Big Star

Spitzenprodukte der Popularmusik (10): Alex Chilton – Like Flies On Sherbert

Moments later a man entered the dressing room and asked if he could borrow a guitar. „BORROW A GUITAR???!!! WELL, WHO THE FUCK ARE YOU???!!!“ Haynes screamed, eyes flashing in delirious anticipation of forthcoming violence.
But the man was totally unfazed.
„I’m Alex Chilton“, the man answered calmly.
Haynes was flabbergasted. After a long pause, he methodically opened the remaining guitar cases one by one and gestured at them as if to say, „Take anything you want.“
(Michael Azerrad, Our Band Could Be Your Life, Butthole Surfers)

Alex Chilton – Like Flies On Sherbert (1980, Aura Records)

The great, unparalleled LX Chilton: Die Replacements haben ihm mit „Alex Chilton“ auf dem von seinem Spezi James Luther Dickinson produzierten Band-Meilenstein „Pleased To Meet Me“ (1987, Sire) ein musikalisches Denkmal gesetzt, mit den Box Tops und dem von ihm im Alter von 16 Jahren gesungenen „The Letter“ hatte er 1967 in den USA und in Kanada einen Nummer-Eins-Hit, der ihm dank der fälligen Tantiemen bis weit in die Siebziger Drinks und Drogen finanzierte, mit der Band Big Star spielte er ab 1972 eine Handvoll Alben ein, über die sich die Pop-Welt bis heute nicht einig ist, ob es sich bei dem Material um rückwärts gewandtes Byrds-, Beatles- und Stones-Gedudel handelt oder um für den Alternative- und Indie-Rock späterer Dekaden richtungsweisenden Stoff, Bands wie die Bangles, die die Big-Star-Nummer „September Gurls“ in ihrer Interpretation bekannt machten, R.E.M., Teenage Fanclub oder die Posies (die mit Ken Stringfellow und Jon Auer zusammen mit Chilton an der Band-Reaktivierung 1993 maßgeblich beteiligt waren), tendieren eindeutig zu letzterer Lesart.
Ab den späten Siebzigern beschäftigte sich Chilton mit Soloaufnahmen, bereits sein 1979 veröffentlichtes Debütalbum erweist sich als Pop-historischer Volltreffer.

„Mein Gott, das klebt ja! Wie Fliegen auf Sorbet.“
(Tav Falco)

1978 und 1979 nimmt Alex Chilton in seiner Geburtsstadt Memphis/Tennessee bei Sam Phillips und in den Ardent Studios zusammen mit Co-Produzent James Luther Dickinson sein LoFi-Meisterwerk „Like Flies On Sherbert“ auf, das Album bezeichnet der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen im Indie-Magazin Spex im Rahmen eines Chilton-Interviews Ende der Achtziger als eine der zehn besten Platten aller Zeiten. Eine Einschätzung, die von Kritikern bei Erscheinen des Werks größtenteils nicht geteilt wird, viele monieren vor allem den Amateur-haften Sound und das vermeintlich schlechte Abmischen der Stücke, was indes den Charme der Aufnahmen im Wesentlichen ausmacht.
Das von einer gespenstischen, verhallten Grundstimmung und einer gehörigen Prise schlampigem Garagen-Psycho-Geschrammel getragene Album eröffnet mit „Boogie Shoes“, einer trashigen, von wildem Piano-Gehacke geprägte Boogie-Bluesnummer, es folgt „My Rival“ mit Spielereien am Anfang von Dickinson mit der Bandgeschwindigkeit, der Trash-Faktor nimmt in diesem Rock-Stampfer im weiteren Verlauf zu und franst gegen Ende hinsichtlich überdrehtem Gitarren-Gefrickel völlig aus.
„Hey! Little Child“ stampft als Kleine-Mädels-Anmachnummer munter weiter, das Stück wurde später von Rowland S. Howard und weiteren Crime-And-The-City-Solution-Abtrünnigen auf dem These-Immortal-Souls-Debütalbum „Get Lost (Don’t Lie)“ gecovert, Jutta Koether hat den Titel in der Spex einmal – neben „Good Morning Little Schoolgirl“ – als einen der Top-Päderastensongs der Rockgeschichte schlechthin bezeichnet.

