Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
Café Schau Ma Moi
Fred Raspail & Rosario Baeza @ Café Schau Ma Moi, München, 2019-04-04
Rosario Baeza: „People don’t talk that much, cause they’re permanently drinking…“
Fred Raspail: „You got it, that’s how things go here!“
Wenn sich beim Café Schau Ma Moi das Leben an der Tegernseer Landtraße weit mehr vor dem Lokal am Gehsteig als im Gastraum selbst abspielt, ist sehr wahrscheinlich Drittliga-Spieltag und Heerscharen von Sechzig-Fans umzingeln das beloved Giesinger Wohnzimmer, um die nächsten eingefahrenen Punkte gegen den Abstieg zu feiern oder den Frust über eine schwache Partie der „Löwen“ mit dem Kellerbier der nahe gelegenen, ortsansässigen Brauerei wegzuspülen. Drängeln sich dagegen die Gäste dicht gestaffelt im kleinen Cafe, ist derzeit entweder Lesung oder Vortrag zum hundertjährigen Jubiläum der Bayerischen Revolution und Räte-Republik angezeigt oder die Obergiesinger „Ordnungszelle“ wird kurzerhand zum „Telasoul Ballroom“ ausgerufen, zwecks musikalischer Beschallung der vermutlich kleinsten – und ganz sicher neben dem KAP37 und dem Club-Keller der Polka-Bar schönsten – Münchner Konzert-Lokalität. So geschehen once again am vergangenen Donnerstag-Abend zur Präsentation des kürzlich erschienenen Albums „Radio Primitivo“ (Gutfeeling Records) vom französischen Trashblues-Folker und Los-Gatillos-Musikanten Fred Raspail, der hier bereits bestens bekannte und beleumundete Barde aus Lyon stellte sein bewährtes One-Man-Band-Konzept hintenan, Raspail und sein mysteriöses Primitive Ghost Orchestra durften sich an dem Abend alles andere als primitiv und äußerst charmant von der argentinischen Musikerin Rosario Baeza begleiten lassen.
Nicht nur optisch ein fesches Paar, harmonierten die beiden auch im gemeinsamen Aufspielen prächtig. Die junge Musikerin aus Buenos Aires demonstrierte ihr Multitalent an Violine, Bluesharp, Gitarre wie Keyboards und verlieh damit der scheppernden Chanson-Folklore, dem ungestüm lärmenden Rock and Roll, dem Trash in Moll von Fred Raspail geschmeidige Eleganz und die zusätzlichen Facetten an Gypsy-Swing, Balkan-Melancholie und Americana-Roots. Nicht nur an diversem Instrumentarium, auch als Duett-Partnerin im Gesang wie im gelegentlichen Lead wusste die Argentinierin zu gefallen, das unverstellt Verruchte und Schmutzige in ihrer betörenden Blues-Stimmlage begeisterte wie ihr Talent als schmalzende Balladen-Croonerin im südamerikanischen Herz-Schmerz-Drama, das die Hörerschaft im gesteckt vollen Café ergriffen die Luft anhalten ließ.
Eingangs bot das Duo eine feine Auswahl an amerikanischen Blues- und Folk-Standards im schrammeligen Gewand, die erwartet grandios vorgetragene, tieftraurige Gospel-Ballade „Wayfaring Stranger“, der rohe, schmissig polternde „Folsom Prison Blues“ als Verneigung vor dem großen Cash und eine durch die Violine Rosa Baezas zum Country-Blues mit Irish-Folk-Einschlag veredelte Interpretation des Leadbelly-Klassikers „In The Pines“, zu der sich die ehemalige Giesinger Bahnwärter-Station für einige Minuten in die Nachbarschaft von windschiefen Holzschuppen und illegalen Schnapsbrennereien irgendwo am Rande der Baumwollfelder des US-amerikanischen Südens teleportierte.
