Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
A-Sun Amissa
A-Sun Amissa + BaShBozouki´s @ Glockenbachwerkstatt, München, 2019-10-03
Mit dem Etikett „Psychedelische Kunst der Einheit“ als thematischer Aufhänger war das präsentierte Doppel-Konzert in der Münchner Glockenbachwerkstatt am vergangenen Feiertag des 3. Oktober überschrieben. Während das Gros der hiesigen Nachtschwärmer den nationalen Gedenktag auf dem Oktoberfest begoss – oder vielleicht auch mit reichlich Alkoholika verdrängte – fand sich eine überschaubare Schar an Unbeirrbaren im Saal der „Glocke“ zur experimentellen Beschallung ein. Den Abend eröffnete Konzert-Veranstalter Asmir Šabić aka Chaspa Chaspo himself mit seinem Ein-Mann-Projekt BaShBozouki´s. Der Musiker, den man neben seiner jahrelangen Organisations-Arbeit für zahlreiche exzellente, handverlesene Konzerte im Rahmen des Maj Musical Monday, des Noise Mobility Festivals oder in Einzel-Veranstaltungen in Sachen Postrock-, Electronica- und Jazzrock-Crossover im Stadtteiltreff auch als Kollaborateur von Bands wie Majmoon oder D’Aqui Dub kennt und schätzt, bot für gut 40 Minuten in freier Improvisation einen gelungenen Grenzgang zwischen Tradition und Moderne. Šabić ließ den Flow des elektrisch verstärkten Bouzouki-Sounds und seine sporadischen, klagenden, zu Chören gesampelten Gesänge in Anlehnung an Generationen-übergreifende Balkan-Folklore und uralte Südost-europäische Volksweisen auf den geloopten Beat der Synthie-Maschinen, auf pochende Trance-Drones und abstrakte Industrial- und Techno-Elemente treffen. Der Künstler selbst merkt zu seinem Ansatz der konzeptionellen Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft, aus jahrhundertealten Volksmusik-Traditionen und futuristischer Electronica-Anreicherung an: „Es ist eine Live-Performance, die Geschichten von bewaldeten Bergketten und wilden Flüssen erzählt. Ein musikalisches Crossover von Melodien, Beats, Gedanken, einer Ästhetik, die von Arbeit, der Fremde, der Heimat und von dem Dazwischen berichtet. Es ist die Musik, die uns hält, die uns die Vielfalt der Welt zeigt; geschrieben, um uns zu fangen, um unsere Seelen zu retten“. Ob die ein oder andere Seele an diesem Abend ihre Rettung erfuhr, bleibt bis auf weiteres ungeklärt, Schaden dürfte an dieser in den Bann ziehenden, höchst erbaulichen Klang-Kollage sicher niemand genommen haben. Über eine geglückte oder misslungene deutsche Einheit streiten bis heute Historiker und Politiker in diesem Land, die gelungene Verschmelzung von Alt und Neu in Sachen experimentelle Balkan-Folk-Electronica ließ am vergangenen Donnerstag-Abend hingegen keine zwei Meinungen zu. In dieser oder ähnlicher Form darf Asmir Šabić in Zukunft gerne jede seiner anberaumten Veranstaltungen eröffnen.
Hinsichtlich hypnotischer Wirkung des Sounds wusste der Hauptact der Veranstaltung für die folgenden fünfzig Minuten die Dosierung nochmals um ein Vielfaches zu steigern. Der englische Multimedia-Künstler Richard Knox ist derzeit auf Konzertreise zur Promotion des neuen Albums „For Burdened And Bright Light“ in unseren Breitengraden unterwegs, der Longplayer seines Kollektivs A-Sun Amissa erschien im vergangenen Monat als Co-Produktion des belgischen Labels Consouling Sounds und Knox‘ eigener Indie-Firma Gizeh Records. Der in zahlreichen weiteren Formationen engagierte Multiinstrumentalist arbeitete in der Vergangenheit bereits mit so profilierten Postrock- und Experimental-Musikern wie der bezaubernden Jo Quail oder Oiseaux-Tempete-Mastermind Frédéric D. Oberland zusammen, auf der aktuellen Tournee wird er von seiner Partnerin Claire Knox begleitet. Das Duo entwarf zu den bewegten Schwarz-Weiß-Bildern vom archaischen, immerwährenden Wogen der Meeres-Gezeiten, von Impressionen aus dem Regenwald-Unterholz und von urzeitlichen Höhlen-Lagerfeuern ein dunkel fließendes, Text-freies Klang-Mäandern, das der Eindringlichkeit der wunderschönen Filmbilder einen bedrohlichen, ins Geheimnisvolle driftenden, bedeutungsschwangeren Unterton verlieh und seine Sog-artige Wirkung zur meditativen Kontemplation entfaltete. Knox selbst entlockte den Maschinen-Gerätschaften finstere, experimentelle Doom-, Kraut- und Electronica-Drones, wob handgemachte Klangfarben mit seinen klar angeschlagenen Gitarrenriffs ein und verfeinerte den Sound mit Samplings von analogen Tapes, die er im Verlauf der schwärenden, raumgreifenden und in den Bann ziehenden Symphonie mehrfach von Hand im Kassetten-Deck austauschte. Das tiefe Brummen der atmosphärischen Düsternis verstärkte Claire Knox mit Bogen-bestrichenen E-Bass-Saiten und gespenstischen, durch den Verzerrer abstrahierten, vokalen Lautmalereien. Die Dimension dieser improvisierten Komposition dehnte sie bisweilen mit Hilfe melancholischer Klarinetten-Phrasierungen in Richtung Free- und Dark-Jazz, in dem Kontext fast ein versöhnliches Element zur Minderung der tonalen Schwermut, wie die gegen Ende des Konzerts eingewobenen, pointierten, wenigen Dur-Töne in den Gitarren-Melodien.