„Hook Or Crook“ bietet verhallten Psychedelic-Garagen-Rock, der sich im Stil von Sky Saxon und Roky Erickson an eine diffuse Desert-Blues-Ästhetik anlehnt, die Roy-Orbison-Nummer „I’ve Had It“ bringt Chilton als Rock’n’Roll-Bastard zum Mitwippen und -Summen, mit intensivem Gitarren- und Piano-Gehacke und einem abrupten Ende.
Bei „Rock Hard“ mischt sich das Trash-Gepolter mit einer gehörigen Prise Glam, die schmissige, sorglose Gary-Shelton-Komposition „Girl After Girl“ zelebrieren Chilton und Dickinson im Stil der großen, wilden Rock’n’Roll-Hochstapler der Fünfziger Jahre, „Waltz Across Texas“, im Original von Country-Pionier Ernest Tubb, ist eine – man ahnt es bereits am Titel – Country-Walzer-Landpartie mit verhallten Gitarren, billigen Mandolinen und leicht angetrunkenem Gesang, die sich im Abgang hinsichtlich Tempo, Mitschunkel-Faktor und durchgeknallter Sangeskunst noch steigert, der Cajun-Klassiker „Alligator Man“ kommt als bester Proto-Cowpunk/Southern-Gothic-Swampblues, im finalen Titelstück ziehen Chilton und Co alle Register in Richtung einer schrägen Mixtur aus Experiment-Country, Trash-Boogie, Glam-Rock im Stil von Roxy Music, Velvet Underground und experimentellen Minimoog-Pfeifgeräuschen, der Text enthält eine kurze deutsche Passage.
Die B-Seite der „Hey! Little Child“-Single, „No More The Moon Shines On Lorena“, hat es nicht auf das Aura-Records-Release des Meilensteins geschafft, der Country-Klassiker aus der Feder von Carter-Family-Gründer A.P. findet sich auf diversen CD-Wiederveröffentlichungen als Bonustrack sowie auf der 500er-Erstauflage des kleinen US-Labels Peabody.

„Like Flies On Sherbert“ is a ghastly despatch from the terminal zone, definitely weird, a deranged masterpiece.
(Allen Jones)

Ende Mai 1980 fliegt Chilton mit einem Pyjama-Oberteil bekleidet, ohne Geld und Gepäck nach London-Gatwick für einige gebuchte Gigs in der britischen Hauptstadt, die Behörden lassen ihn erst ins Land, nachdem Aura-Labelchef Aaron Sixx für ihn bürgt und persönlich dafür haftet, dass der amerikanische Musiker das Land nach den Konzerten umgehend wieder verlassen wird. Alex Chilton bestritt seine London-Konzerte mit einer zusammengeschusterten Band, mit der er zuvor noch nie gespielt hatte, Knox von den Vibrators sowie Matthew Seligman und Morris Windsor von der Robyn-Hitchcock-Combo The Soft Boys erweisen sich als relativ sattelfest hinsichtlich Box-Tops-, Big-Star- und Chilton-Solo-Material, am 28. Mai spielt das Quartett im Londoner Dingwalls das Album „Live In London“ ein, das Repertoire besteht aus etlichen „Like Flies On Sherbert“-Nummern, „Bangkok“, Chiltons Reminiszenz an den Punk jener Jahre, seinem Sixties-Hit „The Letter“, alten Big-Star-Nummern und dem Blues-Klassiker „Train Kept A-Rollin'“, ein für diese Umstände sehr passabler Konzertmitschnitt, immer vorausgesetzt, man steht auf diese Chilton-typische Schräglage.