Den unterhaltenden Conferencier und launigen Anekdoten-Erzähler zwischen den einzelnen Nummern hielt Fred Raspail dieses Mal im Zaum, zuviel an neuen Songs vom aktuellen Tonträger stand auf der Setlist zum konzertanten Vortrag, als dass die Zeit zum ausladenden Parlieren gereicht hätte, vielleicht mochte er sich im Duo-Verbund auch nicht als großer Geschichten-Zampano hervortun und gab sich darum galant bedeckt. In einem babylonischen Sprachgewirr an französischen, spanischen, englischen und deutschen Lyrics trashte, jaulte und schepperte sich das gemischte Doppel durch das Primitiv-Radio-Programm für Kirmes-Veranstaltungen, Blues-Garagen und verrauchte Kaschemmen, wo der biblische Turmbau am gegenseitigen Unverständnis der beteiligten Parteien scheiterte, gelang das Konzert der europäisch-lateinamerikanischen Connection im transkontinentalen Schulterschluss zu einem höchst gelungenen Kunststück der abendlichen Unterhaltung, die Entertainment-Qualitäten der gebotenen Aufführung waren allein schon am rasenden Verfliegen der Zeit festzumachen, die eineinhalb Stunden im Schau Ma Moi hatten sich am Donnerstagabend scheint’s zu einem kurzweiligen, vor allem gefühlt viel zu kurz geratenen Konzentrat verdichtet. Wegen der Giesinger Nachbarschaft muss halt irgendwann notgedrungen Schluss sein, dabei wäre man Fred Raspail und Rosario Baeza gerne noch weiter bis tief in die Nacht hinein bei ihren beseelten Exkursionen durch die bunte und schräge Welt der Folk- und Blues-Abseitigkeiten gefolgt.
Fred & Rosa Powerduo-Supertrash-Folklore-Blues erfreulicherweise demnächst bald wieder in München, am 22. Mai im Rahmen der regelmäßigen Fish’n’Blues-Veranstaltung der Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, 20.00 Uhr. Bei entsprechender Witterung im heimeligen Biergarten. Have a Fischgräte, have a few Unertl Weißbier, have some delicious Primitive Folk Chansons…
Howie Reeve + 4Shades @ Café Schau Ma Moi, München, 2018-10-30
Gepflegtes Indie-Doppelpack am vergangenen Dienstag im Café Schau Ma Moi, dem Giesinger Wohnzimmer, Treff der alternativen „Löwen“-Fanszene und vermutlich kleinsten Münchner Konzertsaal im ehemaligen Bahnwärter-Häusl an der Tegernseer Landstraße: Den Auftakt des popmusikalischen Abends bespielten die Lokalmatadoren der 4Shades, die ihre Schatten dem eindeutigen Bandnamen zum Trotz auch zu dieser Veranstaltung – wie stets – zu dritt warfen, Clubzwei-Konzertveranstalter Ivi Vukelic an Gesang und halbakustischer Gitarre, Echokammer-Labelchef und Grexits/Weißes-Pferd-Musikant Albert Pöschl an den elektrischen sechs Saiten und Domhans-Drummer Martin Rühle schepperten, folk-rockten und schrammten sich in Trio-Besetzung durch ihren entspannten, unaufgeregten 45-Minuten-Set aus feinen, ansprechend melodischen Songwriter-/Indie-Pop-Perlen, flotten Surf-Rock-Instrumentals und die sporadischen Ausflüge in atmosphärische Desert-Gefilde, Alternative-Country-Reminiszenzen und ein inwendiges Grundverständnis für die beschwingte Psychedelic der Pop-historisch relevanten Spät-Sixties.
Die 4Shades sind stilistisch schwer zu greifen, kaum auf eine einzige Attraktion des alternativen Indie-Zirkus festzulegen, völlig anders als der nicht an die Wand zu nagelnde Joghurt dabei jedoch kaum beliebig und keineswegs austauschbar. Der Gesang vom hochgeschätzten Clubzwei-Organisator Ivi Vukelic wurde andernorts mit einer „sexy Ü40-Knabenstimme“ charakterisiert, vielleicht ist es auch nur die individuelle Interpretation von reduziertem, minimalistischem Soft Soul, wer mag das schon abschließend definieren?
Die 4Shades bewegen sich in einem weitläufigen Feld, innerhalb weit gesteckter Grenzen zwischen großen, ergreifenden Songwriter-Harmonien, grob die Ecke Go-Betweens/Robert Forster als Hausnummer, beseeltem Cosmic-American-Folkrock-Flow und verhallt scheppernder Pulp-Fiction-Beschallung a la Dick Dale, sie sind sowas wie die wandelnde, in Praxis umgesetzte Pop-Lexika-Theorie, und damit bei weitem mehr als die Summe der Erfahrungen, Fertigkeiten und kompositorischen Ideen ihrer einzelnen Protagonisten.
