Buddy Miller

Soul Family Tree (36): Soul goes Country

Ich kam auf das Thema, als ich Solomon Burke interviewte. Wer hätte gedacht, dass diese Soul-Legende jeden Morgen Countrymusik zum Aufstehen hört? Er erzählte mir, dass er Countrymusik liebt, dass Countrymusik schwarze Musik ist. Er hat sogar vor dem Ku Klux Klan gesungen. Weil er eine „weiße“ Stimme hatte, hatten sie ihn in den Südstaaten gebucht. Als er ankam, sagte ihm der Veranstalter: „Oh, das ist jetzt großer Mist. Weißt du was? Wir sagen einfach, du hast einen Verkehrsunfall gehabt, und bandagieren dich von oben bis unten ein.“ Und dann trat der Veranstalter vor das Redneck-Publikum und sagte, er habe eine schlechte Nachricht: Der Sänger hatte einen Unfall, und es gäbe auch eine gute: Er wird trotzdem für uns singen. Ehrlich gesagt, man kann’s nicht glauben, aber ich habe immer wieder Leute getroffen, die sagten: „Doch, das ist wahr, ich war dabei.“
(Jonathan Fischer, in: Christof Meueler mit Franz Dobler, Die Trikont-Story, 2017)

Seele haben beide nicht zu knapp, Country und Soul, insofern stellt der DJ, Künstler, Journalist und Amateurboxer Jonathan Fischer als Herausgeber der beiden Trikont-Sampler „Dirty Laundry – The Soul Of Black Country“ (2004) und „More Dirty Laundry“ (2008) die berechtigte Frage, ob eine Trennung von „schwarzer“ und „weißer“ Musik in den Medien, Charts und Plattenläden überhaupt Sinn macht.
Schwarze Musiker waren bereits seit den ersten Aufnahmen Teil der Country-Musik-Szene, die aus der europäischen Folklore der weißen Einwanderer entstandene Hillbilly-Musik wurde maßgebend vom Blues und Gospel der afroamerikanischen Arbeiter und Sklaven-Nachkommen hinsichtlich Stil, Songmaterial und thematischer Inhalte beeinflusst und nachhaltig geprägt.
In den amerikanischen Südstaaten setzten sich schwarze und weiße Musiker über die gängigen Rassenschranken hinweg, vermischten und entwickelten so gemeinsame Ansätze in der Instrumentierung wie im Interpretieren von Songs des jeweils anderen Genres.
Die Süddeutsche Zeitung brachte es seinerzeit in einer Besprechung zu den Fischer-Sammlungen des Münchner Indie-Labels treffend auf den Punkt: „Erst als clevere Musiker wie Jimmie Rogers, Bill Monroe und Hank Williams mit schwarzen Kollegen Stile und Songs austauschten, wurden aus den Hinterwäldlersongs echte Hits. Die schaurigschönen vertonten Geschichten über Verlierer, Trinker und Habenichtse plärrten aus den Radiolautsprechern und Grammophontrichtern – und alle, die mit den Härten des Lebens kämpften, sangen mit, natürlich auch Afroamerikaner“.

Jonathan Fischer legt in den von ihm kompilierten Samplern neben den offensichtlichen Wurzeln des Soul im Gospel und Blues auch die weniger augenscheinlichen im Country und Bluegrass offen und dokumentiert im beigelegten Text die Fallstricke, die den schwarzen Musikern von der weißen Country-Industrie ausgelegt wurden.

Zum Einstieg der Opener zu „Dirty Laundry“ von der ehemaligen Southern-Soul-Sängerin und heutigen Pastorin Ella Washington, die Jonathan Fischer bereits auf seinem wunderbaren „Down & Out“-Sampler vorstellte, hier mit ihrem 1969er-Hit „He Called Me Baby“, einer Nummer aus der Feder von Songwriter Harlan Howard, die auch Country-Stars wie Patsy Kline und Charlie Rich aufnahmen.