Anfang der Achtziger produziert der Kult-Musiker den Trash-Garagen-Blues-Debüt-Meilenstein „Behind The Magnolia Curtain“ seines Kumpels Tav Falco und dessen Combo Panther Burns, Falco gab „Like Flies On Sherbert“ seinerzeit den Album-Titel, bereits ab 1979 betreut Alex Chilton die Aufnahmen der ersten beiden Cramps-Scheiben, auf die Psychobilly-Garagen-Trash-Legende um die unvergleichlichen Lux Interior und Poison Ivy wird er zufällig im New Yorker East-Village-Club CBGBs aufmerksam, die Legende will wissen, dass er ursprünglich nicht zwecks der Live-Acts dort war, sondern wegen der Freidrinks, die er am Tresen als verehrter Held der Punk-Generation wegpicheln darf.
Vom damaligen Cramps-Label I.R.S. sieht Alex Chilton keinen Cent für seine Produzententätigkeit, genauso wenig wie für die Veröffentlichung seiner „Singer Not The Song“-EP beim deutschen Line-Label, die Produzent Jon Tiven ohne sein Wissen autorisierte, über den I.R.S.-Chef und Police-Drummer-Bruder Miles Copeland und Tiven sagt Chilton später in einem Interview: „Das sind von allen Schweinen, die ich kennengelernt habe, die beiden, die ich gerne langsam zu Tode foltern lassen würde“.
In späteren Jahren plagt sich Alex Chilton weiter mit Plattenfirmen, Alkohol und anderen Substanzen, erreicht in Indie-Kreisen unangefochtenen Kultstar-Status, bespielt auch in unseren Breitengraden charmant-beseelte, mitunter schwer Blues-lastige Konzerte und bringt mit Werken wie „Bach’s Bottom“, „High Priest“, „A Man Called Destruction“, der „Black List“– und der „No Sex“-EP sporadisch hochanständige Alben mit seiner charakteristischen Spielart von R&B, Trash-Blues, Soul-Jazz, Surf-Rock und Alternative Country heraus, zusammen mit Suicide-Sänger Alan Vega und dem Songwriter Ben Vaughn produziert er 1997 mit „Cubist Blues“ ein weiteres Meisterwerk im Spannungsfeld zwischen Garagen-Blues-Trash und frei fließendem, minimalistischem Avantgarde-Rockabilly-Punk-Irrsinn. Der bayerische Pop-Journalist Karl Bruckmaier zählt das Werk in seinem lesenswerten Schmöker „Soundcheck“ zu seinen 101 wichtigsten Platten der Popgeschichte.

Alex Chilton ist im März 2010 in New Orleans an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Er wurde 59 Jahre alt. In den Wochen vor seiner tödlichen Herzattacke klagte der Musiker über wiederholte Atemnot, er konnte sich aber wegen fehlender Krankenversicherung keine ärztlichen Untersuchungen leisten.

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Abgerechnet wird zum Schluss: Platten des Jahres

„The First Shall Be The Last
And The Last Shall Be The First
Until Next Time“

(Robert Pollard, Until Next Time)

Mono

Der „Kulturk(r)ampf des Jahres“ in Gold geht für 2014 in der Kategorie Tonträger – Trara! – nach Tokio an das japanische Postrock-Quartett Mono für ihre beiden herausragenden CDs
Mono – Rays Of Darkness (2014, Pelagic) und
Mono – The Last Dawn (2014, Pelagic),
die nur im Verbund Sinn machen, die die Grenzen des Genres erweitern und die kongenial in Szene gesetzt wurden während der jüngst stattgefundenen Konzertreise der Band. Große Kunst, die die Jahre überdauern wird, da bin ich mir sicher.


 

Den zweiten Platz teilen sich unterschiedliche Werke wie die folgenden, ich mag keine durch-nummerierten Listen, auf die ein oder andere Art haben die Scheiben alle ihren Stellenwert für mich und sind mir über das Jahr entsprechend ans Herz gewachsen, insofern: Tusch! – und los geht’s:

Guided By Voices – Motivational Jumpsuit (2014, Fire Records)
Ich behaupte: Keine Band kommt schneller, energischer und melodienreicher auf den Punkt als Guided by Voices. Dank Robert Pollard und seinen Kameraden hat Indie-Rock nach wie vor einen guten Namen.


 
The Brian Jonestown Massacre – Revelation (2014, a Recordings)
Toller Indie-Psychedelic-Pop des kalifornischen Musiker-Kollektivs.


 
Archie Bronson Outfit – Wild Crush (2014, Domino Records)
Prog-Rock funktioniert auch 2014 dank des Londoner Trios.

Protomartyr – Under Color Of Official Right (2014, Hardly Art / Cargo Records)
Treibender Postpunk aus Detroit. Die Konzerte im August wurden leider abgesagt.

