Acid Folk

Reingehört (549): Dire Wolves

Dire Wolves – Grow Towards The Light (2019, Beyond Beyond Is Beyond Records)

Es können keine schlechten Menschen sein, die ihre Band nach dem vielleicht besten Song des Grateful-Dead-Klassikers „Workingman’s Dead“ benennen. Dazu weist die Referenz zur kalifornischen Jam-Band-Institution den Weg zur gemeinsamen Bay-Area-Herkunft wie zum Hang zu ausgedehnten musikalischen Improvisationen. Dire Wolves aus San Francisco, seit zehn Jahren als Kollektiv um den Multiinstrumentalisten, ex-Deadhead-Taper und ehemaligen Jackie-O’Motherfucker-Musiker Jeffrey Alexander zugange, streben auf „Grow Towards The Light“ nicht unbedingt in jedem Song dem Licht und den hellen Gedanken entgegen, immer aber zielstrebig und weiter voran driftend in andere Sound-Sphären und entrückte Bewusstseins-Zustände. Mit schlafwandlerischer Stilsicherheit, durchweht von traumhafter Mystik und den lautmalenden, oft Text- und/oder Sinn-freien Beschwörungen von Sängerin Georgia Carbone entwirft die Band eine ureigene Klang-Galaxie in kosmischer Ausdehnung, die einzelnen Planeten in diesem Sonnensystem heißen Acid- und Freak-Folk, psychedelischer Krautrock und experimenteller Free Jazz, umschwirrt werden die korrespondierenden Himmelskörper von losgelösten Düster-Drone- und Trance-Meteoriten in feinster „Dark Star“-Tradition. Zu den Aufnahmen gab es keine kompositorischen Vorgaben oder Song-Entwürfe, die Band widmete sich im Studio dem freien und spontanen Stegreif-Vortrag. Ergebnis höchst gelungen, uplifting und zum „turn on, tune in, drop out“ vollumfänglich geeignet.
„Grow Towards The Light“ ist seit Anfang Juli über Beyond Beyond Is Beyond Records verfügbar, dem Brooklyn-Label mit dem (psychedelischen?) Pilz-Logo.
(*****)

Legale Live-Bootlegs der Dire Wolves bei nyctaper.

Oder vor Ort zum selber mitschneiden im Rahmen der kurzen Europa-Tour im September, unter anderem auch in München:

06.09.Bremen – Golden Shop Festival
07.09.Berlin – West Germany
08.09.Wien – A Berry Feast Festival
09.09.München – Import/Export
11.09.Prag– Underdogs
12.09.Hamburg – Die Schute
13.09.Kopenhagen – Festival Of Endless Gratitude

Werbung

Reingehört (504): Träden

Träden – Träden (2018, Subliminal Sounds)

