Unrunder Konzert-Abend zur vergangenen Wochenmitte im leidlich gut besuchten Hansa39-Saal des Münchner Feierwerk. Dabei war die Vorfreude zum Auftritt der US-amerikanischen Postmetal-Band Pelican groß, das Quartett zählt neben Formationen wie Russian Circles, Isis, Neurosis oder Jesu zur Speerspitze der Bewegung. Unvergessen ihr grandioser Auftritt beim belgischen dunk!Festival im Frühsommer 2016, der Gig in Flandern stach seinerzeit qualitativ weit aus dem dreitägigen Programm des alljährlichen Postrock-Gipfeltreffens heraus und veranlasste damit das Veranstalter-eigene Label zur Veröffentlichung des Mitschnitts auf limitiertem Vinyl. Der München-Auftritt 2019 wird hingegen kaum in die großen Momente der Pelican-Analen eingehen, das lautmalende Instrumental-Quartett aus Chicago erwischte im Feierwerk bei weitem nicht die besten Rahmenbedingungen ihrer Karriere für einen gelungenen Gig. Dabei startete die Formation um den entfesselt aufspielenden Gitarristen und Bühnen-Derwisch Trevor de Brauw furios, Nummern wie der Opener „Midnight And Mescaline“ funktionieren live wunderbar – wo das Material vom aktuellen, im vergangenen Sommer veröffentlichten Düster-Werk „Nighttime Stories“ so manche Fragezeichen nach der Sinnhaftigkeit einer weiteren Pelican-LP im immer gleichen Instrumental-Flow aufwirft, zeugte die konzertante Interpretation des fast komplett vorgetragenen neuen Werks von Funken-schlagender Energie und ungebändigter Spielfreude. Leider brachte defektes Equipment die zupackende Mixtur aus offensiven, stramm in den vordersten Fronten angreifenden Postmetal-Riffs, Sanges-freiem, Black-Sabbath-infiziertem Doom und großen Postrock-Dramen nach wenigen Stücken zum zwischenzeitlichen Erlahmen, der für die filigranere Gitarren-Arbeit zuständige Dallas Thomas zeigte sich ungehalten über seinen defekten Amp, das Gerät lieferte nicht das, was der Musiker wollte. Nach minutenlanger Unterbrechung und einem weiteren gescheiterten Versuch mit der defekten Marshall-Gerätschaft wurde mit dem Ersatz-Teil der Vorband improvisiert. Den regulären Set brachte die Band damit im strammen Drive zum glücklichen Ende, das Postmetal-Volk nickte gefällig mit bis zur einsetzenden Halsstarre. Finaler Stimmungstöter nach Bühnen-Abgang mit der Weigerung der Band, zusätzliches Material zur knappen Stunde als Zugabe zu kredenzen. Wo einer wie der gute alte Lou Reed selbst bei völlig verstimmten Saiten nur ein lakonisches „It’s good enough for Rock and Roll!“ knurrt und sein Gewerk zur Erbauung des Auditoriums unbeeindruckt fortsetzt, gaben sich die vier Wasservögel als Technik-Perfektionisten und verweigerten jedes weitere Zutun. Im Saal hätte außer den Musikern selbst wohl kaum jemand den Unterschied in der Wiedergabe des Gitarrenanschlags auf improvisiertem Equipment benennen können, anyway, so fährt man eine Nummer, die trotz widriger Umstände gleichwohl im Wesentlichen funktionierte, endgültig gegen die Wand. Schade.