Sleaford Mods – Divide And Exit (2014, Harbinger Sound / Cargo Records)
Da hab ich eine Weile gebraucht, bis ich es richtig zu schätzen wusste: Englischer Punkrock mit elektronischen Spielereien, rotzfrech, respektlos und energiegeladen, wie Punkrock eben sein soll.

The Vaselines – V For Vaselines (2014, Rosary Music)
Ramones treffen Shop Assistants – ab geht die Post!

Officer! – Dead Unique (2014, Blackest Ever)
Erinnert an die Zeit, als in der Popmusik kurzfristig alles möglich war: Pere Ubu, Half Japanese, Blurt, Residents, Red Crayola und und und…. Zusammengehalten von einer starken Dub-Klammer.

Bill Callahan – Have Fun With God (2014, 99999 / Rough Trade)
Weil wir gerade beim Dub sind: Bill Callahan hat seine 2013er-Scheibe „Dream River“ mit viel tranceartigem Hall bearbeitet und als Dubversion nochmal auf den Markt gebracht. Super!

Wovenhand – Refractury Obdurate (2014, Glitterhouse)
Keiner beherrscht die großen Southern-Gothic-Dramen besser als der getriebene Wanderprediger David Eugen Edwards. Amen.

Wrekmeister Harmonies – Then It All Came Down (2014, Thrill Jockey)
Ambient-Metal, faszinierend wie bereits im Vorjahr auf „You’ve Always Ment So Much To Me“.

Rhyton – Kykeon (2014, Thrill Jockey)
Die Psychedelic-/Prog- und Post-Rock-Pioniere aus Brooklyn verbinden ihre Endsechziger-Pink-Floyd-Klangteppiche dieses Mal mit Sounds aus Griechenland und dem Mittleren Osten. Gelungen wie immer.

Kerretta – Pirohia (2014, Golden Antenna / Broken Silence)
Instrumentale Aufnahmen der drei Neuseeländer aus dem Grenzbereich Prog- und Post-Rock, zwischen epischen Hymnen und brachialen Gitarrenausbrüchen.

Swans – To Be Kind (2014, Young God / Mute)
Wer dachte, nach dem 2012er Meisterwerk „The Seer“ wäre keine Steigerung mehr möglich, wird hier von Michael Gira und seinen Swans eines Besseren belehrt. Ein Stahlbad in Musik-Form, konzertant noch intensiver.

Einstürzende Neubauten – Lament (2014, Mute Records)
Die Neubauten liefern mit einer Auftragsarbeit über den ersten Weltkrieg das Comeback des Jahres – spannend wie zu besten „1/2-Mensch“-Zeiten.

Thurston Moore – The Best Day (2014, Matador)
Der ex-Sonic-Youth-Mann mit seiner bis dato ausgereiftesten Platte.

thurston

The Marble Man – Haidhausen (2014, Redwinetunes / Rough Trade)
Tolle Progressive-Indie-Rock-/-Pop-Scheibe des Quintetts aus Traunstein. Melodisch, stilsicher, spannend. Muss keine internationalen Vergleiche scheuen, zumal die Jungs auch konzertant eine gute Figur machen.

The Moonband – Atlantis (2014, Rockville Music)
Exzellente Alternative-Country- und Folk-Scheibe der Band aus München, die mit diesen herausragenden Songs auch in Seattle, Brooklyn, Nashville, Athens, London oder sonstwo gegen die international renommierte „Konkurrenz“ bestehen könnten, I am pretty sure!

 
Hanna Fearns – Sentimental Bones (2014, Songs & Whispers / Broken Silence)
Warum in die Ferne schweifen – das Gute liegt so nah! Was für die 2014er-Platte der Moonband gilt, trifft auch uneingeschränkt auf „Sentimental Bones“ der Konstanzer Songwriterin Hanna Fearns zu: formidabler Songwriter-Folk von internationalem Format. Ich freue mich auf das nächste München-Konzert!


 
Bonnie ‚Prince‘ Billy – Singer’s Grave A Sea Of Tongues (2014, Domino)
Seine Beste seit „Ease Down The Road“, und das will was heißen!

bonnie

Mirel Wagner – When The Cellar Children See The Light Of Day (2014, Sub Pop)
Spartanische, wunderschöne Folkscheibe der Ähtiopierin.

