Anton Alfred Newcombe, seines Zeichens Chef-Psychedeliker des Brian Jonestown Massacre, hat in den vergangenen Jahren seine Zelte hinsichtlich Arbeit, Familie und dem ganzen Rest-Leben in der Bundeshauptstadt Berlin aufgeschlagen, von dort brachte er zur Eröffnung des schmissigen Indie-Abends am vergangenen Sonntag im Münchner Technikum die Lärmexperten von LeVent mit, das gemischte Trio rekrutiert sich aus alten Hasen der Indie-Szene – by the way, darf man sowas heutzutage überhaupt noch schreiben über eine Band, die sich mehrheitlich aus Frauen zusammensetzt, die darüber hinaus auch nicht alt sind, Sexismus, #MeToo-Debatte, Ihr wisst schon? – Sängerin/Gitarristin Heike Marie Rädeker erwarb sich jedenfalls ihre internationalen Meriten mit der deutsch-dänischen Noise-Combo 18th Dye, die in den Neunzigern vor allem in der angloamerikanischen Musiklandschaft einen guten Ruf genoss und zur Tonträger-Produktion von keinem Geringeren als Steve Albini unter die Fittiche genommen wurde, Drummer Frank Neumeier mischte beim schwerst genehmen „Black Axis“-Album des Caspar Brötzmann Massaker mit (noch ein Blutbad, wie passend zu diesem Abend), gemeinsam waren Rädeker und Neumeier vor ungefähr einem Vierteljahrhundert in der Berliner Krach-Kapelle Wuhling involviert, nicht die schlechtesten Referenzen für das gemeinsame Projekt LeVent, das im Vorjahr ein allseits gelobtes, selbstbetiteltes Debüt-Album an den Start brachte, zu dem auch Anton Newcombe ein paar Gitarren-Töne beisteuerte und das zum Trio von der US-amerikanischen Wahl-Berlinerin Maryna Russo am Bass komplettiert wird. Die junge Frau aus den Staaten gab mit ihrem stoischen Anschlag der vier Saiten am Sonntagabend die Richtung vor für das intensive Treiben aus heftigem Gitarren-Noise, erschütterndem Grunger-Mahlstrom und entfesseltem Getrommel, die schneidenden Postpunk-Gitarren-Riffs, die schreienden Feedbacks und das Bass-lastige Poltern drifteten beizeiten in einen psychedelischen, Kraut-lastigen Prog-Flow, was den zu Teilen eindimensionalen Sound Spannungs-fördernd mit differenzierten Nuancen anreicherte.
Bevor jedoch die bunten Bilder und das Outspacen in andere Galaxien zum zentralen Thema mutierten, zog das Trio mit krachendem Getöse die Reißleine, klatschte das Klanggebilde zurück auf den harten Asphalt der Großstadt und wusste damit für eine halbe Stunde im Rahmen des Opener-Gigs durchaus bestens zu unterhalten. Die Band gab sich erst gar nicht den Anschein, das Rad in der lauten Indie-Rockmusik komplett neu erfinden zu wollen und machte damit grundlegend nichts falsch, Heike Marie Rädeker mag zwar dem Vernehmen nach die Vergleiche mit einer gewissen New Yorker No-Wave-/Indie-Noise-Institution nicht mehr hören, es gibt auf dieser Welt beileibe weitaus schlechtere Referenzen, so wie es in einem langen Konzertgänger-Leben auch schon weiß Gott belanglosere Abend-eröffnende Special-Guest-Gigs als den von LeVent am vergangenen Sonntag im Technikum gab.
