„Don’t expect any Miracles“ warnte die britische LoFi-Songwriterin Holly Golightly Smith zu Beginn ihres Konzerts am Dienstag vergangener Woche diejenigen aus der Zuhörerschaft in der Münchner Kranhalle, die an diesem Abend zum ersten Mal in den Genuss ihrer Show kamen. Alle anderen wussten: Vorweihnachtliche oder wie auch immer geartete Wunder, ausgefeilte Finessen oder gar experimentelles Feuerwerk gab’s sicher nicht zu erwarten, schmissig-gepflegtes Rock’n’Roll-Entertainment mit der ein oder anderen ruppigen Ecke und Kante aber allemal, und dahingehend sollte das gut gefüllte Auditorium der vom Clubzwei präsentierten Veranstaltung auch keineswegs enttäuscht werden.
Begleitet wurde die gewohnt kratzbürstig gelaunte Frontfrau mit dem sarkastischen Humor an diesem Abend vom solide und unaufgeregt aufspielenden Trommler Bruce Brand, bekannt vor allem durch sein Mitwirken am unüberschaubaren Tonträger-Output der nahezu gleichsam unüberschaubaren Inkarnationen des englischen Indie-Tausendsassas und früheren Goligthly-Weggefährten Wild Billy Childish, in Sachen verlässliches und unaufdringliches Rhythmus-Geben stand Matt Radford am Upright Double Bass in nichts nach, Akzente setzte vor allem Gitarrist Bradley Burgess mit seinen exzellenten, locker aus dem Ärmel geschüttelten Rhythm-and-Blues-Licks – nicht anders als beim letzten Münchner Golightly-Gig in diesem Verbund vor gut drei Jahren im restlos ausverkauften Substanz-Club.
Die mittlerweile im amerikanischen Bundesstaat Georgia angelandete Londoner Königin der Schrammelgitarre hat über die Jahre ihren Hang zur ureigenen, zeitlosen Spielart des US-Rock’n’Roll, zu schmissigem Rockabilly, Blues- und Country-Twang mit dezenten Anleihen bei Soul und Gospel kultiviert, ihr früheres Faible für Garagen-Trash jeglicher Couleur offenbart sich dieser Tage vor allem im atmosphärischen Hall ihrer windschiefen Desert-Blues-Balladen, die Holly Golightly und ihre Mannen im Mittelteil der launigen, ausgedehnten 100-Minuten-Sause ausgiebigst als gespenstisch-schaurige Prärie-Beschallung in die Münchner Nacht heulen. Hätten Herrschaften wie David Lynch oder die Coen-Brüder das cineastische Machwerk mit dem New Yorker 5th-Avenue-Juwelier im Titel auf Zelluloid gebannt, Holly Golightly hätte anstelle von Film-Komponist Henry Mancini und seinem „Moon River“ den passenden Soundtrack zum – gewiss weitaus schrägeren – Schauspielern ihrer namensgebenden Filmfigur beitragen können, wer weiß. Da das Showbusiness nicht nur Glamour pur ist, wie sie an diesem Abend selbst anmerkt, wird es zum großen Hollywood-Auftritt vermutlich in diesem Leben nicht mehr kommen, die Realität sind verlorene Autoschlüssel und damit ein verschlossener Van mit dem gesamten Merchandising im fernen Hamburg. Bandleaderin und Begleit-Combo nahmen es mit nonchalanter Selbstironie, streuten eine Handvoll bewährte, auf den Kern reduzierte Blues-Standards wie „Big Boss Man“ und ein den Klauen Claptons entrissenes „Further On Up The Road“ in die reichhaltige Werkschau eigener Kompositionen, die trotz schwindender Garagen-Ruppigkeit den ewigen und unverfälschten Geist des Rock’n’Roll atmeten, in geerdeter Schlichtheit und ungeschliffenem Rohzustand, und damit war bei gefälligem Mitwippen des Tanzbeins allemal für einen höchst vergnüglichen und hoch unterhaltsamen Abend gesorgt – die Entscheidung pro Holly an diesem Abend sollte der Schaden der Besucherschar nicht sein, trotz massiver, dem Vernehmen nach stark aufspielender Giant-Sand-Konkurrenz in der H39-Halle nebenan.