Bereits zuvor eine durchwachsene Darbietung: Den Auftakt der Veranstaltung bespielte das belgische Quartett Slow Crush um die englische Sängerin und Bassistin Isa Holliday, zur Bewerbung der für den 25. Oktober geplanten Veröffentlichung des neuen Tonträgers „Ease“, im Opener mit einem hymnischen, melodischen, geradezu ergreifenden Hybrid aus Shoegazer-Romantik und Postpunk-Energie, dessen hohes Niveau im weiteren Verlauf des Auftritts bedauerlicherweise kaum gehalten werden konnte. Gegen Ende der guten vierzig Minuten ein weiterer Peak an euphorisierenden, Konzert-beschließenden Postrock- und Noisepop-Ergüssen, dazwischen reichlich, geradezu über Gebühr strapaziertes Shoegazer-Standardprogramm, das die engen Grenzen des Genres einmal mehr deutlich aufzeigte und wie bei vielen anderen Vertretern der Zunft unterstrich, warum das Songmaterial jedweder Combo dieser Spielart des Indie-Rock mit zu den austauschbarsten in der weiten Welt der lärmenden Pop-Musik zählt. Die Lichtshow und die gelegentlich zwischen Noise-Rock und Grunge taumelnden Eruptionen setzten unbedingt gefällige Akzente, das Potential der Band scheint jedoch (bisher) nicht ausgeschöpft, die Reise der vier Musikanten nahm vor zwei Jahren erst ihren Anfang, und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…
Mit dem Etikett „Psychedelische Kunst der Einheit“ als thematischer Aufhänger war das präsentierte Doppel-Konzert in der Münchner Glockenbachwerkstatt am vergangenen Feiertag des 3. Oktober überschrieben. Während das Gros der hiesigen Nachtschwärmer den nationalen Gedenktag auf dem Oktoberfest begoss – oder vielleicht auch mit reichlich Alkoholika verdrängte – fand sich eine überschaubare Schar an Unbeirrbaren im Saal der „Glocke“ zur experimentellen Beschallung ein. Den Abend eröffnete Konzert-Veranstalter Asmir Šabić aka Chaspa Chaspo himself mit seinem Ein-Mann-Projekt BaShBozouki´s. Der Musiker, den man neben seiner jahrelangen Organisations-Arbeit für zahlreiche exzellente, handverlesene Konzerte im Rahmen des Maj Musical Monday, des Noise Mobility Festivals oder in Einzel-Veranstaltungen in Sachen Postrock-, Electronica- und Jazzrock-Crossover im Stadtteiltreff auch als Kollaborateur von Bands wie Majmoon oder D’Aqui Dub kennt und schätzt, bot für gut 40 Minuten in freier Improvisation einen gelungenen Grenzgang zwischen Tradition und Moderne. Šabić ließ den Flow des elektrisch verstärkten Bouzouki-Sounds und seine sporadischen, klagenden, zu Chören gesampelten Gesänge in Anlehnung an Generationen-übergreifende Balkan-Folklore und uralte Südost-europäische Volksweisen auf den geloopten Beat der Synthie-Maschinen, auf pochende Trance-Drones und abstrakte Industrial- und Techno-Elemente treffen. Der Künstler selbst merkt zu seinem Ansatz der konzeptionellen Verbindung aus Vergangenheit und Zukunft, aus jahrhundertealten Volksmusik-Traditionen und futuristischer Electronica-Anreicherung an: „Es ist eine Live-Performance, die Geschichten von bewaldeten Bergketten und wilden Flüssen erzählt. Ein musikalisches Crossover von Melodien, Beats, Gedanken, einer Ästhetik, die von Arbeit, der Fremde, der Heimat und von dem Dazwischen berichtet. Es ist die Musik, die uns hält, die uns die Vielfalt der Welt zeigt; geschrieben, um uns zu fangen, um unsere Seelen zu retten“. Ob die ein oder andere Seele an diesem Abend ihre Rettung erfuhr, bleibt bis auf weiteres ungeklärt, Schaden dürfte an dieser in den Bann ziehenden, höchst erbaulichen Klang-Kollage sicher niemand genommen haben. Über eine geglückte oder misslungene deutsche Einheit streiten bis heute Historiker und Politiker in diesem Land, die gelungene Verschmelzung von Alt und Neu in Sachen experimentelle Balkan-Folk-Electronica ließ am vergangenen Donnerstag-Abend hingegen keine zwei Meinungen zu. In dieser oder ähnlicher Form darf Asmir Šabić in Zukunft gerne jede seiner anberaumten Veranstaltungen eröffnen.
