Same Procedure As Every Year, James: Traditionell zum Himmelfahrts-Feiertag luden Vater und Sohn Lievens mittlerweile im 15. Jahr für die kommenden Tage zum internationalen Gipfeltreffen in Sachen Postrock, Postmetal und artverwandte Experimente auf das idyllisch von sattem Grün umrankte Vereinsgelände des Basketball-Clubs Helios Zottegem im flandrischen Hinterland nahe Gent. Das belgische dunk!Festival bot auch heuer über 3 Tage verteilt ein sattes Programm für die Freunde (m/w/d) der vorwiegend instrumentalen Rock- und Experimental-Musik – insgesamt 39 Bands, Duette und Solisten, da sollte sich für jeden Geschmack das Passende finden.
Mittlerweile zur guten Tradition scheint sich auch die Eröffnung des Festivals durch eine chilenische Formation zu entwickeln, wie die beiden Jahre zuvor bespielte den Auftakt-Gig eine Band aus Santiago, die beim südamerikansichen Label LeRockPsicophonique veröffentlicht, mit dem chilenischen Indie-Label ist über die Jahre eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den dunk!-Verantwortlichen gewachsen. Das Trio Sistemas Inestables bezeichnet ihre instrumentalen Sound-Trips stilistisch selbst als „AvantRock“ und „PseudoJazz“, beim dunk! boten die Musiker eine gefällige Mixtur aus Synthie-lastigem Krautrock, groovenden Jazz-Vibes und ausgedehnten Electronica-Space-Passagen, die in der Form sicher kein Novum im weiten Feld des progressiven Art-Rock waren, für einen entspannten und unaufgeregten Kick-Off des Festivals aber gewiss nicht die schlechteste Wahl.
Kurz darauf sollten die chilenischen Landsmänner und die Landsfrau von Osorezan mit ihrem Auftritt auf der großen Zeltbühne folgen, über den exakt wie tags zuvor zum vehementen, komplexen Ausbruch im Muziekcentrum Kinky Star zu Gent nur in höchsten Tönen der Lobgesang angestimmt werden kann, siehe ausführlicheren Konzertbericht vom Vortag. Osorezan spielten den selben Set wie bei ihrer Europa-Premiere, die geheimnisvolle Melancholie und der euphorische, sinfonische Bombast-Overflow wurden im großen Rahmen nicht vom multimedialen Schwarz-Weiß-Film begleitet, ersatzweise bot die gigantische Lichtshow im großen Zirkuszelt mit infernalischem Stroboskop-Stakkato das perfekte optische Pendant zum nicht endend wollenden, von jeglichen Konventionen befreiten Noise-Ausbruch als atonale Klimax des exzellenten Postrock/Ambient-Sturms. Ein frühes Festival-Highlight, aber das war nach dem vehementen Auftritt im Kinky Star wenige Stunden zuvor keine wirkliche Überraschung.
Bereits zuvor gab es Erbauliches beim ersten Waldbühnen-Gig des Festivals zu begutachten, das belgische Duo Black Narcissus ist instrumental reduziert mit Drum & Bass zugange, ihre Klangreisen haben selbstredend nichts mit der gleichnamigen Jungle- und Rave-Mutation der Neunziger gemein. Trommler Thomas Wuyts gab den treibenden, straight angeschlagenen Beat als Taktgeber vor, zu dem Jesse Massant satte Bass-Linien als Sound-Layer sampelte und dazu seinen vier Saiten Staunenswertes an geschliffenen Post-Heavy-Riffs und herrlichen, melodramatischen Ennio-Morricone-Melodien für den nächsten Tarantino-Western entlockte – der Mann hat unbestritten Talent und kompositorisches Geschick im Bespielen seines klassischen Rhythmus-Instruments, damit unterstreicht er einmal mehr neben einer Schar berühmter Kollegen die Tatsache, dass ein herausragender Bassist auch immer ein respektabler Solist sein kann. Bei Black Narcissus sind zwei Könner am werken, die es verstehen, mit wenig Materialeinsatz eine massive, beeindruckende Wand an atmosphärischer Postmetal-Herrlichkeit aufzubauen, so geht Effizienz und Ressourcen-Schonung im Wald von Velzeke.
