Backstage Werk

Sunn O))) + Caspar Brötzmann @ Backstage, München, 2019-10-07

Dekonstruktion der Harmonien, Zersetzung der gängigen Songstrukturen und das Infrage stellen jeglicher Melodik in zwei experimentellen und vehementen Ansätzen zum Wochenstart in der großen Werk-Halle des Münchner Backstage. Den ersten Akt der lärmenden Klang-Erschütterungen bespielte der Wahl-Berliner Caspar Brötzmann, wer eine wie zu früheren Gelegenheiten zelebrierte, wuchtige Noise-Rock-Eruption in der Powertrio-Besetzung des Caspar Brötzmann Massaker erwartete, sollte sich am Montagabend ge- und bisweilen auch enttäuscht sehen. Statt seine jaulende Fender-Gitarre zu traktieren, angetrieben von massiv polternder Bass/Drums-Begleitung seiner früheren Mitmusiker, irgendwo zwischen ausgelebten, avantgardistisch improvisierten No-Wave/Krach-Phantasien und dem Transport wie der Fortschreibung des Hendrix’schen Genius, gab sich Brötzmann für dieses Mal solistisch die Ehre. Ohne Stromgitarre, mit einem elektrischen Sandberg-Bass, lotete der Musiker die Möglichkeiten der vier Saiten zur dissonanten Klang-Kollage aus, unter dem thematischen Aufhänger seines neuen Ein-Mann-Projekts Bass Totem, benannt nach einer Nummer vom 1992er-Album „Der Abend der schwarzen Folklore“ seiner ehemaligen Band. „Ich spiele aber nicht ganz normal Bass, das ist mir zu langweilig. Der Bass ist für mich eher wie eine Gitarre mit tiefer tönenden Saiten. Damit kann ich tolle Sachen machen“, äußerte sich Brötzmann im vergangenen Sommer in einem Interview mit der Berliner taz. Tolle Sachen hat er tatsächlich gemacht, virtuos und experimentierfreudig im forschenden Geist, mit schwer dröhnenden Sounds, erschüttenden Verzerrungen, verstörenden Feedbacks, in unkonventionellen Saitenanschlägen, mit Hämmern der Fäuste auf Gitarren-Hals und -Kopf. Das erratische Lärmen, Brummen und Rückkoppeln im freigeistigen Fluss zieht naheliegend seine Einflüsse aus dem charakteristischen, energischen Saxophon-Spiel seines Altvorderen Peter Brötzmann, der seit einem halben Jahrhundert unkonventionell „brötzenden“, international renommierten Gallionsfigur des deutschen Free Jazz, wie aus dem harten, psychedelischen Rock der Gitarristen-Helden der Siebziger Jahre, die Caspar Brötzmann beizeiten mit dem Einsatz von aufjaulenden Wah-Wah-Pedals zitierte. Nicht jeder mochte die Tragfähigkeit dieses rumorenden, in tiefen Dröhnungen, intensiv scheppernden Solo-Konzepts über die vollen 40 Minuten zugestehen, etliches an Phrasierungen fand keinen Ausweg aus der Wiederholungsschleife, wer damit im Vorprogramm bereits seine Probleme hatte, sollte beim monotonen Endlos-Flow des Hauptacts kaum Linderung erfahren.
Diejenigen, die das voluminösere Orkan-Wüten des Massakers an diesem Abend vermissten, können sich alternativ an den wiederveröffentlichten Longplayer-Perlen von Brötzmann und seiner Band wie „Black Axis“ oder „The Tribe“ schadlos halten, die Alben sind als remasterte Versionen kürzlich beim amerikanischen Experimental-Metal-Label Southern Lord der beiden Sunn-O)))-Gitarristen Greg Anderson und Stephen O’Malley erschienen, und damit war klar, warum sich der deutsche Ausnahmegitarrist aus Wuppertal als Begleiter für die Tour der US-Drone-Metal-Institution aus Seattle/Washington in hiesigen Landen förmlich aufdrängte.

