B / CHVE / Syndrome – Reworks (2018, Consouling Sounds)
B wie Beats Per Minute, B wie Belgien, B wie Bert: Der flämische Sound-Tüftler Bert Libeert in seiner Inkarnation als Live-Techno-DJ B hat sich zweier ausgedehnter Solo-Arbeiten aus dem Dunstkreis des Künstler/Musiker-Kollektivs Church Of Ra zum gepflegten Remix angenommen, unter dem Motto „One Man Versus Four Machines“ erweitert er die Sound-Dimensionen und verändert die Charakteristika der Werke mithilfe zweier Synthies bzw. Drum-Maschinen. Die im Original vom getragenen, gleichförmigen Drehleier-Spiel dominierte Folk-Drone-/Ambient-Nummer „Rasa“ vom Solo-Projekt CHVE des Sängers Colin H. Van Eeckhout der Postmetal-Institution Amenra aus dem westflämischen Kortrijk und der gespenstische, diffuse Crossover-Flow aus artifiziellem Desert Blues, Postrock-Drones und dezent-dunkler Ambient-Electronica in „Forever And A Day“ aus dem Syndrome-Fundus seines Bandkollegen Mathieu Vandekerckhove, beides im Original jeweils ausgedehnte Kompositionen mit einer Länge um eine halbe Stunde, erfahren in der Libeert-Transformation eine mehrschichtige Bereicherung an Electronica-Samplings und synthetischer Rhythmik. Wo das ursprüngliche Material in seiner jeweils individuellen Ausgestaltung in düsterer, meditativer, mystischer Grundstimmung mit bezeichnender Church-Of-Ra-Schwergewichtigkeit seine Wirkung bis hinein in die hintersten, tiefsinnigsten Winkel des Gemüts entfaltet, verstärkt Klangforscher Libeert zum einen mit dunklen Basslinien den kontemplativen Flow und trimmt die Stücke darüber hinaus mit Variationen in der monotonen Taktgebung in Richtung Club-taugliche Tanzbarkeit. Der Trance- und Drone-lastige Ambient wird dank komplexer Maschinen-Samplings mit fundamentalem Industrial-Pochen und frei lichternden Darkwave- und EBM-Elementen verwoben und lässt die finsteren Impressionen damit zuweilen in freundlicheren, optimistisch gestimmteren Klangfarben leuchten.
Die „Reworks“ von B bringen die spirituellen, emotionalen Grenzerfahrungen der CHVE- und Syndrome-Soundscapes mit dem präzisen Pulsschlag des Old School Techno in Einklang, mehr Aufforderung zum Tanz und Nightclubbing-Spuk dürfte es bis dato nicht gegeben haben in den heiligen Hallen der Church Of Ra. „Reworks“ ist Anfang November beim verehrungswürdigen Postrock/Postmetal/Experimental-Label Consouling Sounds im belgischen Gent erschienen.
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„We have one story to tell and it is always the same. I always write about life’s pain. I always use personal experiences as a reference to relate as truthfully and as honestly possible, from the heart. I try to bend the darkness into the light.“ (Colin H. van Eeckhout, The Independent, 2017-10-16)
Amenra – Mass VI (2017, Neurot Recordings)
Colin H. van Eeckhout, Mathieu Vandekerckhove und Konsorten aus dem westflandrischen Kortrijk, die Kirchen-Vorsteher des belgischen Musiker-Kollektivs Church Of Ra, haben fünf Jahre nach der letzten Episode des „Mass“-Zyklus im vergangenen Herbst ein weiteres Hochamt ihrer tonalen Extrem-Beschwörungen veröffentlicht. Wo sich die Bandmitglieder zu Teilen in den vergangenen Jahren mit Solo-Projekten wie Syndrome oder CHVE nahezu meditativen, in jedem Fall entschleunigten Downtempo-Experimenten hingaben und im Drone-/Ambient-Ansatz in weitaus ruhigeren Fahrwassern unterwegs waren, kehren die Musiker im Band-Verbund beim Mutterschiff Amenra auf „Mass VI“ zum überwältigenden Intensivst-Ausbruch in heiliger Sound-/Emotional-/Katharsis-Dreifaltigkeit zurück.
