Letzter Black Friday vor dem Kalender-Wechsel. Vorweg ein paar Worte zum Soul Family Tree, der mit Veröffentlichung der heutigen Ausgabe das komplette Jahr 2017 im Kulturforum-Blog begleitet hat. Geboren wurde die gemeinsame Reihe aus einer Anregung des Hamburger Freiraum-Bloggers Stefan Haase, der hier regelmäßig Beiträge für die Serie schrieb und damit Spannendes, Vergessenes und vor allem musikalisch Erbauliches aus den Sparten R&B, Soul, Blues, Jazz und Artverwandtem zu Gehör brachte – herzlichen Dank, Stefan, für stets verlässliche Lieferung, unermüdliches Engagement, thematische Anregungen und vor allem exzellent groovende Beschallung. Im Ausblick auf 2018 bleibt uns nur, die Köpfe des Münchner Indie-Labels Trikont zu zitieren: „Wir machen weiter. Versprochen.“
Nun zum heutigen Thema: Man kennt das. Weihnachten steht vor der Tür, und die Mega-Acts des Musik-Business wollen auch alle ein Stück abhaben vom Christstollen, im Rahmen des kommerziellen Kaufrauschs, der absolut nichts mit dem Wiegenfest unseres Herrn zu tun hat, greifen die Rock’n’Roll-Topverdiener regelmäßig in die Portemonnaies derer, die händeringend noch ein Geschenk für die Oma suchen, Ober-Heuchler Bono lotst die Millionen via neuem, völlig belanglosem U2-Auswurf direktemang ins Steuer-freie Schwarzgeld-Paradies, für Ober-Langweiler McCartney ist dank völlig belanglosem Archiv-Abgrasen der Beatles-Cash-Cow eine weitere Top-Immobilie in bester Londoner City-Lage drin – und selbstredend darf auch die größte, altgedienteste, Tot-gespielteste Zombie-Show im Stadionrock-Zirkus, die Rolling Stones, in diesem Reigen der vorweihnachtlichen Moneten-Abgreifer nicht fehlen.
Im letzten Jahr haben sich The Walking Dead Richards, der notorische Dauerzappler Jagger und ihre Bagage immerhin dazu bequemt, mit „Blue & Lonesome“ ein neues Album einzuspielen, auch wenn ihnen hinsichtlich Titelauswahl nichts anderes eingefallen ist als das, was sie bereits zu Beginn ihrer Karriere weit über 50 Jahre zuvor praktizierten: Das Interpretieren von Songs schwarzer, US-amerikanischer Blues-Musiker wie Howlin‘ Wolf, Willie Dixon, Little Walter oder Jimmy Reed.
Heuer hat man sich die Neuinterpretationen gespart und stattdessen auf gut und lange Abgelagertes aus der Frühphase der Band zurückgegriffen, „On Air“ enthält von der BBC ausgestrahltes Live- und Studio-Material aus den Jahren 1963 bis 1965, neben ein paar Stones-Originalen wurden seinerzeit hauptsächlich Nummern aus dem amerikanischen R&B und elektrischen Chicago-Blues gecovert.
Die genannten aktuellen Stones-Tonträger kann man beide getrost in den Regalen der Media-Märkte, Saturn-Läden und Online-Versender verstauben lassen, ein Reinhören bei den Originalen, die der in den frühen Sechzigern aufstrebenden Briten-Combo als Vorlage dienten, ist indes über die Feiertage allemal ein lohnendes Unterfangen, in diesem Sinne sei zusätzlich auf die lesenswerten Ausführungen von form7-Blogger Gerhard Mersmann in seinem Beitrag „Wie der amerikanische Blues importiert wurde“ als begleitende Lektüre verwiesen.
„I’m really glad someone from the Rolling Stones is here. I love them very much. If it wasn’t for the Stones, none of the white Kids in the States would have heard of Muddy Waters, B.B. King or any of ‚em. Nobody knew my Music in the States until they played it.“
(Muddy Waters, Hampstead Country Club, London, 1970)
Die Rolling Stones haben ihre Interpretation der R&B-Ballade „You Better Move On“ des afroamerikanischen Soul- und Country-Songwriters Arthur Alexander im Januar 1964 auf ihrer Debüt-EP veröffentlicht. Das Stücke wurde unzählige Male gecovert, eine besonders gelungene, mit viel Seele im Gesang vorgetragene Fassung findet sich auf dem exzellenten Mink-DeVille-Album „Coup de Grâce“ aus dem Jahr 1981.
Arthur Alexander nahm sein Original 1961 in den berühmten FAME-/Muscle-Shoals-Studios in seiner Heimat Alabama auf, viele seiner eigenkomponierten Songs und Interpretationen aus der Feder anderer Autoren wurden in den frühen Sechzigern Hits und im Nachgang von zahlreichen berühmten Bands und Gesangs-Stars neu eingespielt. Er ist der einzige Songwriter, der auf Studio-Alben der Stones, der Beatles und von Bob Dylan gecovert wurde.
