Top-Forty-Gigs 2019, Culture-Forum-Edition: die erinnerungswürdigsten, am längsten nachhallenden Konzerte des vergangenen Jahres, selbstredend wie immer rein subjektiv gewertet. Unterstützen Sie Ihre lokalen Festival- und Konzertveranstalter, knausern Sie nicht rum, wenn der Hut rumgeht, haben Sie im neuen Jahr 2020 bitte Spaß mit den MusikantInnen Ihres Vertrauens, zur Not auch für über 1000 Taler im VIP-Bereich des Stadions bei einem aufgewärmten Rock’n’Roll-Derivate-Scheißdreck wie Gewehre n‘ Rosen: Jeder nach seiner Fasson, the show must go on…
dunk!Festival
Reingehört (546): La Bestia de Gevaudan
La Bestia de Gevaudan – Kintsukuroi (2019, [Fe]Ral)
Die Bestie des Gévaudan war ein Untier, das Mitte des 18. Jahrhunderts in der gleichnamigen Provinz im französischen Zentralmassiv sein Unwesen trieb und in einem Zeitraum von 3 Jahren über 100 Menschen den Garaus machte. Ob es sich bei dem Raubtier wie über die Jahrhunderte kolportiert um einen mutierten Wolf, eine Schabracken-Hyäne, einen entlaufenen Löwen oder gar ein seltenes Fabelwesen handelte, darüber waren und sind sich damalige Zeitzeugen und Historiker bis heute uneins.
Auch beim chilenischen Trio La Bestia de Gevaudan, das sich offensichtlich nach diesem mysteriösen Killer-Vieh benannte, ist eine eindeutige stilistische Kategorisierung nicht die leichteste Übung, die Formation aus Santiago packt eine reichhaltige Vielfalt an Einflüssen und Ideen aus diversen Dekaden der alternativen und experimentellen Rockmusik in ihr dichtes Gewerk.
Wo zum Europa-Debüt und Auftakt-Konzert der Band beim letztjährigen dunk!Festival im belgischen Zottegem die Stoßrichtung mit energischem Postrock/Postmetal-Grenzgang inklusive vehementer Brüll-Attacken aus den Kriseninterventionsräumen des Doom und Sludge eine klar abgesteckte war, experimentiert die Bestie aus Südamerika auf ihrem jüngst erschienenen neuen Tonträger „Kintsukuroi“ mit einer weiter gefassten Palette an tonalen Ausdrucksformen. Angelegentliches Groll-Geplärr und vor allem massiv aufgetürmte Gitarrenwände, die das Material zum Bau einer kompletten Großstadt liefern, finden sich auch hier zuhauf, daneben lassen entschleunigte, gefällig ins Ohr driftende Ambient-Sequenzen, digitaler Synthie-Space und Anleihen bei kalt-dunklen New-Wave-/Industrial-Mustern aus den Achtzigern die ausladenden Nummern aus dem Einheitsbrei der zusehends austauschbarer klingenden Postrock-Kapellen herausragen – die eingehende Beschäftigung mit den Sound-manipulierenden Möglichkeiten der elektronischen Gerätschaften neben dem Ausleben handelsüblicher Gitarren-Crescendo-Exzesse trägt hier ergiebig Früchte im massiven Crossover-Komplex.
Die Beiträge des großartigen kanadischen Experimental-Gitarristen Eric Quach aka thisquitarmy, von Rosetta-Sänger Michael Armine und die Unterstützung eines gewissen Oliver Melville aus dem südenglischen Metal-Underground bringen das ihre in die vielschichtige Collage ein, wie die tonale Umsetzung der Titel-gebenden, aus dem Zen-Buddhismus stammenden Kintsukuroi-Kunst, einer traditionellen japanischen Reparatur-Methode für Keramik, in der gebrochene Teile unter Verwendung von Kitt, Lack, Pulvergold und Metallen wie Silber und Platin neu zusammengefügt werden. Nicht der schlechteste Ansatz zur Wiederbelebung des von vielen bereits mindestens im Koma gewähnten Postrock-Genres: Zerschlagung der Laut/Leise- und Getragen/Lebhaft-Muster, um sie mit anderen Mitteln zu neuen Klanggebilden zu formen. Postrock isn’t dead, it just needs a Kulturrevolution…
(**** ½ – *****)
dunk!Festival 2019 @ Zottegem/Velzeke, Belgien, 2019-06-01
dunk!Festival 2019, the third and final report: Das Wetter präsentierte eitel Sonnenschein in Flanderns Auen und Fluren zum Start in den Juni und sorgte bereits vor den ersten Gigs für hochsommerliche Temperaturen, dafür war das gebotene Tagesprogramm beim Veranstaltungs-Finish umso durchwachsener. Den Weckruf zur letzten Runde bespielte das Trio Le Temps Du Loup aus Madrid mit ihrer Interpretation des melodischen Postmetal/Postrock-Crossover, mit ordentlichem Druck-Volumen und variantenreichen Tempi-Wechseln. Den instrumentalen Flow der Spanier hat man in der Form im großen Zelt sicher nicht zum ersten Mal gehört, zu überzeugen wusste die tonale Druckbetankung aufgrund grundsolide durchexerzierter Metal-Riffs, einem satten Klangbild und einhergehender, überwältigender Wucht nichtsdestotrotz.
Im Wald wartete als Opener für den finalen Reigen in der Natur mit Summit eine weitere spannende, noch weithin unbekannte belgische Instrumental-Band der jungen Generation, neben dunklen Postmetal-Riffs und energischen Gitarrenwänden glänzte das Quartett aus Gent in der Nummer „Icarus“ mit unerwartetem wie feinem Desert-Rock-Flow im Mittelteil des Stücks, das sich später zur euphorischen Postrock-Hymne aufschwingen sollte. Dem „Ethereal rock for body and soul“ der vier jungen Musiker bleibt für die Zukunft zu wünschen, dass er über die regionalen Grenzen Ostflanderns hinaus seine aufmerksame Hörerschaft findet.
