Trembling Bells & Bonnie ‘Prince’ Billy – The Bonnie Bells Of Oxford (2016, Tin Angel Records)
Will Oldham aka Bonnie ‘Prince’ Billy, liebster und begnadetster aller US-Folk-Lamentierer, hat 2012 mit seinen Sangeskünsten das Album „The Marble Downs“ (2012, Honest Jon’s Records) der schottischen Folk-Rock-Formation Trembling Bells veredelt, aus dem Zusammentreffen hat sich eine ersprießliche Zusammenarbeit ergeben, die diese Live-Aufnahmen aus Oxford im Rahmen einer gemeinsam bereisten und bespielten UK-Tour eindrucksvoll dokumentieren.
Der ätherische, nahezu spirituelle, zeitlose Appalachen-Folk Will Oldhams trifft auf den vom britischen Fairport-Convention-/Incredible-String-Band-geprägten Folk-Revival-Ansatz psychedelischer Prägung der Schotten um die Sängerin Lavinia Blackwall, gemeinsam gibt man sich neben der Pflege/Neuinterpretation ausgewählter Gusto-Stücke aus dem jeweils eigenen Back-Katalog im Geiste traditioneller Volksmusik-Weisen dem Ausleben entfesselter Psychedelic-/Progressive-Rock-Neigungen hin, das wiederholt frei fließende, spontane Klangwerk zitiert mitunter in Andeutungen gar Jazz-Improvisationen, um final in der herzerweichend-ergreifenden, Duett-besungenen Ballade „Love Is A Velvet Noose“ den krönenden Höhepunkt und Abschluss zu finden. Ein König Midas, dieser Oldham, wo der mitmischt, glänzt es…
(**** ½ – *****)
Bonnie Prince Billy
Reingehört (178)
„Their music touches on ground that most other groups don’t even know exists.“
(Lenny Kaye)
V.A. – Day Of The Dead (2016, 4AD)
Nicht die erste, aber die bis dato spannendste und umfangreichste Benefiz-Grateful-Dead-Tribute-Sammlung: Bereits 1991, noch zu Lebzeiten der Band, haben sich gestandene Musiker wie unter anderem Warren Zevon, David Lindley, Dr. John, Suzanne Vega und Elvis Costello zwecks Regenwald-Support und finanzieller Unterstützung des Rainforest Action Network zum Dead-Covern auf dem Sampler „Deadicated: A Tribute To The Grateful Dead“ (Arista) versammelt und eine Auswahl an Perlen aus dem reichhaltigen Band-Fundus eingespielt, die sich in der Interpretation solide gebärdeten, aber kaum zu weit vom jeweiligen Original abweichten.
Weitaus experimenteller und mutiger geht es zu auf dem opulenten 5-CD-/59-Stücke-Paket „Day Of The Dead“ zur Unterstützung der Red Hot Organization in ihrem Engagement gegen den AIDS-Virus, das von den The-National-Zwillingen Aaron und Bryce Dessner initiiert wurde, bereits vor sieben Jahren haben sie mit dem exzellenten „Dark Was The Night“-Sampler (2009, 4AD) 1,5 Mio. US-Dollar für die Anti-AIDS-Kampagne eingespielt.
Bevor die Verneigung vor Garcia und Co ihre ganze Pracht über weite Strecken der insgesamt mehr als fünfeinhalb Stunden Musik entfalten kann, geht es holprig los mit einer belanglos vor sich hinplätschernden Indie-Pop-Einspielung von „Touch Of Grey“, dem einzigen Top-Ten-Hit der Dead in 30 Jahren Bandgeschichte, dargereicht von The War On Drugs, aber was will man von einer Mehmet-Scholl-Lieblingskapelle schon groß erwarten?
Einige Interpretationen wagen sich zwar auch hier nicht allzu weit weg vom Original, halten aber so ein mehr als passables Niveau. Das einer wie Jim James auch in der Stimmlage den Garcia perfekt gibt, ist nicht weiter verwunderlich, und dass Wilco als eine den Dead im beseelten konzertanten Vortrag nahekommende Band im Verbund mit Urgestein Bob Weir in der Live-Einspielung von „St. Stephen“ zwar wenig individuelle, gleichwohl aber äußerst befriedigende Arbeit abliefern, überrascht auch nicht weiter. Neben Weir ist Bruce Hornsby als ehemaliges Grateful-Dead-Mitglied zu vernehmen, seine Version von „Black Muddy River“ versieht er mit einem unüberhörbaren Irish-Folk-Touch.
