Dinosaur Jr

Reingehört (403): Sweet Apple

„I just wanted to drive, smoke cigarettes and listen to music.“
(John Petkovic, Chicago Tribune, 2010-07-09)

Sweet Apple – Sing The Night In Sorrow (2017, Tee Pee Records)

Indie-Prominenten-Singkreis nach dem Motto „Für jeden was dabei“ – Dinosaur-Jr-Vorturner J Mascis trifft sich beizeiten mit John Petkovic und Tim Parnin von Cobra Verde/ex-Death Of Samantha, dem Namens-gebenden Basser Dave Sweetapple von der Stoner-Band Witch und namhaften Gastsänger_Innen zum gemeinsamen Musizieren unter dem Bandlabel Sweet Apple, auf dem dritten Longplayer verabschiedet sich die lockere Zusammenkunft vom reinen Siebziger-Jahre-Rock-Gedöns der Vorgängeralben und fächert einen bunten Strauß an Indie-Spielarten auf, der gefällig wie heterogen nebst einer Menge weiterer Sound-Zitate unüberhörbare Einflüsse an Stones-Riffs, Beatles-Harmonien, Big-Star-Power-Pop-Geschrammel, Primal-Scream-Rave und – wie im Opener „My Head Is Stuck In The) Traffic“ – Anklänge an den Wire-Punk der frühen Jahre erklingen lässt. Das sich mit einem Hineinpacken aus allen möglichen Zutaten bei einem Bedienen im Dekaden-übergreifenden Fundus der Pop-Historie kein einheitliches Gesamtbild abzeichnet, liegt auf der Hand, groß störend ist das im Fall von „Sing The Night In Sorrow“ keineswegs, dafür funktionieren die einzelnen Titel für sich betrachtet viel zu gut. Als Basis ist den Songs immerhin gemein, dass sie die große Melodie suchen und in den meisten Fällen auch finden, egal, ob im härteren Anschlag der Gitarren-Saiten inklusive aufgedrehter Verstärker und polternder Rhythmus-Abteilung oder im getrageneren, melodramatischen Indie-Pop-Balladen-Gewand.
Grundsolide produziert und mit Gastbeiträgen im Singsang veredelt von keinen Geringeren als dem grandiosen Guided-By-Voices-Chef Robert Pollard, dem geschätzten Düster-Grummler Mark Lanegan und Charlie-Haden-Tochter Rachel. Als Projekt zum Zelebrieren des Spaßes an der Freud‘ winkt man sowas jederzeit durch, und mit etwas mehr eigener Handschrift taugt das beim nächsten Anlauf vielleicht auch für höhere Weihen.
(**** – **** ½)

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Dinosaur Jr + Moon Duo @ Dachauer Musiksommer, Rathausplatz, Dachau, 2017-06-05

Das Woodstock-Mantra „No Rain!“ konnte man sich getrost stecken, die Wetterprognosen für den Pfingstmontag hinsichtlich Regenwahrscheinlichkeit waren äußerst präzise, und so war der Konzertauftakt zum Dachauer Musiksommer und ein Großteil des weiteren Abends am Rathausplatz der oberbayerischen Kreisstadt vor idyllischer Altstadt-Kulisse ein gut bewässerter, pünktlich um 19.30 Uhr betrat das kalifornische Moon Duo die Bühne, für den Live-Vortrag wird das Seitenprojekt von Wooden-Shjips-Gitarrist Ripley Johnson und seiner begleitenden Keyboarderin Sanae Yamada derzeit durch den Drummer John Jeffrey mit seinem motorisch präzisen Anschlag verstärkt, die Band bot für gut vierzig Minuten – mit beiden Teilen ihrer jüngsten Doppel-Veröffentlichung „Occult Architecture“ im Gepäck – eine überzeugende Demonstration ihrer Indie-Rock-Psychedelic, mit monotonem Beat, schneidend-verzerrten Fuzz-Gitarren, verhalltem Sangesvortrag, minimalistischem Space-Keyboard und Krautrock-angelehnten Synthie-Space-Spielereien, gepaart mit einer gesunden Mixtur aus Garagen-Trash und Desert-Ambient, unterstrich die Combo auf das Nachhaltigste, dass sie die Veranstaltung auch gut und gerne als Headliner zu bespielen befähigt gewesen wäre. Als Rausschmeißer aus dem kurzen, vehementen und berauschenden Psycho-Flow gab’s eine durch den Nebel gefilterte Trash-Punk-Version der altgedienten Stooges-Nummer „No Fun“, und die hat hinsichtlich Titel vollumfänglichst zu diesem unsäglichen, für eine Open-Air-Veranstaltung denkbar ungünstigen Piss-Wetter gepasst…
(**** ½ – *****)

