Brighton

The Physics House Band + Spacepilot @ Import/Export, München, 2019-05-08

Geballtes Doppelpack an Progressive-, Kraut- und Jazz-Rock-Power am vergangenen Mittwoch-Abend im Münchner Import/Export: Die Physics House Band aus UK und das international besetzte Trio Spacepilot auf großer Sternenfahrt im Zwischennutzungs-Projekt an der Dachauer Straße, eine ordentliche Agenda, zu der die Freunde des gepflegten Crossover ihren Besuch gewiss nicht bereuen sollten.

Die erste Runde bespielten über gut 70 Minuten die drei Musiker von Spacepilot, weitaus mehr Co-Headliner als anheizende Vorband, und das war aufgrund der gebotenen Aufführung auch schwerst genehm. Die Band gibt New York als Stammsitz an, der deutsch-stämmige Drummer Joe Hertenstein hat dort seine Wahlheimat in Brooklyn gefunden, an Rhodes-Keyboards, Synthesizer und nachgelagerten Lärm-Gerätschaften ist der Argentinier Leo Genovese zugange, der dritte im Bunde ist der gebürtige Münchner Elias Meister, der Gitarrist und Klang-Experimentierer hat gleichsam seit 2007 seine Zelte im Big Apple aufgeschlagen. Wie die amerikanische Welthauptstadt ist der Spacepilot-Sound ein Schmelztiegel aus zahlreichen, unterschiedlichsten Provenienzen, die Musiker haben in der Vergangenheit bereits mit renommierten Jazz-Größen wie Wayne Shorter, Jack DeJohnette oder Ravi Coltrane zusammengearbeitet, neben der formlosen Improvisation finden sich im überbordenden Klangbild des Trios Einflüsse aus Psychedelic-, Progressive-, Kraut- und Space-Rock, Funk und Trance. Hier waren drei Individualisten zugange, die ihr freies Spiel der Kräfte zu einem entfesselten Instrumental-Klangrausch formten, in dem sich im permanent wandelnden Endlos-Flow in zig-fachen Breaks und Tempi-Wechseln aus abstraktem Space-Drone urplötzlich wunderschöne Gitarren-Melodien über das explosive Gebräu erhoben, um nach ausgedehnter Erbauung in einen tanzbaren, funky Groove zu driften. Das versierte Können der drei Musiker ist exorbitant ausgeprägt, in technischer wie inspirierter Hinsicht, wie auch ihre Fähigkeiten, die jeweilige Improvisations-Kunst kollektiv zu einem derart überwältigenden Höhenflug zu bündeln. Das feine, Facetten-reiche Saiten-Spiel von Gitarrist Meister ist ein Fest für alle Liebhaber der progressiven und psychedelischen Rockmusik, durchwirkt von ausladenden, erhebenden Soli und scharfen Rhythmus-Riffs. Drummer Hertenstein zelebrierte an diesem Abend die komplette Bandbreite seiner Profession von experimentellem, freigeistigem Jazz- und Experimental-Getrommel über angedeutetes Reggae- und Funk-Tempo bis hin zu treibender Hardrock- und Prog-Wucht, eine scheinbar lässigst aus dem Handgelenk geschüttelte und doch hoch komplexe Taktgebung. In Sachen Virtuosität stand Keyboarder Genovese den beiden Mitmusikern in nichts nach, aus den Kraut-Siebzigern bekanntes Weltraum-Georgel auf der Rhodes-Tastatur folgte auf schmissige Jazzrock-Tunes, abstraktes Ambient- und Psychedelia-Gezirpe aus dem analogen Synthesizer ging mit allerlei Noise-Gelichter durch entsprechende Behandlung der Sound-verzerrenden Effekt-Geräte einher.
Es hätte ewig so weiterfließen dürfen, in den faszinierenden Sphären der unendlichen Klang-Möglichkeiten und tonalen Interaktionen, wäre nicht noch ein zweiter Akt für den Abend angestanden, und auch die Space-Piloten selbst zog es fort in andere Galaxien, in den nächsten Tagen in die Umlaufbahn folgender Planeten, hiermit dringendste Empfehlung zum Einklinken in den kosmischen Trip:

11.05.Offenbach – Akademie für interdisziplinäre Prozesse
13.05.Moers – Altes Landratsamt
14.05.Horn-Bad Meinberg – Red Horn District
15.05.Essen – Goethebunker

Die Physics House Band aus dem südenglischen Brighton ist seit 2012 am Start, mit Veröffentlichungen glänzte die Band bis dato nicht an Übereifer, eine Extended-Play-Scheibe aus 2013, die Debüt-LP „Mercury Fountain“ vor zwei Jahren, das war’s bis vor einigen Tagen, immerhin gibt es mit der jüngst veröffentlichten „Death Sequence EP“ aktuell knapp 17 Minuten an neuem Stoff. Die Stärken der Combo liegen weit mehr in der Live-Präsentation als im mühseligen Studio-Gefrickel, die Münchner Konzert-Gänger konnten sich bereits im Oktober 2017 von den exzellenten Bühnen-Qualitäten der Briten überzeugen, das sollte sich am Mittwochabend erneut nicht anders ausnehmen.
Die Band ist zum Quartett gewachsen, als vierter Mann im Bunde ist mittlerweile der Saxophonist und Keyboarder Miles Spilsbury mit an Bord. Damit ist vom ursprünglichen Postrock-Fundament der Physics House Band nicht mehr allzu viel übrig, das laute, opulente Gesamt-Kunstwerk als massive instrumentale Sound-Wand, das soll’s dahingehend gewesen sein, die Band widmet sich im erweiterten Outfit aktuell weit mehr kosmischen Jazz-Fusion- und psychedelischen Prog-/Math-Rock-Experimenten. Mit den ruhigen Trance/Space-Tönen und Ambient-verwandter Gelassenheit hält sich das Quartett nicht lange auf, das Tempo und der Energie-Schub waren für die gute Stunde des Konzerts überwiegend im oberen Level angezeigt. Der an diesem Abend euphorisch überdrehte Conferencier Adam Hutchison ließ die Saiten seines Basses massiv wummern, der dröhende Drive wurde von Trommler Dave Morgan kongenial wie kompromisslos mitbefeuert, dazu würzte Samuel Organ scharf mit jaulenden Heavy-Gitarren, irrlichternden Synthie-Drones und sphärisch-minimalistischen Keyboard-Klängen (naheliegend, bei dem Nachnamen ;-)). Neuzugang Spilsbury verpasst speziell mit seinem Sax-Gebläse den infernalischen Progressive-/Jazzrock-Attacken in Reminiszenz an den großen David Jackson einen unverkennbaren Van-Der-Graaf-Generator-Touch, der damit die Wurzeln des Band-Sounds im englischen Art- und Experimental-Rock und in der stilistisch verwandten Canterbury Scene offen legt.
Konzerte der Physics House Band gleichen dieser Tage mehr den je wunderbar lärmenden Sound-Orkanen, die fulminant auf die geneigte Hörerschaft einstürmen, und am Ende ist es herzlich egal, ob das nun in der Jazzrock-, Prog- oder Postrock-Spielart einzuordnen ist, großartiges, massiv und mit beherztem Engagement vorgetragenes Live-Entertainment ist es in jedem Fall.
The Physics House Band ist in der Republik derzeit noch zu folgenden Terminen zu genießen, do yourself a favour:

11.05.Leipzig – Recycling Museum
12.05.Köln – Blue Shell

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Lloyd Williams @ Kulturstrand, München, 2018-06-20

