Drone-Folk

Reingehört (502): Willard Grant Conspiracy

„As a treatise on mortality, it’s beautiful. As an elegy, it couldn’t be better.“
(NARC Magazine)

Willard Grant Conspiracy – Untethered (2018, Loose Music)

Das Vermächtnis des Robert Fisher: Der schwergewichtige Songwriter, Sänger, Kopf und einzige dauerhaft an Bord befindliche Musiker der Willard Grant Conspiracy ist im Februar 2017 allzu früh an den Folgen seiner Krebs-Erkrankung verstorben, ein herber Verlust für die Americana-, Indie-Folk- und Alternative-Country-Gemeinde, wie er auch mit seinem posthum vor einigen Tagen veröffentlichten zehnten Album noch einmal schmerzlich unterstreicht.
Rohmaterial aus dem Jahr 2016, an dem der Mann aus Boston bis zuletzt arbeitete, Gesangsspuren seines sonoren Bariton, die long time fellow David Michael Curry final als Songs modellierte, instrumentierte, arrangierte, und damit in hörbares Format brachte. Jener David Michael Curry, mit dem Fisher, zuweilen auch in unseren Breitengraden, seine Konzerte als reduzierte Duo-Aufführungen bespielte, er selbst an Gesang und akustischer Gitarre, Curry an Violine und diversen Loop- und Pedal-Gerätschaften. Damit ist im Wesentlichen auch der musikalische Ansatz des vermutlich letzten WGC-Albums umrissen.
Das „Hideous Beast“ als Opener gebärdet sich unerwartet als kurzer, zorniger Bastard aus avantgardistischem Pere-Ubu-Blues und experimentellen Indie-Noise-Riffs, den in der Form so auch der nicht weniger schwergewichtige David Thomas zum Besten geben könnte, vielleicht wäre Fisher mit diesem Ansatz gerne noch einmal zu neuen musikalischen Ufern aufgebrochen, auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen, wir werden es wohl in diesem Leben nicht mehr erfahren.
Der große Rest von „Untethered“ ist der erwartete, tiefgründige Stoff der Willard Grant Conspiracy aus den diffusen Zwischenwelten, einsamen Prärien und mythischen Friedhöfen eines unheimlichen Amerika, in seiner ganzen melancholischen, semi-depressiven Folk-Pracht. Robert Fisher spürt seinen letzten ausformulierten Gedanken nach, seinen Wünschen und Erinnerungen an bessere Zeiten, in einer resignierten Abgeklärtheit sich selbst wohl der unumstößlichen Tatsache gewahr, dass sein Leben dem Ende entgegen neigt. Zu Hochzeiten seiner Karriere als außergewöhnlicher Songwriter, als er zwar unter massivem Übergewicht litt, sich aber ansonsten aufgeweckt und munter präsentierte, bereits zu diesen Zeiten beschäftigte sich Fisher in seinen latent morbiden Songtexten nicht selten mit Themen wie Tod, Selbstmord, Schuld und Erlösung, um so mehr ist der Tiefgang und die Trauer in jedem seiner finalen Arbeiten zu spüren, vor dem Hintergrund des letzten Vorhangs.
Verhallte Gitarren, nahezu entrückter Akustik-Folk mit Hang zu schwermütigem Free-Flow-Trance, virtuose Violinen-Drones und düstere Cello-/Kontrabass-Phrasierungen in langen Passagen verleihen dem Farewell-Album den verdienten würdevollen Rahmen. Die getragenen Balladen wirken trotz dominanter Streicher-Arrangements wie spartanische, auf den Kern reduzierte Song-Gerippe, wie das Wenige, das unterm Strich am Ende der gezählten Tage von einem Leben übrig bleibt. Der gespenstische, ergreifende Sound der Willard Grant Conspiracy klang seit jeher wie aus anderen Zeiten und Sphären entlehnt, aus nebulösen, längst vergangenen Dekaden, es mag nicht verwundern, dass viele Nummern der aktuellen Veröffentlichung wie von dieser Welt losgelöste Elegien wirken. David Michael Curry ist dahingehend die Adaption der Klangsprache seines alten Weggefährten im Kontext der Trauerarbeit perfekt gelungen.
Die finale Komposition mit dem passenden Titel „Trail’s End“ erklingt als Instrumental-Requiem im Spannungsfeld zwischen erhabener Downtempo-Desert-Americana, dissonanten Drones und der Melodik zuwiderlaufenden Störgeräuschen, Sinnbild jeglichen Daseins, das Licht- wie Schattenseiten kennt.
Robert Fisher fehlt als Chronist und Mahner der Vergänglichkeit in diesen Zeiten, beim Klang seiner letzten Songs noch ein Stück mehr. David Michael Curry hat das Testament geöffnet und „Untethered“ behutsam zu einem großen, nachdenklichen, selbstredend mitunter sehr traurigen Werk veredelt. Besser und vor allem würdiger kann man einen Nachlass nicht regeln.
(***** – ***** ½)