Hinsichtlich hypnotischer Wirkung des Sounds wusste der Hauptact der Veranstaltung für die folgenden fünfzig Minuten die Dosierung nochmals um ein Vielfaches zu steigern. Der englische Multimedia-Künstler Richard Knox ist derzeit auf Konzertreise zur Promotion des neuen Albums „For Burdened And Bright Light“ in unseren Breitengraden unterwegs, der Longplayer seines Kollektivs A-Sun Amissa erschien im vergangenen Monat als Co-Produktion des belgischen Labels Consouling Sounds und Knox‘ eigener Indie-Firma Gizeh Records. Der in zahlreichen weiteren Formationen engagierte Multiinstrumentalist arbeitete in der Vergangenheit bereits mit so profilierten Postrock- und Experimental-Musikern wie der bezaubernden Jo Quail oder Oiseaux-Tempete-Mastermind Frédéric D. Oberland zusammen, auf der aktuellen Tournee wird er von seiner Partnerin Claire Knox begleitet. Das Duo entwarf zu den bewegten Schwarz-Weiß-Bildern vom archaischen, immerwährenden Wogen der Meeres-Gezeiten, von Impressionen aus dem Regenwald-Unterholz und von urzeitlichen Höhlen-Lagerfeuern ein dunkel fließendes, Text-freies Klang-Mäandern, das der Eindringlichkeit der wunderschönen Filmbilder einen bedrohlichen, ins Geheimnisvolle driftenden, bedeutungsschwangeren Unterton verlieh und seine Sog-artige Wirkung zur meditativen Kontemplation entfaltete. Knox selbst entlockte den Maschinen-Gerätschaften finstere, experimentelle Doom-, Kraut- und Electronica-Drones, wob handgemachte Klangfarben mit seinen klar angeschlagenen Gitarrenriffs ein und verfeinerte den Sound mit Samplings von analogen Tapes, die er im Verlauf der schwärenden, raumgreifenden und in den Bann ziehenden Symphonie mehrfach von Hand im Kassetten-Deck austauschte. Das tiefe Brummen der atmosphärischen Düsternis verstärkte Claire Knox mit Bogen-bestrichenen E-Bass-Saiten und gespenstischen, durch den Verzerrer abstrahierten, vokalen Lautmalereien. Die Dimension dieser improvisierten Komposition dehnte sie bisweilen mit Hilfe melancholischer Klarinetten-Phrasierungen in Richtung Free- und Dark-Jazz, in dem Kontext fast ein versöhnliches Element zur Minderung der tonalen Schwermut, wie die gegen Ende des Konzerts eingewobenen, pointierten, wenigen Dur-Töne in den Gitarren-Melodien.
Mit dieser intensiven Klang-Erfahrung zwischen abgründiger Schwere und entrückter Schönheit zeigten Richard und Claire Knox im minimalisitischen Duett, dass der Postrock von A-Sun Amissa keine stilistischen Grenzen kennt: wo die herkömmlichen Bands des Genres kaum den Blick über die Soundwände der E-Gitarren-Crescendi wagen oder – im schlimmsten Fall – irgendwann daran zerschellen mögen, sind diese Kreativitäts-einengenden Barrieren für die Klangreisen des Kollektivs aus Manchester keine Limitierung und kaum mehr als eine Spielart unter vielen.
A-Sun Amissa sind in den kommenden Tagen noch zu folgenden Gelegenheiten live zu sehen, highly recommended:
08.10. – Dresden – Zentralwerk 09.10. – Hamburg – FSK-HH 10.10. – Rotterdam – WORM 11.10. – Gent – Herberg Macharius 12.10. – Diepenheim – HANS Festival 05.12. – Sheffield – Record Junkee – w/ Hundred Year Old Man & E-L-R
La Bestia de Gevaudan – Kintsukuroi (2019, [Fe]Ral)
Die Bestie des Gévaudan war ein Untier, das Mitte des 18. Jahrhunderts in der gleichnamigen Provinz im französischen Zentralmassiv sein Unwesen trieb und in einem Zeitraum von 3 Jahren über 100 Menschen den Garaus machte. Ob es sich bei dem Raubtier wie über die Jahrhunderte kolportiert um einen mutierten Wolf, eine Schabracken-Hyäne, einen entlaufenen Löwen oder gar ein seltenes Fabelwesen handelte, darüber waren und sind sich damalige Zeitzeugen und Historiker bis heute uneins.
Auch beim chilenischen Trio La Bestia de Gevaudan, das sich offensichtlich nach diesem mysteriösen Killer-Vieh benannte, ist eine eindeutige stilistische Kategorisierung nicht die leichteste Übung, die Formation aus Santiago packt eine reichhaltige Vielfalt an Einflüssen und Ideen aus diversen Dekaden der alternativen und experimentellen Rockmusik in ihr dichtes Gewerk.
