1860

1328 Beercore @ Neujahrsempfang der „Löwenfans gegen Rechts“, Gewerkschaftshaus, München, 2019-01-05

Laut und trinkfreudig gestaltete sich am vergangenen Samstagabend im Münchner Gewerkschaftshaus der Auftakt zum Konzertjahr 2019, wie so oft in den vergangenen Jahren wurde der Anstoß angepfiffen beim traditionellen Neujahrsempfang der 1860-Supporter-Initiative „Löwenfans gegen Rechts“. Die politisch gegen Rassismus und Diskriminierung engagierte, mittlerweile mehrfach für ihre Arbeit an der Fan-Basis und im Stadion ausgezeichnete Gruppierung lud wie stets vor dem Dreikönigsfest zu Party, Umtrunk und konzertanter Erbauung durch ortsansässige Musikkapellen, heuer erstmalig in die Räumlichkeiten der Gewerkschaften in der Schwanthalerstraße.

Mit der Münchener Punk-Combo 1328 und ihrem strammen „Beercore“, der sich thematisch nahe liegend vorwiegend mit der Liebe zum Brauerei-Produkt auseinandersetzt, ging die Sause nach kurzer einleitender Ansprache unkompliziert in die Vollen – das nach dem Gründungsjahr des ältesten Münchner Brauhauses Augustiner benannte Quartett erwies sich mit nahezu zwei Jahrzehnten Erfahrung im Übungskeller, aus unzähligen Live-Gigs, diversen Plattenaufnahmen und Poltern im Geiste der Siebziger-Ursuppe als versierte Feten-Anheizer.
Bierzelt-Schunkeln war da eher weniger angezeigt, weitaus mehr der flott eingesprungene Pogo inklusive Bier-Dusche und zeitweiligem Gerempel zu den unverstellten Drei-Minuten-Gassenhauern. Ein Humpen aus dem Ramones-Sudkessel, etwas Buzzcocks-Stammwürze, angereichert mit ordentlichem Hardcore-Drive und kräftigem Geplärr, fertig war das Gebräu aus der Punkrock-Mälzerei der Weltstadt des Gerstensafts, und wo würde eine Band mit derartig unmissverständlichem philosophischem Unterbau auch mehr Sinn machen als in der Metropole des alljährlich im Frühherbst für zwei Wochen zelebrierten weltgrößten Massen-Besäufnisses?
Es muss weiß Gott kein Green-Day-Musical oder der ganze Fiedel- und Dudelsack-Firlefanz der Dropkick Murphys sein, drei stramme Akkorde, griffige, hymnische, Ohrwurm-taugliche Refrains fernab der intellektuellen Herausforderung und ein frisches Helles auf die Hand erfüllen da ihren Zweck weit mehr, und in jedem Fall authentischer, ehrlicher und näher an der street credibility der guten alten Uptempo-Rock-and-Roll-Beschallung.
Mag auch inhaltlich weitgehend der Bezug zum Fußball und speziell zu den Münchner „Löwen“ gefehlt haben – gut, vor und im Stadion wie anschließend in der dritten Halbzeit wird mitunter auch ordentlich weggepichelt, keine Frage – mit 1328 Beercore trafen die Gastgeber bei weitem nicht die schlechteste Wahl zur lautstarken Untermalung der LFgR-Feierlichkeiten, zumal so mancher Grottenkick in jüngster Zeit im Stadion an der Grünwalder Straße und das ewige Gezipfel mit dem jordanischen Investor tatsächlich oft nur noch mit erhöhten Promille-Werten zu ertragen waren. Gegen den Neonazi in der Kurve brauchts dann allerdings schon stärkeres Gift und gewichtigere Argumente, aber da kommt dann die Fan-Initiative selbst wieder ins Spiel.
In diesem Sinne: Fight Fascism, Reclaim The Game & Still Not Loving Ismaik, die linke hält die Faust hoch, die rechte hält das Bier fest, es muss ja nicht zwingend das Schädelspalter-Gustl sein… ;-))

Party-Sound zum Abskanken gab’s dann zu vorgerückter Stunde von der ortsansässigen Formation Sentilo Sono, im Ska-Rhythmus, mit knackigen Bläsersätzen, inklusive scharf gestochener Tattoos als optischer Hingucker. „Not my cup of tea“, wie der Brite sich zu solchen Gelegenheiten aus der Affäre zieht. Da mögen andere ihre Meinung zu abgeben, das Tanzvolk war zweifelsohne sehr animiert.