Eine bis dato wenig geschätzte Mainstream-Band wie Mumford & Sons schwingt sich in „Friends Of The Devil“ zu ungeahnten Höhen auf, bei entsprechendem Songmaterial ist der Haufen offensichtlich doch zu gebrauchen.
Stephen Malkmus, Ira Kaplan, Kurt Vile, Bonnie ‚Prince‘ Billy mehrfach und gewohnt sehr gut, The Tallest Man On Earth, sie alle haben ihre Hausaufgaben gemacht hinsichtlich Sichtung des American-Cosmic-Music-Katalogs, grundsolide bis hervorragende Qualität ist dahingehend geboten aus der Ecke der bewährten Indie-Größen.
Bei den subjektiven Lieblingsstücken der amerikanischen Jam-Band-Institution hört man selbstredend genauer hin, es überzeugen The Lone Bellow mit einer beschwingten Prärie-Country-Version von „Me And My Uncle“ und im weiteren Verlauf erneut mit „Dire Wolf“, Tal National mit einer Calypso-angelehnten Indie-Pop-Fassung von „Eyes Of The World“, die den Grund-Groove des Stücks schön herausarbeitet, „Brown Eyed Women“ kommt als funky-entspannter Westcoast-Rocker von Hiss Golden Messenger und „Morning Dew“ klingt, als wäre es schon immer ein The-National-Stück gewesen.
Schwer enttäuschend dagegen Alternative-Country-Grande-Dame Lucinda Williams, ihre stinklangweilige Einspielung von „Going Down The Road Feelin‘ Bad“ sorgt in der Tat für schlechte Gefühle und ist in keinster Weise mit ihren inspirierten, früheren Tribute-Beiträgen (v.a. für Mississippi John Hurt und Blind Willie Johnson) zu vergleichen, neben dem nervtötenden Modern-Jazz-Gewichse der „Truckin“-Version von Marijuana Deathsquads und dem verspulten, unwürdigen Elektronik-Gefrickel der Flaming Lips als „Dark Star“-Derivat mit die schlimmste Themen-Verfehlung des Tribute-Albums.
Bei der Würdigung des Grateful-Dead-Werks darf das Experimentieren im Geiste des psychedelischen Space-Rock nicht zu kurz kommen, zu dem Thema gibt es jede Menge Erbauliches: „Garcia Counterpoint“ von Bryce Dessner ist bestes Minimal-/Ambient-Theater, Tim Hecker verbeugt sich in „Transitive Refraction Axis For John Oswald“ vor der „Greyfolded“-Klangcollagen-Arbeit des kanadischen Komponisten und Soundtüftlers, Tunde Adebimpe von TV On The Radio lässt es zusammen mit dem ex-Sonic-Youth-Mann Lee Ranaldo in „Playing In The Band“ zuerst traditionell-entspannt angehen, bevor die Musiker in einen beherzten, Gitarren-experimentellen Rausch abdriften, „Estimated Prophet“ in der Version der Rileys ist von ähnlicher Güte und das weirde „Aoxomoxoa“-Stück „What’s Become Of The Baby“ wird von einer Formation namens stargaze als indisch angehauchter Hymnen-Drone im Geiste des Originals inszeniert.
Ansonsten erwähnenswert? Dass die Dead in Hardcore funktionieren, hat Henry Rollins bereits vor Jahren mit „Franklin’s Tower“ bewiesen, die Kanadier von Fucked Up kriegen das mit „Cream Puff War“ in einer Elektro-Trash-Variante ebenfalls gut gebacken.
Bela Fleck erinnert mit seinem modernen Bluegrass-Ausflug in „Help On The Way“ weit mehr an Jerry-Garcia-Nebenpfade, die dieser in seinen Country/Bluegrass/Folk-Ausflügen einst zusammen mit David Grisman und Old And In The Way beschritt.