Wo zum Europa-Debüt und Auftakt-Konzert der Band beim letztjährigen dunk!Festival im belgischen Zottegem die Stoßrichtung mit energischem Postrock/Postmetal-Grenzgang inklusive vehementer Brüll-Attacken aus den Kriseninterventionsräumen des Doom und Sludge eine klar abgesteckte war, experimentiert die Bestie aus Südamerika auf ihrem jüngst erschienenen neuen Tonträger „Kintsukuroi“ mit einer weiter gefassten Palette an tonalen Ausdrucksformen. Angelegentliches Groll-Geplärr und vor allem massiv aufgetürmte Gitarrenwände, die das Material zum Bau einer kompletten Großstadt liefern, finden sich auch hier zuhauf, daneben lassen entschleunigte, gefällig ins Ohr driftende Ambient-Sequenzen, digitaler Synthie-Space und Anleihen bei kalt-dunklen New-Wave-/Industrial-Mustern aus den Achtzigern die ausladenden Nummern aus dem Einheitsbrei der zusehends austauschbarer klingenden Postrock-Kapellen herausragen – die eingehende Beschäftigung mit den Sound-manipulierenden Möglichkeiten der elektronischen Gerätschaften neben dem Ausleben handelsüblicher Gitarren-Crescendo-Exzesse trägt hier ergiebig Früchte im massiven Crossover-Komplex.
Die Beiträge des großartigen kanadischen Experimental-Gitarristen Eric Quach aka thisquitarmy, von Rosetta-Sänger Michael Armine und die Unterstützung eines gewissen Oliver Melville aus dem südenglischen Metal-Underground bringen das ihre in die vielschichtige Collage ein, wie die tonale Umsetzung der Titel-gebenden, aus dem Zen-Buddhismus stammenden Kintsukuroi-Kunst, einer traditionellen japanischen Reparatur-Methode für Keramik, in der gebrochene Teile unter Verwendung von Kitt, Lack, Pulvergold und Metallen wie Silber und Platin neu zusammengefügt werden. Nicht der schlechteste Ansatz zur Wiederbelebung des von vielen bereits mindestens im Koma gewähnten Postrock-Genres: Zerschlagung der Laut/Leise- und Getragen/Lebhaft-Muster, um sie mit anderen Mitteln zu neuen Klanggebilden zu formen. Postrock isn’t dead, it just needs a Kulturrevolution…
(**** ½ – *****)
If the White Stripes, the Black Keys, and Left Lane Cruiser had an illegitimate love child with Lemmy while Hunter S. Thompson documented the whole torrid thing… you might get 20 Watt Tombstone.
Tom Jordan & Mitch Du’Quan Ostrowski aka Grand Master Oh To The Zee & Yellin‘ Reverend Meantooth rocked the house: Der Rosenheimer Konzert-Veranstalter Mark Icedigger bat am vergangenen Mittwochabend in die eigene Heimstatt zur Privat-Show des Heavy-Blues-Duos 20 Watt Tombstone aus Wasau/Wisconsin, zwecks gebotenem Einschwingen und mentalem Hochfahren auf Betriebstemperatur zum ab heute nachmittag anstehenden Raut-Oak-Fest wurde die Einladung vom handverlesenen Publikum mit Kusshand angenommen.
Einheizen musste an diesem brütend heißen Sommertag allerdings niemand mehr, bei abendlichen Außentemperaturen um die 30 Grad Celsius bot auch das ehemalige Wohnzimmer der Icedigger-Oma als Hauskonzert-Bühne keine wesentliche Abkühlung, zumal die beiden Musikanten mit ihrem brodelnden Gewerk nichts zur Entschärfung der klimatischen Situation beitrugen.