CLUBZWEI
Oh Sees + Aluk Todolo @ Strom, München, 2019-08-30
Am vergangenen Freitagabend schütteten die Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei ein fulminantes Doppelpack an psychedelischen Kubikmetern ins konzertante Sommerloch der Stadt und präsentierten mit dem kalifornischen Hauptact Oh Sees eine der wandlungsfähigsten Combos des US-Indierock im Münchner Strom. Die Band aus San Francisco hat in den vergangenen zwei Dekaden zahlreiche Umbenennungen, Umbesetzungen und stilistische Umorientierungen hinter sich, einzige personelle Konstante über die Jahre ist Multiinstumentalist, Sänger und Label-Betreiber John Dwyer, der im ausverkauften Münchner Indie-Club von den beiden Schlagzeugern Paul Quattrone und Dan Rincon, Basser Tim Hellman und Keyboarder Tomas Dolas begleitet wurde.
Unter Sauna-ähnlichen Bedingungen groovte sich die Band aus dem Soundcheck heraus direkt, ohne Umstände und intensiv aus der Hüfte geschossen in ihren Gig, die erste Druckwelle schwappte postwendend aus dem Auditorium mittels heftigstem Pogo-Eintanzen, Schuhe- und Bierbecher-Schmeißen, Stage-Diven und ausgelassenem Gerempel zurück auf die Bühne. Den hochsommerlichen August-Temperaturen mochte im Saal offensichtlich kaum jemand Tribut zollen, und so gaben sich große Teile des Publikum dem Transpirieren im enthemmten Bewegungsdrang hin, einerlei, ob passend zu schmissigen Garagen-Trash/Punk-Hauern, flott durchgeknallten, melodischen Indie-Psychedelic-Perlen oder weithin deplatzierter zu angejazzten Kraut-Passagen oder den gedehnt ausladenden, von frei fließender Space-Orgel und entrücktem Grateful-Dead-Doppelgetrommel geprägten Progressive- und Sixties-Psychedelia-Jams. Die Combo um den durchtätowierten Bandleader mit der hochgehängten Gitarre stand dem intensiv berstenden Geschehen vor der Bühne in nichts nach und hielt das Energie-Level über neunzig Minuten konstant am oberen Limit. Die Oh Sees erfinden in ihrem von den US-Underground- und Indie-Spielarten der Spät-Sechziger, Mitt-Siebziger und achtziger Jahre stark beeinflussten Stil-Mix das Rad gewiss nicht grundlegend neu, vor allem im minutenlangen Endlosschleifen-Flow findet sich etliches an improvisierten Instrumental-Ergüssen, was woanders schon x-fach in gleicher oder ähnlicher Form zum Vortrag kam, mitunter in spannungsgeladener Diversität, der Reiz der Oh-Sees-Auftritte liegt vor allem im wilden Ritt durch eine Vielfalt an stilistischen Mitteln, in unvermittelten Tempi-Wechseln und dem Aufeinanderprallen von früher unvereinbaren Elementen wie der direkten Energie und dem knappen Format des Punk-Rock mit den ausufernden Improvisations-Auswüchsen der kosmischen Progressive-Sternenfahrt. Die Band zelebrierte den Tanz zwischen den Extremen im Dauer-Rausch ohne Verschnaufpause, und so mochte man es dem Quintett nach schweißtreibenden eineinhalb Stunden nicht verdenken, dass dem lauthals vorgetragenen Begehr nach Zugabe kein Gehör geschenkt wurde.
