Dubstep

Reingehört (413): Wing Vilma

Wing Vilma – Safe By Night (2018, Young Heavy Souls)

Da prangt unter anderem die Kategorisierung „Jazz“ drauf, hat aber erfreulicher Weise mit Nerven-zerrüttendem Endlos-Gewichse und unsäglichem, ins Nirvana führendem Zu-Tode-Improvisieren überhaupt keinen Verwandten, rührt vermutlich eher daher, dass die feine wie unkonventionelle Melodik des Albums neben der grundlegend freigeistigen Präsentation anderweitig stilistisch vom Label nicht eingewertet werden konnte, die der Jungspund Miles Coleman aus Grand Rapids/Michigan über sein spannendes Rhythmik-Gelichter legt.
Gerade mal 19 Jahresringe hat der US-Amerikaner vorzuweisen, und doch bewegt er sich im weiten Feld der experimentellen Musik bereits wie ein von jahrzehntelangen Erfahrungen Gegerbter, unzähligen Ideen eine Form gebend wie mit technischen Fertigkeiten beschlagen, forschend und tüftelnd und mit „Safe by Night“ ein Ergebnis vorweisend, dass sich sehen beziehungsweise vielmehr exzellent hören lässt.
Das Grundgerüst zimmert Coleman mit perkussivem Fluss aus üppigem Trance, Dubstep und gedehnten Downtempo-Beats, die er mit dezenter Ambient-Electronica, Samplings aus Feld-Aufnahmen, eingeflochtener Vibraphon-Rhythmik und euphorischen Wohlklang-Sounds via Synthie-Georgel anreichert. Formt sich trotz diverser digitaler Grundelemente zu einem organisch gewachsenen Gebinde, das Assoziationen an die vielfältigen akustischen Ausdrucksformen der Regenwald-Fauna weckt, arrangiert zu einem faszinierenden, vielstimmigen Konzert.
„Safe By Night“ erscheint am 2. Februar beim in Detroit/Michigan beheimateten Electronica-Label Young Heavy Souls.
(**** ½ – *****)

Reingehört (345): John Matthias & Jay Auborn

John Matthias & Jay Auborn – Race To Zero (2017, Village Green)

Geistesmenschen unter sich: Der britische Komponist und Musiker John Matthias promovierte im Parallel-Leben in theoretischer Physik und bekleidet die Position einer Professur für „Akustische Kunst“ an der Universität im südenglischen Plymouth, sein Landsmann und Komponisten-Kollege Jay Auborn hat sich bereits als akustischer Beschaller von Gerhard-Richter-Kunstausstellungen und dem Film „Broadmead“ des Radiohead-Spezis Stanley Donwood hervorgetan.
Auf „Race To Zero“ lassen die beiden Experimental-Musiker ihre Erfahrungen, Arbeitsansätze und Fertigkeiten aufeinanderprallen und schaffen so in unkonventioneller Herangehensweise einen berauschenden und sich permanent ausdehnenden Klangkosmos. Das in einer alten Kapelle in Devon und in einem isländischen Studio eingespielte Material wurde in vielen gemeinsamen Sitzungen digital seziert, nachbearbeitet, neu arrangiert, mit zahllosen Klangbeigaben bereichert und akustischen Fallstricken versehen. Herausgekommen ist ein wilder Ritt durch explodierende Instrumental-Klangfarben, von treibendem Piano-/Keyboard-Anschlag und -Wohlklang dominiert, schwer fassbar beim ersten (und auch weiteren) Hören vollumfänglich zu (be)greifen und einzuordnen, zuforderst bedingt durch eine überbordende Stil-Vielfalt, die sich von Folk-Zitaten über elektronischen Postrock, Dubstep, Trance und Electronica-Space-Drone bis hin zu neoklassischen Kompositions-Entwürfen der Minimal Music erstreckt, und die sich vehement einer eindeutigen oder auch nur annähernden, tendenziellen Kategorisierung widersetzt, oft mehr ein Neben- als Miteinander der Melodik und Rhythmik.
Ab und an mit einigen Spuren zuviel an klanglichem Zuckerguss und virtueller Digitalisierungs-Künstlichkeit versehen, immer aber ein eindringliches Hörerlebnis, ein Rausch für die Sinne, oft im oberen Intensitäts-Level agierend.
Geistiges/(a)tonales Onanieren hat bei weitem schon mal wesentlich weniger Freude bereitet – Jerome „Bronn“ Flynn würde an der Stelle wahrscheinlich sein Schwert zücken und ein beherzt-verächtliches „Miles Fuckin‘ Davis!!!“ in die Runde schmeißen…
(**** – **** ½)

Freakinout Fest #3 @ Nandlstadt/Zeilhof, 2017-07-07

Zurück in die Zukunft: ein wie für den ersten Tag des 3. Freakinout-Festivals geschaffenes Motto am vergangenen Wochenende im Herzen des bayerischen Hopfenanbau-Gebiets Hallertau, in der entspannten Idylle des Weilers Zeilhof in der Nähe von Nandlstadt, des weltweit ältesten Anbauorts des Humulus-Hanfgewächses, präsentierte Veranstalter Christian Spanheimer im wetterfesten Zeilhofstadl eine Jahrzehnte umspannende Zeitreise durch die Rockhistorie hinsichtlich eindringlichem Psychedelic-/Stoner-/Acid-/Heavy-/Post-Rock.