20 Watt Tombstone sind der geneigten Hörerschaft spätestens seit ihrer exzellenten „Death Blues vs. The Dirty Spliff“-Split-EP bekannt, die sie 2016 zusammen mit den beiden geistesverwandten Trailerpark-Trashern von Left Lane Cruiser veröffentlichten, und damit war die Marschrichtung der konzertanten Beschallung für die Veranstaltung im Groben abgesteckt: Hart angeschlagene Blues-Riffs, von Gitarrist Jordan mit Bottleneck-Slide scharf angerissen und Fuzz-dröhnend durch die Lautsprecher gepresst, vom plattgewalzten Pfad der reinen Bluesrock-Lehre wahlweise nach links und rechts ausscherend, mit vollem Einsatz hinein in zentnerschwere Stoner-Breitseiten, in zäh geronnene Noise- und Black-Metal-Zitate und schwungvolle Boogie-Moves, ein berstender, lärmender Kessel unter Hochdruck, vom Trommler Ostrowski stramm nach vorne gegroovt. Massiv eingekochter, dickflüssiger Hardblues mit der brachialen Schwere des Doom Metal und der zornigen Energie der amerikanischen DIY-Punk-Szene, unverstellt, unbehandelt und direkt auf den Rüssel geknallt, the real stuff aus den Tiefen des Raw Underground und des Deep Blues, schmutzig und mit abgeschrammten Kanten – wie das pralle Leben selbst: in den Songtexten kurze und prägnante Geschichten über hochprozentige Drinks, verschlampte Weiber und die Trottel und fiesen Arschgeigen aus dem näheren und weiteren Umfeld. American heavy trash at its best.
Wo die seit einem halben Jahrhundert abrockenden Jubilare von ZZ Top ihre Seele längst an den Kommerz, die Mainstream-Chart-Platzierungen und einen politischen Deppen wie den republikanischen US-Ex-Präsidenten George Walker Bush verkauft haben, geben 20 Watt Tombstone in rudimentärer Besetzung und mit einfachsten Mitteln den wahren Jakob für die Freunde der lauten und dreckigen, Blues-lastigen Gitarre, und selbst in Sachen Bart-Tracht müssen die Kameraden aus dem Mittleren Westen vor Billy Gibbons und seiner Texas-Bagage nicht zurückstecken.
Zu bedauern gab es am Mittwoch nur den Umstand, dass nach einer überschaubaren Handvoll an energischen Eigenkompositionen und einer nicht weniger intensiven wie beinharten Coverversion des Howlin-Wolf-Klassikers „Killing Floor“ bereits wieder Schluss war – zu einem Zeitpunkt, zu dem das Publikum unter den subtropischen Gegebenheiten den Blues in seiner erdrückenden, sumpfigen Südstaaten-Spielart genoss und auf weiteres Schwitzen und Biertrinken mit entsprechender Beschallung eingestellt war, beendete die Band das viel zu kurze Set, der schwergewichtige Gitarrist Tom Jordan war aufgrund seiner angeschlagenen Verfassung nach einer kürzlich überstandenen Gallenblasen-OP zu keiner einzigen weiteren Zugabe zu bewegen – die Auswirkungen der üppigen Ernährung der Amis und das marode Gesundheitswesen dieser großartigen Nation strahlten an dem Abend bis in die Suburbs von Rosenheim aus, ein Hoch auf die Globalisierung! Als verdiente Strafaktion für mangelnde Leistungsbereitschaft und Ausgleich zum exzessiven Burger- und Meatball-Genuss kündigte Veranstalter Icedigger reduzierte, spartanische Schonkost in Form von Kamillentee und einer Scheibe Knäckebrot zum kommenden Frühstück an, hoffentlich hat er seinen Worten Taten folgen lassen…
Den Nachschlag zum zeitlich etwas knapp bemessenen Haus-Gig von 20 Watt Tombstone gibt es bereits heute zu bester Show-Time gegen 20.00 Uhr beim bereits ausverkauften Raut-Oak Fest am Riegsee: wer Glück (und ein Ticket) hat, kommt, sagt Martina Schwarzmann, und für Gitarrist Jordan heißt es am Riemen reißen, Arschbacken zusammengepresst und durch, die Konkurrenz ist groß, und wer ROF-Geschichte schreiben will, muss liefern. Man sieht sich immer zweimal im Leben, so in ein paar Stunden vor großartiger Murnauer Berg-Kulisse im Blauen Land.
dunk!Festival 2019, the third and final report: Das Wetter präsentierte eitel Sonnenschein in Flanderns Auen und Fluren zum Start in den Juni und sorgte bereits vor den ersten Gigs für hochsommerliche Temperaturen, dafür war das gebotene Tagesprogramm beim Veranstaltungs-Finish umso durchwachsener. Den Weckruf zur letzten Runde bespielte das Trio Le Temps Du Loup aus Madrid mit ihrer Interpretation des melodischen Postmetal/Postrock-Crossover, mit ordentlichem Druck-Volumen und variantenreichen Tempi-Wechseln. Den instrumentalen Flow der Spanier hat man in der Form im großen Zelt sicher nicht zum ersten Mal gehört, zu überzeugen wusste die tonale Druckbetankung aufgrund grundsolide durchexerzierter Metal-Riffs, einem satten Klangbild und einhergehender, überwältigender Wucht nichtsdestotrotz.