Bobby Womack, der im übrigen auch das Cover des ersten Trikont-Soul/Country-Samplers mit Stetson, cooler Sonnenbrille und Pfeife ziert, hat sich 1976 eingehend mit der Country-Musik auseinandergesetzt. Sein Album „BW Goes C&W“ wurde von der Kritik schwer verrissen und floppte kommerziell auf ganzer Linie, darüber hinaus zerbrach seine Geschäftsbeziehung zum Label United Artists aufgrund der schlechten Verkaufszahlen, der Ritt auf dem weißen Pferd endete für den renommierten Soul-Songwriter und Produzenten als desaströses Rodeo. Trotzdem finden sich auf dem Album etliche Perlen, das auf der ersten Trikont-Sammlung enthaltene „Bouquet Of Roses“ etwa oder die hier vorgestellte Sam-Cooke-Komposition „Tired Of Living In The Country“:

Der aus Ferguson/Missouri stammende Soul-Sänger Brian Owens bringt das Thema mit der aktuellen Eigenkomposition „Soul In My Country“ auf den Punkt, ansonsten widmet er sich auf seinem im Oktober erschienenen neuen Album ausschließlich einigen der Greatest Hits der Country-Ikone Johnny Cash, auf „Soul Of Cash“ mag nicht jede Interpretation gleichermaßen überzeugen, bei nahezu totgespielten und obligatorischen Titeln wie „Ring Of Fire“ oder „I Walk The Line“ springt der Funke im Black-Music-Gewand nicht recht über, Etliches plätschert allzu beliebig im gefälligen Mainstream, bei einer Handvoll Titel ist der Weg zum völlig belanglosen Soft Soul nicht mehr weit, es finden sich aber auch mindestens zwei rühmliche Ausnahmen auf dem Tonträger, die Moritat über einen unschuldigen Mörder in „Long Black Veil“ und vor allem die zusammen mit dem Nashville-Musiker Austin Grimm Smith eingesungene Kris-Kristofferson-Komposition „Sunday Morning Coming Down“ klingen, als hätten sie schon lange nach einer Soul-Version in dieser Form verlangt.

Der Americana-Songwriter, Produzent und Musiker Buddy Miller hat sich 2006 um den schwergewichtigen R&B-/Blues- und Soul-Prediger Solomon Burke angenommen und mit ihm das Country-Album „Nashville“ eingespielt. Burke hatte erst einige Jahre zuvor ein Comeback mit dem erfolgreichen und hochgelobten 2002er-Coverversionen-Album „Don’t Give Up On Me“, für das er seinen ersten Grammy erntete. Die Soul-Legende hat sich bereits in früheren Jahren mit Country-Musik beschäftigt, auf „Nashville“ interpretiert er mehrheitlich wieder Fremdmaterial aus der Feder von Größen wie Bruce Springsteen, Dolly Parton, Patty Griffin oder Jim Lauderdale, mit der Nashville-Songwriterin Gillian Welch nahm er deren Nummer „Valley Of Tears“ für das Album auf, hier eine Live-Version der Ballade, zusammen mit dem Welch-Weggefährten David Rawlings:

Andersrum geht es auch, darum zum Schluss etwas Country-Weißbrot vom bereits eingangs erwähnten Alt-Crooner Charlie Rich mit einer Einspielung der weit über 100 Jahre alten, weltbekannten Gospel-/Spiritual-Nummer „Down By The Riverside“. Black-Friday-Contributor Stefan vom Freiraum-Blog verabschiedet sich an der Stelle immer mit seinem „Peace and Soul“-Gruß, analog hierzu heute ein passendes „Study War no more“

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Reingehört (176)

