Die traditionell zum Himmelfahrts-Fest anstehende Auswärts-Dienstreise zu den dreitägigen Postrock-Festspielen beim dunk!-Festival in Zottegem startete wie im Jahr zuvor mit einem Besuch in Ostflanderns Schmuckstück und Regierungssitz Gent, neben altehrwürdigen, imposanten Sakral-, Verwaltungs- und Wehr-Bauten im prachtvollen Stadtzentrum, dem alljährlichen Food-Truck-Festival und der einhergehenden Verköstigung vollmundiger belgischer Brauerei-Erzeugnisse wurde am vergangenen Donnerstag-Abend thematisch maßgeschneidert passend als Ouvertüre ein kostenfreies Dreierpack aus Postrock, Postmetal und Sludge in zentralster Stadtlage geboten. Das No Name Collective, eine Non-Profit-Organisation zur Promotion alternativer Rockmusik, lud ins Muziekcentrum Kinky Star, einen kleinen, feinen Indie-Club, von dem die Münchner Szenerie ob der moderaten Bierpreise und vor allem aufgrund der nachbarschaftlichen Toleranz hinsichtlich Lärmerei der Musikanten wie des ungezwungenen und vor allem unreglementierten Kommunizierens des Publikums vor dem Lokal bei Getränk und Zigarette selbst zu vorgerückter Stunde nur träumen kann.
Den launigen Abend eröffnete die Formation Osorezan aus Santiago de Chile mit ihrer Europa-Premiere, der in weniger als 24 Stunden der zweite Streich beim dunk!-Fest folgen sollte, somit tatsächlich ein überaus stimmiges Warm-Up zum anstehenden Gipfeltreffen im nahe gelegenen flämischen Hinterland. Die siebenköpfige Band orientierte sich in ihrem opulent angelegten Klangbild konzeptionell an großen Vorbildern wie dem kanadischen Ausnahme-Kollektiv Godspeed You! Black Emperor, ohne ins Plagiat zu verfallen oder an irgendeiner Stelle anbiedernd zu agieren. Wie die experimentelle Postrock-Institution aus Montreal lieben die jungen Chilenen die umfänglich ausformulierten, großen, oft weit über zehn Minuten zelebrierten Klang-Entwürfe und Sound-Monumente, die sich mit Violinen- und Keyboard-Instrumentierung und einem zweiten Perkussionisten aus den zusehends enger werdenden Gitarren-Wänden des Postrock befreien. Die ausufernden, vorwiegend vom selbst-betitelten 2018er-Band-Debüt stammenden Kompositionen zogen sich von einer düsteren, getragenen Stimmung kommend selbst aus dem Sumpf der depressiven Schwermut, hinein ins erlösende, explodierende Licht der Euphorie, in einem voluminösen, nahezu orchestralen Ausleben und Grenzen-Sprengen der instrumentalen Wucht. Die ausgedehnten Klangreisen von Osorezan sind ein mutiges und wiederholt gelungenes Unterfangen, mehrschichtig von dunkler Schwere und Melancholie bis hin zu hymnischem Überborden ausholend, den Tönen ihren freien Lauf lassend und Raum gebend. Der geheimnisvolle, surreale Charakter dieses höchst gelungenen Experiments aus Postrock, Ambient, Neoklassik und Drone wurde beim Kinky-Star-Auftritt von bewegten Bildern aus alten Schwarz-Weiß-Filmen unterstrichen, die beglückenden Momente der großformatig angelegten Soundscapes erschütterte die Band final mit einem minutenlang anhaltenden, ausufernden und vor allem massiv und atonal lärmenden Feedback- und Noise-Gewitter ohne jegliches Harmonieren und Zusammenspiel, von sämtlichen Schranken und Konventionen befreiter Free Jazz ohne Jazz, wenn man so will. Sollte sich in ähnlicher Weise wie bereits erwähnt tags darauf auf großer Zelt-Bühne beim dunk!-Reigen wiederholen, aufgrund der Darbietung der Südamerikaner im Jeugd- en Muziekcentrum zu Gent durfte da der Vorfreude ungezügelt Ausdruck verliehen werden.
Die Luft aus dem Glas mit diesem schweineleckeren belgischen IPA gelassen, und sofort ging es weiter mit lautstarker Vollbedienung, den zweiten Gig des Abends bespielte die französische Band Ingrina, die ihre schweren Geschütze üblicherweise mit dem satten Sound von drei Gitarren und zwei Drum-Kits auffährt, der zusätzliche Trommler musste dem munteren Treiben an dem Abend fern bleiben, die fehlende Instrumentierung war offensichtlich den beengten Platzverhältnissen der kleinen Club-Bühne geschuldet. Auch ohne zusätzliche Takt-Gebung konfrontierte die Combo das anwesende Auditorium mit einem auf die Hörerschaft einstürmenden Orkan aus Postmetal-, Doom- und Postcore-Druck und Sludge-Härte, in dem sich trotz Gehör-schädigendem Lärm immer wieder Momente erhabener Shoegazer-Schönheit und filigran angestimmte Math-Rock-Finessen herauskristallisierten. Vereinzelte Schrei-Attacken und Gesangs-Einlagen verzerrten den instrumentalen Großwurf, in dem die Band ihre nachdenklichen, melancholischen Stimmungen in finster dräuenden, kraftvollen Kompositionen mit wiederholten Wendungen hin zum wütenden, erschüttenden Ausbruch tonal umsetze. Die Musiker von Ingrina präsentierten sich an diesem Abend wie die Kollegen aus Chile als hervorragend agierende, massiv zupackende und völlig überzeugende Einheit, die in der Form nicht weniger Bereicherung für das kommende Festival in Zottegem gewesen wäre.
Das Beiwohnen und die Würdigung des dritten, den Abend beschließenden Auftritts des belgischen Trios OLDD WVRMS fiel dem vehement zunehmenden Bedürfnis nach Schlaf zum Opfer, das Kriechen aus den Federn um vier Uhr morgens und eine anschließende neunstündige Autofahrt forderten letztendlich ihren Tribut. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem dunklen, Gesangs-freien, experimentellen Doom/Sludge-Metal-Gewerk der drei Wallonen aus Tenneville etwa über Bandcamp scheint im Nachgang indes allemal ein lohnendes Unterfangen zu sein.