Dan Stuart

Reingelesen (66): M. A. Littler & D. H. Ottn (Hrsg.) – Sargasso Nummer 2

Remember the words of Frederick the Great of Prussia:
„he who defends everything defends nothing“
(Mark L. Mirabello, Handbook for Rebels & Outlaws)

M. A. Littler & D. H. Ottn (Hrsg.) – Sargasso Nummer 2 (2017, Sacred Flu Publishing)

„Just take a trip to the land of the lost“ regt Wipers-Vorsteher und Ami-Punk-/Prä-Grunger Greg Sage in einem seiner zahlreichen sich ins Hirn fräsenden Brachial-Songs an, literarisch vollumfänglicher und abgeklärter lässt sich das dieser Tage nicht bewerkstelligen als mit der aktuell erschienenen zweiten Ausgabe des „Non-Culture Literary & Arts Magazine“ SARGASSO, wie Volume 1 herausgegeben vom Frankfurter Regisseur, Drehbuchautor und Slowboat-Filmemacher M. A. Littler und dem Bremer D. H. Ottn, bekannt unter dem Namen The Dad Horse Experience als One-Man-Band-Kellergospler auf never ending tour im Namen des Herrn zur Bekehrung der sündigen Seelen.
„Leave your cognitive Kansas behind“ fordern Littler & Ottn und segeln das Narrenschiff erneut in die unerforschten Tiefen der imaginären Sargasso-See, zwischen alter und neuer Welt gelegen, in einen fiktiven Insel-Archipel des gesetzlosen Denkens, der Outsider, geistig Freien und der Korruption Unverdächtigen – es wird sowieso alles im Graben enden, lasst uns bis dahin unverzagt und bar jeglicher Konventionen auf den Wellen reiten und unerschrocken fremde Gestade ansteuern, Schiff ahoi + Mast- & Schotbruch.

Zen-artige Mediationen in Gedichtform präsentiert Littler himself, wie in seinen Independent-Filmen vom Schlage „Armenia“ stellt er in sich ruhende Betrachtungen an über das Untertauchen in Terra Incognita, über die Exekution eines Vergewaltigers und Mörders in Texas und das Leben seiner Großmutter, Mitherausgeber Dirk Otten steuert seine originellen lyrischen Selbstreflexionen und Gedanken über die Havarien des Lebens bei.

Des weiteren, amongst others: eine Kurzgeschichte des amerikanischen Malers Brett Busang über die schädlichen Illusionen der Menschheit, klassische Dichtung von William Blake und Ambrose Bierce, ein Poem des deutschen Filmemachers, Schauspielers und Musikers Mario Mentrup, ein Gedicht aus dem Schaffen von Alain Croubalian, seines Zeichens Hauptdarsteller in „Armenia“ und Musiker bei den Dead Brothers.

Texte einer handverlesenen Musiker-Schar dürfen wie in Ausgabe 1 nicht fehlen, wie dort finden sich in der zweiten Nummer des Fanzine-artigen Hefts Arbeiten der geschätzten New Yorker No-Wave-Bluesmusikerin Sandy Dillon wie vom untergetauchten deutschen Punk-Ungustl Kiev Stingl, mit dessen Vita sich im Übrigen auch die nächste cineastische Littler/Ottn-Co-Produktion auseinandersetzen wird, darüber hinaus wartet die Publikation mit einigen kurzen Gedichten und einem Short-Story-artigen Auszug aus den 2014 unter dem Titel „The Deliverance Of Marlowe Billings“ erschienen „False Memoirs“ des ex-Green-On-Red-Musikers Dan Stuart über die in den Wahnsinn treibenden Abgründe der Eifersucht und der verratenen Liebe auf, sowie mit Songtexten vom musizierenden Umzugsunternehmer und Möbelpacker Johnny Dowd, dessen brachiale Alternative-Country-Blues-Albträume und tiefen Beefheart-Verneigungen aus dem Grenzbereich Vaudeville/Southern Gothic/Noise das Hochglanz-polierte Kirmes-Gepolter eines Tom Waits stets wie Kaufhaus-Easy-Listening erscheinen ließ.

Und unbedingt erwähnens- wie lesenswert die Kurzgeschichte „The Great American Accident“ von US-Songwriter Micah Schnabel über den Umstand, dass Gott-spielen vor allem die niederen Instinkte der Human-Kreatur herauskehrt.

„Wir sind Leute, die auf der Suche nach Alternativen sind. Nach alternativen Lebensmodellen, alternativen Wegen zu überleben – finanziell, spirituell, politisch. So ist es im Prinzip eine Chronik von Outsidern und Outlaws.“
(M. A. Littler)

Visuell bereichert wird die Ausgabe mit experimenteller und historischer Schwarzweiß-Fotokunst und anonymen esoterisch-okkulten Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, darüber hinaus mit einer „Fotodelere“-Reihe des Aalener Objektkünstlers Steffen Osvath, Ablichtungen der Malereien der in Frankfurt am Main ansässigen Künstlerin und Littler-Gefährtin Sinead Gallagher und Illustrationen aus dem umfangreichen Werk des Graphic-Novel-Zeichners Reinhard Kleist, der einem breiteren Publikum durch seine Comic-Biografie „I See A Darkness“ über den großen Johnny Cash bekannt wurde, dieser Tage erscheint seine gezeichnete Arbeit über den australischen Kult-Musiker Nick Cave.