Im Wald wartete als Opener für den finalen Reigen in der Natur mit Summit eine weitere spannende, noch weithin unbekannte belgische Instrumental-Band der jungen Generation, neben dunklen Postmetal-Riffs und energischen Gitarrenwänden glänzte das Quartett aus Gent in der Nummer „Icarus“ mit unerwartetem wie feinem Desert-Rock-Flow im Mittelteil des Stücks, das sich später zur euphorischen Postrock-Hymne aufschwingen sollte. Dem „Ethereal rock for body and soul“ der vier jungen Musiker bleibt für die Zukunft zu wünschen, dass er über die regionalen Grenzen Ostflanderns hinaus seine aufmerksame Hörerschaft findet.
In anderen Erdteilen, im asiatischen Raum bekannt sind bereits Paint The Sky Red, die Formation aus Singapur überzeugte im ersten Teil ihrer Aufführung mit angenehm gleitenden, tiefenentspanntem Gitarren-Flow, der zur repetitiven Ambient- und Trance-Hypnose neigte, mit Fortgang des Konzerts untermauerte die vierköpfige Combo eindrucksvoll, dass ihr die vehementere Gangart im Uptempo-Drive mindestens genauso leicht von der Hand geht. Sehr deutliche Ansage zum Thema Raubkopien im Übrigen auf der Bandcamp-Seite der Band, spread the word: „In a world of digital piracy which heavily affects independent bands like us, it speaks volumes if you choose to purchase our music in the best manner and to listen to it on vinyl which we guarantee will be the most immersive experience you can get from our music.“
Die belgische Avantgarde-Perkussionistin Karen Willems ist stets ein gern gesehener Gast auf der dunk!-Bühne, 2016 mit ihrem Projekt Inwolves, 2017 zusammen mit dem kanadischen Musiker Aidan Baker, und auch in diesem Jahr sollte mit ihrem Landsmann Jean D.L. ein unkonventioneller Gitarrist an ihrer Seite stehen. Kennern der belgischen Experimental-Szene war klar: Damit war freie Improvisation als Barriere-freies und Grenzen-sprengendes Motto des Auftritts angezeigt. Ulrich Stock zitierte in einem „Zeit“-Artikel über den legendären Gitarristen Fred Frith vor kurzem den amerikanischen Jazz-Saxophonisten Steve Lacy, der den Unterschied zwischen Komposition und Improvisation in 15 Sekunden erklären sollte und das Stakkato-schwadronierend auch schaffte: „Der-Unterschied-zwischen-Komposition-und-Improvisation-in-15-Sekunden-ist-wenn-man-eine-15-sekündige-Komposition-zu-schreiben-hat-kann-man-sich-dafür-so-viel-Zeit-nehmen-wie-man-möchte-und-wenn-man-eine-15-minütige-Improvisation-spielen-soll-hat-man-dafür-15-Sekunden“ – exakt derart spontan gestaltete sich auch das Zusammenspiel von E-Gitarren-Saiten und freiem Trommeln, Jean D.L. ließ seine abstrakten Gitarren-Drones völlig losgelöst von jeglicher gängigen Grifftechnik oder Noten-Lehre zum erratischen Takt von Karen Willems lichtern, die Perkussionistin wirbelte im freien Flow über Becken und Trommeln, schmetterte spontan tibetische Jodler in das Rund und untermalte mit Glocken, E-Bows und Klangschalen das freigeistige Musizieren. Der Vortrag des Duos forderte Aufmerksamkeit und belohnte reichlich mit neuen Hörerfahrungen und Horizonterweiterungen.