Die widrige Witterung hat bereits einige von den Münchner Bookern [fwd: like waves] anberaumte Konzerte im Rahmen des diesjährigen Münchner Kulturstrands am lauschigen Vater-Rhein-Brunnen buchstäblich ins Wasser fallen lassen, am vergangenen Mittwoch hat offensichtlich trotz herrlichstem Sommer-Wetter nicht viel gefehlt und der nächste Gig wäre in dem Fall der Niederlage im Kampf mit der Technik zum Opfer gefallen. Mit einer Stunde Verspätung war er dann irgendwann soweit in Linie, der völlig Überforderte am Mischpult, und hatte die PA für den auftretenden Künstler startklar, nachdem der schier nicht mehr endend wollende Soundcheck von grausamster Samba-Strand-Beschallung aus der Konserve und zusehends banger werdenden Blicken von allen Seiten begleitet wurde.
Der für den Auftritt gebuchte Songwriter Lloyd Williams aus dem südenglischen Seebad Brighton wusste es mit stoischer Gelassenheit und ab und an einem Nippen am Weißweinglas zu nehmen, gleichwohl ahnend, dass man sich den unfähigen Soundmixer nicht schön-trinken kann. Nachdem die Regler nicht mehr für möglich gehalten final richtig justiert waren, durfte Williams die vollbesetzte Beach-Party am Isarlauf gegenüber dem Deutschen Museum mit seinem feinen Liedgut beschallen – auch wenn nicht wenige im Publikum sich dem geschwätzigen Chill-Out-Parlieren hingaben und das beherzte Musizieren des britischen Barden als angenehme Hintergrund-Musik missbrauchten, stießen die Balladen und Songs zumindest in den vorderen Reihen verdientermaßen auf offenes Gehör, zugewandtes Aufnehmen und dankbares Applaudieren.
Im Geiste und Outfit seelenverwandter Busker, jener die trostlosen Einkaufspassagen und U-Bahn-Zugänge der Großstädte bevölkernden und vor allem bereichernden Straßenmusiker, legte Lloyd Williams Zeugnis ab von seinem ureigenen Verständnis der akustischen Songwriter-Kunst, die sich aus unterschiedlichsten Quellen/Stilrichtungen der Folk-Musik speist, aus dem Bluegrass der amerikanischen Appalachen und Old Time Roots Americana bis hin zu Spielarten irischer und englischer Volksweisen und britischem Free-/Progressive-Folk in der Tradition Nick Drakes und John Martyns, vorgetragen in technisch versiertem, virtuosem Saitenanschlag in offener Stimmung und beseeltem Uptempo-Schrammlen auf dem Banjo, das der Musiker zwischen beherztem, rauem Anschlag und filigranem Anzupfen variierte, der jeweiligen Gemütslage seiner Hymnen, Beschwörungen, Lobgesänge und melancholischen Wehmuts-Bezeugungen entsprechend. Seine unverfälschte, simpel gehaltene wie stringente Instrumentierung durchdringt Lloyd Williams mit empathischem, reinem Gesang, des Öfteren nicht zu knapp mit Hang zum klagenden Pathos ausgelebt. Die individuelle Gabe des Musikers liegt im Ausbalancieren von gelebter Energie und Kraft im Bühnen-Vortrag und der den erzählten Geschichten innewohnenden Nachdenklichkeit und den mit Inbrunst besungenen Emotionen.
Lloyd Williams hat viel zu erzählen, von verflossenen Liebschaften, unerfüllten Wünschen, Sehnsüchten und anderen Unebenheiten des Lebens, liegt auf der Hand bei einem wie ihm, den die Vorsehung als fahrenden Musiker bisher von Vorprogramm-Auftritten bei Bob-Dylan- und Magic-Numbers-Konzerten – harte Schule ob der fragwürdigen Haupt-Acts, ohne Zweifel – bis hin zu Tourneen nach Indien und Nepal geführt hat. Aus dem Leben gegriffene und Straßen-erprobte Geschichten, als Tondichtungen zu sensiblen und behutsamen Folk-Miniaturen verwoben.
Wer weiß, vielleicht präsentiert der sympathische und talentierte Folk-Barde von der englischen Südküste demnächst eine Songwriter-Meditation über inkompetente Sound-Abmischer, plärrende Kleinkinder und an feinem Liedgut desinteressierte After-Work-Young-Urban-Professionals am Münchner Stadtstrand, Stoff hierzu hätte dieses seltsame Gesamtbild am Mittwochabend im Abendsonnen-durchfluteten Grün am Isar-Ufer weiß Gott genügend abgegeben…

