American Primitive Guitar

Reingehört (552): Zwinkelman

OK, Zugabe, einen hab ich noch, dann ist aber tatsächlich erst mal Sendepause auf diesem Kanal. Wenn man selbst vor Monaten den Pressetext zur Veröffentlichung formuliert hat, kann man’s auch auf der eigenen Seite posten, zum Schaden der Musikanten soll es ja nicht sein.

The other side of Postrock. Alles anders. Keine aufgetürmten Soundwände, nirgends. Keine Lautmalereien, keine krachenden Dissonanzen, kein Spiel mit an- und abschwellender Intensität und tonaler Wucht. Und vor allem: keine Austauschbarkeit und keine ausgetretenen Pfade. Das tonale Abbild der Zerrissenheit und Widersprüche des Lebens sucht man hier vergebens, Gottlob, möchte man ergriffen und auf das Angenehmste angerührt in die stille Andacht rufen. Trotzdem: Postrock. Mit anderen Mitteln. Die beiden Münchner Musiker Josip Pavlov und Dominik Lutter vom Akustik-Gitarren-Duo Zwinkelman beschreiten in der Gesangs-freien Welt des alternativen Progressive-Sounds neue Wege und tummeln sich damit in den Stammes-Revieren der American Primitive Guitar, der Chicago-Schule und den unkonventionellen Klang-Exerzitien des kammermusikalischen Free Folk – nichts könnte den redundanten Stromgitarren-Crescendi ferner liegen, mit denen die Echokammern des landläufig bekannten und etablierten Indie-Postrock seit längerem inflationär geflutet werden.
Multiinstrumentalist Josip Pavlov, der zu anderen Gelegenheiten auch technisch vertrackter und elektronisch verstärkt in permanenter Weiterentwicklung seines Klang-Kosmos unterwegs ist, mit Gitarren-Treatments, Loops und Samples, in seinem solistischen Alter Ego Ippio Payo oder zusammen mit der Band Majmoon, und sein kongenialer Duett-Partner Dominik Lutter vom eigenwillig freigeistigen Experimental-Folk-Outfit Domhans brauchen bei ihrem gemeinsamen Projekt Zwinkelman nicht viel an Equipment: zwei offen gestimmte Akustik-Gitarren, ein paar Stühle und ein wenig Raum für das Zusammenspiel – Kammer-Postrock, der – wie zu ausgewählten Gelegenheiten live demonstriert – auch auf kleinen Bühnen ohne Lautsprecher seine hypnotische Wirkung entfaltet – man muss nur aufmerksam zuhören, die Belohnung dafür folgt auf dem Fuße.
Zwinkelman-Musik ist klar strukturierter Flow, dem alles akademisch Konstruierte fremd ist, ein organischer, steter und ruhiger Fluss, vielleicht als warmer Sommerregen zur klärenden Reinigung der überhitzten Atmosphäre. Ein Fluss, der ab und an die Taktzahl wechselt, den polyrhythmischen Anschlag oder das Ineinander-greifen des melodischen Saiten-Zupfens der beiden Musiker. Innwendige Versenkung in meditativen Kleinoden, denen es trotz kontemplativer Trance-Introvertiertheit nicht an Spannung und überraschenden Elementen fehlt, beispielhaft mit dezenter, perkussiver Electronica-Beigabe als hinterkünftiges Ticken der Uhr im „Zeitgeberblues“ oder im spontan erratischen, disharmonischen Traktieren der Gitarre in der Schluss-Nummer „Bieg ab“.
Nach der Single „Hallo Lullu/GoldWert“ vom Sommer 2017 die erste Volle-Länge-Produktion von Zwinkelman, schlicht mit dem Band-Namen als Titel, ab Mitte Januar 2020 wieder beim Münchner Indie-Label Echokammer.
Tun Sie Ihrem seelischen Wohlbefinden in diesen hektischen Zeiten und den vom Alltags-Lärm traktierten Gehörgängen was Gutes, gehen Sie zum Musikalien-Händler Ihres Vertrauens und beginnen Sie das neue musikalische Jahr in denkbar entspannter Manier.
(*****)

Tonträger-Veröffentlichung am 16. Januar 2020, Release-Konzert am selben Abend wird am 13. Februar im KAP37 nachgeholt, München, Kapuzinerstraße 37. 20.00 Uhr.