Die Veranstalter des Münchner Feierwerks verlegten den Auftritt von Sunn O))) im Rahmen der aktuellen Tour in die geräumigeren Örtlichkeiten des Backstage-Areals, nachdem beim letzten rituellen Klangrausch im Herbst 2016 die Halle des Hansa39 hinsichtlich Besucherandrang aus allen Nähten platzte. Durch mehr räumlichen Komfort hielten sich die klaustrophobischen Anwandlungen in der obligatorisch dichten, die Sicht komplett verhüllenden Trockeneis-Suppe zu Beginn des Konzerts etwas in Grenzen – zum erwarteten, vollumfänglichen Angriff auf nahezu alle Sinnesorgane und die Physis als solche geriet die über 90-minütige Wall-Of-Sound-Erschütterung unter dem Motto „Let There Be Drone“ im mystischen Nebel trotzdem einmal mehr.
Spürbare Vibrationen im Vollkörper-Kontakt, unfassbare, berstene Lärm-Erschütterungen im Zeitlupen-Tempo, die das Hörvermögen trotz Ear-Plugs auch Tage später nicht verzeiht, bei gleichzeitiger Kontemplation und meditativer Versenkung in den dröhnenden Klangwellen, damit sieht sich das Konzertvolk gemeinhin konfrontiert, sollte es sich den rituellen Exerzitien der experimentellen Metal-Formation um die beiden Drone-Doom-Größen Greg Anderson und Stephen O’Malley hingeben. Wie stets einheitlich in mittelalterliche Kutten gewandet, geriet der diesjährige Auftritt der Musiker von Sunn O))) zur rein instrumentalen Aufführung, der gelegentlich bei Konzerten begleitende Sänger Attila Csihar war heuer nicht zu Gast.
Stephen O’Malley erging sich im steten Flow über eineinhalb Stunden in zähen, an der Nähe zur Unkenntlichkeit deformierten, dunkel schwärenden Gitarrenriffs, die weder Melodie noch Rhyhtmus erkennen ließen, „Musik“ in völligen Auflösung von Grenzen und Strukturen, seine an berstende Dämme und in sich zusammenfallende Mauern erinnernden Neudefinitionen von atonaler Langsamkeit begleitete Greg Anderson kongenial an seiner Gibson in gleicher Tempo-Reduzierung nahe am Stillstand in gedehnter Feedback-Aussteuerung. Weder auf Tonträgern der Band noch in der konzertanten Katharsis sind konventionelle Songs auch nur annähernd zu erkennen, der Sound der beschwörend gestikulierenden Drone-Mönche ist ein gründlich zermürbender Mahlstrom, eine einzige und vor allem einzigartige Herausforderung an die Hörgewohnheiten, die Negierung von allem, was in der herkömmlichen Rockmusik als konventioneller Standard gilt. Pausen und Tempi-Wechsel gibt es nicht in dieser gedehnten Grenzerfahrung für Leib und Seele, tiefes Bass-Brummen und diverse Ambient-Abtraktionen aus Moog und anderen Synthie-Gerätschaften verleihen dem schwergewichtigen, minimalistischen Gitarren-Mäandern lediglich mehr Volumen, lassen aber keineswegs weitere virtuose Blumen blühen. Die atonale Trance-Erschütterung erfährt erst gegen Ende des Konzerts einen Funken Farbe und Varianz durch gepflegten, gedehnten Doom-Jazz aus der Posaune, der sich – einem jüngsten Gericht gleich – in der finalen Sound-Apokalypse im weißen Rauschen und in übersteuerten Feedbacks auflöst.
Konzert-Enden bergen bei Sunn O))) vor allem etwas von Erlösung in sich, wo zu anderen Gelegenheiten nach Zugaben verlangt wird, hatten die am Montag zusätzlich angehängten zehn Minuten kaum Mehrwert, der reguläre Set reichte beim Publikum völlig zur Erschütterung der mentalen Grundfeste. Dreingabe wird es in diesem Jahr nach der im Frühjahr erschienenen LP „Life Metal“ und der laufenden Tour noch eine weitere geben, mit der zweiten 2019er-Veröffentlichung der Band, das Album „Pyroclasts“ ist für den 25. Oktober angekündigt.

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Rose Tattoo @ Backstage free & easy, München, 2019-07-25

Schweißtreibender Rock’n’Roll-Spaß am Donnerstag Abend in der Sauna-Landschaft des vollbepackten Münchner Backstage-Werks: Die australische Hardrock-Legende Rose Tattoo war im Rahmen des „Free & Easy“-Festivals als prominenter Headliner zu Gast in München. Trotz tropischer Temperaturen, die weit mehr nach Biergarten, Liegewiese im öffentlichen Bad oder Isar-Chillen schrien, folgte die Schar der altgedienten Hard-und-Heavy-Gemeinde dem Aufruf zum Freispiel bereitwillig, für lau hat da sicher als schlagendes Argument pro Indoor-Veranstaltung beim ein oder anderen Besucher gezogen.