„Till The Morning Comes“ (Luluc with Xylouris White), „And We Bid You Goodnight“ (Sam Amidon) und „Rosemary“ (Mina Tindle) funktionieren als berührende Folk-Balladen, Kate Stables aka This Is The Kit offenbart dahingehend in „Jack-A-Roe“ Fairport-Convention-Qualitäten und der amerikanische Pianist Vijay Iyer trimmt „King Solomon’s Marbles“ in Richtung frei fließender Jazz-Folk im Geiste George Winstons.
Den würdigen Schlusspunkt der Sammlung setzen The National zusammen mit dem Grateful-Dead-Rhythmus-Gitarristen und Ur-Mitglied Bob Weir in einer „I Know You Rider“-Fassung, wie sie auf jeder anständigen Live-Einspielung der legendären amerikanischen Jam-Band enthalten sein könnte.
Do yourself a favour, ist nebenher auch noch für einen guten Zweck – ein Muss für jeden Deadhead und solche, die es noch werden wollen. Ersetzt selbstredend in keinster Weise diverse, vor allem konzertant eingespielte Ton-Konserven der Dead, ist aber ein grundsolider und äußerst hörenswerter zeitgenössischer Interpretationsansatz zur wundersamen musikalischen Welt von Garcia, Hunter, Weir, Lesh und Co.
(**** ½ – *****)
Reingehört (144)
Bitchin Bajas & Bonnie “Prince” Billy – Epic Jammers and Fortunate Little Ditties (2016, Drag City)
Treffen sich ein Folk-Wunderlicher aus Louisville/Kentucky und ein experimentierfreudiges Drone-/Kraut-Trio aus Chicago/Illinois und transzendieren ihre Kunst in Richtung fernöstlich angehauchte Free-Folk-/Ambient-Klangmalereien – fängt an wie ein verunglückt-schräger Scherz und ist im Ergebnis doch sehr weit davon entfernt:
Die Electronica-Tüftler von Bitchin Bajas arbeiten mit asiatisch/buddhistisch anmutenden, frei fließenden, meditativen Tönen/Loops und legen den Klangteppich aus für den als Bonnie „Prince“ Billy weithin bekannten Waldschratt Will Oldham, der sich dezent ins Gesamtbild einbringt mit dem Zitieren von Glückskekse-Zettel-Texten und Flöten- und Glockenspiel-unterstütztem Songwriter-Folk, der sich vornehm-zurückhaltend immer wieder andeutungsweise vor dem großen Nick Drake zu verneigen scheint. Der Palace-Brother ist in vergangenen Zeiten wiederholt Kollaborationen eingegangen, siehe/höre unter anderem seine Arbeiten mit Tortoise, Matt Sweeney und Emmett Kelly/The Cairo Gang, so weit und mutig wie hier hat er sich seltenst aus dem traditionellen Folk-/Alternative-Country-Rahmen herausbewegt. “Your Hard Work Is About to Pay Off, Keep on Keeping On”.
(**** ½)
Reingehört (121)
Tortoise – The Catastrophist (2016, Thrill Jockey)
Kein neues ‚TNT‘ (1998) und schon gar kein an das ‚Millions Now Living Will Never Die‘-Wunderwerk (1996, beide Thrill Jockey) heranreichendes neues Tortoise-Album, das erste seit fast sieben Jahren, weniger Post-Rock und Experiment, dafür vermehrt und verstärkt Elektronik-Gemucke, Math-Rock, artifizieller Club-Trance-Ambient, mitunter das gewohnt-vertraute Jazz-Fusion-Gedudel, über weite Strecken trotz vereinzelter Unkenrufe durchaus nicht unspannend. Georgia Hubley von Yo La Tengo trällert bei der LoFi-Indie-Ballade „Yonder Blue“, die Gesangspassagen drängen im Vergleich zu früheren Werken vermehrt in den Vordergrund, was der Stoff, wie auf dem Album wiederholt angedeutet, an hypnotischer Kraft besitzt, wird sich auf der anstehenden Europa- und US-Tournee vor allem konzertant finden – oder eben auch nicht, wir werden sehen, zum Beispiel am 29. Mai im Münchner Hansa39…
(****)
Tortoise live @ nyctaper.com + southernshelter.com
Bonnie ‚Prince‘ Billy – Pond Scum (2016, Domino Records)