Tweedy – Sukierae (2014, dBpm Records)
Wilco-Chef und Sohnemann mit einer wunderbaren Experimental-Folk-Scheibe, die das Warten auf die nächste Wilco-Platte auf’s Angenehmste verkürzt.

Dragging An Ox Through Water – Panic Sentry (2014, Party Damage)
Experimental-LoFi-Folk-Field-Recordings von Brian Mumford aus Oregon. Sehr eigen und sehr hörenswert.

dragging

Angel Olsen – Burn Your Fire For No Witness (2014, Jagjaguwar)
Angel Olsen changiert zwischen flottem Indie-/Folk-Rock und gespenstischem , streckenweise hochdramatischem Alternative Country mit viel Hall – eine abwechslungsreiche, aber stets homogene Scheibe, bei deren wiederholtem Hören ich mich zunehmend gräme, da ich meinen faulen Kadaver im vergangenen Jahr nicht zum Konzert in die Kranhalle geschleppt habe.

angelolsen

Musée Mécanique – From Shores Of Sleep (2014, Glitterhouse)
Wunderschöner Folk in Breitband-Cinemascope aus Portland, Oregon.

Malawi Mouse Boys – Dirt Is Good (2014, Irl / Rough Trade)
Afrikaner-Gospel. So macht Ethno Spass.

Alte Meister:

Marianne Faithfull – Give My Love To London (2014, Naive)
Dieser Stadt gebe ich meine Liebe gerne – und dieser Platte auch. Marianne Faithfull mit dem ihr eigenen Gespür für große Dramen und gesegnet mit einer Stimme, mit der es ihr ein Leichtes ist, diese umzusetzen. Unter Mithilfe von musikalischen Schwergewichten wie Steve Earle, Nick Cave, Anna Calvi, Roger Waters und Leonard Cohen. Großartig und erhaben wie ihre Vorgänger-Alben „Before The Poison“ und „Easy Come, Easy Go“.

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Neil Young – Storytone (2014, Reprise)
Immer wieder für ein Überraschung gut, der alte Young ;-)) Nachdenkliche, Balladen-lastige Platte, wie sie nur Neil Young hinkriegt. Spartanisch und auf den Punkt gebracht. Die Deluxe-Ausgabe enthält die Songs auf einer zweiten CD in Orchester-, Chor-, Big-Band-und-sonstige-Grausamkeiten-Gewand. Kann man getrost vergessen, die Einfachausgabe reicht in dem Fall völlig.

Robert Plant And The Sensational Space Shifters – Lullaby And… The Ceaseless Roar (2014, Nonesuch)
Der Zeppelin-Vorturner mit einer seiner besten Soloplatten. Ethno trifft Folk und Blues.

Aus den Archiven:

Wilco – Alpha Mike Foxtrott: Rare Tracks 1994 – 2014 (2014, Nonesuch)
Tolle Outtakes-/Live-/Sonstwas-Sammlung, die das Warten auf die neue Wilco…Ihr wisst schon…

Old & In The Way – Live At The Boarding House (2014, Acoustic Disc)
Zwei komplette Konzerte der Bluegrass-Supergroup um den Grateful-Dead-Gitarristen Jerry Garcia und seinen Spezi David Grisman, aufgenommen im Oktober 1973, hervorragend wie alles, was die beiden Rauschebärte in dieser Richtung unternahmen.

The Grateful Dead – Houston, Texas 11-18-1972 (2014, Rhino)
Ein beseeltes Konzert aus der Live-Hochphase der Band. Inklusive 26-Minuten-Killerversion von „Playing In The Band“.

Grateful Dead - Houston, TX 11-18-1972

Big Star – Live In Memphis (2014, Omnivore)
Live im Oktober 1994 – eine späte Verbeugung vor dem großen Alex Chilton.

The 13th Floor Elevators – Live Evolution Lost (2014, Charly Records)
Das komplette Konzert der Psychedelic-/Garagen-Rock-Pioniere um Roky Erickson im Houston Music Theatre vom 18. Februar 1967. Die Band ist in bestechender Spiellaune, die Setlist der ersten CD besteht aus den Band-Klassikern dieser Zeit, CD 2 dokumentiert eine ausgedehnte Jam-Session der Combo.

