Ampere

Low + Daniel Blumberg @ Ampere, München, 2018-06-25

Intensives Indie-Doppelpack mit zwei Emotional-Weltmeistern zum Wochen-Start im gut gefüllten Münchner Ampere, einmal solo, einmal in klassischer Trio-Besetzung: Bevor Alan Sparhawk und die Seinen die Bühne des Muffathallen-Clubs bespielten, bot der Londoner Kunst-Zeichner, Songwriter und ex-Yuck-Musiker Daniel Blumberg ein komplexes halbstündiges Eröffnungsprogramm und erntete damit alles andere als ungeteilte Zustimmung für seine Tondichtungen, die sich konzeptionell phasenweise wie Dylan-does-Metal-Machine-Music gerierten. Der junge Engländer startete relativ konventionell mit wunderschöner Singstimme, die sich irgendwo im ausgeprägten Tenor zwischen Musikanten-Kollegen wie Neil Young, Doug Martsch oder Sid Hillman (kennt den noch wer?) verorten lässt, und die in leidender Verfassung im tonalen Seelen-Strip die innere Zerrissenheit und Seelenpein des von diversen Dämonen heimgesuchten Künstlers nach außen zu kehren trachtete, begleitet von Folk-konformem Bluesharp-Gebläse und gefälligem Saiten-Anschlag in Moll, den Blumberg als tragfähiges Grundgerüst loopte für seine sporadisch eingeworfenen, extravaganten, keinen Noten oder gängigen Riffs/Akkorden mehr folgenden Gitarren-Experimente – erratische Fingerübungen, die das klassische Indie-Folk-Gerüst mittels No Wave und avantgardistischer Freiform-Improvisation zerhackten und bereits das Eröffnungsstück „Madder“ zu einer Vortragsdauer von über zwanzig Minuten dehnten. Die beiden weiteren Stücke – eines davon das sich in immer gleichen und endlos erscheinenden Vokal-Schleifen ergehende „Minus“, dem Titelsong seines jüngst bei Mute Records erschienenen Debüt-Albums unter eigenem Namen – kamen in deutlich gängigerem Song-Format auf den Punkt – oder für den ein oder anderen Zuhörer eben auch nicht, das gefangen nehmende, emotional anrührende Vortragen des britischen Musikers hatte für so manchen zu wenig an sich entwickelnden Geschichten und kompositorischem Fortgang zu bieten, ließ man sich jedoch ein auf das Trance-artige Gebetsmühlen-Lamentieren, gab es nicht zu knapp an bereichernden Entdeckungen in diesem angeschrägten Spannungsfeld zwischen karger, einnehmender, entschleunigter Folk-Melodik, individuellem LoFi/DIY-Ethos und nervöser Outsider-Weirdness.
Der Großteil der Zuhörerschaft wusste das experimentelle Anti-Folk-Klagen durchaus zu schätzen und so gab’s den langanhaltenden, verdienten Applaus, in dem bei so manchem durchaus der Wunsch nach Zugabe mitschwang.

Alan Sparhawk hat uns beim letztjährigen Raut-Oak-Fest mit seinem Seitenprojekt The Black-Eyed Snakes ordentlich Feuer unter dem Allerwertesten mit intensivstem Blues-/Trash-/Garagen-Rock gegeben, für dieses Jahr stand die kurze Konzertreise im alten Europa mit Gattin/Drummerin Mimi Parker, Basser Steve Garrington und somit seiner Stammformation Low auf dem Programm, dankenswerter Weise verschlug es das Trio aus der Dylan-Heimat Duluth/Minnesota nach arbeitsfreiem Sonntag – das Paar Sparhawk/Parker praktiziert bekanntlich den Mormonen-Glauben des Latter Day Saint Movements – in das bereits für die Band bestens vertraute Münchner Ampere nebst nur zwei weiteren bundesrepublikanischen Terminen in Duisburg und Dresden (am 8. und 9. Oktober dann nochmal zwei weitere Konzerte in Leipzig bzw. Berlin, bei der Gelegenheit den Ortsansässigen schwerst ans Herz gelegt).
Sparhawk und Co. hatten das Material des im September erscheinenden neuen Low-Tonträgers „Double Negative“ im Gepäck, die bereits vorab über diverse Streaming-Dienste bereitgestellten drei Titel „Quorum“, „Fly“ und „Dance And Fire“ waren neben einer Handvoll weiterer noch unveröffentlichter Arbeiten in den Live-Versionen weitaus weniger von Trance-hafter Indie-Electronica durchwirkt, dadurch aber umso zupackender und intensiver, wesentlich direkter auf den Punkt gebracht und als griffige Songs konzipiert, wie so viele der an diesem Abend präsentierten Nummern von „No Comprende“ über „Holy Ghost“ bis „Silver Rider“ auch, die bei Low in der Tonkonserve gerne und oft im völlig tiefenentspannten Slowcore, Shoegaze-Dream-Pop und Ambient-Indie an der Grenze zum völlig entrückten Stillstand mäandern, im konzertanten Gewand jedoch mit schrofferem Saiten-Anschlag auf der Danelectro-Gitarre mit permanentem Hang zum latenten Krachen, Nach-Hallen und drohendem Überdehnen in dissonantes Feedback, Pedal-Verzerrungen des virtuosen Bass-Spiels und stoischem Rudimentär-Trommeln ohne Hi-Hat weitaus mehr Drive, Intensität und rundum beglückende Indie-Rock-Magie verbreiteten.
Low boten neben den zu erwartenden, Tempo-reduzierten, von Vokal-Harmonien durchwehten Songperlen, minimalistisch arrangierten Wund- und Wehklage-Balladen und beseelten, hymnischen Indie-Pop-Elegien in geradezu gespenstischer, traumwandlerischer, sakraler Versunkenheit wiederholt eingestreute und dominierende, schwerst bereichernde Vehemenz-Exerzitien in Richtung emotionaler Noise-Ausbruch, introvertiertes wie gleichsam kraftvoll zupackendes Postrocken und einer gehaltvollen, euphorischen Indie/Alternative-Spielart, wie sie heutzutage viel zu selten von den Club-Bühnen dieser Welt schallt, gefangen nehmend und zeitlos wie der Downbeat-Surf-Pop vom Frühwerk „Sea“, das die Band als Westcoast-Ausgabe der ewigen Kult-Helden von Velvet Underground an kalifornischen Gestaden auftreten lässt.
Zum Auftakt des Zugabenblocks spielte das Publikum den Musikern zurufend Wunschkonzert, „(That’s How You Sing) Amazing Grace“ vom 2002er-Album „Trust“ machte das Rennen, das verzückte Konzertgänger-Volk trällerte Text-sicher und beseelt mit, frenetischer Applaus Ehrensache.
Der Merchandising-Stand hielt als Give-Away-Souvenir für jeden Gast ein schwarzes Pappe-Stück zum Bewerben des kommenden Tonträgers parat, ausgestattet mit zwei großen Löchern zum Durchschauen lässt sich das gute Teil beim nächsten Banküberfall wie in der Prunksitzung der kommenden Faschings-Saison Identitäts-verschleiernd einsetzen, nette Idee, mal was anderes nebst herkömmlichem CDs- und T-Shirts-Heimschleppen nach dem Konzert…
Wo immer sich die Gelegenheit ergibt: do yourself a favour, gehen Sie auf ein Low-Konzert, seien Sie glücklich, genießen Sie die Musik und vergessen Sie für 90 Minuten den Fußball-Video-Beweis, den unsäglichen Wahlkampf im schönen Bayernland, die Diktatur in der Türkei und den ganzen anderen Scheißdreck.