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Reingelesen (80): Anne Wild & Ralph Drechsel – Mein Verein für alle Zeit

„Football’s coming home.“
(Alte Fan-Weise, vermutlich aus Obergiesing stammend)

Anne Wild & Ralph Drechsel – Mein Verein für alle Zeit. Die Wiedergeburt des TSV 1860 München (2018, Verlag Die Werkstatt)

„Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“ textete Rio Reiser für den Titelsong des 1975er-Albums seiner Band Ton Steine Scherben, angeblich auf einem Zitat des nord-vietnamesischen Revolutionsführers und Präsidenten Hồ Chí Minh basierend.
In der Rückschau betrachtet passt der Spruch auch zum sportlichen Niedergang des TSV 1860 München im Sommer 2017. Nach verlorener Relegation gegen Jahn Regensburg und damit einhergehendem Abstieg aus der 2. Fußball-Bundesliga brachen beim Giesinger Traditionsverein damals alle Dämme. In den folgenden Tagen nach der Pleite auf dem Spielfeld und den begleitenden Tumulten im Stadion verweigerte der jordanische Club-Investor Hasan Ismaik die Zahlung weiterer vom Verein angeforderter Gelder zur Finanzierung des Konzepts für die anstehende Saison in der 3. Liga, und so ging es wenige Tage nach dem sportlichen Debakel im Zuge des Lizenz-Verfahrens für die „Löwen“ am grünen Tisch nochmals eine Etage tiefer in Richtung Niederungen der viertklassigen Regionalliga.
Was sich auf den ersten Blick als kaum mehr zu verschlimmerndes Desaster offenbarte, bot für den taumelnden Verein in all dem Chaos auch die Chance zur Erneuerung und Selbstfindung, zur Rückbesinnung auf die eigene Identität, nach Jahren des seelenlosen Gekickes in der Allianz-Arena am nördlichen Stadtrand neben dem Müllberg, jenem ungeliebten Stadion der verhassten Lokalrivalen vom übermächtigen FC Bayern.
Nach der charakterlosen Demission des Vereinspräsidenten Cassalette unmittelbar nach dem sportlichen Abstieg, dem gleichzeitigen Abgang des für Zweitliga-Verhältnisse völlig ungeeigneten portugiesischen Star-Trainers und Traumtänzers Pereira inklusive seiner ohne Sinn und Verstand zusammengewürfelten Söldner-Truppe stand der Verein auch hinsichtlich ausführender Organe quasi vor dem Nichts, auch dahingehend bot sich die Chance für einen radikalen Schnitt und personellen Neuanfang, die mit Installation des Präsidenten Robert Reisinger, dem Interims-Geschäftsführer Markus Fauser und Vereins-Urgestein Daniel Bierofka als neuen Trainer der ersten Mannschaft zur Zufriedenheit der großen Mehrheit der Fans optimal genutzt wurde.
Optimal vor allem dahingehend, dass die neue Führungsriege der Löwen sofort alles daran setzte, das Horrorszenario des gemeinsam genutzten Stadions mit den „Roten“ endgültig zu beenden und die „Löwen“ in das angestammte Revier ins Arbeiter-Viertel Giesing, an den Sehnsuchts-Ort des altehrwürdigen Städtischen Stadions an der Grünwalder Straße heimzuführen, für viele der Anlass, nach Jahren der Abstinenz das eigene Fan-Dasein wieder zu aktivieren, Dauerkarten zu kaufen, die Vereins-Mitgliedschaft wieder aufleben zu lassen und regelmäßig nach Giesing zu pilgern, nicht wenige mit Tränen der Rührung in den Augen – zu den ersten Heimspielen allemal, gab es doch kaum Erhebenderes in jener Zeit als eine Busfahrt zu einem Spieltag vom heimatlichen Sendling über den Münchner Hudson ins schöne Giesing hinüber, die weiß-blauen Horden um das Stadion herum und die zahlreichen Fan-Busse vom Candid-Platz den Giesinger Berg hinauf am Straßenrand geparkt als lebendiges Wimmelbild vor Augen – wem da das Herz nicht überging, die/derjenige hatte mit Emotionen im Fußball noch nie was am Hut oder ist ganz einfach mit einer nichtswürdigen Existenz als rot-weißer Dumpfbeutel gestraft.