„Träden, formerly known as Träd Gräs och Stenar in different incarnations, but often just called Träden for short“ merkt die Bandcamp-Seite an. „Bäume, Grass und Steine“, 1969 aus diversen Vorgänger-Bands der schwedischen Progressive-Szene hervorgegangen und mit den Jahrzehnten einiges an personeller Fluktuation durchlaufen, im vergangenen Sommer mit neuem Album und Line-Up am Start. Acht experimentelle Exerzitien im Doppel-LP-Format, etliche davon in ausgedehntem Überfluss die 10-Minuten-Grenze reißend.
Schweres Gitarren-Dräuen und klangmalerische Düsternis, wie sie vor allem aus Großwürfen des alten Neil Young wie „Cortez The Killer“ oder „Down By The River“ vertraut und geschätzt sein mögen, trifft auf die Endlos-Schleifen der Minimal Music, schneidende, drängende Fuzz-Psychedelic, atonale Einfärbungen und stoisches Vorantreiben der Rhythmus-Abteilung, in ausgedehnten instrumentalen Improvisations-Passagen zelebriert. Exoten-Bonus allein schon für die schwedischen Lyrics, die außerhalb Skandinaviens höchstwahrscheinlich kaum ein Elch versteht. Nicht weiter schlimm, die Musik spricht für sich, eine fürwahr mächtige Sprache. Zeitloser Schwergewicht-Progressive-Jam in mäandernder Hypnose-Session zum Abdriften in andere Trance-Sphären und sich dort verlieren, zum Runterkommen und sanften Landen die ein oder andere frei fließende, ins Melancholisch-Nachdenkliche neigende Psychedelic-/Free-Folk-Nummer in der Downtempo-Gangart, der Quartett-Besetzung gelingt ein ausgewogenes Spiel mit den Intensitäts-Graden ganz ohne Absenken der Spannung. Prog-Dröhnen und Transzendenz-Blues für das 21. Jahrhundert und die Klangkulisse für ausgedehnte Mitsommer-Feste inklusive eingepfiffenen Substanzen, die auch im Winter und in völlig nüchternem Zustand – ok, wann ist man im Winter schon nüchtern? – gleichsam wunderbar funktioniert und seine ganze lichternde Pracht in aller Ergiebigkeit und Opulenz entfaltet.
Wären die anderweitig sehr geschätzten Musikanten von Grateful Dead nicht mitunter solche verkifften Saftsäcke mit einer partiell ausgeprägten Vorliebe für ins Nirvana ausfransenden Jazzrock und angelaschtes Country-Folk-Geplätscher an der Schmerzgrenze zur einschläfernden Langeweile gewesen, hätte das endlose Jamming der kalifornischen Cosmic-American-Music-Institution bereits in längst vergangenen Dekaden ähnlichen Drive und Vehemenz entwickeln können wie das drängende Wiederholungsschleifen-Driften der alten Schweden.
Bereits vor etlichen Monden im August 2018 erschienen, und damit hätte der Sound-Trip eigentlich in jede vernünftige 2018er-Bestenliste hineinsystematisiert gehört.
(***** – ***** ½)

Reingehört (262): Tim Buckley

NYC Central Park Strawbery Fields (7)

Tim Buckley – Lady, Give Me Your Key: The Unissued 1967 Solo Acoustic Sessions (2016, Light In The Attic)

Archivmaterial aus zwei Aufnahme-Sitzungen des viel zu früh verstorbenen Folk-Innovators Tim Buckley, eingespielt 1967 im Laurel Canyon im Heim von Buckley-Produzent Jerry Yester und in den Midtown-Studios Manhattan. Tim Buckley pur, seine einzigartige Stimme zur Wandergitarren-Begleitung, der Geist des Sechziger-Jahre-US-Folk, ohne die späteren, Genre-erweiternden, Spannung-steigernden Jazz-Rock-Beigaben, die psychedelische Pracht und den Acid Folk folgender Jahre bereits andeutend.
Entstanden/eingespielt in Vorbereitung zum herausragenden zweiten Buckley-Album „Goodbye And Hello“ (1967, Elektra).
Ein gefälliger Gitarrenanschlag und intensiver, opulenter Sanges-Vortrag zwischen stürmischer Euphorie, klagender Verzweiflung und gesetzter Balladen-Ergriffenheit, zwischen traditionellem English Folk, Folk-Blues und frei fließender Form zeigen Tim Buckley auch als Solomusiker auf der Höhe seiner Kunst. „Six Face“, „Contact“, „Marigold“ und „She’s Back Again“ gibt es nur hier, „Once Upon A Time“ und „Lady, Give Me Your Key“ wurden später mit Band im Psychedelic-Folk-Rock-Gewand neu eingespielt, ein Teil der dokumentierten Rohentwürfe fand sich naheliegend später in ausgereifter Form auf „Goodbye And Hello“ wieder.
Buckley war zum Zeitpunkt der Aufnahmen gerade mal 20 Jahre alt, sein Können zeugt von uraltem Verständnis für die Strömungen der amerikanischen Folk-Tradition.
Dargereicht in nostalgisch angestaubtem, aber jederzeit gut hörbarem Sound, produziert vom Heyday-Labelgründer, Mushroom-Bandgründer und Musikjournalisten Pat Thomas, der älteren Spex-Lesern eventuell als Kompilierer des äußerst gelungenen Spex-Neofolk-Samplers „Hit Me With A Flower. New Sounds Of San Francisco“ (1993, Normal Records) bekannt sein könnte.
(**** ½)