Geschmeidiges Alternative-Entertainment, notgedrungen auf engstem Raum ohne große Show-Elemente, dafür mit umso mehr musikalischer Substanz und Finesse, und zu der speziellen Gelegenheit der weitaus weniger sperrige Part des konzertanten Doppels.
Die zweite dreiviertel Stunde des Abends im Schau Ma Moi gehörte dem Schotten Howie Reeve, der Songwriter aus Glasgow, der in vergangenen Zeiten bereits mit seinem Folk-Landsmann Alasdair Roberts und dem ehemaligen Minutemen-/fIREHOSE-/Stooges-Basser Mike Watt zusammenarbeitete, ist ein fleißig durch Europa tourender Solist, der als DIY-Entertainer mit britischem Humor und unverstellten, konkreten Ansagen den direkten Draht zum Publikum sucht und die Hörerschaft weit aus der Komfort-Zone lockt, mit seinen eigenwilligen, hybriden, lustigen wie nachdenklichen Kleinoden in einem Crossover aus avantgardistischem Free-Folk und lärmendem Akustik-Postpunk.
Reeves Vokalvortrag ähnelt in seiner expressiven Art weit mehr dem Erzählen von kurzen Geschichten, Impressionen und Gedichte-Rezitationen im Rahmen eines spontanen Poetry Slam als konventionellem Liedersingen, der außergewöhnliche Barde wechselt erratisch Tempo und Lautmalerei seiner Sprechgesänge, dabei begleitet er sich selbst gleichsam unvermittelt in Extreme verfallend am Akustik-Bass mit filigranem Anschlag, schrammelnden Lagerfeuer-Akkorden, experimentellen Saiten-Übungen und brachialem, nachschwingendem Dröhnen der E-Saite. Zu diesem Spiel in losgelöster Form, als Ausloten der Möglichkeiten des Instruments, mit sprunghaften Tempi-Wechseln, zuweilen atonalen Exzessen und dem Bass-Anschlag fernab jeglicher Harmonie-Lehre mögen sich Assoziationen an Free Jazz, Canterbury-Progressive, American Primitive Guitar und an die Exerzitien verwandter Freigeister-Kollegen wie Eugene Chadbourne, Daniel Johnston oder Fred Frith durch die Gehörgänge und Hirnwindungen verirren, das dürfte für ausgewählte Momente seine Richtigkeit haben, und doch gelingt es Howie Reeve permanent, den britischen Akustik-Folk als Grundtenor ins Zentrum seines Schaffens zu stellen, freilich in einer reichlich weirden und angeschrägten LoFi-/Outsider-Ausgestaltung inklusive dissonantem Punk-Appeal.
Für eine kurze, deutsch besungene Dada-Nummer über Feuerwehr-Einsätze und die Liebe wechselte Howie Reeve ans Daumenklavier, eine launige Bereicherung des Solo-Programms, wie die spontanen Aktionen des lokalen Part-Time-Roadies Anton, der mit Handreichungen des Instrumentariums wie beim Trockenlegen der winzigen 3-Quadratmeter-Bühnen-Nische nach zwischenzeitlich auftretendem Wasserschaden glänzte und sich damit die verdienten Dankesworte und Song-Widmungen des schottischen Musikanten abholte, ein Leichtes für einen verkappten Profi wie den Anton, der im fernen Chicago bereits mit dem Bass des großen Willie Dixon hantierte… ;-)))
Die Songauswahl zu jedem Konzert legt Howie Reeve während des Gigs spontan fest, auch dahingehend großes One-Man-Improvisationstheater, damit bereitete es dem Schotten keine Probleme, zum Ende die ein oder andere zusätzliche, vom Auditorium gewünschte Experimental-Miniatur als Extra draufzupacken, trotz seiner sich zusehends verschlimmernden Erkältung in ungebremster Spiellaune und mit Lust am Feixen mit dem Publikum. Absolut unkonventioneller, grundsympathischer Typ, mit kleinem Equipment und einem Riesen-Koffer an überbordenden Ideen im Gepäck unterwegs, ein Unikat sondergleichen. Und im Verbund mit den Local Heroes von den 4Shades der Garant für ein ohne Abstriche einnehmendes Kontrastprogramm. Der Abend muss erst noch kommen, an dem man nach mittelprächtigem oder gar schlechtem Konzert-Entertainment aus dem Giesinger Wohnzimmer stolpert…