„In den ersten zwei, drei Heimspielen im Grünwalder Stadion war jeder überwältigt – die Stimmung unfassbar. Das Zusammenspiel zwischen Westkurve, Stehhalle und Haupttribüne gibt es so in Deutschland an keinem anderen Ort. Ich sah Menschen mit Tränen in den Augen mitfiebern, weil es sich für sie endlich wieder richtig angefühlt hat.“
(Thomas Biehl)

Trotz Gegnern wie dem TSV Buchbach, dem FV Illertissen oder dem FC Pipinsried, von denen so mancher im Vorfeld nicht wusste, wo genau im schönen Bajuwaren-Land die zu verorten sind, war die Tour durch die vierte Liga nichts weniger als die Wiederauferstehung des TSV 1860, sportlich wie Identität-stiftend: Die Heimspiele durften nach langen Jahren in der Verbannung endlich wieder im geliebten, ausverkauften Stadion an der Grünwalder Straße mitten im Heimatrevier genossen werden, und der Auswärts-Zug über die Dörfer wurde von großem Bahnhof und so mancher Blaskapelle seitens der Gastgeber begleitet, nicht selten das Spiel das Jahres in den jeweiligen Gemeinden.
Über die sagenhafte, erstliga-würdige Stimmung der Fans im „Grünwalder“ ist oft und zurecht – auch überregional – berichtet worden, und auch sportlich ließen sich die Ergebnisse der „Sechzger“ an alter Wirkungsstätte sehen, Trainer Daniel Bierofka schaffte es mit einer Handvoll ex-Profis wie Jan Mauersberger, Sascha Mölders oder dem Heimkehrer Timo Gebhart und einer jungen Truppe, die sich im Wesentlichen aus dem eigenen Nachwuchs rekrutierte, die Liga zu dominieren und damit die Voraussetzung für eine Teilname an der Aufstiegs-Relegation zur dritten Spielklasse zu schaffen – und selbst ein wegen Stromausfall abgesagtes Spiel wie das gegen Buchbach im November 2017 war in Giesing immer noch lustiger als ein stattgefundenes in der Allianz-Arena, wie ein geschätzter Stadionbesucher so treffend anzumerken wusste, nicht zuletzt dank intakter Kneipen-Infrastruktur und rühriger Fan-Szene an der Tegernseer Landstraße und den angrenzenden Ecken in Ober- und Untergiesing.
Die Meisterschaft in Pipinsried vor eigens dafür geschaffener 7.000-Zuschauer-Naturtribüne wie die beiden Aufstiegs-Spiele gegen den 1. FC Saarbrücken sorgten für das glanzvolle Finale einer denkwürdigen Saison, wo beim 3:0-Sieg im 600-Seelen-Nest aus dem Dachauer Landkreis nichts anbrannte, war bei den beiden Begegnungen mit dem Meister der Regionalliga Südwest nichts weniger als Film-reifes, großes, geradezu Kitsch-verdächtiges Drama angezeigt. Im Hinspiel reichte es trotz einstündiger Überzahl zu einem knappen 3:2-Auswärtssieg, im Rückspiel im ausverkauften Grünwalder Stadion lagen die „Löwen“ zwischenzeitlich mit 0:2 zurück und sahen damit bereits alle Felle davon schwimmen, ehe Mölders und der kurz zuvor eingewechselte Seferings zugunsten der Löwen ausglichen und damit das Stadion in einen Hexenkessel verwandelten, mehr an überbordender Stimmung, Tollhaus, purer Freude, Nervenzusammenbrüchen und Heulkrämpfen ist in einem Stadion nicht denkbar als an jenem sonnendurchfluteten 27. Mai 2018 auf Giesings Höhen.

„Dieser Tag war ein doppelter Sieg. Nicht nur ein sportlicher, sondern auch ein kultureller – Sechzig ist in dieser Saison endlich wieder zu Sechzig geworden.“
(Florian Falterer)

Die beeindruckenden Bilder von der spontanen Aufstiegs-Feier im schönsten Münchner Stadtteil sind nicht zuletzt auch Lehrmaterial zur Optimierung der urfaden, armseligen, alljährlich am Münchner Marienplatz inszenierten Beweihräucherung der Steuerhinterzieher-Bagage des FCB, jenem periodisch wiederkehrenden, angelascht-erbärmlichen Aufgalopp der rot-weißen Jubelperser, zu dem so mancher Rotbauern-Nachläufer schon nicht mal mehr das Fähnchen in den Wind hängen, geschweige denn für gute Stimmung sorgen mag, von euphorischer ganz zu schweigen. Nächster Probelauf dann vermutlich erst wieder 2020, da der BVB Gottlob auf dem besten Weg ist, die Meisterschafts-Tristesse zu durchbrechen, ein internationaler Titel für diese rot-weiße Grattler-Truppe derzeit eh in weiter Ferne liegt, und im Pokal wird sich ja hoffentlich auch noch ein Team finden, der diese Rumpler rauskegelt.