Die Epigonen-Sets zum Thema „70er-Heavy-Rock“ der Abend-eröffnenden Raygun Rebels aus Bad Aibling und ihrer geistesverwandten Schwestern vom Stockholmer Damen-Quartett Thundermother gerieten wie so vieles im Leben zur reinen Geschmackssache, die wahlweise den Zweck der Publikums-Animation erfüllte oder die umgehende Flucht aus dem Saal befeuerte, in jedem Fall unzweifelhaft den qualitativen Unterschied zu den Originalen vor Augen führte, die mit den in Würde gealterten Herrschaften von Rose Tattoo den Hauptteil der Veranstaltung bestritten.
Böse Zungen und wahre Kenner behaupten bis heute, das selbstbetitelte 1978er-Debüt der Band wäre die beste AC/DC-Scheibe, die Angus und Co. nie selbst zuwege gebracht hätten, mit dem scharfen Slide-Gitarren-Spiel von Rose-Tattoo-Gründer Peter Wells im harten Blues-Rock-Format war man damals stilistisch tatsächlich nur einen Steinwurf von frühen, allseits bekannten Gassenhauern wie „High Voltage“, „T.N.T.“ oder „The Jack“ entfernt, und mit dem Produzenten-Duo Vanda & Young wurde die Combo aus Sydney zu der Zeit vom selben Team im Studio betreut wie die berühmteren Nachbarn von AC/DC.
Vom Line-Up des ersten Rose-Tattoo-Albums ist dieser Tage nur noch Sänger Angry Anderson am Start, fast alle Begleiter der Original-Besetzung sind mittlerweile den Weg alles Irdischen in die ewigen Jagdgründe gegangen, viele Umbesetzungen und etliche Auszeiten folgten im Laufe der vergangenen Jahrzehnte, mit dem früheren AC/DC-Bassisten Mark Evans hat man seit 2017 immerhin einen weiteren prominenten Vertreter des australischen Hard/Blues-Rock in der aktuellen Formation an Bord, so schließt sich der Kreis.
Rose Tattoo kennen offensichtlich ihre Stärken genau, und so drängte sich förmlich auf, dass sich in der Setlist des überhitzten Auftritts fast alle Kracher des ersten Longplayers finden, der Hit „Rock ’n‘ Roll Is King“ und der Titel-Track „Assault & Battery“ vom Folgewerk, dagegen kaum Nummern von späteren Veröffentlichungen – der Stoff, den die in die Jahre gekommenen Fans und Metal-Kuttenträger auch heute noch hören wollen.
Zum gedehnt-schneidenden Slide-Riff der grandiosen Slow-Blues-Moritat „The Butcher And Fast Eddie“ über das tödliche Duell zweier Gang-Leader weicht der singende und laufende Meter Anderson kurzerhand vom Text ab und erzählt die Geschichte in einer anderen Interpretation, der Stimmung tut dies zu der Gelegenheit keinen Abbruch – das Röhren und Knurren des Sängers mit der Reibeisen-Stimme, der mittlerweile auch seine 71 Lenze auf dem Buckel mitschleppt, krakeelt scharf und giftig wie in den Zeiten der aufbegehrenden Jugend, wenn auch dem Alter geschuldet ein abgeklärt über den Dingen stehender Angry alles andere als zornig auf den Bühnenbrettern flaniert, der permanent unter Strom stehende Rocker aus jungen Jahren îst Geschichte. Wer will es ihm verdenken, der Mann hat unter anderem schwierige Familien-Verhältnisse, Missbrauch und Elektro-Schocks in der Jugend wie einen „Mad Max“-Filmset mit Tina Turner und Mel Gibson überlebt, da darf man im Renten-Alter wohlverdient einen Gang zurückschalten. Der Sound der Band kommt unvermindert schneidig und feurig brennend, allem voran durch das exzellente Slide-Spiel von Gitarrist Dai Pritchard, im erdigen Crossover aus hartem Blues-Rock und energischem Rock’n’Roll-Drive, der wie einst nach Bier, Zigaretten, genagelten Motorrad-Stiefeln, Garagen-Schmutz, speckigen Lederjacken und damit nach glaubwürdiger Straßentauglichkeit klingt. Der zeitlose Klang der wütenden jungen Männer mit der Faust in der Tasche und den Testosteron-Wallungen, aus einer lange vergangenen Zeit, in der nur gestandene Rocker neben Seefahrern und Knast-Kameraden, ganz sicher aber nicht die Pendants zu dieser Hipster-Bagage heutiger Tage von oben bis unten mit Tinten-Kunst zugestochen waren, aus einer längst vergangenen Ära des Rock’n’Roll, in der die prominenteren australischen Kollegen noch im Erwachsenen-Alter mit Schuluniform und Ranzen herumkasperten oder – wie im speziellen Fall des guten alten Bon Scott – tragischerweise mit dem Alkohol nicht umzugehen wussten.