Will Oldham, Palace Music, Palace Brothers, Bonnie ‚Prince‘ Billy, letztendlich egal, unter welcher Adresse der wunderliche Waldschrat aus Louisville/Kentucky firmiert, geneigte Folk-Hörer wissen bei ihm seit Jahrzehnten, was sie erwartet, so auch hier: Songwriting der reinen Lehre, umgesetzt in intensivem, eindringlichem Vortrag und dezenter Instrumentierung, erweitert und bereichert durch partielle, in Töne gegossene Verzweiflung, die sodann mit rauherem Gitarren-Anschlag einhergeht, live im BBC-Studio im Rahmen der legendären John-Peel-Sessions zu diversen Gelegenheiten eingespielt, durchgehend auf früheren Veröffentlichungen zu findendes Material. Für Komplettisten, nix, was den Oldham-Kosmos wesentlich bereichert. Wer den Mann in seiner ganzen Pracht genießen will, greife zu frühen Glanztaten wie dem 1993er-Palace-Brothers-Debüt ‚There Is No-One What Will Take Care Of You‘, ‚I See A Darkness‘ (1999), der herausragenden Rundum-glücklich-mach-Platte ‚Ease Down the Road‘ (2001, alle Domino) oder ‚Superwolf‘ (Drag City), seiner Kollaboration mit dem Gitarristen Matt Sweeney aus dem Jahr 2005. Nachvollziehbar macht – für sich betrachtet – selbstredend auch ‚Pond Scum‘, warum der Mann seit vielen Jahren die Kritiker begeistert und überzeugt, allein, man kennt das Material schon zur Genüge.
(*** ½ – ****)
Bonnie ‚Prince‘ Billy And The Cairo Gang live @ nyctaper.com
Reingehört (83)
Joan Shelley – Over And Even (2015, No Quarter Records)
Akustik-Folk für Feinschmecker bietet die amerikanische Songwriterin Joan Shelley aus Louisville/Kentucky auf ihrem dritten Longplayer ‚Over And Even‘, die Musikerin, die vor allem wegen ihrem kristallklaren Gesang Kritiker bereits auf englische Folk-Größen wie Sandy Denny und Vashti Bunyan referenzieren ließ, hat ein Faible für Old-Time-Country und Sixties-Folk, das sie neben ihrem solistischen Wirken auch in Zusammenarbeit mit befreundeten Musikern wie Daniel Martin Moore, Joe Manning und dem Trio Maiden Radio pflegt.
Die vorliegende Musik für die ruhigen Stunden besticht durch altmodischen Appalachen-Sound, dezente keltische Einflüsse, formvollendete Arrangements und die bereits erwähnte, an Reinheit kaum zu überbietende Stimme Joan Shelleys.
Die Stücke erscheinen zeitlos, sie hätten gut und gerne auch vor fünfzig Jahren auf einer Holzveranda irgendwo in den Blue Ridge Mountains oder in einem Folk-Club wie dem New Yorker Cafe Wha? erklingen können, manchem/r mag Joni Mitchell in den Sinn kommen, sei’s drum, im Lebenswerk der kanadischen Musikerin dürften sich auch zwei bis drei exzellente Songs finden.
Ein gewisser Glen Dentinger sowie der Kentucky-Alternative-Country-Gigant Will Oldham/Bonnie ‚Prince‘ Billy begleiten auf dem aktuellen Album dezent mit Harmoniegesang, wie passend.
Entstanden sind die zwölf neuen Folk-Meditationen während eines Aufenthalts der Musikerin in einem verlassenen Gebäude im griechischen Thessaloniki, das abgeschiedene Arbeitsumfeld tat den spartanischen, glasklaren, klar strukturierten Song-Miniaturen hörbar gut.
nyctaper.com hat ihr Brooklyn-Konzert vom vergangenen Februar im Union Pool aufgezeichnet, und so kann man sich dank der legal mitgeschnittenen Bootlegs aus dem Big Apple auch von den konzertanten Fähigkeiten der talentierten jungen Folk-Lady überzeugen, so to speak nur einen Mausklick entfernt.
„Joan Shelley’s voice flows out like a river. It never travels in a straight line. It follows bends and curves carved by history. We are all lucky just to be swept away, and go with her wherever she’s going.“ schreibt Catherine Irwin von der Alternative-Bluegrass-Band Freakwater über Joan Shelley, und die muss es wissen…
(**** ½ – *****)