Das Quintett, das sich mit seiner Tonkunst seit jeher einer eindeutigen Zuordnung zum Postmetal, Doom, Postcore oder Sludge verweigert, besticht in den gut 40 Minuten in einem Auspendeln zwischen zurückgenommener Kontemplation, die stets ein dräuend-drohendes, heraufziehendes, in Kürze explodierendes Gewitter-Entladen in der hypnotischen Monotonie mitschwingen lässt, vermehrt Passagen mit klaren Songstrukturen inklusive verständlicher Gesangsparts und – die mit dem Werk vertraute Amenra-Hörerschaft kennt das – unvermitteltem Ausbruch in Form monumentaler Schwermetall-Gitarrenwände, Sound-Tsunamis und einem herausgebrüllten Vokal-Vortrag, der Rätsel aufgibt, ob hier im therapeutischen Geist selbstreinigend und Urschrei-artig der inneren Zerrissenheit, Pein und Verzweiflung Ausdruck gegeben wird oder ob sich vielmehr mittels „Sangeskunst“ final der Wahnsinn an einem point of no return in den Regelbetrieb Bahn bricht. Trotz atheistischer Bekenntnisse der Musiker ist die belgische Formation einmal mehr – auch das keine Überraschung – thematisch schwerst in pseudo-religiösen wie spirituellen Themen unterwegs, wer dergestalt mit mythisch belegter Symbolik hantiert, kann kaum über Liebes-Geplänkel, Gänseblümchen oder das Bier-Holen und die fatalen Folgen am Tag danach singen…
Amenra-Tonträger waren noch nie verträglich für zaghafte Hörer, dem Experiment abgeneigte, zartbesaitete Feingeister, für die Grenzgänger und Ausloter, Forscher im Grenzgebiet Post-Rock/-Metal/Noise und Neudefinierer eigener Hörgewohnheiten ist „Mass IV“ zur Stunde erneut die vorläufige Brachial-Krönungsmesse einer der vitalsten Bands in diesem Bereich. Easy Listening ist woanders. Amenra-Beschallung schmerzt wie das wahre Leben. Finsternis, Albtraum und Erlösung im zaghaften Gelichter am Ende des dunklen Wegs, all in one, in einem herausragenden Werk in bezwingende Form gegossen.
Für den exzellenten wie dynamischen Sound zeichnet der Kalifornier Billy Anderson mitverantwortlich, das Ergebnis nimmt nicht weiter Wunder, der Amerikaner hat in den vergangenen 30 Jahren bereits beim Amenra-Vorgängeralbum wie auf Tonträgern der Swans, Melvins, Neurosis, der Red House Painters und vielen anderen geschätzten Artisten sein Können als Produzent unter Beweis gestellt.
(***** – ***** ½)
Der Konzertbetrieb am zweiten Tag der belgischen Post-Rock-Vollversammlung startete direktemang mit einem absoluten Festival-Highlight, die junge Formation Illuminine aus dem belgischen Leuven (Löwen !!!), die vor kurzem ihr aktuelles Album in Island im Studio von Sigur Rós einspielten, begeisterten mit ihrem getragen-meditativen Wechselspiel aus zeitgenössischer Klassik und Ambient, das Zusammenwirken von Piano, dezentem Gitarrenanschlag und der exzellenten Streicher-Sektion war bereits ein ganz hervorragendes, in den Momenten, in denen Dirk Timmermans zu seinem glasklaren und beseelten Trompetenspiel ansetzte, machte sich schwere Ergriffenheit im gut besuchten Zelt breit.
Auf Dauer etwas eindimensional angelegten, instrumentalen „Heavy Post-Rock“ boten die Mannen von Sounds Like The End Of The World aus Danzig, eine gute Gelegenheit zum Essenfassen…
Die Experimental-Reihe im kleinen Zelt eröffnete am 2. Tag ein unter dem Pseudonym Monnik auftretender junger Belgier, der Mönch verbreitete mit seinem meditativen Gitarren-Ambient-Drone tatsächlich eine nahezu religiös anmutende Grundstimmung, in der Klangkunst inklusive Saiteninstrument-Bearbeitung mit E-Bow, Geigenbogen und Schraubenzieher lies es sich gedanklich entspannt abtauchen, bevor sich die Zuhörerschaft in allzu viel Kontemplation verlor, löste der Gitarrist via Rückkopplungs-Effekten und Geräteschrauben das Klangbild final am Boden kniend in brachialer Atonalität im Stil der großen Krachkünstler Michael Gira und Ben Frost auf. Begeisterung pur.