Der Auftritt des spanischen Prog/Post/Math-Rock-Quartetts Jardin De La Croix auf großer Bühne fiel notgedrungen dem Essenfassen zum Opfer, den folgenden Set im Wald bespielte die amerikanische Band Shy, Low aus Richmond/Virginia. Gitarrist Gregg Peterson war bereits im Jahr zuvor mit der US-Band Au Revoir beim Festival zugange, zusammen mit seiner Stammformation brachte er bei seiner Rückkehr frischen Wind in die Gitarren-dominierte Postrock-Landschaft. Im Bühnengebaren einer hart ackernden und extrovertiert agierenden Speed-Metal-Band drückten die Musiker schwer nach vorwärts gewandt ihre harten Riffs und brachialen Rhythmus-Anschläge durch die in der Lautstärke nach oben gefahrenen Boxen, die Postmetal-Wucht konterten sie selbst geschickt mit hymnischem, erhebendem Flow aus, heller Wohlklang und finsteres Dröhnen bedingten sich wie Licht und Schatten. Mit ihrem intensiven, emotional ausufernden Set und ihrem unverstellten, authentischen Auftreten bereicherte die Band die Riege der klassisch besetzten Postrock-Bands ungemein, es braucht nicht immer meterhoch aufgeschichtete Soundwände – Riff-dominiertes, straightes Abrocken kann so simpel, effektiv wie erfrischend sein im Postrock und weit aus der Masse herausragen lassen. Shy, Low lieferten mit dieser Rezeptur einen schwer begeisternden Auftritt und eines der unzweifelhaften Festival-Highlights.
Böse Zungen unkten im Vorfeld, dass zum Auftritt der französischen Band Silent Whale Becomes A Dream vermutlich große Teile des Publikums im Zelt einfach sanft entschlummern würden, ob das so stattfand, müssen die beurteilen, die dabei waren, von der Ferne vernommen war der entschleunigte Postrock-Sound mit sorgfältig getragener Langsamkeit und gedehnt anschwellender, entwickelter Intensität hin zum erlösenden Höhepunkt eine angenehme Nachmittags-Beschallung des Festival-Treibens und vor Ort erlebt vermutlich eine ergreifend emotionale Konzert-Erfahrung.
Das war ohne Zweifel auch der Auftritt der chinesischen Band Zhaoze 沼泽 auf der Waldbühne. Die Formation aus der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou begeisterte bereits im Vorjahr im großen Zelt mit ihrer ureigenen Spielart des Postrock-Crossovers unter Verwendung traditioneller chinesischer Instrumente. Im Rahmen ihres Aufenthalts nahm das Quartett seinerzeit im Nachgang auf der Anlage der Waldbühne das aktuelle Album „Birds Contending 争鸣“ auf, ein 40-Minuten-Stück, das beim diesjährigen Gig in Gänze am Ort seiner Entstehung zum konzertanten Vortrag gebracht wurde. Die Band und allen voran Leader Hoyliang spielten sich in einen wahren Rausch, mit klassischer Postrock-Linie aus Bass/Gitarre/Drums und den einmal mehr faszinierenden Klängen der elektrisch verstärkten, traditionellen Griffbrett-Zither Guqin, die Meister Hoyliang neben konventionellem Spiel zuweilen mit dem Geigenbogen malträtierte. Daneben bezauberte er mit seinem Langflöten-Spiel in fernöstlichen Ambient-Folk-Variationen, einem wunderschönen, ergreifenden Soundflow, den er im Verbund mit der Band in die cineastische Breitband-Epik der instrumentalen, fernöstlich angehauchten Rockmusik ausufern ließ. Die Klangvielfalt der vier Chinesen kannte offensichtlich keine Grenzen, die Musiker scheuten sich nicht, selbst experimentelle Ausbrüche und Noise-Rock-artige Schlaglichter in den Wohlklang einzuflechten. Wo das Werk in der Studio-Aufnahme in getragener Euphorie zum Ende hin dem Licht in den Baumspitzen (und den dort nistenden Vögeln aus dem Album-Titel) entgegen strebt, trieben Zhaoze 沼泽 das Finale von „Birds Contending 争鸣“ live im minutenlangen Stakkato intensiv gesteigert der explodierenden Klimax entgegen. Mehr euphorisiertes Glücksgefühl ob des dargebotenen Auftritts war beim dunk! 2019 zu keiner Zeit, nirgends. Unzweifelhafte #dnk19-Kulturforums-#1 im diesjährigen Ranking. Hinsichtlich Intensität, Spielfreude, bunt lichternder, Ohren-schmeichelnder Klangvielfalt und experimenteller Wucht war der Auftritt allenfalls mit dem sensationellen Wald-Gig von Bart Desmet und seiner Postrock-Formation Barst beim dunk! 2017 vergleichbar, und so war es nur angezeigt, dass es für diesen herausragenden konzertanten Großwurf von Zhaoze 沼泽 minutenlange, hochverdiente Standing Ovations gab. Im Wald, da sind nicht nur die Räuber, da war beim #dnk19 auch die musikalische Exzellenz daheim…
Nach dem Auftritt von Zhaoze 沼泽 ging nicht mehr viel, da war die Luft hinsichtlich weiterem, aufmerksamem Konzert-Besuch einfach raus, die Nummer mit dem Aufhören, wenn’s am Schönsten ist, bewahrheitete sich einmal mehr. Was sollte nach einem derart überwältigenden Aufführung noch an Steigerung kommen?
