Darkwave

Reingehört (519): Barst

Barst – Re: Cycles (2019, Consouling Sounds)

Die Phantasie der Hörerschaft anregen und herausfordern, Wandeln auf unbekannten Pfaden des experimentellen Postrock und artverwandter Mutationen, gängige Kompositions-Muster und Klang-Strukturen weit hinter sich lassen, ungeahnte tonale Schönheiten entdecken, diesen eigenen, ambitionierten Ansprüchen stellt sich der belgische Klangmagier Bart Desmet mit seinem „Totalmusik“-Projekt Barst auf dem aktuellen Album „Re: Cycles“ nicht zum ersten Mal. Die Messlatte für derlei Ansinnen hängte er selbst in jüngster Vergangenheit in olympische Höhen, mit überwältigenden Live-Auftritten und exzellenten, auf Tonträger konservierten Klang-Orkanen wie dem Vorjahres-Album „The Endeavour“ als berauschendes Instrumental-Abbild einer sich immer schneller drehenden Welt oder dem 2016er-Werk „The Western Lands“ in Reminiszenz an Kult-Autor William S. Burroughs, mit seiner jüngsten Remix-Arbeit auf Basis früherer Sound-Entwürfe knüpft er nahtlos an diese Glanztaten an.
Auf der Neubearbeitung und Weiterverwertung seiner älterer Aufnahmen bleibt sich Desmet in seinem radikalen Ansatz treu, indem er sich denkbar weit von traditionellen Spielarten der Indie-Musik entfernt. In einem schwer Electronica-dominierten Entwurf recycelt er seinen Urstoff zu einem überwältigenden Darkwave/Industrial/Trance-Hybrid, der von dunkel-hypnotischen, archaischen, nahezu rituellen Beats aus dem tiefsten Inneren der Maschinen, schneidend-verzerrten Gitarren-Drones und sich in Dauerschleife wiederholenden Beschwörungs-Gesängen durchdrungen ist.
Der von Loops und Synthie-Effekten beseelte, durch die technischen Gerätschaften gejagte Geist spukt machtvoll raumgreifend durch die Gehörgänge und lässt die Gehirnwindungen zwischen bedrohtem Empfinden und entfesselter Euphorie tanzen, ein zeremonielles Requiem wie Hochamt für das digitale Zeitalter. Selbst in den monotonen, Tempo-reduzierten, abstrakteren Passagen bleiben die Sinne geschärft, für Entspannung ist da kein Raum im Space-Drone, die Erwartung liegt auf der Lauer nach dem nächsten Intensitäts-Ausbruch.
Bart Desmet bleibt der herausragende Klangforscher, der sich und seine Musik permanent neu erfindet, der sich um die Grenzen von elektronischer Musik, Post- und Progressive-Rock und abgeleiteter Genres keinen Deut schert, der Barrieren niederreißt und mit ungebändigter Energie neue, faszinierende Gebilde erschafft. Progress, Innovation und die permanente Revolution mögen zu anderen Gelegenheiten oft im Sande verlaufen oder schlimmstenfalls das Gegenteil des Geplanten bewirken, bei Barst ist das Ende der tonalen Reise offensichtlich noch nicht absehbar, die Wegstrecke bietet nach wie vor überraschende Abzweigungen und Wendungen zuhauf.
Digital explodiert das Album bereits seit Dezember 2018 in ungebremster Wucht durch das Netz, auf Vinyl erscheint „Re: Cycles“ zum Record Store Day am 13. April 2019 beim geschätzten belgischen Label Consouling Sounds.
(***** – ***** ½)

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Reingehört (497): B / CHVE / Syndrome

B / CHVE / Syndrome – Reworks (2018, Consouling Sounds)

B wie Beats Per Minute, B wie Belgien, B wie Bert: Der flämische Sound-Tüftler Bert Libeert in seiner Inkarnation als Live-Techno-DJ B hat sich zweier ausgedehnter Solo-Arbeiten aus dem Dunstkreis des Künstler/Musiker-Kollektivs Church Of Ra zum gepflegten Remix angenommen, unter dem Motto „One Man Versus Four Machines“ erweitert er die Sound-Dimensionen und verändert die Charakteristika der Werke mithilfe zweier Synthies bzw. Drum-Maschinen. Die im Original vom getragenen, gleichförmigen Drehleier-Spiel dominierte Folk-Drone-/Ambient-Nummer „Rasa“ vom Solo-Projekt CHVE des Sängers Colin H. Van Eeckhout der Postmetal-Institution Amenra aus dem westflämischen Kortrijk und der gespenstische, diffuse Crossover-Flow aus artifiziellem Desert Blues, Postrock-Drones und dezent-dunkler Ambient-Electronica in „Forever And A Day“ aus dem Syndrome-Fundus seines Bandkollegen Mathieu Vandekerckhove, beides im Original jeweils ausgedehnte Kompositionen mit einer Länge um eine halbe Stunde, erfahren in der Libeert-Transformation eine mehrschichtige Bereicherung an Electronica-Samplings und synthetischer Rhythmik. Wo das ursprüngliche Material in seiner jeweils individuellen Ausgestaltung in düsterer, meditativer, mystischer Grundstimmung mit bezeichnender Church-Of-Ra-Schwergewichtigkeit seine Wirkung bis hinein in die hintersten, tiefsinnigsten Winkel des Gemüts entfaltet, verstärkt Klangforscher Libeert zum einen mit dunklen Basslinien den kontemplativen Flow und trimmt die Stücke darüber hinaus mit Variationen in der monotonen Taktgebung in Richtung Club-taugliche Tanzbarkeit. Der Trance- und Drone-lastige Ambient wird dank komplexer Maschinen-Samplings mit fundamentalem Industrial-Pochen und frei lichternden Darkwave- und EBM-Elementen verwoben und lässt die finsteren Impressionen damit zuweilen in freundlicheren, optimistisch gestimmteren Klangfarben leuchten.
Die „Reworks“ von B bringen die spirituellen, emotionalen Grenzerfahrungen der CHVE- und Syndrome-Soundscapes mit dem präzisen Pulsschlag des Old School Techno in Einklang, mehr Aufforderung zum Tanz und Nightclubbing-Spuk dürfte es bis dato nicht gegeben haben in den heiligen Hallen der Church Of Ra.
„Reworks“ ist Anfang November beim verehrungswürdigen Postrock/Postmetal/Experimental-Label Consouling Sounds im belgischen Gent erschienen.
(*****)