Die einzigartige 2017/18-Saison der Münchner „Löwen“, die sportlichen Erfolge, die sagenhafte Stimmung im Viertel an den Spieltagen, eine wiedererwachte Fan-Szene nicht zuletzt auch als Bollwerk gegen die Gentrifizierung in Giesing wie die Atmosphäre auf und neben den Sportanlagen der Auswärts-Gegner und den grandiosen Aufstiegs-Rausch dokumentiert die Münchner Fotografin Anne Wild hautnah und stimmungsvoll mit großartigen, zum Teil großformatigen Bildern von packenden Spielszenen wie Motiven durch die Fan-Brille betrachtet im wunderschön aufgemachten Querformat-Band „Mein Verein für alle Zeit. Die Wiedergeburt des TSV 1860 München“ auf 160 Seiten, jüngst im Göttinger Sportbuch-Verlag Die Werkstatt erschienen und von Autor Ralph Drechsel mit entsprechenden Texten und zahlreichen Interview-Ausschnitten versehen, die der Journalist mit dem aktiven „Löwen“-Spieler Jan Mauersberger, 1860-Präsident Robert Reisinger, dem Giesinger Wirt und Kultur-Veranstalter Florian Falterer und den beiden Fans Tanja Teschl vom Fanzine „Löwenmagazin“ sowie Thomas Briel vom „Verein zur Pflege der Münchner Fußballkultur“ führte.

„Wenn ich durch Giesing laufe, treffe ich manchmal Menschen, die ich ewig nicht mehr beim Fußball gesehen habe. Diese Saison im Grünwalder Stadion vergesse ich mein Leben lang nicht.“
(Tanja Teschl)

Die Münchner Fotografin Anne Wild ist Partnerin in einem Münchner Designbüro. Als Fotografin arbeitet sie in den Bereichen Sport, Architektur und politische Dokumentar-Fotografie. Anne Wild begleitet nicht nur mit der Kamera seit vielen Jahren die Münchner „Löwen“, sie ist in der Fan-Initiative „Löwen-Fans gegen Rechts“ wie im Vorstand der „Freunde des Sechzger Stadions“ engagiert und war mit ihren schönen Portrait-Fotos 2017 maßgeblich an der Konzeption der gelungenen Ausstellung „Sechzge, Oide! Mit Leib und Seele Löwin“ über weibliche 1860-Fans beteiligt.

Der Journalist Ralph Drechsel arbeitet als Texter und Gestalter partnerschaftlich in einem Münchner Designbüro. Als leidenschaftlicher Fan begleitet Drechsel den TSV 1860 München seit seiner Kindheit, seine Gespräche mit den fünf Protagonisten des Buches bilden die Grundlage für die begleitenden Zitate des Foto-Bands.

Die virtuelle Reste-Schublade (3)

Stay at home, read a book – Daumen-eher-hoch-als-runter-Literatur …und ein beherztes „Reclaim The Game!“ hinterher:

Alex Raack – Alles aus Liebe. Eine Reise ins Herz des Fußballs (2018, Tropen)

