HARPS – ORDERINCHAOS (2018, Self Release)
Give Paris One More Chance, der gute alte Jonathan Richman hat’s seinerzeit angemahnt, auch wenn er damals kein lärmendes Rockmusizieren im Sinn hatte mit seiner Aufforderung. Dem Trio HARPS aus der französischen Seine-Metropole sollte man dahingehend dringend eine Chance geben, und es wird wohl kaum eine zweite brauchen, da es beim ersten Reinhören bereits ordentlich funken sollte mit dem ohne jegliche Abstriche überzeugenden Postcore der drei jungen Musiker, alles andere dürfte auf dringend zu behandelnde Geschmacksverirrung oder schwere Taubheit beim jeweiligen Konsumenten hindeuten. Nachhaltiges Ohrensausen wäre indes nicht weiter verwunderlich nach Genuss des Debüt-Longplayers der Band, der raumgreifende, eindrückliche und satte Sound der „Harfen“ schreit förmlich nach Hochdrehen der Lautstärken-Regler auf Anschlag am jeweiligen Abspiel-Medium. Die Herren Julien, Matteo und Jérôme kredenzen im klassischen Bass/Gitarre/Drums-Outfit in sieben überwiegend längeren und in jedem Ton gründlich durchexerzierten Nummern eine überaus stimmige Mixtur aus DIY-Straight-Edge-Hard- und Postcore, majestätischem Postmetal, finsterem Doom, Brachial-Grunge mit psychedelischen Sludge-Elementen und einer zupackenden, ureigenen Variante des Noise-Rock, die die Band zu einem extrem harmonischen, austarierten und voluminösen Gebräu einkocht. Da kommt an Stilistischem zusammen, was zusammengehört, in einer Versiertheit und einer fundamentalen Unerschütterlichkeit, wie sie nur wenigen jungen Bands am Anfang ihrer Karriere gegeben ist. Nichts hört und fühlt sich nach Ausprobieren, alles nach Wissen um das eigene Tun an. Die Formation versteht es meisterlich, mit ihrem Verständnis der harten Rockmusik in einem eigenen Ansatz zu überzeugen, einiges mag an Einflüssen mitschwingen und wird doch in höchst individueller Umsetzung präsentiert. Emotionales, Herzblut-triefendes Singen und Schwadronieren, energisches, massives, differenziertes Rhythmus-Geben und ein kompromissloses wie inspiriertes Werkeln an der Gitarre zwischen nachhallendem Verzerren, dissonanten Einfärbungen und dunkel schwelenden Doom-Attacken verdichten sich zu einem hochspannenden, komplexen wie homogenen, dicken Ausrufezeichen im weiten Feld der Post-Irgendwas-Lärmerei.
Die Band veröffentlichte 2016 mit „Blueprint“ vom „Repeater“-Debütalbum ein Fugazi-Cover für den Sampler „Steady Gaze of Nothing – A Reverence to Fugazi“, der seinerzeit beim Tribute-Label The Blog That Celebrates Itself Records in Sao Paulo erschienen ist, die Verehrung für die Straight-Edge-Heroen aus Washington DC klingt immer wieder im leidenschaftlichen Hardcore-Gesang von Gitarrist Julien durch, am deutlichsten wohl im ausladenden, in die Knie zwingenden und mit großer Hingabe vorgetragenen „Gaza Gazers“, eine mehr als gelungene und überaus gern genommene Verneigung vor der Dischord-Legende um Bandleader Ian MacKaye, die seit fünfzehn Jahren ums Verrecken nicht aus dem Urlaub zurückkommen und was Neues für die weltweit darbende Fan-Gemeinde zur Erbauung veröffentlichen will – nach einer derart langen Zeit des Ausharrens ist tatsächlich jedes Derivat willkommen, in dieser Güte allemal.
Live im Studio eingespielt, entwickelt „ORDERINCHAOS“ eine direkte, ungefilterte Wucht und Dynamik, die von Nachbearbeitungen der Aufnahmen völlig unberührt bleibt, selbst nicht durch sporadisch eingestreute Spoken-Word-Samples aus dem Werk „Cosmos“ des US-amerikanischen Wissenschaftlers Carl Sagan in „Murmurs Of Earth“ und „Infinity Must Have Started Somewhere“ – gründlich, rau, unverstellt und zupackend, so, wie eine gute Produktion aus dem Bereich der härteren Gangarten der Rockmusik eben sein sollte. Dahingehend haben HARPS in der Tat alles richtig gemacht. Mehr nach außen transportierte, unerschütterliche innere Überzeugung hinsichtlich Formgebung und Gewahrsein des eigenen Tuns war in letzter Zeit selten bei einer Band. Die Hörerschaft sollte das mit gebührender Ergriffenheit und entsprechend entrücktem Mitzucken zu würdigen wissen, alles andere macht keinen Zopf.
„ORDERINCHAOS“ ist seit 7. September über alle gängigen Streaming- und Download-Plattformen im Netz erhältlich, guckst Du for example bei Bandcamp, orderst Du beherzt im Chaos oder wahlweise geordneten Zustand, machst die Band reich und tust damit noch was für die europäische Völkerverständigung.
(***** – ***** ½)