In anderen Erdteilen, im asiatischen Raum bekannt sind bereits Paint The Sky Red, die Formation aus Singapur überzeugte im ersten Teil ihrer Aufführung mit angenehm gleitenden, tiefenentspanntem Gitarren-Flow, der zur repetitiven Ambient- und Trance-Hypnose neigte, mit Fortgang des Konzerts untermauerte die vierköpfige Combo eindrucksvoll, dass ihr die vehementere Gangart im Uptempo-Drive mindestens genauso leicht von der Hand geht. Sehr deutliche Ansage zum Thema Raubkopien im Übrigen auf der Bandcamp-Seite der Band, spread the word: „In a world of digital piracy which heavily affects independent bands like us, it speaks volumes if you choose to purchase our music in the best manner and to listen to it on vinyl which we guarantee will be the most immersive experience you can get from our music.“
Die belgische Avantgarde-Perkussionistin Karen Willems ist stets ein gern gesehener Gast auf der dunk!-Bühne, 2016 mit ihrem Projekt Inwolves, 2017 zusammen mit dem kanadischen Musiker Aidan Baker, und auch in diesem Jahr sollte mit ihrem Landsmann Jean D.L. ein unkonventioneller Gitarrist an ihrer Seite stehen. Kennern der belgischen Experimental-Szene war klar: Damit war freie Improvisation als Barriere-freies und Grenzen-sprengendes Motto des Auftritts angezeigt. Ulrich Stock zitierte in einem „Zeit“-Artikel über den legendären Gitarristen Fred Frith vor kurzem den amerikanischen Jazz-Saxophonisten Steve Lacy, der den Unterschied zwischen Komposition und Improvisation in 15 Sekunden erklären sollte und das Stakkato-schwadronierend auch schaffte: „Der-Unterschied-zwischen-Komposition-und-Improvisation-in-15-Sekunden-ist-wenn-man-eine-15-sekündige-Komposition-zu-schreiben-hat-kann-man-sich-dafür-so-viel-Zeit-nehmen-wie-man-möchte-und-wenn-man-eine-15-minütige-Improvisation-spielen-soll-hat-man-dafür-15-Sekunden“ – exakt derart spontan gestaltete sich auch das Zusammenspiel von E-Gitarren-Saiten und freiem Trommeln, Jean D.L. ließ seine abstrakten Gitarren-Drones völlig losgelöst von jeglicher gängigen Grifftechnik oder Noten-Lehre zum erratischen Takt von Karen Willems lichtern, die Perkussionistin wirbelte im freien Flow über Becken und Trommeln, schmetterte spontan tibetische Jodler in das Rund und untermalte mit Glocken, E-Bows und Klangschalen das freigeistige Musizieren. Der Vortrag des Duos forderte Aufmerksamkeit und belohnte reichlich mit neuen Hörerfahrungen und Horizonterweiterungen.
Der Auftritt des spanischen Prog/Post/Math-Rock-Quartetts Jardin De La Croix auf großer Bühne fiel notgedrungen dem Essenfassen zum Opfer, den folgenden Set im Wald bespielte die amerikanische Band Shy, Low aus Richmond/Virginia. Gitarrist Gregg Peterson war bereits im Jahr zuvor mit der US-Band Au Revoir beim Festival zugange, zusammen mit seiner Stammformation brachte er bei seiner Rückkehr frischen Wind in die Gitarren-dominierte Postrock-Landschaft. Im Bühnengebaren einer hart ackernden und extrovertiert agierenden Speed-Metal-Band drückten die Musiker schwer nach vorwärts gewandt ihre harten Riffs und brachialen Rhythmus-Anschläge durch die in der Lautstärke nach oben gefahrenen Boxen, die Postmetal-Wucht konterten sie selbst geschickt mit hymnischem, erhebendem Flow aus, heller Wohlklang und finsteres Dröhnen bedingten sich wie Licht und Schatten. Mit ihrem intensiven, emotional ausufernden Set und ihrem unverstellten, authentischen Auftreten bereicherte die Band die Riege der klassisch besetzten Postrock-Bands ungemein, es braucht nicht immer meterhoch aufgeschichtete Soundwände – Riff-dominiertes, straightes Abrocken kann so simpel, effektiv wie erfrischend sein im Postrock und weit aus der Masse herausragen lassen. Shy, Low lieferten mit dieser Rezeptur einen schwer begeisternden Auftritt und eines der unzweifelhaften Festival-Highlights.
Böse Zungen unkten im Vorfeld, dass zum Auftritt der französischen Band Silent Whale Becomes A Dream vermutlich große Teile des Publikums im Zelt einfach sanft entschlummern würden, ob das so stattfand, müssen die beurteilen, die dabei waren, von der Ferne vernommen war der entschleunigte Postrock-Sound mit sorgfältig getragener Langsamkeit und gedehnt anschwellender, entwickelter Intensität hin zum erlösenden Höhepunkt eine angenehme Nachmittags-Beschallung des Festival-Treibens und vor Ort erlebt vermutlich eine ergreifend emotionale Konzert-Erfahrung.
Das war ohne Zweifel auch der Auftritt der chinesischen Band Zhaoze 沼泽 auf der Waldbühne. Die Formation aus der südchinesischen Millionenstadt Guangzhou begeisterte bereits im Vorjahr im großen Zelt mit ihrer ureigenen Spielart des Postrock-Crossovers unter Verwendung traditioneller chinesischer Instrumente. Im Rahmen ihres Aufenthalts nahm das Quartett seinerzeit im Nachgang auf der Anlage der Waldbühne das aktuelle Album „Birds Contending 争鸣“ auf, ein 40-Minuten-Stück, das beim diesjährigen Gig in Gänze am Ort seiner Entstehung zum konzertanten Vortrag gebracht wurde. Die Band und allen voran Leader Hoyliang spielten sich in einen wahren Rausch, mit klassischer Postrock-Linie aus Bass/Gitarre/Drums und den einmal mehr faszinierenden Klängen der elektrisch verstärkten, traditionellen Griffbrett-Zither Guqin, die Meister Hoyliang neben konventionellem Spiel zuweilen mit dem Geigenbogen malträtierte. Daneben bezauberte er mit seinem Langflöten-Spiel in fernöstlichen Ambient-Folk-Variationen, einem wunderschönen, ergreifenden Soundflow, den er im Verbund mit der Band in die cineastische Breitband-Epik der instrumentalen, fernöstlich angehauchten Rockmusik ausufern ließ. Die Klangvielfalt der vier Chinesen kannte offensichtlich keine Grenzen, die Musiker scheuten sich nicht, selbst experimentelle Ausbrüche und Noise-Rock-artige Schlaglichter in den Wohlklang einzuflechten. Wo das Werk in der Studio-Aufnahme in getragener Euphorie zum Ende hin dem Licht in den Baumspitzen (und den dort nistenden Vögeln aus dem Album-Titel) entgegen strebt, trieben Zhaoze 沼泽 das Finale von „Birds Contending 争鸣“ live im minutenlangen Stakkato intensiv gesteigert der explodierenden Klimax entgegen. Mehr euphorisiertes Glücksgefühl ob des dargebotenen Auftritts war beim dunk! 2019 zu keiner Zeit, nirgends. Unzweifelhafte #dnk19-Kulturforums-#1 im diesjährigen Ranking. Hinsichtlich Intensität, Spielfreude, bunt lichternder, Ohren-schmeichelnder Klangvielfalt und experimenteller Wucht war der Auftritt allenfalls mit dem sensationellen Wald-Gig von Bart Desmet und seiner Postrock-Formation Barst beim dunk! 2017 vergleichbar, und so war es nur angezeigt, dass es für diesen herausragenden konzertanten Großwurf von Zhaoze 沼泽 minutenlange, hochverdiente Standing Ovations gab. Im Wald, da sind nicht nur die Räuber, da war beim #dnk19 auch die musikalische Exzellenz daheim…
Nach dem Auftritt von Zhaoze 沼泽 ging nicht mehr viel, da war die Luft hinsichtlich weiterem, aufmerksamem Konzert-Besuch einfach raus, die Nummer mit dem Aufhören, wenn’s am Schönsten ist, bewahrheitete sich einmal mehr. Was sollte nach einem derart überwältigenden Aufführung noch an Steigerung kommen?
