Düsseldorf

Reingehört (447): Sirkus 

Sirkus – The Noise Of Time (2018, Nasoni Records)

Kofferpacken und hinausziehen in die Welt bildet und erweitert den Horizont, hier reinhören nicht minder: Die sechs Musiker des Kollektivs Sirkus stammen aus Düsseldorf beziehungsweise Aschaffenburg und haben die bundesrepublikanischen Grenzen durch Bereisen anderer Kulturen bereits des Öfteren weit hinter sich gelassen, für festgezimmerte Genre-Kategorisierungen und Schubladen gilt das hinsichtlich ihres musikalischen Verständnisses in gleicher Weise, nicht nur geografisch weit rumgekommen, auch hinsichtlich klanglicher Verortung hat das Sextett dabei augenscheinlich Etliches an musikalischen Einflüssen aufgesaugt, was sich in ihrem Sound opulent bereichernd in der ein oder anderen Form wiederfindet.
Exkursionen in den Nahen Osten, nach West- und Zentralafrika und an der US-Westcoast hinterließen ihre Spuren im Krautrock und Blues der eindrücklich nach internationalem Format klingenden Formation, die Sixties-Psychedelic kalifornischer Heroen wie der Grateful Dead oder insbesondere der Doors findet sich im schwergewichtigen Georgel wie der Progrock-Synthie-Space, geerdete Gitarrenlicks und feines, ausladendes Saitenspiel in Reminiszenz an diverse Siebziger-Altvordere. Das alles mag bereits von etlichen aktuellen oder längst in die Geschichte eingegangenen Bands in ähnlicher Umsetzung vorgetragen worden sein, was den „Noise Of Time“ der deutschen Formation aus der Masse herausstechen lässt, ist die Anlehnung an die Rhythmik und den freien Fluss des afrikanischen Desert Blues, der seinerzeit geprägt ist von arabischer und nahöstlicher Popular-Musik, dem Folk der Maghreb-Staaten und der westafrikanischen Beduinen-Völker. Insbesondere Perkussionist Marcel Bickert erweitert das Klangbild in exzellentem Crossover mit seinem Spiel auf der westafrikanischen Djembé-Bechertrommel in Richtung marokkanische Gnawa-Beats, in das sich Bass und Drums der Rhythmus-Sektion nahtlos einfügen. Leadgitarre und Keyboard wird der gebührende Raum zum Demonstrieren der beseelten Könnerschaft gewährt, ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Sirkus-Tondichtungen markiert die nach dem Wegstauben vieler Kippen-Schachteln klingende, latent brüchige Stimme von Sänger und Rhyhthmus-Gitarrist Max Sauer, die den präsenten Afro-Blues-Groove neben dem Lagerfeuer in der Sahara gleichsam für die späte, Alkohol-getränkte blaue Stunde am Tresen kompatibel macht, African Desert Trance goes Chicago Blues-Beisl, via schneidigem Reibeisen-Organ, sort of…
Der Stil-Mix europäischer, amerikanischer und afrikanischer Musiktraditionen der jungen deutschen Band hat nichts Aufgesetztes, Konstruiertes, statisch Zusammengeschustertes, hier fließt alles unverkrampft, organisch und lebendig ineinander greifend, den offensichtlichen Spaß der Band beim Vortrag transportierend, Hirn und Herz der geneigten Hörerschaft anregend, neue Ansätze auslotend, so, wie gute Rockmusik heutzutage im besten Fall eben funktionieren sollte. Man mag keinen Song explizit herausgreifen, die entschleunigte Beschwörung hat eindringlichen Charakter wie das nachdrückliche Rocken, alles ist im Fluss, greift ineinander, das Blues-Mojo arbeitet prächtig.
Analog zu den schlauen Sprüchen auf den Zigarettenschachteln sei hinsichtlich psychedelischem Flow warnend angemerkt: Vorsicht, Suchtgefahr.
Im Mai 2015 veröffentlichten Sirkus ihr Erstwerk „Dream Factory“, das zweite Album „The Noise Of Time“ erscheint am 26. April beim Berliner Psychedelic-, Prog- und Experimental-Label Nasoni Records als limitiertes Farb-Viyl, CD und Digital Download.
Inhalieren Sie beherzt und ohne Reue.
(***** – ***** ½)

Sirkus demnächst live und in Psychedelic-Farben in heimischen Gefilden, wenn auch leider nicht in Minga:

26.04.Berlin – Jägerklause
27.04.Weimar – Zum Falken
28.04.Leipzig – So & So
09.05.Jena – Kulturbahnhof
17.05.Düsseldorf – R25 Kulturschlachthof
18.05.Bielefeld – Potemkin
08.06.Aschaffenburg – Colos-Saal
27.07.Breitenbach – Burg Herzberg Festival 2018
27.10.Dortmund – Musiktheater Piano

Sirkus – Goldmine Of Truth

Sirkus – Cigarettes

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Reingehört (380): Xao Seffcheque, Sammlung: Elektronische Kassettenmusik

„Wir hatten auch den Schizo-Look. Da war die halbe Seite vom Kopf so richtig gewachsen und wild. So richtig schwarzen Bart und Haare wachsen lassen. Die andere Seite war blond, ganz kurz, Augenbrauen abrasiert. Alles total rasiert. Und auch zwei Anzüge. In der Mitte geteilt. Der ganze Mensch war in der Mitte geteilt. In jeder Beziehung.“
(Xao Seffcheque, in: Jürgen Teipel, Verschwende Deine Jugend, Ein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave)

Xao Seffcheque – Ja, nein, vielleicht kommt sehr gut: A Selection of Electronic Beats 1980-82 (2017, Bureau B)