Terakaft – The Tapsit Years (2014, Reaktion)
Treibender Tuareg-Blues aus Mali aus den Jahren 2007 – 2011.

Robert Wyatt – Different Every Time – Ex Machina / Benign Dictatorships (2014, Domino Records)
Best-Of- und Seltene-Duette-Sammlung des britischen Progressive-Altmeisters.

Möge das Musikjahr 2015 ein ähnlich gutes werden !

Eine Kerze für John Fry

John Fry + Ken Stringfellow

John Fry, der Gründer von Ardent Records und den Ardent Studios, ist gestern in seinem Haus in Memphis, Tennessee, im Alter von 69 Jahren an Herzversagen verstorben.
John Fry hat viele Platten für Stax Records produziert und war Mentor der Band Big Star, deren erste Platten er ebenfalls produzierte und die er für sein eigenes Label unter Vertrag nahm. Nach der zwischenzeitlichen Auflösung der Band veröffentlichte Mastermind Alex Chilton weiterhin bei Ardent.
In den Studios nahmen unter anderem Bob Dylan, Led Zeppelin, R.E.M., Stevie Ray Vaughan, Cat Power, die White Stripes und die Replacements auf.

Reingehört (25)

KULTURFORUM Reingehört Dez 2014
 
The Grateful Dead – Houston, Texas 11-18-1972 (2014, Rhino)
Schon wieder eine neue Dead-Live-Scheibe, aber eine, die es in sich hat. Aufgenommen am 18. November 1972 im Hofheinz Pavilion in Houston TX, und damit dürfte für den Deadhead der Fall eigentlich klar sein: Eines der besten Jahre für Grateful-Dead-Liveaufnahmen ever, siehe bzw. höre Perlen wie „Europe `72“, „Hundred Year Hall“ oder die im vergangenen Jahr veröffentlichte, grandiose 4-CD-/DVD-Box „Sunshine Daydream“.
Inklusive einer extrem relaxten „Bertha“-Aufnahme, ein „Greatest Story Ever Told“, bei dem sich Donna Jean Godchaux mit ihrem Background-Gesang zu Janis-Joplin-haften Höhen aufschwingt und – Höhepunkt der Platte – eine fast 26-minütige Fassung von „Playing in the Band“, bei der die Dead zu vollem Flug ansetzen und alle Register des improvisierten Psychedelic-Rock ziehen. Für meine Begriffe eine Referenzaufnahme dieses Stücks, mir ist keine bessere Fassung bekannt.
Veröffentlicht im Rahmen des „Record Store Day Black Friday“.
(***** ½)

Big Star – Live In Memphis (2014, Omnivore)
Liveaufnahme vom 29. Oktober 1994 der Big-Star-Reinkarnation in der Besetzung Chilton, Auer, Stringfellow und Stevens. Posthum in hervorragender Soundqualität veröffentlicht. Viele Big-Star-Klassiker in bestechenden Versionen, zudem einige gelungene Coverversionen (Kinks, T.Rex), lediglich beim „Girl from Ipanema“ frage ich mich, was diese unsägliche Nummer hier verloren hat, aber hinsichtlich fremdem Liedgut hatte Alex Chilton des Öfteren seltsamen Humor an den Tag gelegt.
(****)

AC/DC – Rock Or Bust (2014, Sony)
Nichts braucht die Welt weniger als ein neues AC/DC-Album. Warum gerade jetzt Lobeshymnen auf den neuen Auswurf gesungen werden, ich kann’s mir nicht erklären, womöglich ist’s der Mitleidsbonus wegen Malcolm Youngs Demenz. Dabei scheint die gesamte Band an Gedächtnis-Schwund zu leiden, haben sie doch offensichtlich vergessen, dass die Platte davor exakt genau so gestrickt war wie das aktuelle Werk (und die jeweils davor ebenso…;-)). Der „neue“ Sänger hört sich immer noch an, als würde er unter dauerhafter Verstopfung leiden und der Kasper mit dem Schulranzen spielt seit gefühlt hundert Jahren die ewig gleichen Riffs – sorry, da bin ich raus.
(*)