Der Auftritt der wiedervereinigten US-Postrocker Gifts From Enola mit ihrer von scharfen Gitarrenriffs, in den Postmetal reichenden Spielart hätte unter anderen Umständen sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, wie auch das bombastische, extrovertierte Experimentieren mit Progressive- und Noise-Sounds der australischen PR-Vertreter von Tangled Thoghts Of Leaving.
Freude kam noch einmal zum Auftritt der UK-Formation Bossk aus Kent auf, die Band präsentierte bei ihrem dunk!-Debüt eine facettenreiche Postrock-Mixtur aus nüchterner, wuchtiger Postmetal-Härte, herrlichen Trance-Elegien und psychedelischen Halluzinationen für die Freunde der Progressive- und Space-Trips. Damit entzog sich die Combo jeglicher Schubladen-Kategorisierung, wusste mit einem voluminösen, komplexen Klangbild völlig zu überzeugen und ließ damit die Bäume im Wald, das Publikum und die restliche Fauna ein letztes Mal erbeben.
Der Würdigung des allerletzten Konzerts vor Bandauflösung der britischen Formation Her Name Is Calla mögen sich andere in Ausführlichkeit hingeben, der saumselig-dick aufgetragene Weltschmerz-Postfolk beim finalen Gig im Wald mochte so wenig konvenieren wie der Shoegazer-Kitsch der Festival-beschließenden Headliner von Alcest, die Franzosen waren in der Funktion mindestens so diskussionswürdig wie die Hauptacts der Tage zuvor. Anyway, die Geschmäcker und Vorlieben sind bekanntlich verschieden, und selbst bei einigen Streich-Ergebnissen im Line-Up konnte sich in den drei Festival-Tagen niemand über mangelnde Vielfalt, exzellente Konzert-Beschallung, viele spannende Neuentdeckungen, die erwartet guten Auftritte alter Helden und die ein oder andere freudige Überraschung beschweren.
Sowenig, wie über die einmal mehr hervorragende Organisation, ein friedliches, angenehmes, fachkundiges und zumeist hochkonzentriertes Publikum, eine freundliche und zugewandte Festival-Crew, bestes Catering, einen grandiosen Job der Leute hinter den Soundboards und Lichtreglern – und selbst der Verantwortliche hinter den Wolken hat wieder mitgespielt, irgendeiner da oben muss ein Faible für dieses Festival haben, so soll es sein: Null Niederschlag, ein Traum.
Very special thanks an Joni Sadler von Constellation Records und Wout Lievens von der Festival-Organisation.
Eine Frage bleibt bis auf weiteres jedoch ungeklärt: Wo war Festival-Man? Sein Luftgitarren-Spiel wurde schmerzlich vermisst. War er auf einer anderen Veranstaltung zugange? Ist er hoffentlich wohlauf? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Kulturforums-Diensstelle entgegen. Vielleicht ist er beim nächsten Mal wieder dabei, denn: Nach dem Festival ist vor dem Festival – das dunk! findet im kommenden Jahr von 21. bis 23. Mai 2020 an gewohnter Stelle statt, hinterm Vereinsgelände, in Ostflanderns grünen Auen und Fluren. Man darf schon gespannt sein. Wie die Luftgitarren-Saiten vom Festival-Man…