Auch in Lateinamerika wird der instrumentale Post-Rock in Ehren gehalten, die fünf Compañeros von Baikonur aus Santiago de Chile stellten es eindrucksvoll unter Beweis. Die gepflegte und beseelte Gitarre erklang zu Videoinstallationen, in denen unter anderem in Schwarz-Weiß-Aufnahmen General Pinochet im Autokorso über das Bild fuhr, die Chilenen erinnerten so mit ihrem textfreien Vortrag an die dunkelste Ära des südamerikanischen Landes.
Henry Rollins für Arme, würden böse Zungen behaupten: Eleanora haben just an dem Tag ihr erstes Album ‚Allure‘ veröffentlicht, die Release-Show der Belgier aus dem nahe gelegenen Gent glich einem Massaker – treibender Post-Hardcore und brachialer Sludge-Metal, gepaart mit den permanenten Schrei-Attacken und dem eruptiven Bühnengebaren des Sängers Mathieu Joyeux, sorgten für ein intensives Konzert-Erlebnis, das, egal ob Daumen rauf oder runter, bei keinem Anwesenden schnell in Vergessenheit geraten dürfte.
Die Dame vom „Rode Kruis“ war erstmals im Stargazer-Zelt zur fürsorglichen Kontrolle, hätte ja sein können, dass der junge Mann ausschließlich wegen körperlicher Pein derartig markerschütternd brüllt…
Sodann altgediente Festival-Veteranen mit Kokomo aus Duisburg auf der großen Bühne – im Pott wissen sie, wie man Gitarrenwände aufbaut: strammer, energetischer Instrumental-Post-Rock sondergleichen, in eine Richtung nach vorne treibend, zu keiner Sekunde langatmig. Haben aktuell ihr viertes Album ‚Monochrome Noise Love‘ auf dem Festival-eigenen Label dunk!records veröffentlicht, die Veranstaltung weiß offensichtlich auch, was sie an der Combo hat. War großer Sport und dankenswerter (dunk!enswerter) Weise noch nicht das letzte Wort zu dieser herausragenden Band, more to come…
Das Trio Barst aus dem belgischen Halle hat das kleine Stargazer-Zelt mit hypnotischem Ambient/Drone und treibender, arabisch anmutender Rhythmik fasziniert, vor allem beim Gitarristen Bart Desmet war nicht zu übersehen, wie er für seine Musik lebt und in ihr aufgeht, derartige Ergriffenheit und intensives, auch in der Körpersprache angedeutetes Hineinarbeiten in den eigenen Sound sieht man selten bei einem Musiker. Absoluter Respekt für eine Darbietung, die das Programmheft mit den Worten „transcendental atmospheric black shoegaze math noise drone orchestra“ beschrieb.
Aus der Stadt des diesjährigen Premier-League-Überraschungssiegers Leicester City F.C. kamen die jungen Engländer von Her Name Is Calla, mit dem Violinen-Vortrag von Sophie Green fand sich neben klassischen auch Folk-Elemente im Sound der Band, mit den gesanglich von Tom Morris dick aufgetragenen Balladen besetzt die Band eine Ausnahmestellung im Post-Rock, wer sich hinsichtlich Stimm-Bild und der Nähe zum Indie-Folkrock an die Norweger von Midnight Choir und deren charismatischen Sänger Pål Flåta erinnerte, lag keineswegs falsch, „Muddy River Of Loneliness“, eh klar…
Das Projekt YODOK III um den aus Antwerpen stammenden belgischen Komponisten Dirk Serries, den wir Tags darauf erneut in einer weiteren Aufführen genießen durften, wurde unter dem Label „Post-Jazz“ als „study in ambient drone, with elements of jazz, rock and classical“ angekündigt, im Zusammenspiel des Gitarristen mit seinen beiden norwegischen Mitmusikanten im Stargazer-Zelt, das an dem Tag komplett den Künstlern des Consouling-Sounds-Label gewidmet wurde, entfalltete sich schwerster, repetitiver Kontemplations-Drone, der sich wiederholte Male, einem reinigenden Gewitter gleich, in spannendem Free-Jazz-Getrommel entlud. Hörgewohnheiten-erweiternd, ohne Zweifel.