Der 1983 in Celle geborene freie Autor Alex Raack war bis 2016 Redakteur beim nach wie vor schwer tauglichen Fußballmagazin 11FREUNDE, ist Verfasser einer Biografie über den für Werder Bremen und die Gladbacher Borussen kickenden und zwischenzeitlich schwer dem Alkohol zugetanen Eisenfuß Uli Borowka, daneben war Raack vor einigen Jahren Mitbegründer der ersten Schiedsrichter-Supporter-Ultras „Brigade Hartmut Strampe“ („You’ll never judge alone!“).
In seinem jüngst erschienenen 170-Seiten-Schmöker „Alles aus Liebe“ widmet er sich in 14 Kapiteln/Geschichten all jenen (inklusive seiner selbst), die zusehends mehr angeödet sind von alljährlich wiederkehrender, Gähn-Attacken-fördernder Meisterschalen-Vergabe an den Großkotzverein vom Steuerhinterzieher und seinen jubelpersernden FCB-Nachläufern, Champagner-schlürfenden Event-VIPs, astronomischen Ablösesummen für weltentrückte, durchtätowierte Kicker-Diven, dubiosen Investoren und der permanent fortschreitenden Entfremdung der Club-Oberen von der Fan-Basis und dem damit einhergehenden Verlust der „street credibility“ des Fußball-Sports und der Anhänger-Kultur – Raack begibt sich auf die Spurensuche nach Fans, die sich trotzdem ihre Liebe zum Fußball erhalten oder mühevoll zurückerobert haben, sei es durch die Segnungen des sportlichen Abstiegs mit damit verbundener Rückkehr in die Heimat des angestammten Stadtviertels, Rückbesinnung auf die eigene Identität und Wiederbelebung der Liebe zwischen Mannschaft, Trainer und Fans wie im Fall der Münchner Löwen im Jahr 2017, sei es durch absurd-groteske wie extrem humorige Aktionen wie dem eingangs erwähnten aktiven Schiedsrichter-Support, der gemeinsamen Auswärtsfahrt zum Groundhopping in die zweite tschechische Liga, der aktiven Teilhabe an der David-gegen-Goliath-Nummer beim DFB-Pokal-Match in der Einkommens-schwachen norddeutschen Provinz oder beim Besuch der Jubiläumsveranstaltung der Stadien-Postkarten-Sammler in einer Berliner Fan-Kneipe – Autor Alex Raack hält etliche lesenswerte Anekdoten parat zum Postulat „Liebe kennt keine Liga“ und den ewig währenden Freundschaften, die nur beim Fußball geschlossen werden, ab und an auch ein paar weniger passende Stories wie die Nummer über den Pseudo-Porno-Dreh im Bochumer Swinger-Club, deren einziger Bezug zum Thema die Beteiligung einer Handvoll durchgeknallter VfL-Fans ist, aber das sind lässliche Sünden in einem Buch, in dem uns Originale vorgestellt werden wie das Essener Urgestein Sandy und seine immerwährende und leidgeprüfte Liebe zum ehemaligen Deutschen Meister und mittlerweile langjährigen Viertligisten RWE, ein West-Vereine verehrender, zu DDR-Zeiten aufgewachsener Dresdner, unser verehrter Wahl-Münchner und KSC-Supporter Holger Britzius in seiner Funktion als Betreiber der weltbesten Fußball-Wohnzimmer-Kult-Kneipe „Stadion an der Schleißheimer Straße“ und – Achtung, festhalten! – ein Bayern-Fan (in dem Fall ohne Anführungszeichen!), der keinen Bock mehr hat auf die ewige, Konkurrenz-lose Gewinnerei seines Geld-Vereins – sowas soll’s auch geben, es besteht noch Hoffnung für die Menschheit…
Literarisch ist „Alles aus Liebe“ nicht die ganz große Weltmeisterschaft, aber mit solchen Arbeiten will man auch keine Nobelpreise oder die Champions League gewinnen, und Fußball ist schließlich „ein einfacher und massentauglicher Sport, der sich hervorragend dafür eignet, in großen Gruppen Emotionen auszuleben“, wie der „ProFans“-Sprecher Sig Zelt in einem Interview im Buch ganz richtig anmerkt, und in diesem Geiste taugen auch die allermeisten Kurzgeschichten des Buches zur locker-vergnüglichen Lektüre zwischen dem Heim-Kick gegen die Sportfreunde Lotte und der nächsten Zitterpartie in Osnabrück. Football is coming home. Mit dieser Stoffsammlung von Alex Raack allemal…

„Ich hoffe, dass sich im Fußball bald etwas ändert. Dass wir nicht noch viele weitere Jahre ertragen müssen, dass der Fußball so zynisch und versaut geworden ist. Dass er sich so sehr von seinen Idealen entfernt hat.“
(Alex Raack, Alles aus Liebe, Vorwort)

Reingehört – Short Cuts:

Gargle – Wading In Shallow Waters (2018, Fluttery Records)

Instrumental-Duo aus Tokyo mit neun filigranen Arbeiten zwischen cineastischer Neoklassik und Balladen-haftem Postrock. Gitarre und Akkordeon, zwischen melancholischer Ambient-Entschleunigung und einer sporadischen orchestralen Opulenz, die bei Bedarf mittels Piano und Electronica-Effekten fabriziert wird. Der Opener „Morphine“ ist vom Rezitieren eines Gedichts aus Feder des befreundeten Musikers Sean Fujimoto begleitet und notiert Dostojewskijs Novelle „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ als Inspirationsquelle, allein der Bezug lässt den entsprechenden Tiefgang in der Nummer mitschwingen. Japanischer Präzisions-Wohlklang, dem ein paar scharfe Kanten an der ein oder anderen Stelle und ein paar vehemente Postrock-Eruptionen zur Spannungs-Befeuerung nicht geschadet hätten, ansonsten aber sehr geschmeidig kammermusikalisch und ohne größere Beanstandungen ins Ohr geht.
„Wading In Shallow Waters“ ist Anfang August beim kalifornischen Indie-Label Fluttery Records erschienen.
(**** – **** ½)