Gibt Bands, die ziehen auf der permanenten Suche nach entsprechenden Ausdrucksformen zum Freisetzen der überbordenden Ideen und überschüssigen Energie in the spirit of rock’n’roll ihr Ding durch und fertig ist die Laube, siehe oben. Der Großteil im populär-musikalischen Zirkus eben, die einen mit einem Schuss mehr Sendungsbewusstsein, die anderen einfach mit ungebändigtem Spaß am eigenen Tun.
Und daneben gibt’s die, die ihr Gewerk bedeutungsschwanger und konzeptionell mit mystischem Überbau versehen, die Experimental-Metaller Sunn O))) in ihren Mönchskutten oder die rituellen Beschwörungs-Postmetaller von Amenra als herausragende Vertreter der Zunft – in die selbe Kerbe schlugen am Freitagabend die drei Franzosen der Abend-eröffnenden Band Aluk Todolo. Der Name der Formation aus Grenoble ist einer uralten ethnischen Religion aus den Bergregionen Indonesiens entlehnt, das instrumentale Lärmen des klassischen Powertrios versehen die Musiker selbst mit dem Label „Occult Rock“. Unter dem Logo des Buchstabens „Un“ aus dem henochischen Alphabet, das für eine magische Kunst-Sprache im Mittelalter vom englischen Alchemisten und Hofastrologen John Dee entwickelt wurde, loten die drei dunkel Gewandeten die Kräfte ihres finster dröhnenden Trance-Flows aus. Lässt man den mythologischen Firlefanz, die theatralische Lichtbeschwörung von Gitarrist Shantidas Riedacker oder die 2011er-Kollaboration mit der musikalisch ohne Zweifel exzellenten, politisch gleichwohl fragwürdigen österreichischen Kraut-Formation Der Blutharsch And The Infinite Church Of The Leading Hand außen vor, bleibt als bedrohlicher, naturgewaltiger Sound ein erschöpfend in dunklen Gefilden mäanderndes, minimalistisches wie hypnotisches Instrumental-Gebräu aus Black-, Experimental- und Post-Metal, schwerst psychedelischem Kraut-Noise und der von Magma-Drummer Christian Vander definierten Spielart Zeuhl, die sich vor allem im freien, schleppend bis fieberhaft nervös die Becken malträtierenden, obsessiven Spiel vom entrückten Perkussionisten Antoine Hadjioannou offenbart. Der Auftritt von Aluk Todolo wird traditionell nur von einer zentral über der Bühne hängenden Lampe durchflutet, deren flackerndes Leuchten mit der Intensität der verzerrten, mitunter radikal dissonanten, lange nachhallenden Gitarren-Riffs und den einhergehenden Feedback-Erschütterungen der Metal-Drones korrespondiert. Finsterwald-Beschallung für neblige November-Tage und die Filmmusik für jegliche Ausprägungen an seelischen Abgründen, die durch diese Art von Schamanen-Kult kaum Aussicht auf Heilung erfahren, dargereicht in den letzten Tagen des Sonnen-durchfluteten Augusts – gewagte Nummer, für den geneigten Postmetal-Freund nichtsdestotrotz für eine halbe Stunde Erbauung und damit mit dem verdienten Applaus bedacht.
Tom Brosseau @ Polka Bar, München, 2019-04-25
Der großartige amerikanische Folk-Songwriter Tom Brosseau trat am Donnerstag-Abend auf Einladung des geschätzten Clubzwei-Konzertveranstalters Ivi Vukelic im Kellergewölbe der feinen Haidhauser Polka Bar auf, eine Dreier-Kombi aus Künstler, Veranstalter und Austragungsort, die die Tauben nicht schöner hätten zusammentragen können. Brosseau eilt aufgrund wunderbarer Alben wie „North Dakota Impressions“, „Perfect Abandon“ oder dem zuletzt veröffentlichten „Treasures Untold“ und zahlreich bespielter, unter anderem mehrmals auch in München absolvierter Auftritte ein exzellenter Ruf als Solo-Entertainer in seiner ureigenen Folk-Liga voraus, die Presseinfo liefert etwas wacklige Vergleiche wie „erinnert mehr an Jeff Buckley als an Iron & Wine“, immerhin hat das Musizieren des hageren Mannes aus Grand Forks/North Dakota tatsächlich und Gottlob wenig gemein mit dem Output des zumeist stinklangweilig daherkommenden Herrn Beam.