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Canto dei sass‘ @ Köşk, München, 2018-03-08

Gibt Konzerte, die stehen auf der persönlichen Wunschliste ganz oben unter der Kategorie „mehr als überfällig“, die feinen Live-Vorträge der Formation Canto dei sass‘ gehören dahingehend zwingend in diese Rubrik. Obwohl zu Teilen in München beheimatet, sind Auftritte der 2006 ursprünglich als Duo gestarteten Musiker rare Vergnügen im Millionendorf. Vor 3 Jahren bei einer gemeinsamen Benefiz-Veranstaltung kennen- und schätzen gelernt und seitdem zunehmend mehr händeringend auf eine weitere Gelegenheit zur konzertanten Erbauung durch das Trio gehofft, war es am vergangenen Donnerstagabend dann endlich wieder so weit: Canto dei sass‘ bereicherten musikalisch im Münchner Köşk die Vernissage der Kunstausstellung „zusammen + nebenan“ mit ihrer Volkslieder-Sammlung „Canti tra amore e rivolta“.
Sänger, Querflötist und Sprecher der Band Davide Casali Eschmann präsentierte zusammen mit seinen kongenialen Mitmusikern Dine Doneff und Mathis Mayr „Lieder zwischen Liebe und Aufstand“ und faszinierte das aufmerksame Publikum mit einer Reise durch die Welt der Volks-Musik aus den Regionen der südlichen Alpen und des Mittelmeers.
Eschmann, ein fundierter Kenner und Sammler einer oft Jahrhunderte-alten Liedgut-Tradition aus dem südländischen Raum, gab in launigen, kurz gehaltenen wie gewitzten Anmoderationen Einblick in Hintergrund, Text und Geschichte der Volkslieder, da kaum jede/r im Saal mit den italienischen, spanischen oder sephardischen Dialekten vertraut gewesen sein dürfte, in denen der Sänger mit seiner wunderschönen Stimme die Volks-Weisen vortrug, einer erhabenen und ernsthaften Kunst, die wohl auch auf jeder Opernbühne oder im sakralen Kirchengesang höchsten Ansprüchen genügt. Begleitet wurden die über hundert Jahre alten Bettellieder vom italienischen Kirchenplatz, die Love Songs aus Istanbul, die Schweizer Schmuggler-Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg und die katalonischen Anti-Kriegs-Lieder aus der selben Dekade, spirituelle Klage-Gesänge, anti-klerikaler Spott und Betrachtungen auf das eigene Ableben von Eschmann selbst an der Flöte, Dine Doneff an Kontrabass und Schlagtrommel und Mathis Mayr am Violoncello, zwei weiteren ausgewiesenen Könnern ihres ureigenen Musizierens, die die im Kern wohl einfach strukturierten Volkslieder in kammermusikalischer Manier mittels diszipliniertem Vortrag wie gleichsam improvisierter Elemente aus (Free-)Jazz, freiem Sound-Flow und Neo-klassischen Einflechtungen auf ein höheres Level zwischen experimenteller Kraft und den melodiösen Grund-Charakter der einzelnen Stücke hoben. Da hatten Jahrhunderte-alte Tondichtungen Luft zum Atmen, indem sie von den Musikern nicht auf ein fixiertes, tradiertes Arrangement festgelegt wurden, der schroffe Anschlag, das beherzte Klopfen und dröhnende, in homöopathischen Dosen mitunter auch atonale Zupfen und Schrammen an den Saiteninstrumenten fand seine Ausdrucksform, wie auch der feine Strich mit dem Bogen, der filigrane Gesang und die einschmeichelnden Töne aus der Querflöte. Uralte Musiktraditionen in einer spannungsgeladenen, offenen Interpretation, zu der auch Dine Doneff neben meisterhaft virtuosem Bass-Spiel sporadisch mit einer Auswahl melancholischer Balladen aus seiner mazedonischen Heimat beitrug, die schwere Seele des Balkan-Blues, wie sie darüber hinaus auf seinem jüngst veröffentlichten, exzellenten Tonträger „Rousilvo“ eindrücklich ergründet wird.
Dabei verstand es das Trio bravourös, den schwermütigen, getragenen Charakter einzelner Stücke mit einer Auswahl beschwingter, luftiger, hinsichtlich musikalischem Gehalt gleichsam gewichtiger Kompositionen aufzulockern, auch hier eine perfekte Balance zwischen den extremen Gemütslagen des Lebens. Der herzliche Applaus der Konzert- und Ausstellungsbesucher war den drei Ausnahme-Musikern gewiss, das zugewandte Danken eines Publikums, das an dem Abend für sein aufmerksames, konzentriertes Zuhören und dem würdigen Anlass entsprechendes, stilles Innehalten ein Extra-Lob verdiente.
(***** – ***** ½)