Summer Effect – Reverie (2018, Fluttery Records)

Der Summer Effect hierzulande zeigte sich in den vergangenen Wochen in kollabierenden/dehydrierten Menschen, brennenden Wäldern und Dürre-bedingten Missernten, auf der indonesischen Insel Java dagegen als wunderbarer state-of-the-art-Postrock auf dem vierten Album „Reverie“ des Duos Aroel und Ibo aus der Großstadt Bekasi City, mit allen beglückenden Inhaltsstoffen des Gesangs-freien Genres von innehaltender, kontemplativer Sound-Meditation bis hin zu pompöser Streicher-Untermalung und euphorisierender Gitarren-Heftigkeit inklusive mustergültiger Crescendi und vehementer Bausteine-Aufschichtung zur Errichtung der in dem Zusammenhang immer wieder gern ins Feld geführten Klangwand-Metapher. Atmosphärisch, praktisch, gut. Auch auf Fluttery Records, seit Ende Juli.
(**** ½ – *****)

Der King ist vor 41 Jahren gegangen, aber er ist nach wie vor nicht forgotten. Remember the great Elvis Aaron Presley. The King will walk on Tupelo!

Zurück zur Werbung – und zum Fußball:

Das Spiel gedreht: Der in München ansässige Grafiker Hias Schaschko hat bei Trikont schöne CDs herausgegeben und für das gepriesene Indie-Label schöne Platten-Cover gestaltet, als Entwerfer schöner Postkarten kennt und schätzt man ihn gleichwohl in der Stadt wie darüber hinaus, und in der Funktion beglückt er seit Kurzem alle Münchner Löwenfans mit einer Papp-Version der legendären Anzeigentafel aus dem Grünwalder Stadion, inklusive weiß-blauer Kordel zum An-die-Wand-hängen und verstellbarer Ergebnis-Drehscheibe, selbstredend nur für die Heim-Mannschaft, denn der Gegner muss torlos bleiben: Damit kann man dann an Spieltagen das jeweilige Wunsch-Ergebnis einstellen, das herrliche Teil vielleicht sogar für Voodoo-Zwecke einsetzen und damit dazu beitragen, dass beim Klassenerhalt in Liga 3 nix anbrennt.
Ist für fünf Öre über die Homepage www.schaschko.de zu haben und geht in ausgewählten Super Stores wie dem feinen Mono-Plattenladen von Günter Seewald oder dem Giesinger Lieblingswohnzimmer Café Schau Ma Moi über den Tresen.
Für die anderen gibt’s dann demnächst das Handbuch „Schmieren, Schmuggeln, Steuern – Die Experten-Tipps“ vom Ghostwriter-Trio Uli, Franz & Kalle, oder wahlweise das Merkblatt „Wie organisiere ich eine stimmungsvolle Meisterfeier?“

Bucky Halker @ Vintage Pub, München 2018-06-29

„Every year we waste enough to feed the ones who starve
We built our civilization up and shoot it down with wars“
(Woody Guthrie, Christ For President)