Die Tourplanung von Howie Reeve für die nächsten Tage und Wochen wird vom Musiker selbst wie folgt annonciert – vielleicht sollte der Anton aus seiner lokal begrenzten, sporadischen Tourbegleiter-Beschäftigung doch ins Vollzeit-Management wechseln zwecks konkreterer Kommunikation – jeweilige Veranstaltungsorte sind in dem Fall dann wohl der lokalen (Tages)presse zu entnehmen:
„Ok, here’s the next tour: Germany, Italy, Belgium, Holland. It would be so nice to fill those hmmmmms in…“
01.11. – Berlin
02.11. – hmmmmm…
03.11. – Leipzig
04.11. – Dresden
05.11. – Travel…
06.11. – Ferrara
07.11. – Venice
08.11. – Feltre
09.11. – Porcen
10.11. – Finale Emilia
11.11. – Finale Emilia
12.11. – Travel…
13.11. – hmmmmm…
14.11. – Hamburg
15.11. – Kassel
16.11. – Düsseldorf
17.11. – Leiden
18.11. – hmmmmm…
19.11. – Brussels
20.11. – Deux-AcrenSchau
21.11. – Dordrecht
22.11. – hmmmmm…
23.11. – Rotterdam
24.11. – Amsterdam
Honkytonk Movement, Ippio Payo, Black Patti, The Grexits, Das Weiße Pferd, Philip Bradatsch @ Ois Giasing! 2018, München, 2018-09-08
Dass sie im schönsten Münchner Stadtteil Giesing Feste feiern können, weiß die Welt nicht erst seit dem 27. Mai, als die Fans der Münchner Löwen in den Straßen um das Grünwalder Stadion die Rückkehr in den Profi-Fußball nach gelungener Aufstiegs-Relegation bis weit in die Nacht hinein gebührend zelebrierten, und damit nebenbei auch den scheintoten rot-weißen Marienplatz-Jubelpersern vom Steuerhinterzieher-Syndikat eindrucksvoll demonstrierten, wie solche Gelegenheiten gebührend gewürdigt werden, am vergangenen Samstag mussten bei herrlichsten Sommerwetter zum Stadtteil-Fest Ois Giasing! rund um die Tegernseer Landstraße der Fußball und die Lokal-Rivalitäten hintenanstehen, Kultur in überbordender Vielfalt galt es zu genießen in einer der letzten noch verbleibenden Bastionen gegen die voranschreitende Münchner Gentrifizierung.
Organisiert vom Verein Real München e.V. in Kooperation mit dem Giesinger Stadtteilladen, gefördert aus Töpfen des Bezirksausschusses, der Stadt München und des Projekts Soziale Stadt Giesing, gab es in zahlreichen Lokalen, in öffentlichen Räumen, Gebäuden und auf diversen Open-Air-Bühnen neben kulinarischen Spezialitäten, Mitmach-Aktionen und Stadtteil-Führungen für nahezu jede kulturelle/musikalische Neigung viel Sehens- und Hörenswertes, von Worldbeat am Grünspitz, über folkloristische Konzerte der diversen Ethnien dieser Stadt, indischer Jazz-Fusion und jemenitischer Klassik in der Heilig-Kreuz-Kirche, zahlreichen Lesungen, unter anderem aus dem Werk von Oskar Maria Graf, bis hin zu bayerischem Folk-Jazz-Crossover vom großartigen Titus Waldenfels, und darüber hinaus so vieles mehr, das hier nicht einzeln aufgeführt werden kann, selbst mit Zwei- oder Drei-Teilen wäre bei weitem nicht alles Interessante zu bewältigen gewesen aus diesem Füllhorn an kultureller Vielfalt, und so kann dieser Bericht im Folgenden nur eine kleine und individuelle Auswahl an Schlaglichtern und Höhepunkten dieses über die Maßen gelungenen und sehr gut besuchten Stadtteil-Festes dokumentieren.
15 Uhr war hinsichtlich überschneidender und gern besuchter Veranstaltungen eine extrem kritische Uhrzeit, das Honkytonk Movement am Grünspitz oder Ippio Payo auf der Open-Air-Bühne im Biergarten des Café Schau Ma Moi? Schwere Entscheidung, die durch partielles Beiwohnen beider Konzerte gelöst wurde, letztendlich ein nicht befriedigendes Unterfangen, da die jeweils gesamte Aufführung so nicht gebührend gewürdigt werden konnte.