Die mit dem Konzert von Canto dei sass‘ bespielte Gemeinschaftsausstellung „zusammen + nebenan“ von Annegret Hoch und Siegfried Kreitner ist noch bis einschließlich 13. März im Rahmen des Münchner Zwischennutzungs-Projekts Köşk zu sehen, in der Schrenkstraße 8, München/Westend, Öffnungszeiten des Köşk: MO bis FR 16 – 20 Uhr, SA/SO 14 – 20 Uhr.

EMA + Dubais @ Kranhalle, München, 2017-09-27

Großartige Ladies-Night am vergangenen Mittwochabend in der Münchner Feierwerk-Kranhalle. Dabei ließen im Vorfeld zur Einstimmung auf den Abend abgerufene Videos der im Support-Programm auftretenden „Arabfuturist/Lo-fi Bedroom Pop/Dark-Disco“-Performerin Nadia Buyse aka Dubais Schlimmes an belanglosem Elektro-Pop-Gedöns vermuten, Erinnerungen wurden wach an Konzertabend-Standards vor etlichen Dekaden, als es an der Tagesordnung war, dass erst das Horror-Programm im Vorfeld überstanden werden musste, bevor man zum angenehmen Teil der Veranstaltung vordrang – doch Gottlob in dem Fall weit gefehlt. Die extrovertiert offensiv aufs Publikum zugehende Musikerin, die kosmopolitisch ihre Heimathäfen mit Berlin, Portland und Antwerpen benennt, gab zum Einstieg ein paar simple wie zupackende Folk-Songs zur E-Gitarre zum Besten, ließ sich zwischenzeitlich von EMA-Drummerin Susan begleiten und bestritt den Großteil des bizarren Auftritts dann Laptop-gestützt mit eingespieltem, groovendem Synthie-Pop-Playback formvollendet und Rampen-sauend als stimmlich groß auftrumpfende Disco-Soul-Queen, eine das Grinsen ins Gesicht treibende Aufführung so schräg wie unterhaltend, in der Form sowohl in den Grusel-Achtzigern in den Diskotheken jedes oberbayerischen (or elsewhere) Brunzkaffs wie auch als bereichernde Beigabe der cineastischen Auswüchse des Surrealisten-Maniacs David Lynch denkbar, circa „Blue Velvet“-Phase, befremdliche Dubais-Textpassagen wie „I don´t want to die alone so I´m gonna kill you when you sleep“ untermauerten letztere Einschätzung nachhaltig. Großer, schwer angeschrägter Entertainment-Sport, jedwede Befürchtung hinsichtlich Vorprogramm-Qualen in Luft auflösend.
(**** ½)