Lee Fields & The Expressions @ Ampere, München, 2017-01-19

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Lee Fields, the „Little JB“: Arte/Tracks hat ihn vor kurzem in einem TV-Beitrag gewürdigt, Blogger-Freund Stefan Haase hat ihn in der ersten Ausgabe der „Soul Family Tree“-Serie vorgestellt, der treue Konzertbegleiter Anton hat die Diskussion über den angedachten Konzerttermin mit einem beherzten „Soul muss auch mal wieder sein!“ entscheidungsfreudig in die richtige Direktion gelenkt, insofern: Pflichttermin Hilfsausdruck, um mal wieder den guten Wolf Haas zu bemühen.
Der kleine James Brown – was das Energiebündel aus North Carolina am vergangenen Donnerstag an Bühnenpräsenz, Vokalkunst und purer Live-Energie auf den Brettern des Münchner Ampere präsentierte, muss die Vergleiche mit den großen Legenden des Soul-Genres in keinem Fall scheuen, der seit 1969 im Musik-Business aktive Lee Fields hielt sich mit seiner Interpretation des zupackenden Soul/R&B nicht groß bei Balladen-haftem Schmalz auf, einem Dampfkessel gleich, der permanent zu bersten droht, steigerte sich der geborene Entertainer in einen Rausch aus beseelter Soul-Predigt, abgrundtief aus Herz und Bauch kommendem Blues und energiegeladenen Tanz-Moves, in denen dem 65-jährigen manch Junger nicht das Wasser reichen kann, dabei hatte Fields den ausverkauften Saal des Ampere von Beginn an im zupackenden Griff, wie es nur den ganz großen Unterhaltungskünstlern dieser Welt beschieden ist.
Das Entladen des Drucks war von Minute zu Minute mehr spürbar, dabei wurde der Vulkanausbruch des Kraftpakets getragen von einer erstklassig eingespielten Band, der wuchtige Bass mit seinen schweren Funk-Grooves bildete die Klammer für die druckvolle Trommel, den tiefen Klang der New-Orleans-Orgel, die virtuosen Gitarren-Blues-Licks und die wunderbar auf den Punkt gespielten, beseelten Bläsersätze der Expressions, einer Band, die in der Wesensart eines uralten, gut geölten, verlässlichen Motors die perfekte Balance hielt zwischen grundsolider Perfektion und tief empfundener Adaption der Ecken und Kanten, des Schmerzes und der Freuden des Soul – und nicht zuletzt eine versierte Combo, die das Konzert über die einen Tick zu häufig auftretenden Untiefen der Mitsing- und Clap-Your-Hands-Passagen zu geleiten wusste.
Das schwer euphorisierte, in einem derartig entrückten Zustand lange nicht mehr erlebte Publikum mochte Lee Fields und seiner Band die kurze Konzertdauer von 75 Minuten verzeihen, speziell der vor Energie geradezu berstende Frontmann hat in dieser Zeit nicht weniger als alles gegeben und damit den ausverkauften Saal in dieser eiskalten Münchner Winternacht in einen dampfenden, kochenden, explodierenden Südstaaten-Kessel verwandelt. Praise & Respect.
(*****)

Lee Fields und seine Band hauen während ihrer Europatournee in unseren Landen zu folgenden Gelegenheiten noch einen raus, wer an ein Ticket rankommt, sollte sich das auf keinen Fall entgehen lassen:

23.01.Düsseldorf – Zakk
24.01.Berlin – Columbiatheater
25.01.Hamburg – Mojo