Was für eine Eröffnung des dritten und letzten Tages der 2016er-Ausgabe des belgischen dunk!Festivals: Die Bezeichnung fulminant ist eine schwer untertriebene für den Auftritt der jungen Londoner von Flies Are Spies From Hell, der berauschende, entfesselte Progressive-Post-Rock der Engländer wusste vom ersten Ton an zu überzeugen, in der Schumi-Sportart nennt man das wohl Start-Ziel-Sieg, spätestens als der Gitarrist mit den langen Loten sein Arbeitsgerät in der begeisterten Menge ablegte, gab es hinsichtlich euphorischem Applaus für die Gitarren- und Keyboard-Vollbedienung kein Halten mehr, die Messlatte für die folgenden Darbietungen am finalen Festivaltag wurde mit dem Auftritt der Flies extrem hochgelegt.
Auch das deutsche Progressive-Metal-Trio The Hirsch Effekt aus Hannover nahm keine Gefangenen mit ihren Versatzstücken aus Death-/Post-Metal, Noise Rock und Sludge, die sich die Waage hielten zwischen psychedelischen Elementen und einem Metal-Ansatz der brachialeren Gangart. Spätestens nach dem Auftritt der Niedersachsen dürften auch die letzten Spätaufsteher und Nacht-Durchzecher hellwach gewesen sein.
Entspannung pur bot der unter dem Projektnamen Herbstlaub auftretende junge Belgier mit seinem sphärisch-rhythmischen, Pop-affinen, abstrakten Ambient-Ansatz, der wie der Sound einer Szene-Größe vom Schlag eines Noah Lennox/Panda Bear angenehmst ins Ohr ging. Der Zen-Pop fand leider wegen technischer Probleme ein abruptes Ende, wie schade…
Zur ausführlicheren Nachbearbeitung sei das kürzlich beim Berliner federleicht-Label erschienene Album ‚Seems Like Time To Remember, Seems Like The Moment To Forget‘ empfohlen -> bandcamp.
Eine stimmige Mischung aus Noise, Prog, Post-Metal und -Rock boten die drei sympathischen Briten von UpCDownC aus Medway/Kent. Eine einnehmende Instrumental-Messe, zu der das Stargazer-Magazin unwidersprochen anmerkt: „Bang your head slowly but steady to the rhythm of these riffs.„
Schwere, hypnotische Drones und entschleunigte Doom-/Trance-Schleifen boten Wyatt E. aus Jerusalem. Konnten wegen kurzfristig angesetztem, spontanem Konzert im Wald nicht zur Gänze genossen werden, Nachbetrachtung via bandcamp lohnt allemal.
Dann tatsächlich Open Air bei bestem Outdoor-Wetter: Die Duisburger Jungs von Kokomo hatten kurzfristig einen Forest-Gig anberaumt, wie tags zuvor auf großer Bühne zogen sie auch im Wald ein halbe Stunde lang alle Register ihrer großartigen Post-Rock-Kunst, ein Auftritt wie dieser verlieh dem Festival die besondere Note, die zahlreichen Besucher auf der Lichtung waren schwerst animiert und applaudierten entsprechend langanhaltend und enthusiastisch, wie sich das in so einem Falle ziemt.
Das sind diese Momente, zu denen man nur noch den großen Horst Hrubesch zitieren kann: „Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank!“ ;-))))
Das englische Duo Nordic Giants bot am späten Nachmittag buchstäblich Post Rock in Breitband-Cinemascope, die Combo arbeitet bei ihren faszinierenden Auftritten neben der wunderschönen, Indie-Pop-angelehnten Piano/Drums-Aufführung mit groß angelegten cineastischen Videoinstallationen und Kino-Zitaten, Spoken-Word-(Burroughs?) und Gesangs-Samples, die gekrönt werden von der an Urvölker und Fabelwesen erinnernden Bühnen-Kostümierung der beiden Musiker Loki und Rôka, neben dem bombastischen, hochenergetischen und opulenten Klangbild das bestechende Element der Nordic-Giants-Show schlechthin. Seit den seeligen Zeiten von Freddie Mercury wissen wir: Es darf auch mal etwas Kitsch sein, why not…
Thank U For Smoking aus Sardinien bespielten das Stargazer-Zelt mit auf den Punkt gebrachten Post Rock, zwei Gitarren, ein Schlagzeug und der Gesang von Gitarristin Aurora Atzeni, mehr brauchte das Trio aus Cagliari nicht, um dem Genre ihren individuellen Stempel aufzudrücken. Schade, dass auch der Autritt der sympathischen ItalinerInnen mit technischen Problemen zu kämpfen hatte. Wie auch immer, um den Noise-getriebenen, strammen Gitarrensound muss man sich in der Mittelmeer-Region keine Sorgen machen.
Das russische Trio I Am Waiting For You Last Summer um den Komponisten Alex Sokolov, der unter anderem die Musik diverser Marvel-Filmtrailer schreib, konnte in Sachen ‚Electronica trifft Post Rock‘ überzeugen, wo es beim In-Einklang-bringen der Stilmittel ein paar Tage zuvor bei 65daysofstatic mitunter etwas klemmte, gelang den drei Russen spielend. Die glasklare Post-Rock-Gitarre harmonierte perfekt mit den schweren, Bass-lastigen Elektrobeats, auch wenn das Soundkonstrukt ab und an latent ins Gefällige Richtung Elektro-Dance-Disco/Club abdriftete.