South-Dakota-Songwriterin/Gitarristin Erika M. Anderson/EMA, am Mittwoch-Abend exzellent unterstützt von der eingangs erwähnten Drummerin Susan und einem jungen, hochtalentierten Mann an Bass, Keyboard und elektrischer Violine, drehte das Intensitätslevel dann nochmal um einige Einheiten nach oben. Den Kontakt zum Konzertgänger-Volk von Beginn an suchend, ließ die einnehmende Musikerin ein paar abfällige wie willkommene Worte über den ein paar hundert Meter weiter stattfindenden Oktoberfest-Volksrausch und den Grenzdebilen im Oval Office fallen, selbstredend weitaus mehr noch glänzte das Trio im konzertanten Vortrag, die sozialkritischen Titel ihrer aktuellen Veröffentlichung „Exile In the Outer Ring“, die sich explizit mit dem aktuellen, heiklen Zustand ihrer US-Heimat auseinander setzen, präsentierte das Trio weitestgehend um jegliche Electronica entschlackt und ließ Gustostücke wie „I Wanna Destroy“ oder „Fire Water Air LSD“ im alternativen, dunklen, betörenden, in den Gitarren-Parts schwer krachenden Indie-Rock/Pop-Gewand glänzen, in den entschleunigten Passagen beeindruckten vor allem die selbst einem John Cale zur Ehre gereichenden Drone-Folk-Violinen-Fertigkeiten des Mitmusikers. Der Noise-Folk des 2011er-Tonträgers „Past Life Martyred Saints“ sollte an diesem Abend auch zu seinem Recht kommen, herausragende Nummer aus dieser Sammlung war zu der Gelegenheit die damals wie heute unvermindert bestechende Singles-Auskopplung „California“. EMA, passenderweise in Boxer-Shorts gewandet, gab sich dominierend im kontrolliert wütenden Angriffsmodus, nur um zu dezenteren, epischeren Slowcore-Klängen als sensible Songwriterin zu überraschen, eine Offenbarung an weitgefächerten Bühnentalenten.
Im Zugabenteil kramte Erika Anderson tief in der eigenen Vergangenheit und präsentierte die um jegliches Experimentelle entschlackte Nummer „Cherylee“ aus dem Fundus ihrer ehemaligen Drone-Folk-Band Gowns als erschütternde, herzergreifende Ballade im Solovortrag, um im Nachgang dann final den als viel zu kurz empfundenen Auftritt mit ihrer Band zu einem vehement-lärmenden Ende zu bringen.
Man vergaß ob der völligen Gefangennahme durch den intensiven Vortrag der jungen Amerikanerin und ihrer exzellenten Begleiter selbst die Erkundigung nach zwischenzeitlichen Spielständen im fernen Paris, umso erfreulicher im Nachgang dann das Vernehmen der 0:3-Abfuhr für den von Vorbestraften geführten Münchner Seitenstraßen-Bolzklub beim CL-Liga-Krösus PSG, die Abrundung für einen sowieso schon über die Maßen konvenierenden Abend – Geld schießt Tore, wussten Sie das schon, Herr Steuerhinterzieher? ;-)))) – im Indie-Rock hingegen, da befeuert das Leben auf schmalem Fuß und der Tanz am Abgrund prekärer Umstände den kreativen Forschungsdrang, wie EMA-Konzerte und -Tonträger eindrucksvoll unter Beweis stellen.
(***** ½)