Wer hier abfällig das Ewig-Gestrige und die fehlende stilistische Weiterentwicklung im Blues-orientierten Hardrock anprangert, mag zum vergangenen Donnerstag im Backstage beim Vorprogramm sicher nicht falsch liegen. Dass sich auch am Sound von Rose Tattoo in den vergangenen vierzig Jahren nicht eine einzige Nuance geändert hat, ist hingegen eine willkommene Konstante, sie wird von den Fans genau so erwartet, und sie garantiert nach wie vor prächtiges Live-Entertainment. Das Böse-Buben-Image der Band kommt mittlerweile mit einem sympathischen Augenzwinkern, aber wenn’s hart auf hart kommt, gilt auch für die angebrochene fünfte Dekade von Angry & Co im Geiste von Sprung-Messern, Schlagringen und Tattoo-Shops in the suburbs north of the river: „Nice Boys Don’t Play Rock’n’Roll“

Gov’t Mule @ Backstage Werk, München, 2017-11-04

Ein Gitarrengott Warren Haynes schert sich nicht um seine etlichen Kilo zuviel auf den Rippen, der Trommler Matt Abts trägt ungeniert seine Tränensäcke, Falten und Proll-Tattoos zur Schau, dem seit 15 Jahren mitmusizierenden Keyboarder/Gitarristen/Posaunisten Danny Louis scheint die durch seltsame Zwergenmütze angeschrägte eigene Optik auch herzlich egal zu sein, diese Band braucht keinen Flitter und Tand, keine grellen Licht-Shows und keine albernen Bühnen-Uniformen – kurzum: Gov’t Mule müssen sich längst nichts mehr beweisen, und ihren die Münchner Backstage-Halle bis zum letzten Platz füllenden Fans schon gar nicht. Das Konzertpublikum rekrutierte sich am vergangenen Samstagabend zu gefühlt mindestens einem Drittel aus älteren Semestern, die vermutlich bereits zu Zeiten der ersten Allman-Brothers-Alben im ausgewachsenen Mannes- beziehungsweise besten gebärfähigen Alter waren, mit den Jahren und mit der weit über 20-jährigen Band-Historie von Gov’t Mule in Würde gereift, eine treue Hörerschaft, die selbstredend wusste, was zu der Gelegenheit zu erwarten war: Eine ausgedehnte Zeitreise zu den Wurzeln des Southern Rock, zum grundsoliden Blues-Rock, zu Jam-artigen Ausflügen in Gefilde des Hardrock, Soul, Jazz und Funk, ein beseeltes, handwerklich wie Klang-technisch perfektes Zelebrieren amerikanischer Musiktraditionen, vorgetragen von Könnern, die zuforderst ihre Liebe und ihr Herzblut für die Musik in den Vordergrund stellten und in ihrem Tun ganz bei sich waren.
Die von den beiden ex-Allman-Brothers-Band-Musikern Warren Haynes und dem im August 2000 verstorbenen Bassisten Woody Allen zusammen mit Drummer Matt Abts 1994 ursprünglich als Seitenprojekt aus der Taufe gehobene Formation Gov’t Mule verbleibt nach der ABB-Auflösung vor einigen Jahren neben der Derek Trucks Band die letzte ernstzunehmende Institution in Sachen Nachlassverwaltung der Southern-Legende, allein die herausragende Interpretation der Gregg-Alman-Nummer „Dreams“ vom 1969er-Debüt der Brothers inklusive schwerst beeindruckender Slide-Gitarren-Soli unterstrich dies zum Ende des ersten Sets eindrücklich.