Den Sound-Orkan zur Sintflut lieferten dann in bewährter Manier die Herren Mascis, Murph und Barlow, nach etlichen Veranstaltungen in vergangenen Sommern aus dem Bereich Alternative Country mit Calexico, der Band Of Horses oder den unvergleichlichen Lambchop, mit der 70er-NY-Punk-Ikone Patti Smith oder den damals aufstrebenden The National haben sich die Veranstalter der Dachauer Open-Air-Konzertreihe mit Dinosaur Jr in diesem Jahr etwas aus der Komfortzone gewagt, der trotz widriger Witterung rege Besucherandrang gab dem Unterfangen Recht, die von Nah und Fern angereisten Freunde des gepflegten Grunge-Rock wussten selbstredend, was sie erwartet – spätestens seit dem Durchbruch der Band im Indie-Sektor mit dem sagenhaften SST-Album „You’re Living All Over Me“ im Jahr 1987  weiß die Hörerschaft: wo Dinosaur Jr draufsteht, ist Dinosaur Jr drin.
Mit ab und an einer Spur zuviel an Gleichklang und in einer am oberen Pegel angesiedelten Lautstärke bot das Trio eine Reise durch die über dreißigjährige, von einer längeren Auszeit durchbrochenen Band-Geschichte, die naheliegend von Titeln aus dem jüngsten Album „Give a Glimpse Of What Yer Not“ dominiert wurde, seit Bandgründung vor etlichen Dekaden hat sich im Klangbild von J Mascis und Co nichts Grundlegendes geändert, sein beseeltes, ausuferndes, gegniedeltes Fender-Gitarrenspiel und sein entsprechender Wah-Wah-Pedal-, Feedback- und Tremolo-Einsatz sowenig wie sein schleppender, entspannt-gelangweilter, hingenölter Gesang, das brachiale Bass-Spiel Lou Barlows und der wuchtige, stets nach vorne gehende Anschlag von Drummer Murph trugen das ihre zu einem rabaukigen Moshpit vor der Bühne und unüberhörbarem, Tinitus-artigem Ohrenpfeifen im Nachgang bei. Grunge, so wie er eben sein soll, laut, schmutzig, euphorisch, melodisch, vorgetragen von einer der Pionier-Kapellen des Genres, auch wenn zum ganz großen Dinosaur-Jr-Konzert am Ende am Fuße des Kirchturms dann doch der ein oder andere Band-Klassiker gefehlt hat.
(**** ½)

Reingehört (191): Dinosaur Jr.

KULTURFORUM Reingehört 2014-09-10 www.gerhardemmerkunst.wordpress.com

Dinosaur Jr. – Give a Glimpse Of What Yer Not (2016, Jagjaguwar)
Man braucht es ab und an wie die Luft zum Atmen, das Wasser zum Waschen oder das Bier gegen den Durst, und hier ist es wieder, dieses typische psychedelische Fender-Gitarren-Gegniedel und dieser tiefenentspannte, nonchalante Gesang, wie ihn nur Joseph Donald Mascis Jr. zum Besten gibt. Immer wieder ein Quell der Freude, dass er sich mit seinen Ur-Weggefährten Murph und Lou Barlow 2005 erneut zusammenraufte, seitdem liefert das Trio aus Massachusetts in unregelmäßigen Abständen ihre hochgeschätzten, ausufernden Gitarrenorkane gepaart mit dem druckvoll auf den Punkt gespielten Gepolter der gut geölten Rhythmusabteilung, neben dem Output der Melvins das Beständigste und Wertigste, was von der Grunge- und Alternative-Rock-Welle der Mitte-/End-Achtziger übrigblieb.
„Give a Glimpse of What Yer Not“ besticht, wie so oft bei Tonträgern der Band, mit euphorischen Gitarrenrockern, einigen zurückgenommenen, relaxteren Indie-Nummern und als besonderem Gimmick mit „Love Is…“ und „Left/Right“ zwei Barlow-Kompositionen, vor allem erstere atmet mit jeder Pore den Folkrock-Geist der Byrds, auch im Gesang ist Barlow hier kaum von Meister McGuinn zu unterscheiden. Das Stück hätte in etwas reduziertem Tempo jeder Scheibe der Kalifornier bis circa „Dr. Byrds & Mr. Hyde“ (1969, Columbia) zur Ehre gereicht.
Große Pop-Gefühle verschmelzen mit beseeltem Noise-Rock, Melodie trifft Hardcore, astrein produziert und in bestmöglicher Tonqualität feilgeboten. In einer sich ständig – meistens nicht zum Besseren – wandelnden Welt bleiben Donosaur Jr. eine verlässliche Größe, zum perfekten Glück wäre noch eine Tour angezeigt.
(**** ½ – *****)