Das Doom- und Sludge-Grummeln im Wald von Welcome To Holyland aus dem belgischen Aalst musste zwecks Nahrungsaufnahme unerhört bleiben. Hæster aus Gent stießen in ein ähnlich lautes Horn, die Band formiert sich aus fünf Veteranen der belgischen Metal-Szene, die ihre Meriten zuvor bereits in diversen anderen Heavy-Formationen verdienten. Obwohl hier altbewährte Kräfte am Walten waren, blieb das geschmiedete Metall im Main-Stage-Auftritt des Quintetts ein erstaunlich stumpfes Schwert, zu austauschbar und ohne eigene herausragende Nuancen geriet das finstere Donnergrollen der Gitarren-Riffs und das kehlige Gegröle des posenden Vorturners Maarten Levecque im konzertanten Vortrag. Sowas geht woanders bei weitem inspirierter und ansprechender, darum war nach einigen Nummern das Bier vor dem Zelt die weitaus genehmere Alternative zum uninspirierten Postmetal-Gelärme der lokalen Helden.
Am Fost La Munte și Mi-a Plăcut ist rumänisch und wird sinngemäß mit „Am Fuß des Berges gefällt es mir gut“ übersetzt, oder so ähnlich, und damit hat die Band aus Bukarest zu ihrem Forest-Stage-Auftritt am Fuß des bewaldeten Berghangs den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen, das junge Postrock-Quartett fühlte sich sichtlich wohl bei ihrem dunk!-Auftritt, mit überbordender Spielfreude und – zurecht – vor Selbstbewusstsein strotzend lieferte die klassisch besetzte Formation in ihrem energiegeladenen Set einen herrlichen, instrumentalen Flow aus dröhenden Gitarren, filigranen Picking-Intermezzi und massiv vorwärts treibender Taktgebung. Die ausgetretenen Postrock/Postmetal-Pfade verließ die Band Spannungs-befördernd beizeiten in Richtung schmissiger Indie-Rock und melodische Shoegazer-Hymnen, womit sie wohltuend variantenreich aus der Masse des (beizeiten auch beim dunk! präsentierten) Postrock-Mainstreams herausragte und damit eine absolute Bereicherung wie erfreuliche Überraschung zum Festival-Line-Up lieferte. Auch dem aus allen Ecken dieser Welt angereisten dunk!-Publikum hat es vergangenen Donnerstag spätnachmittags am Fuß des Berges ausnehmend gut gefallen, beim Freiluft-Konzert der vier jungen Osteuropäer aus der Großen Walachei.
Zur oben erwähnten Masse des Postrock-Mainstreams muss sich das US-Trio Coastlands mit ihrem „Instrumental Sad Rock From Portland“ zählen lassen, zu oft ist dieses Laut-Leise / Ambient-Getragenheit wird von heftigen Post-Rock/Metal-Ausbrüchen erschüttert / Gitarren-Wände bauen und wieder einreißen durch die Anlagen gedrückt worden, als dass es sich groß vom Sound zahlreicher anderer Vertreter des Genres unterscheiden würde. Gewiss, State Of The Art im Postrock, und wenn man auf ein Festival unter diesem thematischen Aufhänger geht, darf es nicht verwundern, wenn ab und an eine Postrock-Formation der reinen Lehre um die Ecke kommt, aufgrund der Austauschbarkeit diverser Bands muss trotzdem die Frage erlaubt sein, ob im verbreiteten Statement vom Tod dieser Spielart nicht ein Funken Wahrheit mitschwingt, analog zum schönen Zappa-Satz „Postrock isn’t dead, it just smells funny“. Gut, lustig war der Sound von Coastlands tatsächlich nicht, zugegeben.