Den Start in den ersten Festival-Tag in Sachen schwergewichtige Rockmusik zündete das Münchner Quartett Dune Pilot, ein heftiger Einstieg mittels Stoner/Desert/Grunge-Härte/Schmutz, der Sound der frühen Neunziger eben: schneidende Gitarrenriffs, Bass-lastiger, schnörkelloser Rhythmus-Groove und ein stimmgewaltiger Frontmann, der im Bühnen-Gebaren neben wiederholt angedeuteter Onanisten-Gestik zuforderst seine Teilnahme-Bewerbung für die jährlich im finnischen Oulu stattfindende Luftgitarren-Weltmeisterschaft abgab. Körperhaltung, Grifftechnik, Intensität der Aufführung: tip top. Klangliche Untermalung durch die drei Mitmusikanten: das selbige.

The Weight aus Wien, die zweite Band des Abends, haben gewiss eines formvollendet hinbekommen: die Spaltung des Publikums in Punkto Goutieren versus Saal-Flucht. Wer im Jahr 2017 uneingeschränkt-unvermindert maximales Jagger-/Tyler-Gepose, „The Age Of Aquarius“ und das ganze andere Gedöns aus diesem haarigen Musical, schwere Schweineorgel, ausladende Gitarren-Soli und die opulente Bandbreite des völlig aus der Zeit gefallenen Mittsiebziger-Stadien-Rocks zu schätzen wusste, wurde mit der konzertanten Aufführung des Quartetts aus der Donau-Metropole bestens bedient, alle anderen kratzten sich an der Rübe, in der sich zwischen den Ohren das „Like Punk never happend!“-Befremden manifestierte und in einem „Da samma von de Weana Haberer aber an bessern Schmäh g`wohnt!“ artikulierte, die ganze Wahrheit zum Retro-Auftritt wird sich vermutlich in der verbalen Auseinandersetzung der Herren Franz Münchinger und Dr. Edgar Schönferber finden…

Nochmal einen weiteren Meilenstein zurück in der Rockhistorie ging es mit dem Londoner Power-Trio Stubb, das sich im Psychedelic-Hard-Blues von Vorbildern wie Hendrix, den britischen Landsmännern der Edgar Broughton Band, gediegener Black-Sabbath-Härte und Ausflügen in den Endsechziger-/Frühsiebziger-Acid- und Space-Rock im Geiste von Hawkwind aalte, ein rauschhafter Auftritt, der hinsichtlich verzerrter Fuzz-Gitarren, vehementer Schwere in der Rhythmik und Experimentieren mittels wabernden Wah-Wah-Pedals und lärmenden Gitarren-Feedbacks keine Wünsche offen ließ. Stubb haben das Rad in dieser hinlänglich zelebrierten Spielart der harten Klang-Orgien weiß Gott nicht neu erfunden, mit Herzblut und tiefem Verständnis für die tonalen Exzesse der Idole aus der Acid-Rock-Steinzeit vorgetragen war’s nichtsdestotrotz allemal ein bereicherndes Hinhören wert.

Durch die israelische Postrock-Band Tiny Fingers wurde das Publikum weit nach Mitternacht zurück in die Jetzt-Zeit geholt, die vier sympatischen jungen Männer ergingen sich im ersten, kürzeren Teil ihrer Aufführung im klassischen, Gitarren-dominierten Instrumental-Postrock mit der für das Genre bekannten Laut-Leise-Dramatik und den sich im intensiven Saiten-Anschlag auftürmenden Sound-Wällen, um im weiteren Verlauf des Konzerts das Spektrum in Richtung moderner Space-Rock, Triphop und Dubstep zu erweitern, mittels vertrackter Rhythmik und futuristischer Electronica-Exzesse befeuerte die Band die Tanzbereitschaft der zur fortgeschrittenen Stunde leider nicht mehr allzu zahlreich anwesenden Besucher-Schar, der facettenreiche Rave hätte als Headliner des ersten Festival-Abends weitaus mehr Zuspruch verdient. In der Form ein heißer Kandidat für die Stargazer-Bühne des alljährlichen dunk!-Postrock-Gipfeltreffens im belgischen Zottegem, und für die am Freitag spärlich vertretene Fan-Basis der rein instrumentalen Ton-Kunst das Highlight der Veranstaltung.

Am Samstag gab’s noch ein schweres Paket mehr an Stoner-/Desert-Blues-/Prog-/Heavy-/Kraut-Psychedelia, allein die kürzlich beim München-Konzert im Vorprogramm von Kikagaku Moyo 幾何学模様 schwer überzeugenden Pretty Lightning wären abermals einen Besuch wert gewesen, Weedpecker, Dopelord und Da Captain Trips sollen berufenem Munde zufolge auch gute bis sehr gute Auftritte hingelegt haben, allein, es ist sich zeitlich leider nicht mehr ausgegangen…

Very special thanks an Mel und Tim vom curt-Magazin.