Auf der Stargazer-Bühne folgte dann ein weiteres Projekt aus dem Umfeld der belgischen Post-Metal-Band Amenra, wie Tags zuvor Colon H. Van Eeckhout bespielte Bandkollege Mathieu Vandekerckhove das Zelt solistisch mit seinem Projekt Syndrome und seinem absolut stimmigen und überzeugenden Konzept aus schweren Gitarren-Drones und düsterem, artifiziellem Desert-Blues, der in den beschwörend-spartanischen Gesangsparts durchaus Vergleiche mit David Eugene Edwards/Woven Hand und dem australischen Düster-Experten Hugo Race zuließ.
Die Konzertgänger der großen Bühne erlebten sodann eine Premiere am frühen Abend: Die von den beiden Hamburgern Martin Grimm und Chris Burda 2008 gegründete Post-Rock-Formation Collapse Under The Empire spielte beim #dnk16 ihr allererstes Live-Konzert, das introvertierte Duo und ihre Mitmusikanten boten gediegenen Post Rock mit dezenten Elektronik-, Ambient- und TripHop-Beigaben, eine absolut stimmige und einnehmende Live-Präsentation, die auch dem dankbaren Applaus der zahlreichen Festivalbesucher zufolge nach dringender, vielfacher Wiederholung verlangt.
Der Belgier Dirk Serries war bereits am Tag zuvor zugange mit seinem Drone-/Post-Jazz-Trio YODOK III, unter dem Projekt/Pseudonym Microphonics bespielte der Mann aus Antwerpen das Stargazer-Zelt solistisch mit getragenen, geloopten, harmonischen Gitarren-Drones, die im Gegensatz zu seinen intensiven Noise-Eruptionen im Verbund mit den beiden Jung-Jazzern aus Norwegen vom Vortag in ihrer meditativen Grundstimmung für innere Ruhe und Entspannung bei der interessierten Zuhörerschaft sorgten.
Die Engländer Yndi Halda aus Canterbury/Kent boten Wohlklang aus dem Bereich Post Rock und zeitgenössische Klassik, die filigrane Spielart der fünf Briten weiß auf Tonträgern absolut zu überzeugen und wurde in Fachkreisen bereits mit den großen Namen der Szene verglichen, konzertant geriet die Nummer vor allem durch das im Zentrum des Klangbilds stehenden exzessiven Violinenspiels ab und an eine Spur zu saumseelig, darum alternativ: Belgische Fritten und Kirsch-Bier vor dem Zelt zur Stärkung zum großen Finale…
Von der kleinen Bühne im Stargazer-Zelt Abschied zu nehmen galt es mit arms and sleepers, das US-Trio feiert auf der aktuellen Tour ihr zehnjähriges Bandbestehen und wusste mit einem hochenergetischen, rhythmischen Mix aus Ambient, TripHop, Electronica und Post Rock nebst einer stimmigen Videoinstallation schwerst zu überzeugen, im vollbesetzten Zelt konnte sich kaum jemand dem hypnotischen Groove und dem zwangsweisen Zucken in den eigenen Beinen entziehen, ein mehr als würdiges Finale für das Experimental-Zelt, die Gesellschaft war schwer animiert, erstmals beim #dnk16 wurde eine Zugabe ausgehandelt und das Versäumen des Konzertauftakts von Russian Circles billigend in Kauf genommen, das will was heißen…
Und dann stand es an, das große Finale im großen Rahmen, wie heißt es so schön, wenn’s am schönsten ist, soll man aufhören, hinsichtlich erhebender Gefühle und großer Post-Metal-Momente zogen die drei Mannen von Russian Circles aus Chicago/Illinois noch einmal alle Register. Die Band, die sich nach einer Übungsformation aus dem Eishockey benannt hat, präsentierte einen an dem Abend absolut stimmigen Mix aus atonalen, immer wieder nach Struktur suchenden Soundgewittern und stringentem, zupackendem Post-Metal/-Rock, der harte, oft brachiale Instrumental-Noise wurde zum Abgesang des dunk!Festivals 2016 mit entsprechend opulenter Beleuchtung, ordentlich Trockeneis und einem glasklaren Sound optimalst präsentiert.
Ein exzellenter letzter Eindruck von einem Festival, das mit Highlights über die drei Tage verteilt nicht eben geizte. Eine hervorragende Bandauswahl, supernette Leute auf Veranstalter- wie auf Besucherseite, ein Top-Catering, ein optimales Festival-Gelände und nicht zuletzt ein wohlgesonnener Wettergott trugen das ihre dazu bei, dass #dnk16 zum rauschenden Erfolg wurde und bei allen Teilnehmern wohl noch lange in angenehmster Erinnerung bleibt.
Very special Thanx an Mel von curt, danke, dass ich dabei sein durfte.
Im Nachgang noch schnell eine Mütze Schlaf eingefangen, Zelt zusammengerollt und dann heimwärts in den Süden zum Klassenerhalt-Feiern, selbstredend mit belgischen Starkbier – was für ein Wochenende…
Nächste Ausfahrt in Belgien/Westflandern dann E40/Oostkamp/Waardamme, Muddy Roots Europe, in ein paar Wochen, so Gott will.
dunk!Festival 2016, 2016-05-05 / Tag 1 -> hier.
dunk!Festival 2016, 2016-05-06 / Tag 2 -> hier.