„We have one story to tell and it is always the same. I always write about life’s pain. I always use personal experiences as a reference to relate as truthfully and as honestly possible, from the heart. I try to bend the darkness into the light.“
(Colin H. van Eeckhout, The Independent, 2017-10-16)
Amenra – Mass VI (2017, Neurot Recordings)
Colin H. van Eeckhout, Mathieu Vandekerckhove und Konsorten aus dem westflandrischen Kortrijk, die Kirchen-Vorsteher des belgischen Musiker-Kollektivs Church Of Ra, haben fünf Jahre nach der letzten Episode des „Mass“-Zyklus im vergangenen Herbst ein weiteres Hochamt ihrer tonalen Extrem-Beschwörungen veröffentlicht. Wo sich die Bandmitglieder zu Teilen in den vergangenen Jahren mit Solo-Projekten wie Syndrome oder CHVE nahezu meditativen, in jedem Fall entschleunigten Downtempo-Experimenten hingaben und im Drone-/Ambient-Ansatz in weitaus ruhigeren Fahrwassern unterwegs waren, kehren die Musiker im Band-Verbund beim Mutterschiff Amenra auf „Mass VI“ zum überwältigenden Intensivst-Ausbruch in heiliger Sound-/Emotional-/Katharsis-Dreifaltigkeit zurück.
Das Quintett, das sich mit seiner Tonkunst seit jeher einer eindeutigen Zuordnung zum Postmetal, Doom, Postcore oder Sludge verweigert, besticht in den gut 40 Minuten in einem Auspendeln zwischen zurückgenommener Kontemplation, die stets ein dräuend-drohendes, heraufziehendes, in Kürze explodierendes Gewitter-Entladen in der hypnotischen Monotonie mitschwingen lässt, vermehrt Passagen mit klaren Songstrukturen inklusive verständlicher Gesangsparts und – die mit dem Werk vertraute Amenra-Hörerschaft kennt das – unvermitteltem Ausbruch in Form monumentaler Schwermetall-Gitarrenwände, Sound-Tsunamis und einem herausgebrüllten Vokal-Vortrag, der Rätsel aufgibt, ob hier im therapeutischen Geist selbstreinigend und Urschrei-artig der inneren Zerrissenheit, Pein und Verzweiflung Ausdruck gegeben wird oder ob sich vielmehr mittels „Sangeskunst“ final der Wahnsinn an einem point of no return in den Regelbetrieb Bahn bricht. Trotz atheistischer Bekenntnisse der Musiker ist die belgische Formation einmal mehr – auch das keine Überraschung – thematisch schwerst in pseudo-religiösen wie spirituellen Themen unterwegs, wer dergestalt mit mythisch belegter Symbolik hantiert, kann kaum über Liebes-Geplänkel, Gänseblümchen oder das Bier-Holen und die fatalen Folgen am Tag danach singen…
Amenra-Tonträger waren noch nie verträglich für zaghafte Hörer, dem Experiment abgeneigte, zartbesaitete Feingeister, für die Grenzgänger und Ausloter, Forscher im Grenzgebiet Post-Rock/-Metal/Noise und Neudefinierer eigener Hörgewohnheiten ist „Mass IV“ zur Stunde erneut die vorläufige Brachial-Krönungsmesse einer der vitalsten Bands in diesem Bereich. Easy Listening ist woanders. Amenra-Beschallung schmerzt wie das wahre Leben. Finsternis, Albtraum und Erlösung im zaghaften Gelichter am Ende des dunklen Wegs, all in one, in einem herausragenden Werk in bezwingende Form gegossen.
Für den exzellenten wie dynamischen Sound zeichnet der Kalifornier Billy Anderson mitverantwortlich, das Ergebnis nimmt nicht weiter Wunder, der Amerikaner hat in den vergangenen 30 Jahren bereits beim Amenra-Vorgängeralbum wie auf Tonträgern der Swans, Melvins, Neurosis, der Red House Painters und vielen anderen geschätzten Artisten sein Können als Produzent unter Beweis gestellt.
(***** – ***** ½)