Der Auftritt der wiedervereinigten US-Postrocker Gifts From Enola mit ihrer von scharfen Gitarrenriffs, in den Postmetal reichenden Spielart hätte unter anderen Umständen sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, wie auch das bombastische, extrovertierte Experimentieren mit Progressive- und Noise-Sounds der australischen PR-Vertreter von Tangled Thoghts Of Leaving.
Freude kam noch einmal zum Auftritt der UK-Formation Bossk aus Kent auf, die Band präsentierte bei ihrem dunk!-Debüt eine facettenreiche Postrock-Mixtur aus nüchterner, wuchtiger Postmetal-Härte, herrlichen Trance-Elegien und psychedelischen Halluzinationen für die Freunde der Progressive- und Space-Trips. Damit entzog sich die Combo jeglicher Schubladen-Kategorisierung, wusste mit einem voluminösen, komplexen Klangbild völlig zu überzeugen und ließ damit die Bäume im Wald, das Publikum und die restliche Fauna ein letztes Mal erbeben.
Der Würdigung des allerletzten Konzerts vor Bandauflösung der britischen Formation Her Name Is Calla mögen sich andere in Ausführlichkeit hingeben, der saumselig-dick aufgetragene Weltschmerz-Postfolk beim finalen Gig im Wald mochte so wenig konvenieren wie der Shoegazer-Kitsch der Festival-beschließenden Headliner von Alcest, die Franzosen waren in der Funktion mindestens so diskussionswürdig wie die Hauptacts der Tage zuvor. Anyway, die Geschmäcker und Vorlieben sind bekanntlich verschieden, und selbst bei einigen Streich-Ergebnissen im Line-Up konnte sich in den drei Festival-Tagen niemand über mangelnde Vielfalt, exzellente Konzert-Beschallung, viele spannende Neuentdeckungen, die erwartet guten Auftritte alter Helden und die ein oder andere freudige Überraschung beschweren.
Sowenig, wie über die einmal mehr hervorragende Organisation, ein friedliches, angenehmes, fachkundiges und zumeist hochkonzentriertes Publikum, eine freundliche und zugewandte Festival-Crew, bestes Catering, einen grandiosen Job der Leute hinter den Soundboards und Lichtreglern – und selbst der Verantwortliche hinter den Wolken hat wieder mitgespielt, irgendeiner da oben muss ein Faible für dieses Festival haben, so soll es sein: Null Niederschlag, ein Traum.
Very special thanks an Joni Sadler von Constellation Records und Wout Lievens von der Festival-Organisation.
Eine Frage bleibt bis auf weiteres jedoch ungeklärt: Wo war Festival-Man? Sein Luftgitarren-Spiel wurde schmerzlich vermisst. War er auf einer anderen Veranstaltung zugange? Ist er hoffentlich wohlauf? Sachdienliche Hinweise nimmt jede Kulturforums-Diensstelle entgegen. Vielleicht ist er beim nächsten Mal wieder dabei, denn: Nach dem Festival ist vor dem Festival – das dunk! findet im kommenden Jahr von 21. bis 23. Mai 2020 an gewohnter Stelle statt, hinterm Vereinsgelände, in Ostflanderns grünen Auen und Fluren. Man darf schon gespannt sein. Wie die Luftgitarren-Saiten vom Festival-Man…
dunk!Festival 2019 @ Zottegem/Velzeke, Belgien, 2019-05-31
#dnk19, Tag 2: Kick-Off auf großer Bühne mit der belgischen Formation Mantis, die gefälligen Postrock mit viel Druck, Postpunk-Drive und einem ausgeprägten Gespür für das dramatische Momentum präsentierte, unterlegt mit synthetischen Keyboard-Wallungen, irgendwo eingependelt zwischen einschmeichelnder Melodie und geschliffener Härte, und damit sicher nicht die schlechteste Wahl für eine schwungvolle Auftakt-Veranstaltung. Hätten sie mit dem von ihnen selbst postulierten „PogoJazz“ ernst gemacht, wären sie aus der Masse der aufwartenden, klassischen PR-Bands weit heraus gestochen. Auf der Main Stage folgten später Baulta aus Finnland, die solide Postrock-Kost nach allen Regeln der Kunst lieferten, Laut-Leise-Emotionen, melodische Dramen, wummernde Bässe und sphärischen Flow, was eben so die gängigen Muster dieses Genres vorgeben. Für sich betrachtet völlig respektabel, aber eben auch hier das Problem der latenten Beliebigkeit, wie tags zuvor beim Auftritt der US-Band Coastlands. Und das sollte sich an diesem Nachmittag beim Gig der amerikanischen Landsmänner von Pillars aus Indianapolis nicht viel anders verhalten: dichte Soundwände, sphärische Klanglandschaften und heftige Wallungen, oft in der oder ähnlicher Form gehört und damit in der Falle der Austauschbarkeit gelandet.