Daneben brillierten die Musiker, die seit 10 Jahren vom schwedischen Bassisten Jorgen Carlsson virtuos unterstützt werden, mit eigenem Material, Gov’t Mule bedient sich ansonsten gern und oft in kongenialer Interpretation bei Werken der Stones, bei Pink Floyd, Black Sabbath oder alten Blues-Größen, an diesem Abend bleib diese Schiene weitestgehend außen vor, das selbst komponierte Werk stand den althergebrachten Klassikern in nichts nach: Der erste Abschnitt der täglich wechselnden Tour-Setlist bot einen exzellenten Querschnitt des eigenen Schaffens mit Schwerpunkt auf die Longplayer „High & Mighty“, „By A Thread“ und die „Deep End“-Alben, mit ausgedehntem Raum für die süffigen, geerdeten Riffs und ausgedehnten Soli des Weltklasse-Gitarristen Warren Haynes, die funky Blues- und Soul-Phrasierungen des glänzend aufgelegten Keyboarders Danny Louis, die schweren wie locker präsentierten Bass-Grooves des Schweden und die völlig unaufgeregt und auf den Punkt getrommelte Rhythmik des Stoikers Abts.
Set zwei nach kurzer Pause widmete sich vor allem der Präsentation ausgewählter Gustostücke aus dem aktuellen „Revolution Come… Revolution Go“-Album wie dem in die Länge gedehnten, mit beseelter Improvisation bereicherten, hart wie kompromisslos rockenden Titelstück, „Pressure Under Fire“, in dem der Soul nicht zuletzt in der dafür prädestinierten, markanten Blues-Stimme von Warren Hayne zu seinem Recht kam, „Stone Cold Rage“, dem Kommentar zur letzten US-Wahl und der getragenen, im Klangbild nach Freiheit und Abenteuer verlangenden wie im Text abgeklärten On-The-Road-Ballade „Traveling Tune“. Daneben zauberte die Band Reminiszenzen an das gut abgehangene, fast 20 Jahre alte Mule-Werk „Dose“ aus dem Hut, nebst dem immer gern gehörten Live-Klassiker „Thorazine Shuffle“ zum Beschließen des regulären Sets das kurz zuvor erklungene, die Improvisationskunst pflegende Jazz-Tribute „Birth Of The Mule“.
In der einzigen Zugabe des Abends zog das Quartett dann mit dem aktuellen „Dreams & Songs“ nochmals alle Register der herzergreifenden Southern-Ballade, ein Stück, zu dem man gerne mit einem kühlen Bier in der Hand auf der Holz-Veranda sitzend in der Abend-Schwüle des amerikanischen Südens in den Sonnenuntergang hineinsinniert hätte, statt sich die Füße auf dem kalten Backstage-Beton plattzutreten. Ein berückender Abschluss, der selbst einem altgedienten Bühnen-Profi wie dem vortragenden Warren Haynes die Tränen der Rührung ins Antlitz trieb, und damit ließen es Band und Publikum dann auch dankbar nach weit über 2 Stunden intensivster Southern-Seligkeit bewenden, nach einer Aufführung von vier begnadeten Ausnahmemusikern – mit einem federführenden Warren Haynes als Primus inter pares – die sich an dem Abend einmal mehr zu einer kaum zu toppenden, höchst inspirierten Einheit formierten.
(***** ½)

Mogwai + Sacred Paws @ Backstage Werk, München, 2017-11-03

Bei Mogwai hat man hinsichtlich Vorprogramm in den vergangenen Jahren Etliches an Überraschungen erlebt, Elektronik-Experimental-Frickler, die mit ihrer Klangkunst so gar nichts mit dem klassischen Postrock zu tun haben wollten, beim letzten oder vorletzen Mal einen schwergewichtigen, durchtätowierten Schotten, den man rein optisch im Death-Metal-Lager verortet hätte, der sich jedoch völlig unerwartet als versierter Könner in Sachen Flamenco-Akustik-Gitarre erwies, auf der aktuellen Tour nun das Duo Sacred Paws als Anheizer, ortsansässig in Glasgow, unter Vertrag beim Label Rock Action, damit hatte es sich auch schon in puncto Gemeinsamkeiten mit dem Hauptact des Abends.