Reingehört (86)

REINGEHÖRT 2015_09_24_25

Ryan Adams – 1989 (2015, Sony)
Der Verdacht war nicht ganz unbegründet, dass er jetzt komplett durchdreht. Ryan Adams covert mit ‚1989‘ Stück für Stück das gleichnamige Vorjahres-Albums der Grammy-bepreisten Country-Pop-Madonna Taylor Swift.
Von den Originalen kenne ich kaum Titel, soweit ich das beurteilen kann, entfernt sich Adams von den Swift-Interpretationen angenehmst-weitestmöglich,  laut eigener Aussage wollte er das Werk im Stil der englischen Proto-Brit-Pop-Combo The Smiths gestalten, das scheint bei vielen Songs tatsächlich ansatzweise gelungen zu sein.
Fakt ist, Ryan Adams liefert im Vergleich zum zwiespältigen, selbstbenamsten Vorgängeralbum (2014, Pax AM) dankenswerter Weise wieder eindeutig positiveres Material ab, hinsichtlich Schmalz in der Singstimme ist er auf dem neuen Output auf der Höhe wie lange nicht mehr, mit „Out Of The Woods“ und „How You Get The Girl“ enthalten die Swift-Covers zwei grandios-gute Balladen zum Niederknien, es ist schwer vorstellbar, dass diese Schmachtfetzen im Original auch nur ansatzweise diese Intensität erreichen.
Manches mäandert – wohl dem originalen Songmaterial geschuldet – gefährlich am Rande des Mainstreams entlang, funktioniert aber durch die Adams’sche Bearbeitung erstaunlich gut auch für geschulten Ohren der Alternative-Country-Anhängerschaft.
Es darf sich gepflegt entspannt werden, der gute Ryan wusste offensichtlich sehr genau, was er beim Einspielen dieser atmosphärisch dichten Songsammlung trieb, die Zwangsjacke verbleibt bis auf Weiteres im Schrank.
Ryan Adams: “Badass tunes, Taylor. We’re sandblasting them, and they’re holding steady.”
Taylor Swift: “Ryan’s music helped shape my songwriting, this is surreal and dreamlike.”
Na dann. Die britischen Alt-Metaller Judas Priest haben einst aus nahezu unerträglichem Joan-Baez-Geheul einen großartigen Song gezaubert, warum soll also der olle Ryan nicht…
(****)

Lou Barlow – Brace The Wave (2015, Domino Records)
Den Kameraden muss man zumindest den geneigten Indie-HörerInnen kaum mehr vorstellen: Louis Knox Barlow aus Dayton/Ohio, neben J Mascis Gründungsmitglied und im Hauptberuf Bass-Gitarrist der Grunge-Institution Dinosaur Jr, des weiteren Initiator der Combos Sebadoh, Sentridoh und The Folk Implosion, macht das, was er seit circa einem Vierteljahrhundert immer macht, wenn das Mutterschiff im Hafen ruht: er nimmt spartanische, reduzierte, „stripped-to-the-bone“ LoFi-Folk-Miniaturen in der eigenen Butze auf, Tape-Tasten-Klicken inklusive, sein Gespür für von allem unnötigen Zierrat befreiten Melodien ist unvermindert präsent, und so darf sich der Hörer an neun neuen Kleinoden aus der Feder Barlows erfreuen, die verletzlich, roh, fragil und auf das Wesentliche reduziert arrangiert sind, meist nur mit akustischer Gitarre begleitet vorgetragen werden und neben vielen weiteren zumeist gelungenen Anläufen mit „Pulse“ den formvollendetsten, wunderbar nachdenklich-getragenen Song in ihren Reihen wissen.
(****)