Upcoming Konzerte am Kulturstrand, Vater-Rhein-Brunnen, Museumsinsel, Ludwigsbrücke, München, Eintritt frei, vielleicht dann auch mit funktionierendem Soundboard in time:

29.06. One Sentence Supervisor (Krautpop)
03.07. Queen Alaska (Pop)
16.07. Crashcaptains (Indierock)
21.07. Agi Naju (Experimental)
25.07. The Burning Hell (Folk)
26.07. Willy Michl (Isarindianer-Blues)
31.07. Nick & June (Acoustic Pop)
11.08. Safari (Indie/Electro-Pop)

Poppy Ackroyd @ Einstein Kultur, München, 2018-05-17

Tonale Seelenmassage und innere Erbauung par excellence: Sie hat Anfang des Jahres mit ihrer großartigen Neuveröffentlichung „Resolve“ umfänglichst und nachhaltig zu überzeugen gewusst, konzertant unterstrich die englische Ausnahmekünstlerin Poppy Ackroyd den gewonnenen Eindruck der Exzellenz ihrer Werke am vergangenen Donnerstagabend im Kellergewölbe des Einstein Kultur erneut mit herausragender Bravour.
Die klassisch ausgebildete Komponistin und Musikerin moderierte völlig unaufgeregt und sympathisch-einnehmend mit britischer Höflichkeit in kurzen Ansagen ihre vorgetragenen Werke, in gleicher Weise unaufgeregt und doch von einer betörenden hypnotischen Kraft durchwirkt trug sie ihre instrumentalen Klangentwürfe aus dem Grenzbereich der Neoklassik und der experimentellen Electronica vor, Kleinode voll inwendiger Schönheit, die die Pianistin präzise, dabei stets unendlich beseelt, mit Hang zur klassischen Minimal Music, dabei doch unterschwellig opulent und reich an Farben, Melodiebögen und Phrasierungen in einer ureigenen Tondichtung vortrug. Die an der University of Edinburgh akademisch geschulte Brillanz an Piano und sporadisch eingesetzter E-Violine sind bei Poppy Ackroyd das Eine, die wie sich selbstverständlich einpassenden experimentellen Blüten, die von der englischen Musikerin dezent, behutsam und auf den Punkt genau passend im herrlich dahinfließenden Post-Klassik-Wogen zur Entfaltung gebracht werden, darüber hinaus eine ganz andere Nummer.
Ambient-Loops, die Ackroyd zumeist live zu den einzelnen Stücken analog erzeugt und einspielt durch Klopfen am Piano-Korpus, Zither-artigem Anschlagen wie Zupfen und Bearbeiten der Klaviersaiten mit einem Paukenschlägel und vorauslaufendem Anstimmen von repetitiven Streicher-Arrangements werden als Samples, verfremdete Trance-Soundscapes und dezente Drones rhythmisch pochend oder im begleitenden freien Electronica-Flow als Schichten über die Klavier-Exkursionen gelegt, in einer überzeugenden Selbstverständlichkeit, als sollte moderne klassische Musik in unseren Zeiten in keinem Fall anders klingen.
Angenehmer kann man kaum durch ein Konzert geleitet werden: Die wunderschönen Klanglandschaften Poppy Ackroyds beschwören Bilder herauf, die sich der Zuhörer als Zeuge ihrer multimedialen Konzerten nicht der eigenen Phantasie entwinden muss, sie werden bereits stimmig zum Sound durch die nicht minder schönen, in klassischem Schwarz-weiß gefilmten Videoinstallationen von Ackroyd-Freund Tom Newell aka Lumen an die Wand projiziert, traumhafte Bilder von Flusslandschaften, wogenden Brandungen an einsamen Küsten-Gestaden, winterliche Berghügel, über die in Zeitlupen-artiger Tranquillität die dichten Schneeflocken schweben oder wie im Fall des Titelstücks ihres 2014er-Albums „Feathers“ einer filmischen Meditation Newells über die Vogelfedern-Sammlung der Musikerin.
Siebzig Minuten Konzert im intimen Rahmen des Einstein-Kultur-Kellergewölbes ohne Zugabe von einer außergewöhnlichen Künstlerin, mehr war nicht nötig, um die zugewandte Hörerschaft im leidlich gut besuchten Saal zu bezaubern und zu langanhaltendem, dankbaren, hochverdienten Applaus hinzureißen, um zur inneren Ruhe zu finden, um lärmende Gitarren zu vergessen, und den schnöden Alltag sowieso. Für die nächsten Tage die sanfte wie gleichsam hochspannende, einzigartige Kunst der Poppy Ackroyd in Dauerschleife, es verlangt nicht nach mehr.
Sollte dieses Konzert nicht unter den persönlichen Jahres-Top-Five landen, stehen für die nächsten Monate kaum eintretende, exorbitante Wunder wie ein John-Cale-Privatkonzert im heimischen Wohnzimmer oder die Hendrix-Wiederauferstehung an.