Tom Brosseau versteht es meisterlich, seine zeitlosen Songs als Ragtime- und Bluegrass-Reminiszenzen, Old-Time-Folk-Kleinode, spröde Country-Miniaturen und American-Primitive-Guitar-Nummern zu präsentieren, die vordergründig einfach und simpel gestrickt scheinen, dabei aber immer wieder unversehens beseelten Tiefgang, eine kaum zu greifende Strahlkraft entfalten und von einem völlig individuellen Charakter zeugen. Brosseau ist ein absolut in sich ruhender Musiker, der sein Cross-Picking und die filigranen Folk-Akkorde unaufgeregt, unprätentiös und ohne jegliches technische Protzen und Effekte-Haschen auf der akustischen Wander-Gitarre zelebriert, vermutlich wirkt sein Musizieren gerade deswegen so unkompliziert und locker aus der Hüfte geschwungen, bei eingehender Würdigung zeugt es indes nicht selten von hoher Finesse. Seine Nummern erzählen erratische, aus dem Leben gegriffene kleine Geschichten, die der Songwriter mit angenehmer Singstimme in den mittleren bis höheren Tonlagen vorträgt. Die an dem Abend vorwiegend neuen Stücke wie etwa „Jingle Bells Help Me Get Drunk“ zaubern bereits mit dem Titel-Refrain ein breites, beglücktes Grinsen ins Gesicht, dazu erweist sich der Songwriter als über die Maßen angenehmer Moderator des Abends, der trotz offensichtlicher Abstammung aus einer Franzosen-Linie mit ausgesucht britischer Höflichkeit und charmanter Nonchalance Anekdoten über sein Faible für youtube-Interview-Videos mit dem Schauspieler Peter O’Toole und Beach Boy Brian Wilson zum Besten gibt, Anmerkungen über seltene Singvögel aus der Fauna seiner Heimat North Dakota oder die Verwandtschaftsverhältnisse der Carter Family, deren „Where The Silvery Colorado Wends Its Way“ als Coverversion gegen Ende des Konzerts zum Vortrag kommt.
Tom Brosseau wirkt in seinem ruhigen, geerdeten Auftreten zuweilen wie die tiefenentspannte, hellwache und vor allem nüchterne Ausgabe des großen Folk-Alkoholikers Townes Van Zandt, nicht von ungefähr erzählt Brosseau davon, wie er einst in Nashville im Auto hauste und auf eine Auftrittsmöglichkeit im Bluebird Café wartete, jenem Live-Club, in dem sich die oft angetrunkene Songwriter-Ikone TVZ nicht selten auf die Bühne schleppte für seine grandiosen Klassiker und die nicht enden wollenden Monologe über Gott und die Welt.
Man hat diese leisen, eindringlichen Akustik-Konzerte oft erlebt, zu denen ein Teil der Hörerschaft regelmäßig hart an der Grenze zur körperlichen Züchtigung entlang schrammt, aufgrund lärmender, extrem störender Geschwätzigkeit während des Vortrags oder enervierender Zuprosterei, am Donnerstagabend in der Polka hingegen: nichts davon, zu keiner Sekunde. Das Publikum lauschte der Musik und den Geschichten des Barden von der ersten Minute an mit gebührender, gebannter Andacht, selbst während der Trinkpausen des Künstlers und dem Anlegen der Bluesharp-Bügel-Halterung wäre das Fallen einer Stecknadel als schallendes Krachen im Club zu hören gewesen, derart still genießend und hingebungsvoll war das Konzert-Volk dem Musiker zugewandt – das spricht für die einzigartige Magie dieses Auftritts und, selten genug, für ein aufmerksames und fachkundiges Münchner Auditorium: höchsten Respekt.
