Blasius der Spaziergänger

Sigi Sommer

„Die Sendlinger Straße ist eine der ältesten der Stadt. Man sagt, sie sei ursprünglich von den besoffenen Bauern, die vom Markt kamen und wieder in ihr heimisches Dorf Sentilinga zurückwollten, in die Umgebung getrampelt worden. Genaugenommen ist sie ja nur ein Wurmfortsatz des Marienplatzes und auch genauso unwichtig. Aber immerhin hat der Goethe bereits im Gasthof „Zum Koch von der Höll“ auf seiner Italien-Reise hier Quartier gemacht und den Charme eines bayerischen Hausknechts erleben dürfen, der ihn einfach hinauswarf. (…)“
(Sigi Sommer, Die Sendlinger Straße)

In der Münchner Rosenstraße, in unmittelbarer Nähe zum Marienplatz, steht seit 1998 die vom Bildhauer Max Wagner geschaffene, lebensgroße Bronzestatue „Der Spaziergänger“ zu Ehren des in meinem Viertel Sendling geborenen und aufgewachsenen Schriftstellers und Journalisten Sigi Sommer.

Sommer war nach seinem Einsatz als Soldat im zweiten Weltkrieg bei der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Abendzeitung“ tätig, bei letzterer erschien 1949 erstmals seine Lokalkolumne „Blasius, der Spaziergänger“, die hier reflektierten Beobachtungen aus dem Münchner Alltag bezeichnete ein Journalisten-Kollege einst als „Volkstheater auf ein paar Quadratzentimeter Papier“. Die 38 Jahre lang ununterbrochene „Blasius“-Kolumne erschien im Januar 1987 zum letzten Mal, insgesamt schrieb Sigi Sommer über all die Jahre an die 3500 Betrachtungen.

„Ich geh am Tag bestimmt zehn Kilometer…“
„Stumpft da der Blick nicht ab?“
„Im Gegenteil. Die Eindrücke vermehren sich. Ich seh‘ heute vieles, was ich früher net gesehen habe. Mit der Zeit bin ich wie ein großer Radarschirm geworden, der die kleinsten Wellen auffängt. Mir entgeht keine neue Auslage, kein neuer Metzgerladen, kein neues Loch im Pflaster…“
(Sigi Sommer in einem Interview)

Neben seinem journalistischen Schaffen war Sigi Sommer auch als Romancier tätig, sein bekanntestes Werk ist der erstmals 1954 erschienene Roman „Und keiner weint mir nach“, die humorigen und oft auch traurigen Milieu-Schilderungen aus dem München der zwanziger Jahre bezeichnete einst der große Dramatiker Bertolt Brecht als besten nach dem Krieg erschienenen deutschen Roman.

„Ihr Artikel in der SZ ‚Die Bescherung‘ zeigt in so wenigen Zeilen unser armes Deutschland. Ich habe darüber mit 66 Jahren geweint wie ein kleines Kind. Nur ein Schriftsteller mit einem guten Herz kann so etwas schreiben“
(Karl Valentin in einem Brief an Sigi Sommer)

„(…) Die Zahl der in München ansässigen Maler und Bildhauer wurde vor dem Kriege auf etwa 7000 geschätzt. Heute sind es nur mehr einige hunderte, die auf dem „bayerischen Montmartre“ leben und doch wird auch hier das Leben über die Zerstörung siegen. (…)“
(Sigi Sommer, Schwabing zwischen Abschied und Wiedersehen, Tageszeitung, 01.06.1948)

Am 25. Januar 1996 ist Sigi Sommer im Alter von 81 Jahren in München gestorben, sein Grab findet sich auf einem der schönsten Friedhöfe Münchens, dem Winthirfriedhof im Stadtteil Neuhausen. Auf dem kleinen Friedhof an der Winthirkirche sind unter anderem auch der Gründer des Deutschen Museums, Oskar von Miller, sowie der leider viel zu früh verstorbene, hochverehrte Schauspieler und Kabarettist Jörg Hube bestattet.

„Was ist eigentlich eine Fotografie? Ein dünnes weißes Sandwich, auf dem ein bisschen Vergangenheit aufgestrichen ist. Die Lieblingsspeise von Gevatter Zeit.“
(Sigi Sommer)

SIGI SOMMER (4)

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