Reingehört (411): Poppy Ackroyd

„Resolve is about the determination to embrace the good things in life whilst dealing with unexpected and challenging difficulties. Finding the light in the dark, facing sadness and loss head on, and developing a growing inner strength.“
(Poppy Ackroyd)

Poppy Ackroyd – Resolve (2018, One Little Indian)

Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss. Der Filmtitel des französischen Regisseurs Étienne Chatiliez trifft leider nicht immer zu, auf dem kommenden Album „Resolve“ der britischen Experimental-Musikerin und -Komponistin Poppy Ackroyd aber ohne Abstriche. Die klassisch ausgebildete Klangkünstlerin aus dem südenglischen Seebad Brighton entwirft in ihren Instrumental-Werken ein filigranes Geflecht aus neoklassischem Wohlklang, Minimal-Music-Meditationen, Ambient-artiger Transzendenz und einem stetigen Fließen, wie man es im konzeptionellen Ansatz aus zahlreichen gewichtigen Postrock-Arbeiten kennt, hier umgesetzt mit den Mitteln der klassischen Orchestrierung, der Begriff „Post-Klassik“ drängt sich förmlich auf. Darüber hinaus ist ein Nachhallen aus dem essenziellen Filmmusik-Schaffen etwa aus der Feder von Größen wie Michael Nyman, Philip Glass oder Yann Tiersen zu vernehmen, allerspätestens mit dieser neuen Arbeit darf sich Poppy Ackroyd in dieser Elite-Liga einreihen.
Feinste, sich wunderschön und nachhaltig ins Ohr schmeichelnde, ineinander verschachtelte und wieder zusammenlaufende Melodie-Bögen, die sich völlig unaufgeregt, aber bestimmt ihren Weg bahnen, dominiert von der virtuosen Streicher-Sektion und vom mit ruhiger Hand angeschlagenen Piano, begleitet von dezenten Sampling-Loops und unaufdringlichem Rhythmus-Geklapper, dass ähnlich wie bei den Hauschka-Wunderwerken eines Volker Bertelmann durch unkonventionelles Bearbeiten der Klavier-Saiten und des Cello-Korpus mit Trommelwerkzeug, Geigenbögen, Plektren oder Papier erzeugt wird.
Die symphonischen Klang-Epen präsentieren sich auf den ersten Blick unspektakulär, mitunter geradezu simpel, und offenbaren doch bei eingehender Studie eine hoch komplexe, Ideen-reiche und individuelle Handschrift in der kunstfertigen Komposition wie Ausführung.
An Gastmusiker_Innen tummeln sich unter anderem die in unseren Gefilden durch Touren mit der US-amerikanischen Postrock-Band Caspian bekannt gewordene Cellistin Jo Quail (die auch dem exzellenten Stück Nr. 5 des Albums ihren Namen gibt) und Manu Delago aus dem Björk-Umfeld, bei jedem, der mit der unsäglichen isländischen Heulboje dicke ist, ist grundsätzlich Vorsicht geboten, in dem Fall aber Entwarnung, alles im grünen Bereich.
Draußen fällt der Schnee und lässt frösteln, inwendig wärmt der erhabene Klang der Ackroyd-Tondichtungen das Gemüt, so soll das sein. Erstes dickes Ausrufezeichen hinsichtlich 2018er-Jahres-Highlights.
„Resolve“ erscheint am 2. Februar beim Londoner Indie-Label One Little Indian Records.
(***** ½)