Das Honkytonk Movement ist ein noch junges Trio, dem man mit der Bezeichnung Seitenprojekt dreier MusikerInnen von diversen Münchner Formationen aus dem Dunstkreis der Labels Gutfeeling und Echokammer wohl nur partiell gerecht wird, zu eigenständig ist die „New Exotica“ von Theresa Loibl an der Tuba, Manu Rzytki an Keyboard und Gesang und dem vielbeschäftigten Trommler Tom Wu, der dem Projekt auch mit Ukulele und zweiter Stimme unterstützend beisteht. Die Formation weiß mit eigenwilliger und wunderbar beschwingter Elektro-Chanson-/Folklore-Trip-Pop-Crossover-Kunst zu überzeugen, mit der sie ausgesuchte Perlen der Rock-, Punk- und Blues-Musik der vergangenen Dekaden in ein völlig neues Gewand hüllt und damit weithin bekanntem und mitunter bereits tot-gespieltem Liedgut nicht nur neues Leben einhaucht, sondern noch weit mehr einen eigenen, individuellen Stempel aufdrückt. Herrschaften wie Jimi Hendrix oder Tom Waits würden sich wundern, was auf ihren abgehangenen Heulern basierend alles an klanglichen Schönheiten und einschmeichelnden Ohrwürmern gezaubert werden kann. Ausführliche Würdigung mit entsprechendem Konzertbesuch über die volle Distanz dann hoffentlich beizeiten demnächst.
Was beim Honkytonk Movement hintenraus fehlte an Konzert-Beiwohnen, musste zwecks Zeit-Überschneidung logischerweise bei der ersten Hälfte des Solo-Auftritts von Josip Pavlov unberücksichtigt bleiben, der auch an diesem Tag in vielen Münchner Bands engagierte Multiinstrumentalist und Veranstalter der regelmäßigen Maj-Musical-Monday-Reihe eröffnete mit seinem One-Man-Postrock-Projekt Ippio Payo den Reigen auf der Trikont/Echokammer-Bühne neben dem geliebten Giesinger Wohnzimmer Café Schau Ma Moi, die im weiteren Verlauf dieses Geschreibsels der Ort des berichteten Geschehens bleiben wird. Bei Ankunft befand sich der verehrte Josip bereits im Trance-Flow seiner geloopten Soundlandschaften, die in Schleifen gesampelten Wiederholungen seiner eingespielten Gitarren-Akkorde erzeugten eine ureigene Rhythmik, dem Sog des Trips durch die instrumentalen Soundlandschaften war nach wenigen Minuten einmal mehr kaum zu entkommen. Die intensive, experimentelle Postrock-/Prog-Psychedelic fand ihren entschleunigten Schlusspunkt im sanften Gezeiten-Wogen der Nummer „Fisherman“ vom 2017er-Album „All Depends On Nature“, für die wohl wegen ihrer sommerlichen Leichtigkeit der Begriff des Surf-Postrock ins Feld geführt werden müsste. Ippio Payo: immer eine Bank, und beim nächsten Mal dann auch wieder das volle Programm, versprochen.
Wunderbaren Oldtime-Blues boten im Anschluss die Blues-Brothers von Black Patti, der Münchner Gitarrist und Mundharmonikaspieler Peter Crow C. und Kompagnon Ferdinand ‚Jelly Roll‘ Kraemer an Gesang, Gitarre und Mandoline wurden an diesem Nachmittag vom US-amerikanischen Kontrabassisten Ryan Donohue begleitet. Das Trio lieferte einen perfekten Soundtrack für einen entspannten Spätsommer-Nachmittag, mit einer Halben Giesinger Erhellung in der Hand ließ es sich gut mitwippen zu den Deltablues-Traditionals, Spirituals und Bluegrass-Ausflügen in die Inzucht-geprägten Appalachen, die Musiker glänzten einfühlsam mit Eigenkomponiertem wie ausgesuchtem Fremdwerk vom Kaliber „Bourgeois Blues“ aus der Feder von Huddie Ledbetter. Ein exzellentes, authentisches Gespür für den akustischen Südstaaten-Country-Blues der zwanziger und dreißiger Jahre, mit leichtem Ragtime-Touch wie ausgesuchte Fertigkeiten im Anschlag der National Steel, der Mandoline und im Losheulen der Bluesharp zeichnen die Münchner Formation aus, die seit 2011 filigran und gleichsam geerdet den Geist des uralten, seltsamen Amerika in ihrer Musik weiter trägt, und dafür bereits – offensichtlich völlig zurecht – mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde. Get your Blues-Tunes and lift up your spirit: Black Patti demnächst wieder in München live und in Farbe, am 14. September im Hide Out und am 30.9. im Crönlein, sowie am 27. Oktober im Rahmen der Neuhauser Musiknacht im Cafe Sarcletti.