Den Reigen im Wald eröffnete zwischenzeitlich die Formation Wanheda aus Leuven, die ihrer Spielart des Postrock neben unvermittelten Tempi-Wechseln, geschliffener Postmetal-Härte und einem Reichtum an Melodien vor allem durch unkonventionelle Elemente wie sporadische Indie-/Prog-Rock- und moderne Blues-Phrasierungen eine individuelle Note angedeihen ließen, da waren speziell mit den Gitarristen geübte Könner am Werk, die getragen von einer soliden Rhythmus-Abteilung und eingewebten Keyboard-Klängen die Varianz aller möglichen Soli und Riffs aus dem Effeff beherrschten. Wanheda nutzen die Gelegenheit zur Vorstellung ihrer tonalen Kunst vor großem Publikum optimal und präsentierten sich als junge, aufstrebende Band mit viel Spielfreude und Engagement für das eigene Gewerk, so, wie die bis dato weithin unbekannten, exzellenten Bands wie Black Narcissus und Am Fost La Munte și Mi-a Plăcut tags zuvor, die später folgende Formationen Statue oder Summit in der finalen Festival-Runde. Das dunk! wird mit diesen Acts nach wie vor dem Ruf gerecht, neben prominenten Musikern den lokalen belgischen und internationalen Newcomern der Szene reichlich Raum und Zeit zur Vorstellung ihrer Werke zu geben, weit davon entfernt, die Bands der neuen Generation als füllendes Vorprogramm zu verheizen, und damit wiederholt für angenehmste Überraschungen zu sorgen.
Mit entspanntem Rumlümmeln vor der Waldbühne und Berieseln-lassen vom entrückten Postrock-Wall-Of-Sound war es vorbei mit dem Auftritt des deutsch-belgischen Trios Go March aus Antwerpen. Die Band veröffentlichte 2018 ihr aktuelles Album „II“ und tourte bereits mit Postrock-Größen wie Maserati oder Trans Am, ihre instrumentale Vollbedienung wird andernorts als „Mogwai meets Kraftwerk“ beschrieben, und damit lässt sich ungefähr auf den Punkt bringen, was den Sound der drei Klangtüftler ausmacht: Erbauliche Krautrock-Melodien treffen auf exzellent fließende Space-Electronica, Uptempo-Trance und Ambient, selbst die Welt der Siebziger-Disco ist Go March nicht gänzlich fremd, wie ein Giorgio-Moroder-Tribute in den Streaming-Diensten zeigt. Massiv getrieben und befeuert wird dieser instrumentale, experimentelle Progressive-Crossover vom analog erzeugten 120bpm-Techno-Beat von Drummer Antoni Foscez, der mit seinem stoischen wie intensiven Anschlag jede maschinelle Beatbox in ihre Einzelteile zerlegt und somit obsolet macht. Damit war der Aufforderung zum Tanz unmissverständlich Ausdruck gegeben, der die jungen Hüpfer in vorderster Bühnenfront postwendend gerne abzappelnd nachkamen und damit die alten Säcke zum gefälligen Mitnicken in die hinteren Hügelregionen der Forest Stage verwiesen. Großer Trance- und Tanz-Sport und damit ein absolutes Festival-Highlight.
Repetitiven Trance-Flow ließen auch die sechs belgischen Musiker von Statue durch das Harz-verklebte Geäst des Open-Air-Areals vor der Waldbühne schallen, mit vier Gitarren, Bass und Schlagzeug erging sich die Band in ausladenden, ineinander greifenden Soli, rhythmisch angeschlagenen Riffs und stoischem Beat, im selbstredend schwer Gitarren-dominierten Sound fanden sich psychedelische Krautrock-Elemente, lärmende, abstrakte Post- und Noise-Rock-Drones wie der für die Siebziger urtypisch krachende, latent dissonant knarzende, scharfe Anschlag des Glamrock und Protopunk, die Combo verstand es meisterhaft, das Publikum mit diesem schier endlos vor sich hin mäandernden Konglomerat hypnotisch in ihren Bann zu ziehen. No-Wave-Altmeister wie Glenn Branca oder Rhys Chatham wären wohl vor Freude durch den Baumbestand getanzt, und ausgewiesene Gitarristen-Granaten dieser Preisklasse wie Lee Ranaldo, Thurston Moore oder Tom Verlaine in Polonaise wahrscheinlich gleich hinterher…
Mit Wang Wen 惘闻 aus der chinesischen Hafenstadt Dalian präsentierte das Festival am späten Freitag-Nachmittag alte Bekannte der asiatischen Postrock-Szene. Die Stars aus dem Reich der Mitte brachten frischen Schwung in das Zelt und untermauerten einmal mehr die These, dass in China in größeren Dimensionen gedacht wird, sei es geopolitisch, historisch oder eben in der reichhaltigen Komposition der instrumentalen Postrock-Epen. Die Band verwebte melancholische Gitarren- und Keyboard-Schichten zu einem voluminösen Klangteppich, der durch Bläsersätze und Glockenspiel bereichert wurde, sich zuweilen zu einer wuchtigen Tsunami-Front auswuchs und in den entschleunigten Momenten nicht selten von einer entspannten Jazz-Lounge-Eleganz dominiert wurde. Die Musiker waren bei ihrem Vortrag völlig bei sich, die sprichwörtliche Ruhe im Auge des Hurrikans. Eine ähnlich facettenreiche, weit über die Grenzen des Genres hinaus denkende Spielart des Postrock sollten nur noch die chinesischen Landsmänner von Zhaoze 沼泽 am folgenden Tag zuwege bringen. Wang Wen 惘闻 veredelten das dunk!-Festival mit einem herausragenden, individuellen und unkonventionellen Ansatz, wie sie das vergangene Konzertjahr mit ihrer München-Premiere in weitaus kleinerem Rahmen bereicherten.
Die Spanier von Malämmar bezeichnen ihr lärmendes Gewerk selbst als „instrumental doom/metal by 3 assholes“ – sympathisches Understatement, dabei gehört kaum eine andere Band so zwingend zu diesem Festival wie die drei Rabauken aus Barcelona, Gitarrist Xavi Forne ist neben seinem Engagement in der Band der kreative Kopf hinter dem Studio Error! Design, das für die Entwürfe der Festival-Poster und LP-Cover des dunk!-Unternehmens wie für viele andere kunstvolle, surrealistische Konzert-Plakate und T-Shirt-Logos von renommierten Postrock- und Indie-Bands verantwortlich zeichnet.