Stringent strukturierte, extrem relaxte und erhebende Auftritte wie die des hochsympathischen Musikers aus dem mittleren Westen der USA bräuchte es in diesen hektischen Zeiten weitaus öfter, Konzerte dieser erlesenen Güte sind nichts weniger als Seelen-Massage, mentale Labsal und ausgezeichnete Gelegenheit zum partiellen Ausblenden des alltäglichen Irrsinns.
Thänx a lot Tom Brosseau, Ivi Vukelic, Daniel Kappla!
Wooden Shjips @ Import/Export, München, 2019-03-12
Die geschätzten Münchner Konzertveranstalter vom Clubzwei luden am Dienstagabend zur psychedelischen Volldröhnung in den Club-Saal des Import/Export, die kalifornischen Neo-Space-Rocker der Wooden Shjips entwickelten bereits mit ihrer konzertanten Ankündigung genügend Sog-artige Anziehungskraft und garantierten damit einen vollgepackten Saal. „Ausverkauft“ konnte zu Beginn des Gigs vermeldet werden, das freut Veranstalter, Musikanten und die Wirtsleute.
Die Holz-Schjiffe um Mastermind Erik „Ripley“ Johnson lieferten ein exzellentes Setting ins Sachen „Turn On, Tune In, Drop Out“, multimedial begleitet von einer an die drogenverseuchten Sechziger Jahre angelehnten Farbexplosion an buntem Gelichter auf der Bühnenwand und vermutlich von der ein oder anderen eingeschmissenen Substanz auf Betriebstemperatur gebracht, hoben die Musiker unvermittelt zum Höhenflug in entlegene Sphären und Galaxien an, von denen sie erst nach 80-minütigem Space-Trip wieder auf den Boden des Heimatplaneten zurückkehren sollten.
Mit Schwerpunkt auf das Material des aktuellen Albums „V.“ in der Setlist bot das Quartett aus San Francisco in einem atmosphärisch dichten Vortrag das Erwartete an Psychedelic-Preziosen in einer verschärften, hinsichtlich Intensität gesteigerten Live-Version.
Der geisterhafte, sporadische Sangesvortrag von Gitarrist Johnson blieb entrücktes und kaum verständliches Beiwerk, von weißem Rauschen und Verzerrungen verwaschene, diffuse Beschwörungen auf einem Level der tiefenentspannten Gleichgültigkeit. Die Band gab sich mit Genuss vor allem dem instrumentalen Exzess hin, ausladende Gitarren-Soli, aufheulend, dröhnend, nachhallend und durch Feedbacks gejagt, von Johnson virtuos und gleichsam technisch brillant mit kaum fassbarer, leuchtender Schönheit als zentrales Element in den hypnotischen Flow gestellt. Ein Klangfluss, der vom Grundrauschen der Weltraum-Orgel, den irrlichternden Synthie-Drones, Sound-Loops und der ganzen Vielfalt des Tasten-Spiels und Regler-Schraubens in Kraut-, Prog- und Space-Herrlichkeit begleitet und entsprechend in Szene gesetzt wurde, somit zweifellos erst seine ganze bewusstseinserweiternde Pracht entfaltete.