Ab Mitte der Sechziger blieb der Erfolg für Alexander aus, in den Siebzigern reichte es nochmal für ein kurzes Comeback. 1972 hat er im Original die Nummer „Burning Love“ aus der Feder des Country-Songwriters Dennis Linde aufgenommen und als Single bei Warner Brothers veröffentlicht, Elvis Presley verwertete das Stück noch im selben Jahr als 7“, es sollte der letzte Top-Ten-Hit des Kings in den Staaten sein.
Ab Mitte der siebziger Jahre hat sich Arthur Alexander aus dem Musikgeschäft zurückgezogen und viele Jahre als Busfahrer gearbeitet. 1993 veröffentlichte er nach 21 Jahren Auszeit ein neues Album und gab wieder Konzerte, kurz darauf ist er im selben Jahr im jungen Alter von 53 Lenzen einem schweren Herzinfarkt erlegen.
Willie Dixon war einer, bei dem sich die Stones immer gern bedient haben, das war 1964 so mit der Nummer „I Just Want To Make Love To You“, die vor allem in der ersten Einspielung von Muddy Waters bekannt wurde, ihrer Single „The Little Red Rooster“ aus dem selben Jahr, und das war viele Jahrzehnte später auf dem „Blue & Lonesome“-Album nicht anders, wo Dixon gleich zweimal als Autor genannt wird. Hier eine Interpretation des Songs über den kleinen roten Hahn vom Songschreiber selber, die er auf seinem wunderbaren Album „I Am The Blues“ im Jahr 1970 für Columbia Records einspielte. Der Longplayer enthält neun Willie-Dixon-Kompositionen, darunter bekannte Titel wie „Back Door Man“, „Spoonful“ und „(I’m Your) Hoochie Coochie Man“, die im Original von Blues-Größen wie Howlin‘ Wolf und Muddy Waters interpretiert wurden, oft mit Willie Dixon selbst am Bass bei den Studio-Aufnahmen.
„Ich habe jedes Lick geklaut, das er jemals gespielt hat“ bekennt Keith Richards in Bezug auf Chuck Berry in seiner ellenlangen, selbstbeweihräuchernden, selten das Niveau eines schlechten Schüleraufsatzes verlassenden Autobiografie „Life“ auf Seite 618, da hätte The Walking Dead nicht explizit drauf hinweisen müssen, jeder, der zwei gesunde Ohren und etwas Gespür für Musik besitzt, hätte das auch so ohne Weiteres rausgehört. Ohne Chuck Berry keine Rolling Stones, eine Binsenweisheit, die Jagger/Richards & Co durch wiederholtes Bedienen bei den Klassikern des Godfathers of Rock’n’Roll auf ihrem Frühwerk untermauern. 1963 haben sie die Berry-Nummer „Come On“ als Debüt-Single veröffentlicht, das Stück „Carol“ sollte ein Jahr später folgen. Hier das Original vom Mann mit dem Duck-Walk, der im vergangenen März im gesegneten Alter von 90 Jahresringen in den Rock’n’Roller-Himmel aufgefahren ist.
„Carol“ von Chuck Berry, „A Christmas Carol“, quasi, eingedenk der Tatsache, dass übermorgen das Christkind kommt…
Die Stones selbst haben in ihrer jahrzehntelangen Karriere immer wieder gerne mit ihren schwarzen Blues-Vorbildern zusammengespielt, bei den Aufnahmen zum Martin-Scorsese-Konzertfilm „Shine A Light“ 2006 im New Yorker Beacon Theatre etwa mischte Gitarristen-Legende Buddy Guy mit, 1981 trafen sich die Steine mit ihrem großen Idol Muddy Waters zu einem gemeinsamen Konzert in einem Blues Club in der Southside von Chicago, nachzuhören auf dem 2012 veröffentlichten Live-Album „Live At The Checkerboard Lounge, Chicago 1981“.
Bereits Anfang der Siebziger waren Mitglieder der Rolling Stones an einer der ersten sogenannten „Blues Super Sessions“ beteiligt, unter maßgeblichem Engagement von Eric Clapton wurde Mr. Chester Burnett aka Howlin‘ Wolf mit seinem langjährigen Gitarristen Hubert Sumlin im Frühsommer 1970 nach London eingeflogen, in den Olympic Sound Studios der Themse-Metropole traf die Südstaaten-Blues-Legende zu mehrtägigen Sessions auf prominente britische Verehrer der nächsten Generation wie eben Clapton selbst, Beatle Ringo Starr und die Rhythmus-Abteilung der Rolling Stones in Person von Drummer Charlie Watts, Basser Bill Wyman sowie dem sechsten Stone, den Pianisten Ian Stewart.
Einige Passagen wie etwa die Keyboard-Parts von Steve Winwood und die Trompete von Jordan Sandke wurden später per Overdubbing in den Chicagoer Chess-Studios ergänzt.
Aus „The London Howlin‘ Wolf Sessions“ hier die Willie-Dixon-Nummer „Built For Comfort“:
Das war’s an der Stelle mit Black Music für 2017, habt ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest, verrenkt Euch nicht den Magen mit zuviel Glühwein und dem anderen Süßkram, und singt schön mit beim Krippen-Spiel, zur Not einen Song von Soul-Preacher Solomon Burke (bei dem haben die Stones im Übrigen auch gern geklaut). Merry Soulful Christmas!