Bei der letzten Begegnung mit The Grexits war noch Daniel Murena mit von der Partie, inzwischen ist der Basser der Münchner Allstar-Combo von Simon Franke ersetzt worden, der Stimmung tut das keinen Abbruch beim Balkan-Punk-Crossover des Quartetts, der an dieser Stelle schon längst wieder mal für weitere konzertante Begutachtungen fällig war, Franke, Josip Pavlov in dem Verbund an den Drums, Echokammer-Labelchef Albert Pöschl an Gitarre und Frontmann/Sänger/Gitarrist Nikos Papadopoulos präsentierten eine Auswahl an Nummern aus ihrem letztjährigen Tonträger „Δε Γκρέξιτς“, der zuforderst im griechischen Idiom vorgetragene Rembetiko-Postpunk schallte druckvoll von der Schau-Ma-Moi-Bühne in die Kistlerstraße, die Band lieferte ein großartiges Konzert mit ihrer eigenkomponierten Mixtur aus dem Kaschemmen-Folk-Blues der griechischen Hafenkneipen, hart polternder Garagenrock-Kost und psychedelischen Prog- und Balkan-Elementen, die im ausgedehnteren instrumentalen Fluss dann und wann an die Hochzeiten des hypnotischen Krautrocks gemahnten.
Mit „A Hard Day’s Night“ verhackstückten sie einen alten Schlager dieser überregional bekannten, völlig überschätzten nordenglischen Sixties-Tanzkapelle zu einem sperrigen, stumpf leiernden No-Wave-Broken, best version ever, eh klar, und Albert Pöschl durfte sich vehement Punk-rockend zum Misfits-Klassiker „Attitude“ austoben. Die Grexits sind eine Kapelle, die es eigentlich viel öfter live zu genießen gilt, sie haben an diesem Samstag Nachmittag nicht viel Neues, aber alles richtig gemacht, und damit ein berauschendes und intensives Highlight dieser schönen Stadtteil-Sause abgeliefert.
Munich-Allstarig geht es auch bei Das Weiße Pferd und ihrem Anti-Rock über die Bühne, die Herren Wu, Pavlov, Pöschl und Franke hatten wir schon in diversen anderen Konstellationen, zum Septett gesellten sich Sänger Pico Be (Pacífico Boy), Drummer Martin Tagar (of Friends-Of-Gas-Fame) und Allrounder Basti Meyhöfer an Violine, Melodica und Marimba. Im großen Orchester lieferten die renommierten ortsansässigen Musikanten den Endlos-Sister-Ray-Drone-Flow, der mal krautig, mal funky, mal stumpf (Jazz-)rockend, mitunter schmissig poppig flackerte oder auch als Drop-Out-Bastard zu ehemaliger Kamerakino-Weirdness ausfranste. Das Weiße Pferd ist ein seltsamer Gaul, der im flotten Galopp versucht, alles Mögliche an Pop-historischen Sub-Kulturen der letzten ungefähr fünfzig Dekaden einzufangen, und dem das trotz offensichtlich gelebtem Chaos und musikalischer Anarchie auch erstaunlich oft gelingt. Sänger/Agitator Pico Be gab dazu den vehement in die Vollen gehenden Frontmann in einem Vortrags-Konglomerat aus latent schlecht gelauntem Klaus-Kinski-Gestus, den Ansagen/Aussagen eines Polit-Parolen-schwadronierenden Rio Reiser und improvisiertem, unkonventionellem Deutsch-Punk-Gebell aus den DIY-Aufbruch-Jahren der späten Siebziger. Man muss nicht alles per se für gut befinden, was Das Weiße Pferd an Stil-Gebräu zusammenpackt und aufsattelt, aber man muss es mal gehört und gesehen haben. Spontanität rules.