Im Rahmen einer stoischen, kaum variierenden Rhythmik kommt insbesondere Drummer Omar Ahsanuddin der nicht geringe Verdienst zu, mit seinem reduzierten, monoton antreibenden Uptempo-Klopfen auf Becken und Snare-Drum diese ausufernden, der Hippie-Ära entlehnten Cosmic-Improvisationen im Hier und Jetzt zu halten, ohne den unermüdlichen Drive des Trommlers würde die psychedelische Spielart der Shjips vermutlich rückwärts gewandt in der Vergangenheit haften bleiben, als Orchestrierung zu längst vergangenen Haight-Ashbury-Happenings oder den LSD-Versuchen und Acid Tests der Herren Leary, Kesey und Konsorten – so bleibt er zeitlos und für das Indie-Rock-Volk des 21. Jahrhunderts konsumierbar. Da tat kein Naschen und Inhalieren an verbotenen Rauschmitteln Not, selbst ohne zugekleisterte und verdichtete Hirnwindungen entfaltete der Sound der Band seinen unausweichlichen Hypnose-Sog und zog die Hörerschaft mit hinauf in den Orbit der entrückten Zustände.
„Ride On“ vom aktuellen Album verließ als Neo-Desert-Blues im Valium-gedämpften Zeitlupen-Downtempo kurzzeitig die experimentelle Umlaufbahn, und mit „What Goes On“ vor der Zugaben-Pause durften die längst in die Geschichte eingegangenen Velvet Underground für einen Coverversionen-Auftritt die eingelagerten Urnen der Gruft verlassen und in ausgedehntem Trip auf die Sternenfahrt gehen, Johnson und Co. bauten die bereits in Grundzügen vorhandenen Sixites-Psychedelic-Strukturen des Klassikers zu einem dichten Neo-Prog-Gewerk aus, der gute alte Lou Reed wurde selten rauschhafter gefeiert.
Wo Rauschebart Johnson mit seinem Nebenprojekt Moon Duo die Psychedelic in Richtung reduzierter Garagen-Punk dehnt, liefert das Mutter-Holzschjiff die schwergewichtige, überwältigende, nicht weniger extrem gut ins Ohr gehende Kost der harten, progressiven Indie-Rock-Spielart.
Kommunikation mit dem Publikum im konventionellen Sinn findet bei Wooden Shjips wenn überhaupt nur in homöopathischen Dosen statt. Kein „Good Evening“, kein „München ist die superste Stadt unserer Tour, so far“, kein „Wo ist der nächste Hanfzüchter Eures Vertrauens?“: Floskel-freies Konzentrieren auf das Wesentliche, so soll es sein. Zweimal ein ins Mikrophon genuscheltes, kaum vernehmbares „Thank You“, das soll’s an verbalem Austausch der Band aus der Fog City mit dem Münchner Konzertvolk an diesem Abend gewesen sein. Wooden Shjips korrespondieren mit dem Auditorium auf einer anderen Ebene, der Flow des Indie-Space-Sounds durchdringt den Raum und wird vom Publikum als Resonanzkörper mit sanftem Wogen und eingegroovtem Mitnicken als Antwort erwidert. Ein nonverbales Einverständnis auf anderem Bewusstseins-Level zwischen Musikern und Konsumenten, wenn man so will.
An den positiven Vibes, an parapsychologischer Gedankenkontrolle oder anderweitiger spiritueller Einflussnahme muss das hiesige Publikum indes noch schwerst arbeiten, zu mehr als zwei Zugaben-Nummern waren die Wooden Shjips trotz herzlich zugewandtem Applaus an dem Abend nicht mehr zu bewegen.