sleepmakeswaves, The Physics House Band, Vasudeva @ Backstage Club, München, 2017-10-15

Interkontinentales Postrock-Dreierpack zum Wochenend-Ausklang am vergangenen Sonntagabend im leidlich gut besuchten Club des Backstage, einige potentielle Konzertgänger_Innen dürften sich vermutlich zwecks Retro-Schuheglotzen in die Theaterfabrik zum parallel stattfindenden Konzert der aufgewärmten Jesus And Mary Chain verirrt haben.

Das straffe Programm eröffneten drei junge Männer aus New Jersey mit ihrer Formation Vasudeva und beschallten den Saal mit Laune machendem Instrumental-Gitarrenrock an der Schnittstelle Post-/Math-Rock und Djent, der sich ohne Bass präsentierte, dementsprechend beschwingt, luftig und ohne die für den Postrock oft typische, schwere Bodenhaftung durch die Rhythmus-Abteilung auskam (davon sollte es im weiteren Verlauf des Abends noch satt geben) – das Klangbild von Vasudeva lebt vor allem vom Spannungsfeld, dass die mit- und gegeneinander spielende Lead- und Rhythmusgitarre abstecken, eine mit locker wirkender Dynamik vorgetragene Tonkunst, der es trotz leichtfüßigem Elan und Leichtsinn nicht an Substanz mangelt und die Kopf wie Tanzbein gleichermaßen anzuregen weiß.
Gelungener halbstündiger Einstieg in das dreiteilige Instrumental-Hochamt, ob der musikalische Ansatz von Vasudeva das Spannungslevel über die volle Konzert-Distanz aufrecht zu halten vermag, wird vermutlich die Zukunft zeigen, für Sonntagabend im Backstage war’s genau die richtige Portionierung.
Der Bandname kommt im Übrigen aus dem Sanskrit und benennt in den indischen Bhagavatapurana-/Bhagavatapurana-Epen den Vater des hinduistischen Gottes Krishna. In diesem Sinne: Rāma Rāma Hare Hare …
(**** 1/2)