Im Hauptfilm dann der Anton himself mit seiner kalifornischen Indie-Psychedelic-Institution: Das 1990 in San Francisco aus der Taufe gehobene, nach einem dahingeschiedenen Stones-Gitarristen und einem sektiererischen Massen-Selbstmord benannte Brian Jonestown Massacre mit Newcombe als einzige personelle Konstante ist seit Dekaden eine feste Größe im internationalen Tourbetrieb des alternativen Rock-and-Roll-Zirkus, damit konnte kaum was anbrennen zum Wochenend-Ausklang in Sachen beschallendes Entertainment, zumal dem Kollektiv allerspätestens seit seinem zweieinhalbstündigen Intensivst-Konzert-Marathon vom Spätsommer 2016 im Münchner Strom in dieser Stadt ein Ruf als exzellente Live-Kapelle vorauseilt. Ist dann auch kaum was angebrannt, wenn auch Newcombe an diesem Abend nicht die allerbeste Laune vor sich her trug und im Verlauf des Auftritts unvermittelt ein angespieltes Stück abrupt stoppte, um seinen beiden Gitarristen die unmissverständliche Ansage vor den Latz zu knallen, dass er den seiner Meinung nach falschen und leiernden Saiten-Anschlag zu der Nummer nach etlichen Wochen jetzt gründlich leid sei, die Mitmusiker nahmen’s wie gemaßregelte Schulbuben zur Kenntnis, perplex wie seinerzeit der Tour-Gitarrist von Iggy Pop, als ihm im Rahmen der „American Caesar“-Tour anno 1993 im Münchner Terminal Herr Osterberg nach einem falsch angespielten Intro kurzerhand eine betonierte. Handgreiflich wurde es am Sonntag allenfalls im Deppen-Eck des Auditoriums beim Pogo, der sich zu dieser Musik dann doch als der weithin unpassende Ausdruckstanz gerierte.
Die Setlist des Brian Jonestown Massacre reichte an dem Abend zwar nicht für die legendären 150 Minuten, knapp 2 Stunden waren es dann doch an umfangreicher Werkschau über das stattliche Œuvre der Band, das von ausgewählten Titeln des aktuellen Albums „Something Else“ bis weit zurück in die Neunziger zu Nummern des Debüts „Methodrone“ reichte, Newcombe und Co arbeiteten sich prächtig lärmend und Gitarren-jaulend durch ihren wunderbar melodischen, gespenstischen wie verhallten Desert-Rock-Wüsten-Trips, durch die psychedelischen, mit einem ureigenen Verständnis von Pop-Appeal versehenen Indie-Perlen, den experimentellen Neo-Folk und die BJM-charakteristischen, nebulösen Shoegazer-Herrlichkeiten.
Die Band wurde einmal mehr ihrem aus den Pop-historischen Sixites herübergeretteten Byrds- und 13th-Floor-Elevators-Ideal gerecht, mit krachenden, heulenden und verzerrten Gitarren, eingeflochtener Electronica und viel Hall für die Neuzeit in die richtige Passform gebracht.
Was Bandleader Anton an befremdlicher Maulfaulheit an diesem Abend in seinen knapp bemessenen und sporadischen Ansagen an den Tag legte, unterstrich die Band mit ihrem unnahbaren „Sunglasses After Dark“-Habitus und der damit mitschwingenden Velvet-Underground-Coolness, ein relaxter Stoizismus, der nur noch vom Bühnengebaren des heimlichen Frontmanns der Band getoppt wurde – man kann nur mutmaßen, was sich der altgediente BJM-Congo- und Tambourine-Spieler Joel Gion an beruhigenden Substanzen vor dem jeweiligen konzertanten Arbeitseinsatz einpfeift, und kommt nicht umhin, zum lakonischen Treiben des Mannes und seinem ultra-lässigen Geräusch- und Rhythmus-Geben in ein immerwährendes, breites Dauergrinsen zu verfallen – neben dem Kalifornier könnte wohl eine Atombombe einschlagen oder ein Jonestown-Massaker stattfinden, es würde ihm kaum ein Stirnrunzeln aufs Antlitz treiben.
Zum Abgesang dann gar neun-köpfiges Orchester, die beiden Roadies für die Betreuung des Equipments durften sich zusätzlich zur Stammformation die Stromgitarren umschnallen und in den lautmalerischen Kanon einstimmen, der in einem minutenlangen, rauschhaften Feedback-Drone mündete, quasi die Gemüts-antestende, unkonventionelle Zugabe zur Indiepop-musikalischen Vollbedienung. Etwas lärmendes Experiment findet beim Brian Jonestown Massacre immer seinen Platz, andere Formationen bestreiten mit derlei Gelichter ganze Konzertabende.
Man darf gespannt sein, wie lange das Technikum am ehemaligen Kunstpark-Ost-Gelände noch Konzertabende von erlesener Güte wie den vom vergangenen Sonntag erleben darf, die riesigen Baugruben der Gentrifizierungs-wütigen Investoren rücken immer weiter heran an die Lokalität…
Der letzte Termin der Europa-Tour des Brian Jonestown Massacre in unseren Breitengraden ist am kommenden Montag der 8. Oktober, die Band wird sich im Musikzentrum Hannover die Ehre geben. Niedersachsen, take your protein pill and put your helmet on.