Howie Reeve + 4Shades @ Café Schau Ma Moi, München, 2018-10-30
Gepflegtes Indie-Doppelpack am vergangenen Dienstag im Café Schau Ma Moi, dem Giesinger Wohnzimmer, Treff der alternativen „Löwen“-Fanszene und vermutlich kleinsten Münchner Konzertsaal im ehemaligen Bahnwärter-Häusl an der Tegernseer Landstraße: Den Auftakt des popmusikalischen Abends bespielten die Lokalmatadoren der 4Shades, die ihre Schatten dem eindeutigen Bandnamen zum Trotz auch zu dieser Veranstaltung – wie stets – zu dritt warfen, Clubzwei-Konzertveranstalter Ivi Vukelic an Gesang und halbakustischer Gitarre, Echokammer-Labelchef und Grexits/Weißes-Pferd-Musikant Albert Pöschl an den elektrischen sechs Saiten und Domhans-Drummer Martin Rühle schepperten, folk-rockten und schrammten sich in Trio-Besetzung durch ihren entspannten, unaufgeregten 45-Minuten-Set aus feinen, ansprechend melodischen Songwriter-/Indie-Pop-Perlen, flotten Surf-Rock-Instrumentals und die sporadischen Ausflüge in atmosphärische Desert-Gefilde, Alternative-Country-Reminiszenzen und ein inwendiges Grundverständnis für die beschwingte Psychedelic der Pop-historisch relevanten Spät-Sixties.
Die 4Shades sind stilistisch schwer zu greifen, kaum auf eine einzige Attraktion des alternativen Indie-Zirkus festzulegen, völlig anders als der nicht an die Wand zu nagelnde Joghurt dabei jedoch kaum beliebig und keineswegs austauschbar. Der Gesang vom hochgeschätzten Clubzwei-Organisator Ivi Vukelic wurde andernorts mit einer „sexy Ü40-Knabenstimme“ charakterisiert, vielleicht ist es auch nur die individuelle Interpretation von reduziertem, minimalistischem Soft Soul, wer mag das schon abschließend definieren?
Die 4Shades bewegen sich in einem weitläufigen Feld, innerhalb weit gesteckter Grenzen zwischen großen, ergreifenden Songwriter-Harmonien, grob die Ecke Go-Betweens/Robert Forster als Hausnummer, beseeltem Cosmic-American-Folkrock-Flow und verhallt scheppernder Pulp-Fiction-Beschallung a la Dick Dale, sie sind sowas wie die wandelnde, in Praxis umgesetzte Pop-Lexika-Theorie, und damit bei weitem mehr als die Summe der Erfahrungen, Fertigkeiten und kompositorischen Ideen ihrer einzelnen Protagonisten.
Geschmeidiges Alternative-Entertainment, notgedrungen auf engstem Raum ohne große Show-Elemente, dafür mit umso mehr musikalischer Substanz und Finesse, und zu der speziellen Gelegenheit der weitaus weniger sperrige Part des konzertanten Doppels.
Die zweite dreiviertel Stunde des Abends im Schau Ma Moi gehörte dem Schotten Howie Reeve, der Songwriter aus Glasgow, der in vergangenen Zeiten bereits mit seinem Folk-Landsmann Alasdair Roberts und dem ehemaligen Minutemen-/fIREHOSE-/Stooges-Basser Mike Watt zusammenarbeitete, ist ein fleißig durch Europa tourender Solist, der als DIY-Entertainer mit britischem Humor und unverstellten, konkreten Ansagen den direkten Draht zum Publikum sucht und die Hörerschaft weit aus der Komfort-Zone lockt, mit seinen eigenwilligen, hybriden, lustigen wie nachdenklichen Kleinoden in einem Crossover aus avantgardistischem Free-Folk und lärmendem Akustik-Postpunk.