Die Konzerte im Giesinger Vintage Pub von Veranstalter Mike Nagl sind handverlesen, mit Liebe und Sachverstand ausgewählt, rar, exzellent und exklusiv für FreundInnen der handgemachten Musik aus den Sparten Folk, Bluegrass, Alternative Country und Country Blues, hier erstmalig dokumentiert zum dortigen, denkwürdigen Americana-Auftritt von Charlie Parr Anfang des Jahres. Vergangenen Freitag hatte Publican Mike mit dem amerikanischen Folk-Singer Bucky Halker einmal mehr einen besonderen und herausragenden Musiker auf der kleinen Bühne seiner mit viel Liebe und Sammlerleidenschaft eingerichteten irischen Kneipe im Homeland der Münchner „Löwen“ zu Gast.
In the Spirit of Woody Guthrie & John Steinbeck: Clark „Bucky“ Halker ist in Wisconsin am Lake Superior aufgewachsen, in seiner Jugend in den Sixties wurde er wie so viele herausragende Musiker von Nobelpreis-Bob über Jerry Garcia bis Billy Bragg vom Protest-Folk der Songwriter-Ikone Woody Guthrie nachdrücklich geprägt. Inspiriert von den sozialkritischen Statements, Song-Texten und Ideen des berühmten Antifaschisten aus Oklahoma entwickelte Halker mit den Jahren neben der Liebe zur Musik, zum Gitarre-Spiel und zum eigenen Lieder-Schreiben ein ausgeprägtes politisches Interesse für die amerikanische Geschichte, insbesondere für die Historie der Arbeiter-, Gewerkschafts- und Protest-Bewegungen der Vereinigten Staaten, die Verwerfungen der „Great Depression“ in den Dreißigern und die Repressionen der McCarthy-Ära wie die Thematisierung dieser Ereignisse in der Literatur von Autoren wie Steinbeck und Dos Passos und im Songwriting heute noch bekannter Blues- und Folk-Musiker wie längst vergessener oder nur jenseits des großen Teichs geläufiger Namen aus der Tondichter-Gilde der frühen amerikanischen Sub-/Underground-/Working-Class-Kultur.
Bucky Halker engagiert sich seit Jahrzehnten für den Erhalt des musikalischen und geistigen Erbes Woody Guthries, durch eigene Forschungen, im musikalischen Vortrag, als Vorstands-Mitglied der Woody Guthrie Foundation in New York City, der Illinois Labor History Society in Chicago und als Fellow des 2009 verstorbenen Folkloristen Archie Green im American Folklife Center der Library Of Congress. An der University Of Minnesota hat Halker zum Thema „US Labor History“ promoviert. Seit Mitte der achtziger Jahre ist er als College-Lehrer, freier Wissenschaftler und Forscher tätig und nimmt regelmäßig Alben mit eigenen Folk- und Blues-Songs und Coverversionen alter Protest-Lieder auf.
Dass da am Freitag jemand auf der Bühne stand, der seine Nase gründlich in die maßgeblichen Bücher gesteckt hat, den relevanten Kanon des amerikanischen Folk-Protests aus dem Effeff kennt, und dementsprechend weiß, wovon er spricht und singt, wurde schnell offensichtlich im unaufgeregten und äußerst sympathischen Vortrag des Musikers und Historikers aus dem Mittleren Norden der USA, der die Song-Sammlung seiner drei längeren Sets informativ und mit Anekdoten aus dem eigenen wie dem Leben der altvorderen Songwriter-Legenden gespickt, zwischen ernsthafter politischer Auseinandersetzung und geistreichen Anmerkungen mit feinem Humor begleitete, fernab jeglicher mit erhobenem Zeigefinger angedienter, dröger Altlinken-Belehrungen.
Den ausgewählten Guthrie-Stücken wie „Hobo’s Lullaby“ oder „Do Re Mi“ drückte Halker untrüglich einen eigenen Stempel als beseelte, Herz- und Verstand-anrührende Folk-Nummern mit filigranem Wandergitarren-Spiel auf, so auch weiterem exzellent ausgewähltem und gespieltem Fremdwerk wie „Pancho And Lefty“ vom großen Townes Van Zandt, dem Klassiker „Joe Hill“ über den 1915 nach umstrittenem Gerichtsverfahren in Salt Lake City hingerichteten Hobo, Gewerkschafts-Aktivisten und Songwriter Joseph Hillström, dem frühen Dylan-Großwurf „Girl From The North Country“ und Blues-Songs von Ledbelly und J. B. Lenoir, die sich zu einem stimmigen Gesamtkonzept im Kontext der Feldforschungen zur US-Musikgeschichte und der Tradition amerikanischer Folk-, Protest- und Arbeiterlieder formten, nicht zuletzt selbstredend durch eigene Song-Perlen aus der Feder des musizierenden Aktivisten und Wissenschaftlers bereichert und ergänzt, etwa der wunderbar getragenen Ballade über den völlig in Vergessenheit geratenen Country-Preacher T. Texas Tyler – „What a great name for a country musician“, wie Bucky Halker völlig richtig in einer seiner vielen erklärenden Einführungen anmerkte.
In einer der beiden kurzen Pausen ergriff passend zur Thematik des Abends der „Löwen“-Fan, Neffe des legendären 1860-Stürmers Schorsch Metzger und – in dem Rahmen zuvorderst – Neu-MdB Michael Schrodi von der SPD das Wort, und vermittelte erste Eindrücke über die gewonnenen Erfahrungen seiner Bundestags-Arbeit, dabei warnte er eindringlich vor dem anti-demokratischen Agitieren und der völlig destruktiven Parlamentsarbeit der rechts-nationalen AfD, dem geistigen „Asyl für Deppen“, wie Christoph „Stofferl“ Well tags darauf andernorts zu dem Thema noch so treffend anmerken sollte.
Gegen Ende der ausgedehnten, ergiebigen und wiederholte Male schwer ergreifenden Folk/Blues/Country/Swing-, Polit- und Historien-Veranstaltung griff Wirt Mike Nagl zur Mandoline und unterstützte Bucky Halker im Duett bei einer schwungvollen Interpretation der von zahlreichen MusikerInnen gecoverten Woody-Guthrie-Nummer „Ain’t Got No Home“, der Mann weiß nicht nur, wie man erlesene Konzerte organisiert und eben solche Whiskeys kredenzt, er weiß auch, wo sich die richtigen Töne auf den Saiten seines Lauteninstruments verstecken.
Der Künstler sagt gegen Ende des Konzerts gemeinhin gerne „Thanks For Having Me“, bei einem Vintage-Pub-Auftritt in Giesing gilt indes einmal mehr: A Big Thank You an den großartigen Mike Nagl, dass er den großartigen Bucky Halker in einnehmender, familiärer Atmosphäre in seinem feinen Lokal präsentierte, uns dabeihaben mochte, und darüber hinaus mit fester und flüssiger Verköstigung nicht geizte. In diesem Sinne: A Working Class Hero Is Something To Be.