Zuvor bespielten Labirinto aus Sao Paulo die große Zeltbühne, die Brasilianer waren bereits zum dritten Mal beim Festival in Ostflandern zu Gast und bestachen mit breit aufgestellter Instrumentierung und einer exotischen Mixtur aus Ideen-reich lärmendem, dunklem Postmetal und komplexem Space-Rock, die von einem zusätzlichen Perkussionisten mit südamerikanischer Rhythmik unterfüttert wurde und damit diesem orchestralen Progressive-Crossover einen dezenten, unkonventionellen Dreh in Richtung brasilianischer Trommel-Folklore gab. Leidenschaftliches, technisch brillantes, variables und unvorhersehbares Offensiv-Spiel mit vielen gelungenen Abschlüssen und Experimenten, wie die Seleção zu ihren besten Zeiten – oder: like 7:1! Sete a um! @ Estadio Mineirao, Belo Horizonte never happened…
Das US-Trio Staghorn lieferte den Set mit dem aktuellsten Bezug zu den dringlichen Themen des Zeit-Geschehens, wo andere Postrock-Bands dunkle Gewässer, mystische Landschaften oder individuelle Seelen-Zerrissenheit in abstrakter Instrumental-Entrücktheit thematisieren, legen die drei extravagant gewandeten und geschminkten Musiker*Innen mit ihren Aussagen zur Klima-Katastrophe, zu Diversität, Artenschutz und solidarischem Handeln im radikalen DIY/Punk-Ethos den Finger in die brennendsten Wunden einer untergehenden Kultur, die Band aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten transportiert ihre Inhalte und Forderungen via gesampelter Spoken-Word-Erzählung, die der Hörerschaft die massive Bedrohung des natürlichen Lebensraums vor Augen hält, die wunderschöne Naturkulisse der dunk!-Waldbühne war dafür wie geschaffen. Musikalisch untermalt die Band ihre apokalytischen Bestandsaufnahmen mit vehementem, hymnischem, melodischem Postrock, sporadischen, heftigen Metal-Ausbrüchen und tieftraurigen Minimal-Ambient-Drones, zu denen mittels indischem Harmonium und durch das Anschlagen diverser Klangschalen und Glocken ein mystischer, bedeutungsschwangerer Unterton mitschwingt. Der Staghorn-Auftritt war einer der herausragendsten der 2019er-dunk!-Auflage, und ganz sicher neben der Headliner-Performance von Efrim Menuck und Kevin Doria am folgenden Tag der konzeptionell stimmigste der gesamten Veranstaltung.
Solide Doom-Kost boten FVNERALS aus Brighton/UK (mit derzeitigem Wohnsitz in Brüssel) – das konzertant von einem Drummer verstärkte, gemischte Doppel wandelt mit seinem finsteren, zähen Drone-Metal-Crossover im Geiste von Bands wie Earth oder Sunn O))) über nebelverhangene Friedhöfe, in geheimnisvollen Wäldern, durch die eigene, inwendige Pein der finsteren Seelen-Nacht, in der es nach F. Scott Fitzgerald immer drei Uhr morgens ist – das Unterholz hinter der Festival-Zentrale war für diese gedehnten Depressiv-Trip zwischen dunklem Postpunk, schwerem Gothic und nachhallendem Metal-Slowcore eigentlich noch viel zu hell, wenn sich auch an dem Tag etliche schwarze Wolken über das Firmament zogen. Sonnenschein und fröhliches Vogelgezwitscher wäre zu dieser massiv erschütternden Dark-Ambient-Nummer auch absolute Vollpanne gewesen. Haben sie sogar dahingehend wieder alles richtig gemacht, die Organisatoren…
Nach Meinung vieler der eigentliche Headliner des ersten Festival-Durchgangs (oder gar der gesamten Veranstaltung) dann zu bester Konzert-Zeit auf der großen Bühne mit der US-amerikanischen Formation This Patch Of Sky. Die Band aus Eugene/Oregon versteht es wie kaum eine andere, Melancholie und entrücktes Hinübergleiten in andere Sphären in eine wunderschöne, erhabene Tonsprache zu übersetzen, mit einem an die moderne Neo-Klassik angelehnten Cello-Part hebt sich das Sextett wohltuend aus der Masse der instrumentalen Postrocker ab, gleichwohl verstehen es die Musiker formvollendet, ihre sphärischen, Ambient-lastigen Gitarren-Elegien und atmosphärisch-cineastischen Breitband-Kompositionen zuweilen in hymnische, wuchtige, geradezu dramatische Attacken ausbrechen zu lassen. Wozu diese Band konzertant fähig ist, hat sie nicht zuletzt in beeindruckender Manier mit ihrem Audiotree-Auftritt im Oktober des vergangenen Jahres angedeutet, live erlebt und in Farbe steigert sich diese aus einem Guss vorgetragene Exzellenz nochmals um ein Vielfaches in Sachen intensiver Klangrausch, erhebende Beschallung und beglückende Erbauungsmomente.