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Reingehört (512): William Tyler

William Tyler – Goes West (2019, Merge Records)

Nächster Schritt in Richtung solistische Etablierung: Der amerikanische Ausnahmegitarrist William Tyler wird im Line-Up seiner langjährigen Stammformation Lambchop mittlerweile als „Ex“ gelistet, bereits 2016 arbeitete er vorzugsweise am eigenen, grandiosen Instrumental-Werk „Modern Country“ und tauchte im selben Jahr weder in der Besetzungsliste zum gleichfalls nicht zu verachtenden Alternative-Country-/Electronica-Hybrid „FLOTUS“ noch im Reise-Tross zur konzertanten Promotion des Albums seiner ehemaligen Weggefährten um Wagner-Kurtl und Co auf, irgendwann in jenen Tagen müssen sich die Wege von Tyler und Lambchop getrennt haben.
Auf seinem Wurf vor zweieinhalb Jahren glänzte der Musiker aus Nashville/Tennessee mit einem Mix aus Ambient, Akustik-Folk und Country-Experimenten, der neben brillanten Gitarren-Meditationen vor allem durch seine glasklare Reinheit bestach, an diesem Ansatz knüpft er jetzt mit seiner jüngsten Veröffentlichung in voller Band-Montur nahtlos an und gibt ihm eine dezent neue Richtung.
Auf „Goes West“ präsentiert sich Tyler als versierter Vertreter einer zeitgemäßen Spielart der American Primitive Guitar, in der er mit ruhiger Hand, quasi mit links, eine Vielzahl an folkloristischen Elementen aus unterschiedlichsten Ecken dieser Erde einfängt und mit seiner Interpretation von instrumentaler Country-Musik und tiefenentspannter Americana in Verbindung bringt. Tyler ist ein Meister der filigranen, einfachen und unaufgeregten Strukturen, einer, der mit seinem exorbitanten Können nicht hausieren gehen muss, weil es für jeden Menschen mit halbwegs funktionierenden Gehörgängen in jedem Ton evident ist. Die technische Finesse ist das eine, ohne Seele bleibt das letztendlich immer nur antrainierter Sport, William Tyler musste sich über derart Eindimensionales hingegen noch nie den Kopf zerbrechen, heute nicht anders als in vergangenen Zeiten kommt in den aktuellen Arbeiten einmal mehr sein Talent für griffige, anrührende Melodien zum Tragen. Trotz sparsamer Tempi-Wechsel und unkomplizierter Kompositionen trägt das Konzept über die volle Distanz.
Bill Frisell, ein weiterer hochverehrter Großmeister der sechs Saiten, steuert seine elektrischen Gitarren-Tunes auf der finalen Nummer „Our Lady Of The Desert“ bei, hier haben sich wahrlich zwei herausragende Vertreter ihrer Zunft in segensreicher Mission zusammengetan.
Vielleicht ist diese Welt nicht mehr zu retten, immerhin wird sie durch Ohrenschmeichler und Seelenmassagen, wie sie auf „Goes West“ zuhauf zu finden sind, etwas erträglicher. Seit Ende Januar als Naturheil-Präparat in analogen und digitalen Formaten beim Sound-Pharmazeuten Ihres Vertrauens vorrätig.
(*****)

Reingehört (427): Elkhorn

Elkhorn – The Black River (2017, Debacle Records)