Beim diesjährigen Auftritt gaben Malämmar wie bereits in der 2017er-Auflage von der ersten Sekunde an mächtig Druck auf den Kessel, mit energetischem Punk-Rock-Gebaren und einer überbordenden Leidenschaft für das vorgetragene Gelärme preschten die Katalanen kompromisslos durch ihre Doom-Sludge-Instrumentals, die Grundfeste und das Wurzelwerk im Wald erschütternd, bebend und mit radikaler Wucht, wie die experimentellen Kuttenbrunzer von Sunn O))) in ihren dröhnendsten Momenten, dabei mit weit mehr kompositorischer Struktur und Uptempo-Drive unterwegs. Nach derartig dissonanter und platt wälzender Schwarzmetall-Breitseite konnten die Auftritte von A Swarm Of the Sun und Jozef Van Wissem beim besten Willen nicht funktionieren…
Beim sich schier endlos hinziehenden Zeitlupen-Postrock der schwedischen Formation A Swarm Of The Sun war Essenfassen und Biertrinken als genehmere Alternative angezeigt, man kann nur hoffen, dass bei diesem nahezu ereignislosen, in Selbstmitleid und abgrundtiefer Melancholie ertrinkenden Depressiv-Schub im großen Zelt niemand Hand an sich legte und zur finalen Selbstvernichtung schritt. Ein bunter Strauß an musikalischer Vielfalt wurde auch beim Auftritt von Jozef Van Wissem auf der Waldbühne nicht präsentiert, der niederländische Komponist brachte sein barockes Lautenspiel solistisch in meditativem Gleichklang ruhig dahinfließend zu Gehör, nachdem in den ersten zehn Minuten der Funken auf dem trockenen Tannennadel-Teppich partout nicht zünden wollte, war die Messe zu der Nummer schnell gelesen.
Für die Duisburger Zebras hätte es in der vergangenen Saison nicht schlimmer kommen können, Platz 18 in der Schlusstabelle im Unterhaus der Fußball-Bundesliga und damit ab in die Niederungen der 3. Liga mit dem Meidericher Spielverein, bei den Nachbarn von Kokomo muss man sich dagegen kaum mit Abstiegs-Ängsten plagen, die Auftritte der einzigen deutschen dunk!-Delegation zählen nach wie vor zum Top-Format der internationalen Speerspitze. Nach einigen Jahren der Abstinenz kehrte die Postrock-Institution aus dem Ruhrpott auf das Festival zurück, zu dem das Quintett zuletzt 2016 gleich zwei Gigs beisteuerte, neben dem regulären Zelt-Auftritt eine weitere spontan anberaumte, sensationell durch die Baumkronen gehende Show im Grünen, die vermutlich nicht unwesentlich zum Konzept und zur Etablierung der Waldbühne in den kommenden Jahren beigetragen hat. Der aktuelle Gig zu bester Sendezeit im Abendprogramm lässt sich mit den Worten „satte Wucht, schwere Geschütze, eine Handvoll neue Nummern“ auf den Punkt bringen, Kokomo verstehen es nach wie vor blendend, die oft ausgetretenen Pfade des Gitarren-dominierten Postrock weiträumig und breitflächig zu umgehen, mit drei Gitarren haben die Soundwände neben brachialen Erschütterungen auch immer die ein oder andere filigrane Nuance oder den sonst woanders nicht gehörten Riff im dunkel schimmernden Klangbild parat. Neben der charakteristischen, hymnischen Dramatik ihrer Nummern überzeugte die Band mit einem Indierock-artigen Song inklusive Gast-Gesangspart, ein löblicher, Genre-Grenzen-sprengender Ansatz, der spätestens mit dem finalen Abfeiern des grandiosen Live-Klassikers „Kaputt Finker“ zur reinen Lehre des instrumentalen Emotionsausbruchs zurückkehrte.
Mit dem letzten Wald-Auftritt des Freitags ging ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung: Nachdem JR Robinson und Esther Shaw die Münchner Gestade auf Konzertreisen mit ihrem US-Experimental-Projekt Wrekmeister Harmonies konsequent weiträumig umschiffen, musste der Berg wohl zum Propheten nach Flandern reisen, um endlich dieser pastoralen Postmetal-Pracht im Live-Vortrag beizuwohnen. Der dunkle und fortgeschrittener Nachtzeit kühle und klamme dunk!-Wald bot die perfekte Atmosphäre für die tonale Reise ins Herz der Finsternis, zu der das Duo vor allem das grandiose Material des aktuellen 2018er-Albums „The Alone Rush“ präsentierte – schwermütige, erhabene Songs über persönliche Verluste, Einsamkeit und die Konfrontation mit dem unausweichlichen eigenen Verschwinden, in der Hoffnung auf das erlösende Licht, von Gitarrist Robinson abgeklärt als düsterer Desert-Blues-Prediger in tiefer, klagender Tonlage vorgetragen, begleitet vom ureigenen Postrock-Drone-Crossover, von geheimnisvollen Melodien und atonaler Doom-Dringlichkeit bipolar durchwirkt, mit tief ins Bewusstsein schneidenden, nachhallenden, schwarzen Metal-Gitarrenriffs, in Trance-artiger Versenkung und einer nahezu sakralen, ernsthaften Größe, zu der Esther Shaw mit ihrem musizierenden Gewerk maßgeblich beitrug – die zierliche Frau erdet mit melancholischen Keyboard-Klängen und einem exzellenten, getragenen Violinen-Spiel die resignierte Entrücktheit der Wrekmeister-Harmonies-Kompositionen, reduziert die Schärfe und lindert den Schmerz. Dabei ließ JR Robinson selbst in einer kurzen Ansage sowas wie Humor aufblitzen, mit der Anmerkung, dass die meisten Leute meinten, es tummelten sich nur reiche weiße Menschen im New Yorker Central Park, ihm wären die dort lebenden Kojoten jedoch bei weitem näher – eine nachvollziehbare Einschätzung. Die Waschbären im nächtlichen Stadtpark des Big Apple sind auch nicht zu verachten, by the way. Selten ist bei einem dunk!-Auftritt die Zeit schneller wie im Flug vergangen als beim ergreifenden Gig des kongenial agierenden, gemischten Doppels aus Chicago, ein untrügliches Zeichen für die exzellente Güte dieses tonalen Wandelns durch die dunklen Abgründe der inneren Befindlichkeiten. Zur Nachbearbeitung sei das herausragende Gesamtwerk von Wrekmeister Harmonies dringlich ans Herz gelegt, wie ergänzend auch die Roman-Lektüre der lesenswerten Inspirationsquellen zu „The Alone Rush“, „Lincoln im Bardo“ von George Saunders und „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ von Marlon James – schwere Kost zuweilen, gewiss, aber die exzeptionelle Klangwelt von Robinson und Shaw ist ja auch nicht zur Beschallung für den nächsten Kindergeburtstag gedacht…