Mit dem Statement „We play music without words to communicate without language“ bringt die Band selbst ihr Konzept simpel wie umfänglich auf den Punkt, am vergangenen Donnerstag ist ihnen dieser Ansatz ohne Zweifel gelungen, der euphorischen Reaktion des Publikums nach zu urteilen. Das dunk!-Team hat sich nach eigenen Worten seit längerem um einen Auftritt von This Patch Of Sky bemüht, nach diesem Auftritt war völlig klar, warum – und diejenigen, die es erlebt haben, dürfen einfach nur dankbar sein, dass es in diesem Jahr geklappt hat.
Celestial Wolves aus der Nachbarschaft in Herzele rockten in der Donnerstagnacht den letzten Waldbühnen-Gig der ersten Runde mit der Wucht dreier Gitarren, die lokalen Helden und Urgesteine des dunk!-Festivals mobilisierten mit geradlinigem, straightem Postrock, brachialem Postmetal und Prog-lastigen Tempi-Wechseln nach mittlerweile 10 Stunden Dauerbeschallung die letzten Reserven für den anstehenden, finalen Gig des italienischen Stoner-Trios Ufomammut. Die Verpflichtung der Band aus dem Piemont als Headliner hat im Vorfeld etliche Diskussionen in den Social-Media-Foren zum Festival ausgelöst. Man kann natürlich lange darüber streiten, ob es für derartigen Stoff nicht genügend andere, passendere Festivals gibt, im Sinne der Diversität konnte ein Durchbrechen der Postrock-Gitarrenwände mit dem langsam, aber gründlich zerfräsenden Doom-Sludge der altgedienten, mittlerweile seit zwei Dekaden werkelnden Psychedelic-Institution durchaus festgefahrene Hörgewohnheiten Horizont-erweiternd und -bereichernd erschüttern. Ufomammut ergingen sich ausladend mäandernd in zäh zelebrierten, dissonanten Gitarren-Riffs, wuchtig dröhnenden Basslinien und straight nach vorne drängendem Powertrio-Drive, in mentaler Anlehnung an die ersten Pink-Floyd-Ergüsse und die Klassiker von Hawkwind, aufgebohrt durch monolithische Metal- und Drone-Wucht, hypnotische Space-Halluzinationen und repetitive, verzerrte Endlos-Lärm-Schleifen. Der Stoff, der von dunkel flackernden Bildern träumen lässt und damit genau das richtige Präparat zum Hinübergleiten in den wohlverdienten Schlaf nach absolviertem Konzert-Marathon.
Hat dies auf Blütensthaub rebloggt und kommentierte:
Wie wenn ich dabei gewesen wäre!
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Besten Dank. Und danke fürs Teilen. Und schade, dass Du nicht dabei warst…
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Mein Reden! Eine verpasste Gelegenheit, sich mal kennen zu lernen.
Hineingehört habe ich noch nicht. Ich koche seit Stunden an meiner „Meistersuppe“ herum!? Beste Grüße!
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Dann wünsch ich erst mal guten Appetit !
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Hach toller Bericht, irgendwann schaffe ich es mal mitzukommen. Werde mich in Ruhe mal durch diese ganzen Bands hören :)
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Dann viel Spaß beim Durchhören, sind einige tolle Sachen dabei.
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