Am frühen Abend machten sich dann My Sleeping Karma aus Aschaffenburg auf der großen Bühne für ihren Auftritt in Sachen Psychedelic-Stoner-Rock bereit, der durch Tempi-Wechsel und hypnotische wie explosive Gitarrengewitter bestimmte Prog-Vortrag wäre ganz sicher ein sehens- und hörenswerter gewesen, irgendwann schreit der vom stundenlangen Festival-Rumstehen geplagte Körper jedoch nach Bier, Fritten, Toilette, entspanntem Rumsitzen vorm Musik-Zelt und Konversation…
Eine mit Spannung erwartete Aufführung folgte im kleinen Rahmen mit dem Elektronik-Solo-Projekt IIVII von Red-Sparowes-Urgestein Josh Graham, der an dem Abend mit düster-abstrakten Science-Fiction-Drone-Klängen und einer tollen, zu den Soundscapes stimmig passenden Video-Installation vollends überzeugen konnte.
„This is your head banging moment“ schrieb The Stargazer Magazine zum angekündigten Auftritt der US-Post-Metal-Pioniere Pelican aus Des Plaines/Illinois, das war nicht zuviel versprochen, die Band hat auch KonzertbesucherInnen geschüttelt, die mit dem Genre nicht vertraut waren, ein zupackender, stringent strukturierter Instrumental-Metal-Vortrag aus einem Guss, dunkel, einnehmend, machtvoll vorgetragen und begeisternd. Bei den Festival-Highlights ganz vorne dabei. Da sagt auch der Post-Metal-Laie: „Gerne und jederzeit wieder.“
Der hier kommt originär ebenfalls aus dem Post-Metal: Colin H. Van Eeckhout, etatmäßiger Sänger und Gründungsmitglied von Amenra aus Kortrijk/Westflandern, beschloss den Abend im kleinen Zelt mit seinem Ambient-/Drone-Solo-Projekt CHVE, getragene Soundlandschaften via Drehleier-Spiel und Anschlag auf der großen Trommel und minimalistisch-klagender, spirituell angelehnter Falsett-Gesang sorgten für einen zutiefst entspannten Ausklang im Auditorium vor der Experimental-Bühne und ließen noch einmal tief durchatmen und zur Ruhe kommen vor dem großen Finale am 2. Festivaltag im großen Zelt.
Ihren dritten dunk!Festival-Auftritt als Headliner spielten zum Abschluss des Freitags die Texaner von This Will Destroy You, die Post-Rock-Band aus San Marcos, die hinsichtlich getragener, gedehnter Eröffnungssequenzen und eruptiver, komplexer Härte in ihren groß angelegten Instrumental-Epen mit den Landsleuten von Explosions In The Sky und den kanadischen Kollegen von Godspeed You! Black Emperor qualitativ absolut auf Augenhöhe steht, wehrt sich nichtsdestotrotz mit den Worten von Bandmitglied Donovan Jones vehement gegen kategorisierendes Schubladendenken: “Fuck post-rock, and fuck being called post-rock.”
Wie auch immer, der getragene Ambient und die sich urplötzlich-unvermittelt auftürmenden Gitarrenwände in der Live-Präsentation der Band wussten schwer zu begeistern – dem in völliger Dunkelheit gespielten Konzert, welche nur durch die Stirnlampen von Basser/Keyboarder Jones und dem Gitarristen Christopher Royal King durchbrochen wurde, zollten die mitternächtlichen Konzertgänger den verdienten, langanhaltenden Applaus.
This Will Destroy You, St. Vitus, Brooklyn/NY, 2015-02-27 @ nyctaper.com