Wie die Headliner-Ankündigung von Ufomammut führte auch die Bekanntgabe des Auftritts von Efrim Manuel Menuck als Main-Act bei Teilen der dunk!-Fans im Vorfeld zu kontroversen Diskussionen, das äußerte sich letztlich leider auch im spärlichen Besuch vor großer Bühne zur finalen Veranstaltung der zweiten Festival-Runde. Wie in vergangenen Jahren bei den Tages-beschließenden Sets der großartigen Noise-Götter Swans um Zeremonienmeister Michael Gira und Dylan Carsons zäh dröhnendem Drone-Doom-Trio Earth zeigte sich der Großteil des Publikums obstinat und blieb der Aufführung fern, nach dem Motto „Wenn’s keine Gitarrenwände zu bestaunen gibt, dann kann es nix taugen“, dabei hätte der Auftritt des kanadischen GY!BE/Silver-Mt.-Zion-Masterminds Efrim Menuck und seines US-amerikanischen Kollaborateurs Kevin Doria mit dem gemeinsamen „are SING SINCK, SING“-Duo-Projekt soviel mehr an Aufmerksamkeit und Zuwendung verdient, mit dem Material des jüngst bei Constellation Records veröffentlichten, gleichnamigen Tonträgers wussten die Musiker von Beginn an für ihre experimentellen Klangforschungen zu begeistern, Doria hochkonzentriert an den elektronischen Gerätschaften schraubend, Menuck lässig mit der Selbstgedrehten im Mundwinkel sporadisch die Regler am eigenen Synthie-Apparat justierend. Abstrakte, in warmen Klangfarben mäandernde Electronica-Drones, synthetischer Trance und Ambient-Loops, maschinelle Samples und Outer-Space-Soundlayer steckten den tonalen Rahmen ab für die imaginäre, irgendwo in der jüdischen Mystik verhafteten Klagemauer, die Efrim Menuck mit seinen Sangeseinlagen errichtete. Mit dem ihm eigenen, unverwechselbaren Lamentieren, in Endlos-Schleifen den Statements zum Leiden an den Machtverhältnissen, an den Verwerfungen der westlichen Zivilisation freien Lauf lassend, wie vorwärts gewandt in der Hoffnung auf Veränderung und die Wendung zum Besseren dem Aufruf zum Widerstand Ausdruck gebend. Speziell die Nummer „Fight The Good Fight“ ragt bereits auf der Tonkonserve in kaum fassbarer Schönheit aus dem Electronica-Drone-Geflecht heraus, konzertant gerät das Stück zur schwerst anrührenden Ballade, umlichtert von diffuser Elektronik, irgendwo zwischen herzergreifender Wehmut und entrückter Hymne, Efrim Menuck zog hier alle Register seines Sermon-artigen Vortrags. Wer mit dem Werk seiner beiden Post/Experimental-Rock-Institutionen aus Montreal vertraut ist, wird im Electronica-Flow der kanadisch-amerikanischen Kooperation nur unschwer erkennen, dass Menuck zusammen mit Kevin Doria das Konzept seiner Stammformationen bereichert und vor allem weiterentwickelt, auf eine andere Ebene hebt und damit dem eigenen kreativen wie dem Stillstand des Postrock-Genres an sich Gewichtiges entgegensetzt. „What We Loved Was Not Enough“ oder „Slow Riot for New Zero Kanada“ mit anderen, neuen Mitteln, wenn man so will. Ein mehr als würdiges Finale für einen exzellenten Festival-Tag. Diejenigen, die das ewig gleiche Gitarren-Laut-Leise vorziehen, waren in dem Fall dann tatsächlich woanders besser aufgehoben…
dunk!Festival 2019 @ Zottegem/Velzeke, Belgien, 2019-05-30
Same Procedure As Every Year, James: Traditionell zum Himmelfahrts-Feiertag luden Vater und Sohn Lievens mittlerweile im 15. Jahr für die kommenden Tage zum internationalen Gipfeltreffen in Sachen Postrock, Postmetal und artverwandte Experimente auf das idyllisch von sattem Grün umrankte Vereinsgelände des Basketball-Clubs Helios Zottegem im flandrischen Hinterland nahe Gent. Das belgische dunk!Festival bot auch heuer über 3 Tage verteilt ein sattes Programm für die Freunde (m/w/d) der vorwiegend instrumentalen Rock- und Experimental-Musik – insgesamt 39 Bands, Duette und Solisten, da sollte sich für jeden Geschmack das Passende finden.
Mittlerweile zur guten Tradition scheint sich auch die Eröffnung des Festivals durch eine chilenische Formation zu entwickeln, wie die beiden Jahre zuvor bespielte den Auftakt-Gig eine Band aus Santiago, die beim südamerikansichen Label LeRockPsicophonique veröffentlicht, mit dem chilenischen Indie-Label ist über die Jahre eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den dunk!-Verantwortlichen gewachsen. Das Trio Sistemas Inestables bezeichnet ihre instrumentalen Sound-Trips stilistisch selbst als „AvantRock“ und „PseudoJazz“, beim dunk! boten die Musiker eine gefällige Mixtur aus Synthie-lastigem Krautrock, groovenden Jazz-Vibes und ausgedehnten Electronica-Space-Passagen, die in der Form sicher kein Novum im weiten Feld des progressiven Art-Rock waren, für einen entspannten und unaufgeregten Kick-Off des Festivals aber gewiss nicht die schlechteste Wahl.
Kurz darauf sollten die chilenischen Landsmänner und die Landsfrau von Osorezan mit ihrem Auftritt auf der großen Zeltbühne folgen, über den exakt wie tags zuvor zum vehementen, komplexen Ausbruch im Muziekcentrum Kinky Star zu Gent nur in höchsten Tönen der Lobgesang angestimmt werden kann, siehe ausführlicheren Konzertbericht vom Vortag. Osorezan spielten den selben Set wie bei ihrer Europa-Premiere, die geheimnisvolle Melancholie und der euphorische, sinfonische Bombast-Overflow wurden im großen Rahmen nicht vom multimedialen Schwarz-Weiß-Film begleitet, ersatzweise bot die gigantische Lichtshow im großen Zirkuszelt mit infernalischem Stroboskop-Stakkato das perfekte optische Pendant zum nicht endend wollenden, von jeglichen Konventionen befreiten Noise-Ausbruch als atonale Klimax des exzellenten Postrock/Ambient-Sturms. Ein frühes Festival-Highlight, aber das war nach dem vehementen Auftritt im Kinky Star wenige Stunden zuvor keine wirkliche Überraschung.