Bucky Halker spielt am 7. Juli auf dem Rudolstadt-Festival für Roots-, Folk- und Welt-Musik, Freiligrathstraße / Straßenmusik-Bühne, 23.00 Uhr.

Bucky Halker / Homepage

Ausstellung: Sechzge, Oide! Mit Leib und Seele Löwin @ Farbenladen

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Fotos © Anne Wild

Die Gründe und Bezugsgrößen werden aktuell immer weniger, zunehmend unplausibler und schwerer vermittelbar, warum man sich als Fan mit diesem gelebten Chaos TSV 1860 München weiter herumschlägt, wenn es im Tempo der letzten Monate weitergeht, wird schon bald am Ende nur noch die Abneigung gegen den ungeliebten Lokalrivalen als einzige nachvollziehbare Rechtfertigung überleben, aber vielleicht bringt einem das gemeinsame Fotoprojekt Sechzge Oide! Mit Leib und Seele Löwin der Münchner Fotografin Anne Wild und der Löwenfans gegen Rechts diesen Investoren-verseuchten Zweitliga-Dauerpatienten wieder etwas näher, einen Versuch ist es allemal wert, die Ausstellung zeigt ab 2. Januar sechzig Frauen und Mädchen in ihrer Rolle als weibliche Fußballfans, initiiert und mit Texten versehen wurde die Fotoschau von den Löwenfans gegen Rechts, die damit dokumentieren, dass Fußball nicht nur Männersache ist. Entstanden sind die Begleittexte zu den Fotos auf Basis von Interviews, die Steffi und Lisa, beide aktiv bei den LFgR, mit den portraitierten Frauen geführt haben – „Mit Leib und Seele, aus voller Kehle, in den Farben Weiß und Blau…!“

Sechzge, Oide! Mit Leib und Seele Löwin.
Fotoprojekt von Anne Wild + Löwenfans gegen Rechts
Farbenladen / Feierwerk
Hansastraße 31 / 81373 München

Ausstellungseröffnung am 2. Januar um 18.60 Uhr

Öffnungszeiten:
2. Januar 2017 – 15.30 – 22.00 Uhr
3. Januar 2017 – 15.30 – 20.00 Uhr
4. Januar 2017 – 15.30 – 20.00 Uhr
5. Januar 2017 – 15.30 – 20.00 Uhr
6. Januar 2017 – 13.00 – 22.00 Uhr
7. Januar 2017 – 13.00 – 20.00 Uhr
8. Januar 2017 – 13.00 – 22.00 Uhr

Rahmenprogramm:
6. Januar 2017 – 18.00 Uhr Vortrag/Lesung mit Ronny Blaschke über „Sexismus im Fußball“ und Vorstellung seines Buches „Gesellschaftsspielchen. Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und Heuchelei“
8. Januar 2017 – 18.00 Uhr Podiumsdiskussion „Frauen in der Kurve“ u.a. mit Antje Hagel (Netzwerk Frauen im Fußball) und Lothar Langer (Fanprojekt München)

Löwenfans gegen Rechts / Homepage

Anne Wild / Homepage