Zu bester abendlicher Showtime ein Highlight aus dem jüngsten Trikont-Veröffentlichungsprogramm: Dinosaur Trucker, Muddy-Roots-Veteran und Meister-Gitarrist Philip Bradatsch gab sich ein Stelldichein inklusive kompletter Band-Unterstützung und präsentierte das Material seines jüngst bei der Münchner Mutter aller Indie-Labels erschienenen Albums „Ghost On A String“. Wo Bradatsch solistisch mit Wandergitarre formvollendet den Bluegrass- und Alternative-Country-Picker gibt, zieht er mit entsprechender Bass/Drums/Orgel-Unterstützung in aktuellen Nummern wie „Outsiders“, „Down Down Down“ oder „Shadowland“ das Tempo an und überzeugt nicht minder mit melodischem, beherztem, elektrischem Folkrock, qualitativ und opulent sein Klangbild erweiternd in einem Quantensprung wie damals der gute alte Dylan 1966 im Verbund mit den Hawks (in einer Inkarnation weit vor seiner Zeit als schlechter Sinatra-Witz), in dem Fall hat niemand „Judas“ gerufen, und ein Pete Seeger lauerte auch nicht mit dem Hackebeil zum Durchtrennen der Verstärker-Kabel hinter der Bühne, warum auch, viel zu einnehmend und erhebend war das Gebräu aus Country-Rock, eingewobener Sixties-Melodik, virtuosen Gitarren-Soli und Reminiszenzen an Größen wie eben Dylan, old Neil Young oder den Roots- und Swamp-Rock von Creedence Clearwater Revival, die bei Bradatsch nie zur Kopie verkommen, nur den Respekt für die Altvorderen aus seiner Liga zollen.
Der Bob-Klassiker „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ erklingt bei Philip Bradatsch aus gegebenem Anlass als erst kürzlich umgedichtet mit deutschem Text versehene, zeitlose, leider sehr aktuelle Interpretation unter dem Titel „Der einsame Tod des Ben Ahmad“, mit der der Songwriter seine Abscheu vor der Abschiebe-Politik des bedauerlicherweise immer noch im Sattel sitzenden Bundesinnenministers zum Ausdruck bringt. Wenn es stimmt, das finstere Zeiten große Songwriter und Protestsänger hervorbringen, dann müssen die Zeiten derzeit reichlich dunkel sein, der beseelte und herausragend grandiose, letztendlich viel zu kurze Auftritt von Philip Bradatsch würde sehr dafür sprechen.
Bleibt zu hoffen, dass alle anderen Ois-Giasing!-BesucherInnen genau so viel Spaß und exzellente musikalische Beschallung geboten bekamen wie Generationen-übergreifend die Omas und Opas, Weiblein und Männlein, Mädels und Buben vor der Trikont/Echokammer-Bühne neben the beloved Café Schau Ma Moi. War schätzungsweise ungefähr wie bei den Dead auf der Haight-Ashbury-Straßenbühne in den sagenumwobenen Sechzigern, hinsichtlich Vibes und Gutfeeling und Grooves und so, nur mit weniger Hippies und generell etwas weniger Leuten, dafür aber wohl mit abwechslungsreicherem Sound und besserem Bier ;-) Oder vielleicht auch ganz anders, in jedem Fall aber over the top gelungen und hoffentlich mit vielen Wiederholungen in den kommenden Jahren. Ois Giasing, Oida! Zur Not auch mit ein paar Rotbauern…
Fred Raspail @ Café Schau Ma Moi, München, 2018-06-28
Großes One-Man-Band-Theater auf engstem Raum: Das Café Schau Ma Moi, Giesinger Lieblings-Wohnzimmer und bevorzugte After-Kick-Lokalität nach „Löwen“-Spielen/Aufstiegen im nahe gelegenen Heimatstadion, lud am vergangenen Donnerstag zu einem weiteren seiner sporadischen, handverlesenen, kleinen und feinen Konzerte in die Ordnungszelle, die etwas geräumigere Variante im Biergarten der ehemaligen Trambahnwärter-Station fiel dem anhaltenden Dauerregen zum Opfer, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass the so-called Telasoul Ballroom (für die Auswärtigen: „Te“ wie „Tegernseer“, „la“ wie „Landstraße“ und „Soul“ wie „Soul“) durch Raum-füllendes Publikums-Antanzen einmal mehr aus allen Nähten platzte beim Gastspiel des französischen Sängers/Drummers/Gitarristen Fred Raspail, viel mehr als circa 30 KonzertgängerInnen braucht’s in dem Fall eh nicht, um die Luft stickig, die Stimmung hoch und den Laden quasi ausverkauft zu gestalten.