Bereits zuvor gab es Erbauliches beim ersten Waldbühnen-Gig des Festivals zu begutachten, das belgische Duo Black Narcissus ist instrumental reduziert mit Drum & Bass zugange, ihre Klangreisen haben selbstredend nichts mit der gleichnamigen Jungle- und Rave-Mutation der Neunziger gemein. Trommler Thomas Wuyts gab den treibenden, straight angeschlagenen Beat als Taktgeber vor, zu dem Jesse Massant satte Bass-Linien als Sound-Layer sampelte und dazu seinen vier Saiten Staunenswertes an geschliffenen Post-Heavy-Riffs und herrlichen, melodramatischen Ennio-Morricone-Melodien für den nächsten Tarantino-Western entlockte – der Mann hat unbestritten Talent und kompositorisches Geschick im Bespielen seines klassischen Rhythmus-Instruments, damit unterstreicht er einmal mehr neben einer Schar berühmter Kollegen die Tatsache, dass ein herausragender Bassist auch immer ein respektabler Solist sein kann. Bei Black Narcissus sind zwei Könner am werken, die es verstehen, mit wenig Materialeinsatz eine massive, beeindruckende Wand an atmosphärischer Postmetal-Herrlichkeit aufzubauen, so geht Effizienz und Ressourcen-Schonung im Wald von Velzeke.
Das Doom- und Sludge-Grummeln im Wald von Welcome To Holyland aus dem belgischen Aalst musste zwecks Nahrungsaufnahme unerhört bleiben. Hæster aus Gent stießen in ein ähnlich lautes Horn, die Band formiert sich aus fünf Veteranen der belgischen Metal-Szene, die ihre Meriten zuvor bereits in diversen anderen Heavy-Formationen verdienten. Obwohl hier altbewährte Kräfte am Walten waren, blieb das geschmiedete Metall im Main-Stage-Auftritt des Quintetts ein erstaunlich stumpfes Schwert, zu austauschbar und ohne eigene herausragende Nuancen geriet das finstere Donnergrollen der Gitarren-Riffs und das kehlige Gegröle des posenden Vorturners Maarten Levecque im konzertanten Vortrag. Sowas geht woanders bei weitem inspirierter und ansprechender, darum war nach einigen Nummern das Bier vor dem Zelt die weitaus genehmere Alternative zum uninspirierten Postmetal-Gelärme der lokalen Helden.
Am Fost La Munte și Mi-a Plăcut ist rumänisch und wird sinngemäß mit „Am Fuß des Berges gefällt es mir gut“ übersetzt, oder so ähnlich, und damit hat die Band aus Bukarest zu ihrem Forest-Stage-Auftritt am Fuß des bewaldeten Berghangs den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen, das junge Postrock-Quartett fühlte sich sichtlich wohl bei ihrem dunk!-Auftritt, mit überbordender Spielfreude und – zurecht – vor Selbstbewusstsein strotzend lieferte die klassisch besetzte Formation in ihrem energiegeladenen Set einen herrlichen, instrumentalen Flow aus dröhenden Gitarren, filigranen Picking-Intermezzi und massiv vorwärts treibender Taktgebung. Die ausgetretenen Postrock/Postmetal-Pfade verließ die Band Spannungs-befördernd beizeiten in Richtung schmissiger Indie-Rock und melodische Shoegazer-Hymnen, womit sie wohltuend variantenreich aus der Masse des (beizeiten auch beim dunk! präsentierten) Postrock-Mainstreams herausragte und damit eine absolute Bereicherung wie erfreuliche Überraschung zum Festival-Line-Up lieferte. Auch dem aus allen Ecken dieser Welt angereisten dunk!-Publikum hat es vergangenen Donnerstag spätnachmittags am Fuß des Berges ausnehmend gut gefallen, beim Freiluft-Konzert der vier jungen Osteuropäer aus der Großen Walachei.
Zur oben erwähnten Masse des Postrock-Mainstreams muss sich das US-Trio Coastlands mit ihrem „Instrumental Sad Rock From Portland“ zählen lassen, zu oft ist dieses Laut-Leise / Ambient-Getragenheit wird von heftigen Post-Rock/Metal-Ausbrüchen erschüttert / Gitarren-Wände bauen und wieder einreißen durch die Anlagen gedrückt worden, als dass es sich groß vom Sound zahlreicher anderer Vertreter des Genres unterscheiden würde. Gewiss, State Of The Art im Postrock, und wenn man auf ein Festival unter diesem thematischen Aufhänger geht, darf es nicht verwundern, wenn ab und an eine Postrock-Formation der reinen Lehre um die Ecke kommt, aufgrund der Austauschbarkeit diverser Bands muss trotzdem die Frage erlaubt sein, ob im verbreiteten Statement vom Tod dieser Spielart nicht ein Funken Wahrheit mitschwingt, analog zum schönen Zappa-Satz „Postrock isn’t dead, it just smells funny“. Gut, lustig war der Sound von Coastlands tatsächlich nicht, zugegeben.
