Reingehört (551): H

H – H (2019, Echokammer)

Die Münchner Musiker Leo Hopfinger und Tom Simonetti kennen selbst bei ihrer nicht zuletzt deswegen so herausragenden Desert-Blues-Band DAS Hobos keine Berührungsängste mit den Möglichkeiten der digitalen Electronica-Gerätschaften. In ihrem Indie-Disco-Zweitwohnsitz Rhytm Police fanden sie sich in jüngster Vergangenheit zwecks Einspielen neuen Materials zusammen, haben im Studio aber irgendwann einen anderen Eingang an den Pforten der Wahrnehmung erwischt und auf diesem Weg das fehlende H des Duo-Bandnamens gefunden. H wie Hypnose. H wie Heavy-Trance-Vollrausch. Oder Herrliche Halluzinationen. Oder Hofmann, Albert, Doktor der Chemie, der selbst ähnlich zufällig über die entsprechende psychedelische Wirkung des LSD stolperte, wie Autor Pico Be im Pressetext in Analogie anmerkt, eine Geschichte, die auch der US-Literatur-Star T. C. Boyle vor Kurzem in seinem jüngsten Roman „Das Licht“ über den amerikanischen Psychologen und Drogen-Pionier Timothy Leary als Prolog erzählt.
Zusammen mit dem Giesinger Studiobetreiber Albert Pöschl generieren die beiden Experimental-Musiker tatsächlich selbst bunteste Klangfarben in analoger und digitaler Dualität. In mitnehmenden Trance-Beats, mit zugänglichen, repetitiven Minimal-Melodien aus der Synthie-Kiste, die sich spätestens nach dem zweiten Durchlauf als die berühmten Ohrwürmer in den Hirn-Kompost krallen. Mit abstrakten Digital-Drones aus dem Sounddimensionen- und Horizont-erweiternden Elektro-Zauberkasten, eingebetet in einen vierzig-minütigen Endlosschleifen-Flow zwischen nordafrikanisch-arabischen Tribal-Beschwörungen und hochmodernen, synthetischen Electronica-Kraut- und Dub-Vibrationen. Die reduzierten, dadaistischen Sprach-Samplings entwickeln als permanent wiederholte Slogans eine eigene Rhythmik neben der Eindringlichkeit der monotonen Maschinen-Beats, dem analogen Trommeln und Wummern der Bässe. Durch gesampelte Verfremdung klingt etwa die kurze, permanent wiederholte Ansage in der Dub-Nummer „Nebenan zieht’s“ nach französischem Akzent und das liebliche „I Love You“ im letzten Song des Albums nach großem Elektro-Pop.
Die hypnotische Tanzveranstaltung von Hopfinger, Simonetti und Pöschl entwickelt trotz schmaler Band-Besetzung, minimalistischer, monoton wiederholter Taktgebung im handwerklichen Anschlag und gezielt reduzierter, elektronischer Anreicherung ungeahnten Tiefgang, die Klangfarben-Explosion funktioniert auch völlig ohne zusätzliche, stimulierende chemische Substanzen, womit wir irgendwie wieder beim Eingangs-Thema wären. „Mei, is des schee“ schallt es in „Alpensee“ in entrückter Verzückung aus dem Off, im oberbayerischen Idiom, etwas Lokal-Kolorit darf schon sein auf einer Münchner Produktion, und damit ist eigentlich alles gesagt zu diesem massiv anregenden Flow von internationalem Dub-Experiment-Format.
„H“ ist Ende August beim Münchner Indie-Label Echokammer von Albert Pöschl erschienen. H wie „Haben muss!“
(***** – ***** ½)

H spielen live am 10. Oktober im Münchner Glockenbachviertel-Club Milla, Holzstrasse 28, 20.00 Uhr.

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