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Shawn Colvin & Steve Earle – Colvin & Earle (2016, Concord Music / Universal Records)
Der Alternative-Country-/Roots-Altmeister Steve Earle und die Folk-Musikantin Shawn Colvin haben sich zwecks Kollaboration zusammengetan und ein launig-beschwingtes Country-Folk-Album mit punktuell bereichernden Honky-Tonk-Blues-Ausflügen eingespielt.
Die beiden seit den Früh-Siebzigern aktiven Songwriter harmonieren im Duettgesang, der kritische Geist und politische Aktivist Earle und die Grammy-Gewinnerin Colvin brillieren in etlichen Coverversion, im Stones-Klassikers „Ruby Tuesday“, der in der Country-Version jegliches hymnische Pathos des Originals vermissen lässt, was dem alten Schmachtfetzten gut zu Gesicht steht, in der Emmylou-Harris-Nummer „Raise The Dead“, „You Were On My Mind“, im Original ein Schlager der kalifornischen Sixties-Folk-Band We Five und einer Blues-lastigen Neueinspielung des Nashville-Teens-Stücks „Tabacco Road“, das seinerzeit in der 14-minütigen Eric-Burdon-Interpretation im Jahr 1970 zum Hit wurde.
In den sechs Eigenkompositionen gelingt es dem Duo mal mehr, mal weniger, den jeweiligen Stücken einen individuellen Stempel aufzudrücken, mitunter klingt das wiederholt austauschbar und gleichförmig vor sich hin leiernd, speziell bei früheren Steve-Earle-Tonträgern kam da schon mal mehr Freude auf.
Produziert von Americana-Songwriter-Urgestein Buddy Miller, was die punktuell aufkommende Eintönigkeit beim Abhören dieses Tonträgers erklären mag, Millers eigene Arbeiten waren in der Vergangenheit vor diesen Anwandlungen auch nicht immer gefeit.
(*** ½ – ****)

Reingehört (35)

15

Ralph Stanley & Friends – Man Of Constant Sorrow (2015, Cracker Barrel)
Der seit 1946 (!) aktive Dr. Ralph Stanley, der inzwischen auch schon 87 stolze Jahresringe zählt und seit Jahrzehnten durch seinen unverkennbaren Gesang und sein Banjo-Spiel eine feste Größe in der amerikanischen Bluegrass-Szene ist, hat illustere Gäste für sein neues Album geladen, von den 13 Stücken zelebriert er nur eine Nummer solo und eine weitere mit seiner festen Band, den Clinch Mountain Boys. Beim Großteil der Einspielungen wird „The Good Doctor“ von stilsicheren Gästen wie Elvis Costello, Robert Plant, Buddy Miller, Del McCoury, Gillian Welch und Dave Rawlings unterstützt, alles durch die Bank Künstler, die sicher mehr als nur eine Ahnung von guter Musik haben. Heraus kam ein mit vielen Traditionals gespicktes, wunderbares Bluegrass-Album im Sinne der reinen Lehre, ohne modischen Firlefanz oder überflüssige Experimente, direkt auf den Punkt gebracht.
Seinen Ehrendoktor der Musik bekam Ralph Stanley 1976 von der Lincoln Memorial University in Harrogate, Tennessee – hört man diese neue Scheibe: völlig zu Recht !! ;-))

Die Songs im Einzelnen – guckst Du hier:

01. “We Shall Rise,” Ralph Stanley and Josh Turner with The Clinch Mountain Boys
02. “I Only Exist,” Ralph Stanley and Dierks Bentley with The Clinch Mountain Boys
03. “We’ll Be Sweethearts in Heaven,” Ralph Stanley and Ricky Skaggs with The Clinch Mountain Boys and Ronnie McCoury
04. “Rank Stranger,” Ralph Stanley and Nathan Stanley with The Clinch Mountain Boys
05. “I Am the Man, Thomas,” Ralph Stanley, Buddy Miller and Jim Lauderdale with The Clinch Mountain Boys and Ronnie McCoury
06. “White Dove,” Ralph Stanley and Lee Ann and Aubrie Sellers with The Clinch Mountain Boys and Ronnie McCoury
07. “Red Wicked Wine,” Ralph Stanley and Elvis Costello with The Clinch Mountain Boys
08. “Pig in a Pen,” Ralph Stanley and Gillian Welch and Dave Rawlings with Paul Kowert
09. “Two Coats,” Ralph Stanley and Robert Plant
10. “Brand New Tennessee Waltz,” Ralph Stanley and Del McCoury with The Clinch Mountain Boys and Ronnie McCoury
11. “Short Life of Trouble,” Ralph Stanley and Old Crow Medicine Show
12. “Hills of Home,” Ralph Stanley
13. “Man of Constant Sorrow,” Ralph Stanley and The Clinch Mountain Boys

(*****)