Gaudibursch aus der deutschen New-Wave-Ursuppe: Der Grazer Alexander Sevschek aka Xao Seffcheque, ab Ende der Siebziger Autor zu den Themen Punk und New Wave bei Sounds und später bei der Spex, 1981 zusammen mit Peter Hein von den Fehlfarben Gründer der Band Family 5, mit der er immer noch sporadisch auftritt, in den Achtzigern diverse eigene Projekte und Platten mit seinen Formationen Die Pest/ Die Post / Der Rest, heute vor allem als Drehbuchautor für diverse Kino- und Fernseh-Produktionen beschäftigt.
Das Hamburger Indie-Label Bureau B hat einen Best-Of-Sampler mit Arbeiten aus der solistischen Frühachtziger-Schaffensphase zusammengestellt, die den österreichischen NDW-„Scheckheft-Sektchef“ als lustigen Pionier der elektronischen Musik porträtiert.
Mit Synthies, Elektro-Beats/Drum-Maschinen und Texten, die weit mehr Lautsprache und Endlos-Schleifen-artiges Reproduzieren von Tönen und infantilem Geblubber im Geiste eines absurd-dadaistischen Statements als inhaltlich nachvollziehbares Geschichten-Erzählen sind, persifliert der Wahl-Düsseldorfer die damalige deutsche Speerspitze der Neuen Deutschen Welle von Deutsch Amerikanische Freundschaft bis Palais Schaumburg in ironisch-abgründiger Manier.
Bei allem sprachlichen Nonsens und humoristischen Gefeixe darf nicht übersehen werden, dass Seffcheque mit seinem Elektro-Punk-Ansatz hinsichtlich Sound & Vision durchaus als Vorreiter zu Techno, Trance, No Wave und Weiterentwickler vorangegangener Experimental-/Kraut-Electronica-Ansätze wahrgenommen werden darf.
Beatles-Allgemeingut kriegt auch sein Fett weg, die Fab Four waren in der Punk-Ära stets ein gern genommenes wie dankbares Opfer, in „Why We Hate The Residents“ lehnt sich der Künstler an das „Meet The Residents“-Konzept des kalifornischen Anonym-Multimedia-Kollektivs an und bringt „Eleanor Rigby“ in einem futuristisch-avantgardistischen Primitiv-Gezirpe in schwindlige Schräglage – C’mon and humor me
(**** ½)

V.A. – Sammlung: Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989 (2017, Bureau B)

Eine weitere schöne Sammlung zum Thema deutsche Electronica von Bureau B: scheinbar jeder aus der ortsansässigen Nachbarschaft, der sich mit dem Frühwerk der Düsseldorfer Kraut-/Elektro-/Synth-Pop-Vorreiter Kraftwerk und Neu! oder den Arbeiten der NDW-Experimental-Elektroniker Der Plan intensiver auseinandersetzte und an den entsprechenden analogen und digitalen Gerätschaften die relevanten Schrauben in die richtige Richtung zu drehen wusste, hat in den Achtzigern in Heimarbeit die eigenen Ergüsse auf Musikkassetten verhaftet, das Hamburger Kraut-/NDW-/Elektropop-Label veröffentlicht die spannendsten und wegweisendsten Arbeiten auf „Sammlung: Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989“.
Eigensinnige, unkonventionelle Elektronik-Trips aus der Post-Punk-Hochphase im Nachgang zur deutschen Kraut-Ära, vom Do-it-yourself-Geist des Punk-Bebens durchweht, eingespielt von heute weithin unbekannten Düsseldorfer Underground-Geistern und Projekten wie Konrad Kraft, Pfad der Tugend, Maria Zerfall, Strafe für Rebellion, um nur einige zu nennen, die trotz einiger technischer Unzulänglichkeiten und simpelster Produktionsbedingungen ein feines Gespür dafür zeigten, was in der experimentellen Pop-Musik hinsichtlich Trance, Ambient, Noise, Industrial-Drone und abstrakter Electronica in naher und ferner Zukunft, von einer Achtziger-Jahre-Warte aus betrachtet, fürderhin noch alles möglich sein sollte.
(**** ½ – *****)

Reingehört (149)

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Die Wilde Jagd – Die Wilde Jagd (2015, Bureau B)
Das Duo Ralf Beck und Sebastian Lee Philipp aus Düsseldorf geht mit Unterstützung von Mouse-On-Mars- und Kreidler-Jagdtreibern auf die Hatz nach dem ultimativen Klang in den Krautrock-, Synthiepop- und Elektronik-Gefilden, quantitativ bewegt sich das zwischen rhythmischen, 80er-Wave-Disco-artigen Kraftwerk-Reminiszenzen, in einigen Passagen etwas zu simpel gestricktem, melodischem Elektropop, tollen, sehr ansprechenden trance-artigen Kraut-/Ambient-Klanggebilden und der dunklen Dichtkunst der deutschen Romantik, die in den wenigen Text-unterfütterten Stücken die griechische Mythologie, das Heimatlied sowie Räuber & Prinz der musikalischen Düsseldorfer Verwandtschaft von der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft zitieren.
Gezielt eingesetzte Bass-Synthesizer-Linien, wiederkehrende Gitarren-Loops, mittelalterliche Flöten, der Schrei des Kuckucks out of the black forest und der Klang des Moog-Synthies bieten größtenteils spannende Kost in Sachen Neue Deutsche Jagd-/Marschmusik und Heimatpflege im Geiste der jahrzehntelangen rheinischen Kraut-/Experimental-Tradition.
(****)