Kost ihrer Song-Inhalte und die einhergehende tonale Radikal-Interpretation in atmosphärische Momente von erhebender und strahlender Schönheit zu verwandeln, und das wie stets aus einem Grundton des tief Schwarzen heraus. Knapp siebzig Minuten, die nach keiner Dreingabe verlangten: Es war alles gesagt zu den letzten Dingen und ihrer schwer zu akzeptierenden Unausweichlichkeit.
Bedauerlich, dass es auch in diesem Jahr nicht mit einem Amenra-Auftritt beim dunk!Festival im ost-flandrischen Zottegem klappt, die Band hätte quasi Heimspiel beim dreitägigen Postrock-Hochamt.
Vor dem großen Amenra-Requiem bespielte das Black-Core-Trio Bait aus Würzburg zur Einstimmung für eine halbe Stunde den Saal. Die Band schert sich wenig um stilistische Konventionen und lässt das beschleunigte Tempo des Hardcore auf Schwarzmalereien aus den finsteren Gemütslagen des Metal und Doom prallen. Schneidende Riff-Attacken, kompromissloser Drum/Bass-Antrieb und zwei Lautsprecher mit kehligem Gröhl-Gesang aus dem mentalen Höllen-Loch trafen auf ein zugewandtes Publikum, dass die Bemühungen der drei Unterfranken in ihrem donnernden Gewerk durchaus zu schätzen wusste. Mit ihrem Crossover der lauten Brachial-Attacken erfinden Bait das Schwermetall-Rad gewiss nicht komplett neu, bringen es in ihrer Gangart aber auf einem durchwegs ansprechenden Niveau zum Schwingen. Für eine gepflegte Runde gefälliges, hypnotisiertes Mitnicken hat es beim schwarz-gewandeten Volk allemal gereicht. Wo die ersten Nummern im rumpelnden Gepolter austauschbar blieben, steigerte sich die Combo mit zunehmender Tritt-Sicherheit zum Ende hin in Tempi-Wechseln, differenzierteren Klang-Gebilden, einer Hand voll Trash-Varianten, radikaleren, experimentelleren Wagnissen und einer kurzen, wunderschönen Postrock-Gitarren-Passage – unterm Strich eine grundsolide Bedienung in Sachen Feld bereiten für das Stahlbad der Emotionen aus Flandern.