Letztens das Gutfeeling-Records-Festival im Feierwerk nicht auf die Reihe gekriegt, so sammelt man sich eben die Perlen des geschätzten Münchner Indie-Labels konzertant zu Gelegenheiten einzeln ein, die „Dirty French Folk Songs“ von Fred Raspail kamen da zeitnah gerade recht, der Musiker aus Lyon und sein unsichtbares Primitive Ghost Orchestra, das sich aus geloopten Drums/Gitarrenakkorden und elektronischen Effekten aus der Pedal-Trickkiste rekrutierte, gaben im heimeligen Rahmen eine vom Start weg einnehmende Vorstellung expliziter Alleinunterhalter-Kunst – schroffes Garagen-Blues-Trashen, schrammeligen Roh-Folk und beherztes Fifties-/Surf-Rock’n’Rollen schmetterte der pfiffige und stets zu einem gehaltvollen Kalauer aufgelegte französische Sympath-Mann aus der Nische neben dem Tresen in den Raum, herzergreifende Prärie-Americana, Chanson-haftes Gypsy-/Western-Swingen und polternde Balladen, Moritaten und Bibel-Gleichnisse bereicherten das Repertoire, multilingual vorgetragen, begleitet von deftigem Saiten-Anschlag und scheppernden Fuß-Drums. Ein Konzert von Fred Raspail mag alles Mögliche sein, von maximal unterhaltendem, gewitztem Jahrmarkts-Lautsprechen bis hin zu schummrigem Sumpf-Bluesen in der Schwarzbrenner-Kaschemme, langweilig ist es zu keiner Sekunde.
Selbst keinen Geringeren als den „King of Rock’n’Roll“ ließ Raspail im persiflierenden wie höchst gekonnten Imitat durch den Raum walzen, den fetten Elvis, wie er betonte, und so feierte die Hüft-schwingende – in dem Fall eher Hüftspeck-schaukelnde – Legende aus Memphis eine kurze Wiederauferstehung als der rausgefressene Zombie, der er in seinen letzten Jahren tatsächlich bereits zu Lebzeiten war. Im Zitieren und Fremdwerk-Covern zeigte sich der Musikant versiert wie im Vortrag des eigenen Materials, der „Folsom Prison Blues“ bleibt auch in der lädierten Trash-Country-Version Raspails eine unkaputtbare Nummer, und beim amerikanischen Folk/Gospel-Traditional „Wayfaring Stranger“ aus dem frühen 19. Jahrhundert wird man in diesem und allen möglichen folgenden Leben aufgrund der unzähligen Versionen des Stücks nicht mehr mit Gewissheit sagen können, welche den nun die einzig wahre und definitive ist, die Fassung von Fred Raspail darf sich aber gerne in den Lostopf schmeißen für die aussichtsreichen Anwärter.
Ausgeprägte, singuläre Entertainer-Qualitäten waren da am Donnerstagabend zu attestieren, die der geborene Bühnen-Artist auch in seinen eingestreuten Geschichten über südamerikanische Heiratsschwindlerinnen, das Befremden des Publikums in ostdeutschen „Public Viewing“-Fan-Meilen ob des Vortrags von alten Country-Songs, den nackerten Ziehharmonika-Spieler Hagen und ebenso textilfreie Blondinen nicht zu knapp unter Beweis stellte.
Der gute alte John Carter Cash trifft Serge Gainsbourg zu später Stunde am Tresen, gemeinsam schwadroniert man Lieder über gescheiterte Beziehungen und den Rattenfänger von Hameln, French Voodoo Girls und den Tanz auf den Gräbern, sowas geht immer und wie in dem Fall vor allem gut ins Ohr wie ins mitzuckende Gebein, demnächst gerne wieder approximativement am 12. September in der Münchner Polka Bar, Fred Raspail wird dann zusammen mit Pierre Omer (ex-Dead Brothers) und Monney B zu der Gelegenheit beim Trio Los Gatillos zugange sein, pour votre plaisier…