Reeves Vokalvortrag ähnelt in seiner expressiven Art weit mehr dem Erzählen von kurzen Geschichten, Impressionen und Gedichte-Rezitationen im Rahmen eines spontanen Poetry Slam als konventionellem Liedersingen, der außergewöhnliche Barde wechselt erratisch Tempo und Lautmalerei seiner Sprechgesänge, dabei begleitet er sich selbst gleichsam unvermittelt in Extreme verfallend am Akustik-Bass mit filigranem Anschlag, schrammelnden Lagerfeuer-Akkorden, experimentellen Saiten-Übungen und brachialem, nachschwingendem Dröhnen der E-Saite. Zu diesem Spiel in losgelöster Form, als Ausloten der Möglichkeiten des Instruments, mit sprunghaften Tempi-Wechseln, zuweilen atonalen Exzessen und dem Bass-Anschlag fernab jeglicher Harmonie-Lehre mögen sich Assoziationen an Free Jazz, Canterbury-Progressive, American Primitive Guitar und an die Exerzitien verwandter Freigeister-Kollegen wie Eugene Chadbourne, Daniel Johnston oder Fred Frith durch die Gehörgänge und Hirnwindungen verirren, das dürfte für ausgewählte Momente seine Richtigkeit haben, und doch gelingt es Howie Reeve permanent, den britischen Akustik-Folk als Grundtenor ins Zentrum seines Schaffens zu stellen, freilich in einer reichlich weirden und angeschrägten LoFi-/Outsider-Ausgestaltung inklusive dissonantem Punk-Appeal.
Für eine kurze, deutsch besungene Dada-Nummer über Feuerwehr-Einsätze und die Liebe wechselte Howie Reeve ans Daumenklavier, eine launige Bereicherung des Solo-Programms, wie die spontanen Aktionen des lokalen Part-Time-Roadies Anton, der mit Handreichungen des Instrumentariums wie beim Trockenlegen der winzigen 3-Quadratmeter-Bühnen-Nische nach zwischenzeitlich auftretendem Wasserschaden glänzte und sich damit die verdienten Dankesworte und Song-Widmungen des schottischen Musikanten abholte, ein Leichtes für einen verkappten Profi wie den Anton, der im fernen Chicago bereits mit dem Bass des großen Willie Dixon hantierte… ;-)))
Die Songauswahl zu jedem Konzert legt Howie Reeve während des Gigs spontan fest, auch dahingehend großes One-Man-Improvisationstheater, damit bereitete es dem Schotten keine Probleme, zum Ende die ein oder andere zusätzliche, vom Auditorium gewünschte Experimental-Miniatur als Extra draufzupacken, trotz seiner sich zusehends verschlimmernden Erkältung in ungebremster Spiellaune und mit Lust am Feixen mit dem Publikum. Absolut unkonventioneller, grundsympathischer Typ, mit kleinem Equipment und einem Riesen-Koffer an überbordenden Ideen im Gepäck unterwegs, ein Unikat sondergleichen. Und im Verbund mit den Local Heroes von den 4Shades der Garant für ein ohne Abstriche einnehmendes Kontrastprogramm. Der Abend muss erst noch kommen, an dem man nach mittelprächtigem oder gar schlechtem Konzert-Entertainment aus dem Giesinger Wohnzimmer stolpert…
Die Tourplanung von Howie Reeve für die nächsten Tage und Wochen wird vom Musiker selbst wie folgt annonciert – vielleicht sollte der Anton aus seiner lokal begrenzten, sporadischen Tourbegleiter-Beschäftigung doch ins Vollzeit-Management wechseln zwecks konkreterer Kommunikation – jeweilige Veranstaltungsorte sind in dem Fall dann wohl der lokalen (Tages)presse zu entnehmen:
„Ok, here’s the next tour: Germany, Italy, Belgium, Holland. It would be so nice to fill those hmmmmms in…“
01.11. – Berlin
02.11. – hmmmmm…
03.11. – Leipzig
04.11. – Dresden
05.11. – Travel…
06.11. – Ferrara
07.11. – Venice
08.11. – Feltre
09.11. – Porcen
10.11. – Finale Emilia
11.11. – Finale Emilia
12.11. – Travel…
13.11. – hmmmmm…
14.11. – Hamburg
15.11. – Kassel
16.11. – Düsseldorf
17.11. – Leiden
18.11. – hmmmmm…
19.11. – Brussels
20.11. – Deux-AcrenSchau
21.11. – Dordrecht
22.11. – hmmmmm…
23.11. – Rotterdam
24.11. – Amsterdam