Die Ausgabe ist für sozialverträgliche acht Euro erhältlich, für einen Liebhaber- und Unterstützer-Preis von 22 Talern gibt es in der Spezialedition zusätzlich eine dem Magazin beigelegte Bonus-CD, der Tonträger enthält die Drone-Sound-bereicherten Spoken-Word-Interpretationen von fünf Gedichten aus der Feder M. A. Littlers sowie das 17-minütige Experimental-Magnum-Opus „Rain“ vom feinen 2016er-Dad-Horse-Experience-Album „Eating Meatballs On A Blood-Stained Mattress In A Huggy Bear Motel“.
Bestellformular für Magazin (plus ggf. CD) findet sich hier.

D. H. Ottn aka The Dad Horse Experience wird demnächst auch konzertant in unseren Breitengraden predigen, am 19. Oktober im Münchner KAP37 und am 23. Oktober im Herzen des bayerischen Hopfenlandes, beim Wolnzacher Stilwirt, das nur nebenher angemerkt und der geneigten Konzertgänger-Schar schwerst empfehlend ans Herz gelegt. Weitere Kellergospel-Termine: hier.

¡Muchas gracias! an D. H. Ottn / M. A. Littler für das Rezensionsexemplar.

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Reingehört (142)

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Luther Dickinson – Blues & Ballads, A Folksinger’s Songbook: Volumes I & II (2016, Pias UK / New West Records)
Hat den Blues von Kindesbeinen an verabreicht bekommen, der Junior von Memphis-Produzenten-Legende und Stones-/Cooder-/Chilton-Spezi Jim Dickinson, hat 2007 bis 2011 die Gitarre bei den Black Crowes bedient und wird ansonsten vor allem für die Zusammenarbeit mit seinem Bruder Cody und dem Basser Chris Chew beim Southern-/Blues-Rock-Trio North Mississippi Allstars geschätzt, bei einer derartigen Vita kann man die Wurzeln der eigenen musikalischen Sozialisation schon mal in einer opulenten Song-Sammlung Revue passieren lassen.
Solo oder in überschaubarer Besetzung, oft auch in Begleitung von so illusteren Gästen wie Mavis Staples, J. J. Grey, Jason Isbell oder Alvin Youngblood Hart präsentiert Dickinson einen stilistischen Blumenstrauß aus Swamp-/Country- und Folk-Blues, Gospel, mit Anleihen aus der Exile-On-Main-St-Phase der Stones und aus den herausragenden Little-Feat-Aufnahmen der frühen Lowell-George-Ära, die 21 intimen, eigenkomponierten Werke klingen in ihrer traditionellen Machart und in ihrer atmosphärischen Dichte, als hätten sie schon Jahrzehnte auf dem Buckel, ohne auch nur annähernd angestaubt zu klingen.
Einer wie der Kinkster würde sich beim Lauschen dieser Roots-Pracht einen ordentlichen Schluck Jameson ins Stierhorn füllen, die Beine auf das Geländer der Holzveranda legen und wohlig-versonnen in den Sonnenuntergang sinnieren.
Wird Zeit, dass der Sommer kommt…
(**** ½ – *****)

Luther Dickinson & The Wandering – Live @ nyctaper

North Mississippi Allstars – Live @ nyctaper

Lukas Nelson And Promise Of The Real – Something Real (2016, Royal Potato)
Nochmal Legenden-Nachwuchs: Der Lütte vom Willie macht auf seinem neuen Werk in der Nachfolge zum gemeinsam mit Old Neil Young veranstalteten Anti-Monsanto-Statement vom Vorjahr ordentlich Druck in Richtung schmutzige Stromgitarre, das Hard- und Psychedelic-Rock-geschwängerte Werk lässt vermehrt Reminiszenzen an die alte Zeppelin-Schule aufblitzen, aufgrund der geerbten Stimmlage vom Alten driftet das im Fall Nelson leider ab und an in Richtung Robert Plant für Arme, in den wenigen Balladen des Albums gelingt das Unterfangen weitaus überzeugender und in den beschwingtesten Instrumental-Passagen werden gar vereinzelt seelige Erinnerungen an David Lindley zu El-Rayo-X-Zeiten wach. Ein durchwachsenes Werk, dessen Bemühungen nichtsdestotrotz grundsätzliche Anerkennung verdienen.
(*** ½ – ****)

Lukas Nelson And Promise Of The Real – Live @ archive.org

Dan Stuart With Twin Tones – Marlowe’s Revenge (2016, Cadiz Music)
Hat auch schon mit Jim Dickinson zusammengearbeitet, auf dem nach einem Kriminalroman von Jim Thompson benannten Album ‚The Killer Inside Me‘ (1987) und dem folgenden Meilenstein ‚Here Come The Snakes‘ (1988, beide Mercury) seiner damaligen Combo Green On Red, der Krimi-Experte, Gitarrist und Songwriter Dan Stuart, und auch im Titel seines neuen Werks wird offensichtlich auf einen Hardboiled-Klassiker verwiesen, ansonsten ist es auf der neuen Scheibe des Steve-Wynn-Kumpels nicht mehr weit her mit der Erinnerung an alte Glanztaten, die hart am amerikanischen Rock-Mainstream segelnden und stumpf vor sich hin groovenden Arrangements werden zwar durch betont unsauber produziert klingendes Garagen-Trash-Grundrauschen und den lateinamerikanischen Touch der jungen Begleitband aus Mexico City aufgebrezelt, kundige HörerInnen kommen aber nicht umhin, sich wiederholte Male an die Belanglosigkeiten eines Mitch Ryder erinnert zu fühlen, die jener nach einer Reihe hervorragender Tonträger ab Anfang der neunziger Jahre zu veröffentlichen begann.
Chuck Prophet bleibt – in dem Fall ohne eigenes Zutun – der legitime Gralshüter des Green-On-Red-Erbes.
(*** ½)