Zuvor bespielten Labirinto aus Sao Paulo die große Zeltbühne, die Brasilianer waren bereits zum dritten Mal beim Festival in Ostflandern zu Gast und bestachen mit breit aufgestellter Instrumentierung und einer exotischen Mixtur aus Ideen-reich lärmendem, dunklem Postmetal und komplexem Space-Rock, die von einem zusätzlichen Perkussionisten mit südamerikanischer Rhythmik unterfüttert wurde und damit diesem orchestralen Progressive-Crossover einen dezenten, unkonventionellen Dreh in Richtung brasilianischer Trommel-Folklore gab. Leidenschaftliches, technisch brillantes, variables und unvorhersehbares Offensiv-Spiel mit vielen gelungenen Abschlüssen und Experimenten, wie die Seleção zu ihren besten Zeiten – oder: like 7:1! Sete a um! @ Estadio Mineirao, Belo Horizonte never happened…
Das US-Trio Staghorn lieferte den Set mit dem aktuellsten Bezug zu den dringlichen Themen des Zeit-Geschehens, wo andere Postrock-Bands dunkle Gewässer, mystische Landschaften oder individuelle Seelen-Zerrissenheit in abstrakter Instrumental-Entrücktheit thematisieren, legen die drei extravagant gewandeten und geschminkten Musiker*Innen mit ihren Aussagen zur Klima-Katastrophe, zu Diversität, Artenschutz und solidarischem Handeln im radikalen DIY/Punk-Ethos den Finger in die brennendsten Wunden einer untergehenden Kultur, die Band aus dem Mittleren Westen der Vereinigten Staaten transportiert ihre Inhalte und Forderungen via gesampelter Spoken-Word-Erzählung, die der Hörerschaft die massive Bedrohung des natürlichen Lebensraums vor Augen hält, die wunderschöne Naturkulisse der dunk!-Waldbühne war dafür wie geschaffen. Musikalisch untermalt die Band ihre apokalytischen Bestandsaufnahmen mit vehementem, hymnischem, melodischem Postrock, sporadischen, heftigen Metal-Ausbrüchen und tieftraurigen Minimal-Ambient-Drones, zu denen mittels indischem Harmonium und durch das Anschlagen diverser Klangschalen und Glocken ein mystischer, bedeutungsschwangerer Unterton mitschwingt. Der Staghorn-Auftritt war einer der herausragendsten der 2019er-dunk!-Auflage, und ganz sicher neben der Headliner-Performance von Efrim Menuck und Kevin Doria am folgenden Tag der konzeptionell stimmigste der gesamten Veranstaltung.
Solide Doom-Kost boten FVNERALS aus Brighton/UK (mit derzeitigem Wohnsitz in Brüssel) – das konzertant von einem Drummer verstärkte, gemischte Doppel wandelt mit seinem finsteren, zähen Drone-Metal-Crossover im Geiste von Bands wie Earth oder Sunn O))) über nebelverhangene Friedhöfe, in geheimnisvollen Wäldern, durch die eigene, inwendige Pein der finsteren Seelen-Nacht, in der es nach F. Scott Fitzgerald immer drei Uhr morgens ist – das Unterholz hinter der Festival-Zentrale war für diese gedehnten Depressiv-Trip zwischen dunklem Postpunk, schwerem Gothic und nachhallendem Metal-Slowcore eigentlich noch viel zu hell, wenn sich auch an dem Tag etliche schwarze Wolken über das Firmament zogen. Sonnenschein und fröhliches Vogelgezwitscher wäre zu dieser massiv erschütternden Dark-Ambient-Nummer auch absolute Vollpanne gewesen. Haben sie sogar dahingehend wieder alles richtig gemacht, die Organisatoren…
Nach Meinung vieler der eigentliche Headliner des ersten Festival-Durchgangs (oder gar der gesamten Veranstaltung) dann zu bester Konzert-Zeit auf der großen Bühne mit der US-amerikanischen Formation This Patch Of Sky. Die Band aus Eugene/Oregon versteht es wie kaum eine andere, Melancholie und entrücktes Hinübergleiten in andere Sphären in eine wunderschöne, erhabene Tonsprache zu übersetzen, mit einem an die moderne Neo-Klassik angelehnten Cello-Part hebt sich das Sextett wohltuend aus der Masse der instrumentalen Postrocker ab, gleichwohl verstehen es die Musiker formvollendet, ihre sphärischen, Ambient-lastigen Gitarren-Elegien und atmosphärisch-cineastischen Breitband-Kompositionen zuweilen in hymnische, wuchtige, geradezu dramatische Attacken ausbrechen zu lassen. Wozu diese Band konzertant fähig ist, hat sie nicht zuletzt in beeindruckender Manier mit ihrem Audiotree-Auftritt im Oktober des vergangenen Jahres angedeutet, live erlebt und in Farbe steigert sich diese aus einem Guss vorgetragene Exzellenz nochmals um ein Vielfaches in Sachen intensiver Klangrausch, erhebende Beschallung und beglückende Erbauungsmomente.
Mit dem Statement „We play music without words to communicate without language“ bringt die Band selbst ihr Konzept simpel wie umfänglich auf den Punkt, am vergangenen Donnerstag ist ihnen dieser Ansatz ohne Zweifel gelungen, der euphorischen Reaktion des Publikums nach zu urteilen. Das dunk!-Team hat sich nach eigenen Worten seit längerem um einen Auftritt von This Patch Of Sky bemüht, nach diesem Auftritt war völlig klar, warum – und diejenigen, die es erlebt haben, dürfen einfach nur dankbar sein, dass es in diesem Jahr geklappt hat.
Celestial Wolves aus der Nachbarschaft in Herzele rockten in der Donnerstagnacht den letzten Waldbühnen-Gig der ersten Runde mit der Wucht dreier Gitarren, die lokalen Helden und Urgesteine des dunk!-Festivals mobilisierten mit geradlinigem, straightem Postrock, brachialem Postmetal und Prog-lastigen Tempi-Wechseln nach mittlerweile 10 Stunden Dauerbeschallung die letzten Reserven für den anstehenden, finalen Gig des italienischen Stoner-Trios Ufomammut. Die Verpflichtung der Band aus dem Piemont als Headliner hat im Vorfeld etliche Diskussionen in den Social-Media-Foren zum Festival ausgelöst. Man kann natürlich lange darüber streiten, ob es für derartigen Stoff nicht genügend andere, passendere Festivals gibt, im Sinne der Diversität konnte ein Durchbrechen der Postrock-Gitarrenwände mit dem langsam, aber gründlich zerfräsenden Doom-Sludge der altgedienten, mittlerweile seit zwei Dekaden werkelnden Psychedelic-Institution durchaus festgefahrene Hörgewohnheiten Horizont-erweiternd und -bereichernd erschüttern. Ufomammut ergingen sich ausladend mäandernd in zäh zelebrierten, dissonanten Gitarren-Riffs, wuchtig dröhnenden Basslinien und straight nach vorne drängendem Powertrio-Drive, in mentaler Anlehnung an die ersten Pink-Floyd-Ergüsse und die Klassiker von Hawkwind, aufgebohrt durch monolithische Metal- und Drone-Wucht, hypnotische Space-Halluzinationen und repetitive, verzerrte Endlos-Lärm-Schleifen. Der Stoff, der von dunkel flackernden Bildern träumen lässt und damit genau das richtige Präparat zum Hinübergleiten in den wohlverdienten Schlaf nach absolviertem Konzert-Marathon.