Aus der Abteilung „Im Vorjahr unverzeihlich links liegen gelassen“: Die in New York ansässigen Herrschaften Jesse Sheppard und Drew Gardner an zwölf-saitiger beziehungsweise elektrischer Gitarre mit dem Debüt-Album der gemeinsamen Duo-Kollaboration Elkhorn. Sieben ausladende Instrumental-Arbeiten, in denen sich die beiden Musiker in ihrer Saiten-Kunst aufeinander zubewegen, ein Stück des Weges gemeinsam gehen, dann wieder in ihren jeweiligen Klang-Entwürfen auseinanderdriften und auf unterschiedlichen Ebenen Kontrapunkt zum Spiel des Duett-Partners setzen oder Echo geben im Nachhall zum führenden Anschlag des Mitmusikanten, und damit die Spannkraft der gedehnten Exerzitien auf einem hohen Level halten.
Die beiden US-Ostküsten-Tonkünstler pflegen auf „The Black River“ eine exzellent austarierte Balance zwischen elektrisch verstärkter und akustischer Tonkunst, die sich im steten Flow, mitunter im psychedelischen Free-Folk, an freien Blues-/Jazz-Phrasierungen und Motiven des indischen Raga anlehnt, Urahnen der American Primitive Guitar wie John Fahey, Robbie Basho, Leo Kottke oder deren Erben im Geiste, circa die Ober-Liga James Blackshaw, William Tyler, Bill Orcutt gleichsam Tribut zollt und einen freigeistigeren, filigraneren Ansatz von Post-Rock mit einer Prise Kraut und experimenteller Raffinesse präsentiert, losgelöst und befreit von aller Schwere und technisch verstärkter Lautmalerei, so wie ihn die Münchner Musiker Josip Pavlov und Dominik Lutter derzeit auch mit ihrem Duo Zwinkelman eindrücklich darbieten.
(Rock-)Musik, die ohne Bass und Trommel vorlieb nimmt, im staubtrockenen Hitze-Flirren der imaginären Prärie in versiertem Improvisations-Modus feines Finger-Picking auf schroff verzerrte Stromgitarren inklusive Wah-Wah-Effekte und Pedal-Zauberei treffen lässt und damit vor allem den Geist beschwingt und die Gedanken tanzen lässt.
(*****)

Reingehört (398): Hayden Pedigo

„Amarillo is one of the strangest cities on the face of the earth and one of the flattest places you will probably ever find. I remember hearing Terry Allen’s song “Amarillo Highway” as a teenager and laughing at how well it described this place.“
(Hayden Pedigo)

Hayden Pedigo – Greetings From Amarillo (2017, Driftless Recordings)

Hayden Perdigo ist nach eigenen Worten als Sohn eines Baptisten-Predigers in der texanischen Prärie „in the middle of nowhere“ aufgewachsen, dort, wo sich Präriehund und Klapperschlange eine gute Nacht wünschen und nach Sonnenuntergang nicht mal hochklappbare Bürgersteige zur Untermalung der Tristesse verfügbar sind, blieb dem jungen Mann zwecks selbstbespaßendem Entertainment nicht viel anderes als Platten-Hören und Gitarren-Üben, das war im Fall von Hayden Perdigo gewiss nicht der schlechteste Zeitvertreib, im zarten Alter von 14 ist er dann auch noch über John Fahey, den Fingerpicking-Virtuosen und Begründer des minimalistischen „American Primitive Guitar“-Stils gestolpert, ein prägendes Hörerlebnis, dass ihn neben schwerem Beeindrucktsein weiter führte zu Virtuosen des Genres wie den großartigen Robbie Basho und in die wundersame Welt des experimentellen Krautrock.
Unüberhörbar ist diesen Einflüssen auf „Greetings From Amarillo“ nachzuspüren, dem im Sommer erschienenen aktuellen Album des 12-String-Gitarren-Könners, das die karge Schönheit der texanischen Landschaft einfängt in klar strukturierten, filigran vorgetragenen und völlig entschleunigten, instrumental-solistischen Akustik-Saiten-Meditationen im freien Americana-Fluss, dominiert von simpler wie einnehmender Melodik und entspannten Anlehnungen an gefällige Indie-Rock-/Folk-Phrasierungen, die in der Form auch Musiker-Kollegen wie Steve Gunn oder Chris Forsyth zur Ehre gereicht hätten, ergänzt durch abstrakte New-Age-Drones und kosmisch-krautige Ambient-Electronica aus der Synthie-Bastelstube.
Mit 23 Lenzen ist Hayden Perdigo auch hinsichtlich handwerklichem Können beim Musizieren bereits in Sphären unterwegs, von denen manch altgediente Kämpen nur träumen können. Respekt. Auch dafür, dass er für sein 2014er-Album „Five Steps“ ausgewiesene Experimental-Könner wie Charles Hayward, Fred Frith und Chuck Johnson zur Unterstützung gewinnen konnte.
Füße hochlegen, der akustischen Postkarte „Greetings From Amarillo“ lauschen, den vorweihnachtlichen Overkill den anderen überlassen – könnte helfen…
(*****)