Das britische Sechziger-Jahre-Double von Rainer Langhans schnappt sich eine Bassgitarre, treibt die technischen wie solistischen Fertigkeiten eines Jack Bruce, eines John Entwistle oder eines Noel Redding auf die Spitze, sucht sich einen Ginger-Baker-Epigonen, der dessen Kunst des freien Schlagzeugspiels hinsichtlich Tempo, improvisierter Inspiration und Wucht um ein Vielfaches verschärft, und komplettiert das Trio um einen versierten Gitarristen, dem Robert Fripp wie Tony Iommi keine fremden Götter sind, fertig ist das Bild, das die jungen Briten der Physics House Band im konzertanten Prog-Rock-Vortrag vermitteln. Wo auf dem aktuellen Longplayer „Mercury Fountain“ der Combo aus Brighton der Synthie, die Bläser und der modernere Post-/Mathrock vermehrt zu ihrem Recht kommen, dominiert im Live-Vortrag in klassischer Power-Trio-Besetzung mit einigen dezenten Keyboard-Beigaben die Reminiszenz an experimentierfreudige Space-, Kraut- und Progressive-Rock-Hochzeiten, in „Dark Star“-artigen, diffusen Drones in freier Klangform hält die Band immer wieder inne zum Sammeln, Fahrt-aufnehmen und Abdriften in den hypnotischen Sphären-Rausch, den Black-Sabbath’sche Riffs genau so befeuern wie die Wucht des treibenden, virtuosen Bass-Spiels und der freie Fluss der ekstatisch geschwungenen und über die Klangkörper tanzenden Trommelstöcke – eine zu keiner Sekunde abgestanden wirkende Zeitreise zu den Ursprüngen der experimentellen Rockmusik, in der die anberaumten 30 Minuten dann wie im Flug vergingen und letztendlich nach einer ausgedehnten Verlängerung verlangt hätten. Immer ein Fest, wenn Bands vom Konzept ihrer Tonträger-Konserven abweichen und den konzertanten Vortrag zu einer eigenen, organischen Form weiterentwickeln, verändern und ausbauen. Großer Prog-Sport, keine Frage, die Bande nähme man auch als Headliner gern mit Kusshand.
(*****)

Die Kernkompetenz des Quartetts sleepmakeswaves aus Sydney liegt im klassischen Postrock, der sich in dem Fall wenig bis nichts um die tradierten, gedehnten, leisen Meditativ-Passagen schert – ihre Sporen als ausgewiesene wie energetische Live-Performer hat sich die Band in der Vergangenheit durch Touren in der australischen Heimat mit Genre-Größen wie Mono, Pelican oder Russian Circles, ausgedehnte US- und Europatourneen und Festival-Auftritte wie wiederholt beim belgischen Dunk! erspielt, vor etlichen Jahren waren sie bereits im Vorprogramm zur Math-/Ambient-/Postrock-Electronica der Sheffield-Formation 65daysofstatic der weitaus genehmere Part im damaligen Münchener Feierwerk-Doppelpack. Auf der ausgedehnten 2017er-Konzertreise sind sleepmakeswaves nun als Headliner zur Promotion ihres aktuellen Tonträgers „Made Of Breath Only“ im alten Europa unterwegs, das ab und an als reserviert geltende Münchener Konzertpublikum goutierte überschwänglich mit dem gebührenden Applaus die sich permanent am oberen Energie-Level abspielende Instrumental-Explosion, die hart wie schneidend angeschlagenen Gitarren-Attacken und vertrackten Tempi-Wechsel wurden nur sporadisch und dezent mit lieblicherer Keyboard- und gesampelter Electronica-Melodik abgemildert, stets aber kongenial von Drummer Tim Adderley zu Hochform getrieben und vor allem vom im Zentrum des Sturm stehenden Ur-Mitglied Alex Wilson und seinem wuchtigen, an polternder Vehemenz kaum zu übertreffenden Bass-Spiel geerdet. Die sympathische Band fühlte sich im Backstage-Umfeld sichtlich wohl wie – bedingt durch hochsommerliche Herbst-Temperaturen – an heimische Gefilde down under erinnert und war somit willens, über die vorgesehene Setlist hinaus noch eine Handvoll ungeplante Sonderrunden draufzupacken.
Die muffigen wie maulfaulen Reid-Brüder von den Jesus-und-Maria-Schotten haben einem an dem Abend jedenfalls nicht gefehlt…
(**** ½ – *****)

Die Deutschland-Konzerte der Tour endeten mit dem München-Gig, weitere Europa-Termine: hier.

Herzlichen Dank an Mel vom Konzert-präsentierenden curt-Magazin für den Gästelisten-Platz.