Mit dieser intensiven Klang-Erfahrung zwischen abgründiger Schwere und entrückter Schönheit zeigten Richard und Claire Knox im minimalisitischen Duett, dass der Postrock von A-Sun Amissa keine stilistischen Grenzen kennt: wo die herkömmlichen Bands des Genres kaum den Blick über die Soundwände der E-Gitarren-Crescendi wagen oder – im schlimmsten Fall – irgendwann daran zerschellen mögen, sind diese Kreativitäts-einengenden Barrieren für die Klangreisen des Kollektivs aus Manchester keine Limitierung und kaum mehr als eine Spielart unter vielen.
A-Sun Amissa sind in den kommenden Tagen noch zu folgenden Gelegenheiten live zu sehen, highly recommended:
08.10. – Dresden – Zentralwerk
09.10. – Hamburg – FSK-HH
10.10. – Rotterdam – WORM
11.10. – Gent – Herberg Macharius
12.10. – Diepenheim – HANS Festival
05.12. – Sheffield – Record Junkee – w/ Hundred Year Old Man & E-L-R
Reingehört (544): A-Sun Amissa
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich.
(Psalm 23:4)
A-Sun Amissa – For Burdened And Bright Light (2019, Gizeh Records / Consouling Sounds)
Das Kollektiv A-Sun Amissa wurde 2011 vom englischen Multimedia-Künstler Richard Knox in Manchester ins Leben gerufen, Größen wie Amenra-Frontmann Colin H. Van Eeckhout, die wunderbare Experimental-Cellistin Jo Quail, Frédéric D. Oberland von der französischen Ausnahme-Postrock-Band Oiseaux-Tempete oder der kanadische Multiinstrumentalist Aidan Baker haben sich in den vergangenen Jahren sporadisch ins Projekt eingebracht, beileibe nicht die schlechteste Reisegesellschaft für groß angelegte Klang-Expeditionen – und die personelle Fluktuation Garant für permanenten musikalischen Progress.
Auf dem fünften Longplayer entwickelt Richard Knox in DIY-Eigenregie als Komponist, Musiker und Mixer mit Unterstützung von (Gattin?) Claire Knox an der Klarinette und David Armes an der Lap-Steel-Gitarre das Konzept des Vorgängeralbums „Ceremony In The Stillness“ weiter, „For Burdened And Bright Light“ wartet mit zwei jeweils über 20-minütigen Instrumental-Sätzen in sinfonischer Pracht und Komplexität auf. Gedehnte, dunkle Kompositionen, die im unausweichlichen Sog in tonale Schattenwelten hinüberziehen, Sound-Landschaften, die von dichten und schwer ergreifenden Ambient-Passagen und beklemmenden Drones durchdrungen werden, in denen massive Postrock-Gitarren mit Drift zur metallenen Industrial-Kälte als Orientierungshilfe in der Nebel-verhangenen Finsternis dienen. Abstrakte Elektronica, geisternder Hall und knirschende Maschinen-Beats prägen die ätherische Atmosphäre, Reminiszenzen an freien Doom-Jazz, die Strukturen des Post-Metal und die dahinfließenden Endlos-Schliefen der minimalistischen Neo-Klassik durchdringen das orchestrale Werk wie sphärischer Neo-Kraut, eingeflochtene Samplings aus Feld-Aufnahmen und schwermütige Trance-Passagen. Wo Schatten ist, ist auch Licht, und so leuchten diese emotional anrührenden Aufnahmen trotz bedeutungsschwangerer und erhabener Schwergewichts-Melancholie in unfassbarer Schönheit, in einem geheimnisvoll schimmernden Licht, das die Hoffnung auf einen Ausweg aus dem finsteren Tal der bedrängenden Sorgen und mentalen Abgründe am Leben erhält.
„For Burdened And Bright Light“ erscheint am 13. September als Co-Release von Richard Knox‘ Indie-Label Gizeh Records in Manchester und der belgischen Postrock/Experimental-Institution Consouling Sounds in Gent.
(*****)
A-Sun Amissa sind live am 3. Oktober in der Münchner Glockenbachwerkstatt zu sehen, weitere Konzert-Termine auf dem europäischen Festland und der abgespaltenen Insel:
29.08. – Glasgow – Stereo – w/ Nadja
30.08. – Newcastle – Cluny – w/ Nadja
16.09. – London – Corsica Studios – w/ Efrim Menuck & Kevin Doria
17.09. – Manchester – Soup Kitchen – w/ Efrim Menuck & Kevin Doria
01.10. – Brno – Kabinet Muz
02.10. – Wien – Venster99
08.10. – Dresden – Zentralwerk
09.10. – Hamburg – FSK-HH
10.10. – Rotterdam – WORM
11.10. – Gent – Herberg Macharius
12.10. – Diepenheim – HANS Festival
05.12. – Sheffield – Record Junkee – w/ Hundred Year Old Man & E-L-R