Sympathische Ausstrahlung hatten sie, die beiden Mädels, am energetischen, vom Bewegungsdrang getriebenen Bühnengebaren gab es auch nichts zu beanstanden, ihr Instrumentarium beherrschten sie durchaus passabel, und doch mochte der Funke auf Teile des Publikums nicht überspringen mit dem flotten Indie-/Afrobeat-Groove und dem austauschbaren „Oh-Ooooh-Oooooooh“-Hurra-Singsang der beiden jungen Musikerinnen, die sich von Stück eins bis gefühlt Stück zwölf im 40-minütigen Vortrag nicht groß mit Spannungs-befeuernden Variationen aufhielten und so das Warm-Up in auf Dauer ermüdendem Gleichklang verebben ließen. Über die Ramones wurde vor Unzeiten gefeixt, Joey und Co würden permanent die beiden gleichen Songs spielen, den schnellen, harten und den langsameren, poppigeren Punk-Hauer, bei Sacred Paws teilte sich dieser Umstand in die Songs mit und ohne Bassistin, Nuancen der Variation waren immer dann auszumachen, wenn die Ladies E.R. und R.A. sporadisch von einer dritten, nicht näher benannten Mitmusikerin im rhythmischen Anschlag verstärkt wurden.
Nett allein reicht oft nicht, Vampire Weekend für Arme, mehr bleibt da nicht als Fazit anzumerken, diese Referenz ist selbstredend auch keine Auszeichnung, waren doch die New Yorker selbst schon Talking Heads für Arme…
(***)

Scotland First: Mit Nachdruck unterstrichen Stuart Braithwaite, Dominic Aitchison und die Ihren am Freitagabend im ausverkauften Backstage-Saal, warum Mogwai nach wie vor ohne Abstriche zur Speerspitze wie Weltklasse des Gitarren-dominierten Postrock zu zählen sind. Die Instrumental-Institution aus Glasgow glänzte mit einer fein gewählten Setlist aus aktuellen Titeln vom jüngst veröffentlichten Album „Every Country’s Sun“ und bewährten Live-Klassikern aus der mittlerweile jahrzehntelangen Bandhistorie wie „Rano Pano“, „I’m Jim Morrison, I’m Dead“, „Auto Rock“ oder dem stimmungsvollen, von Ohren-schmeichelnden Keyboard-Klängen bereicherten Opener „Friend Of The Night“.
Zentrales Kernstück jedes Konzerts der Schotten ist und bleibt „Mogwai Fear Satan“, die ellenlange Krönungsmesse des Postrock vom 1997er-Debüt-Album und Band-Klassiker „Mogwai Young Team“, die in einem gut 15-minütigen tonalen Mikrokosmos alles enthält, was das Genre großartig, erhaben, emotional ergreifend macht: das exzellente, hochspannende Laut-Leise-Spiel, die zurückgenommenen, meditativen, nahezu kontemplativen Elemente, das sprichwörtliche Auftürmen der Gitarrenwände wie das brachiale und unvermittelte Lärm-Explodieren als entladendes Atonal-Gewitter.
Daneben glänzte die Band mit weiteren Gustostücken der intensiveren, hart rockenden Gangart wie „Old Poisons“ vom aktuellen oder dem finalen Feedback-/Vehemenz-Lärm-Vollrausch „We’re No Here“ vom feinen 2006er-Werk „Mr Beast“, einer treibenden, im Vergleich zur Studio-Fassung direkter zupackenden Version der von Stuart Braithwaite gesungenen Shoegazer-/Indie-Rock-Single „Party In The Dark“ und faszinierendem, wunderschönem, dunklem Düster-Ambient in „Don’t Believe The Five“.
Cat Myers vom schottischen Indie-/Noise-Rock-Duo Honeyblood ersetzte im Rahmen der Tour Mogwai-Drummer Martin Bulloch, der etatmäßige Trommler erlitt vor einigen Jahren einen Herzinfarkt, vermutlich mag er sich dem Stress des Tourlebens nicht mehr aussetzen, mit ihrem strammen, kompromisslosen Anschlag war die junge Frau maßgeblich wie eindrücklich an der intensiven Wucht des konzertanten Vortrags beteiligt.
Man hat schon verspieltere, weitaus filigranere, zu Teilen auch latent belanglosere Mogwai-Konzerte gesehen. Soviel Druck, Klang-Explosion, beglückende Postrock-Seligkeit war lange nicht mehr wie beim jüngsten München-Auftritt der Schotten.
(***** ½)