Dur et Doux

Ni @ Maj Musical Monday #94, Glockenbachwerkstatt, München, 2019-03-18

Zur 94. Ausgabe der monatlichen Experimental- und Postrock-Reihe Maj Musical Monday präsentierten die Veranstalter zum Wochenstart ein fraglos herausragendes konzertantes Highlight in der Münchner Glockenbachwerkstatt: Das französische Jazzcore-Quartett Ni aus Bourg-en-Bresse gab sich zur Promotion des jüngst erschienenen Albums „Pantophobie“ im Bürgerhaus an der Blumenstraße die Ehre, das Münchner Konzertvolk ließ sich in dem Fall nicht lumpen, zog mit gebührendem Andrang löblich nach und sorgte für den verdientermaßen vollen Saal.
Bereut dürfte den Besuch an diesem Abend niemand haben, der neue Tonträger sorgte bereits im Vorfeld für angetanes Aufhorchen und höchst positive Würdigungen, dieser aus der Konserve gewonnene Eindruck sollte sich beim Ortstermin über die Maßen bestätigen. In der Live-Präsentation trieben die vier jungen Franzosen ihre explizites Wechselspiel an tonalen wie atonalen Elementen auf die Spitze, was sich auf den aktuellen Studio-Aufnahmen an Intensität bereits mehr als nur andeutet, bekommt die Hörerschaft im Ni-Konzert in verschärfter, noch weitaus radikaler und kompromissloser Form hochpotenziert um die Ohren geblasen.
In den ersten Stücken eingangs mit experimentellen Sprach-Samplings als Ouvertüre, als die sprichwörtliche trügerische Ruhe vor dem Sturm, schwang sich das Quartett zu ungeahnten Höhen an lärmenden Experimental-Gebilden auf, in einer Hochdruck-Betankung des Saals mit dem scharf geschnittenen Stakkato und der vertrackten Polyrhythmik des Math-Rock im Verbund mit einer energisch und gezielt zupackenden Spielart des Hardcore-Punk, der an die eindringlichsten Momente des legendären kanadischen Trios NoMeansNo anknüpfte. Das konstruiert Komplexe, Verkopfte der weitschichtig mit dem Jazzrock verwandten Math-Spielart wurde mittels Spontaneität und ungebändigtem Spielwitz der Musiker hinweggefegt, das mit Wucht vorgetragene, ungezügelte Hochfrequenz-Trommeln und der intensiv treibende Bass von Nicolas Bernollin und Benoit Lecomte gereichen jeder renommierten Metal-Band zur Ehre, das Flinke, die herausragenden Fingerfertigkeiten und die unkonventionelle Saiten-Behandlung der beiden Gitarren-Hexer Anthony Béard und François Mignot wären alleine einen eigenen Diskurs wert.
Ni präsentierten sich bei allem Ungestüm im musikalischen Gewerk als exzellent aufeinander abgestimmte Einheit, die erratischen Breaks der Gitarren-Riffs, die überlagerten, gegenläufigen Kurz-Soli und ihre unvorhersehbaren Tempi-Wechsel, die Kunst-Pausen als plötzliche Momente der Stille vor den nächsten Noise-Exzessen und ihre abrupten Enden kamen knackig frisch und auf den Punkt exakt im Band-Verbund gespielt. Hier war eine technisch herausragend geübte, versierte wie in der Umsetzung der Ideen inspirierte Formation am extrovertierten Musizieren, die mit ihren instrumentalen Turbo-Wirbeln Bauchgefühl und Verstand der Hörerschaft gleichermaßen herausforderte wie bereicherte. Der Jazz im klassischen wie weitläufigen Ansatz ist in diesem Taifun vom ersten Beben an den Weg alles Irdischen gegangen, Ni erschaffen mit ihren im Experiment vorwärts gewandten Radikal-Kompositionen ein eigenes Universum an rigoros umgesetzten Crossover-Ideen.
Glückliche Gesichter bei Musikern und Publikum zum Ende hin, der hoch energetische Instrumental-Exzess wusste völlig zu überzeugen und ließ die gut 80 Minuten an ultra-heftiger Progressive-Eruption kurzweilig wie im Flug vergehen, die Band gewährte ob des frenetischen Jubelns aus dem Auditorium bereitwillig eine Handvoll an Zugaben – die finale Nummer setzte sich dem Vernehmen nach thematisch mit dem Defensiv-Verhalten im Fußball auseinander, der Vehemenz des Werks nach zu urteilen wohl nicht nur mit fairen Mitteln (deutet man die Erklärungsversuche zum Stück von Bassist und Band-Sprecher Lecomte richtig), hier ließ die Band tatsächlich ihre Qualitäten in Sachen Jazz-Rock aufleuchten und beeindruckte mit groovenden Bass-Läufen, freiem Getrommel und einer enthärteten Gangart im erratischen Anschlag der Gitarren. Würde der jeweilige Herzens-Verein beim Gekicke defensiv so exzellent organisiert und engagiert verteidigen, wie Ni mit ihrem enthusiastisch überbordenden Noise-Flow attackieren, es gäbe kaum mehr Tore zu vermelden im Liga-Betrieb.
Der Maj Musical Monday Numero 94 wird durch den Auftritt der entfesselten Franzosen als einer der allererinnerungswürdigsten Abende in die Geschichte der Serie eingehen, weit über das laufende Konzertjahr hinaus bedacht. Mit dieser Einschätzung läuft man kaum Gefahr, die Klappe großmaulig allzu weit aufzureißen. Punktum.

Maj Musical Monday #95 findet am 15. April an gewohnter Stelle im Konzertsaal der „Glocke“ statt, 20.30 Uhr, Blumenstraße 7, München. Unter dem Motto „MMM goes Riff Groove Rock“ wird die kroatische Grunge/Stoner-Band Sloanwall aus Zagreb auftreten.

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Reingehört (516): Ni

„The quartet crushes their cigarettes very hard, dig a hole into the ground, and leave the listeners in ashes.“

Ni – Pantophobie (2019, Dur et Doux)

„I repeat myself when under stress“ singt Adrian Belew im King-Crimson-Klassiker „Indiscipline“, einer nervös-abgehackten Nummer der englischen Progressive-Rock-Institution aus den frühen Achtzigern, in der die erratische Rhythmik des Songs mit polymetrischen Drumbeats und Basslinien den Inhalt der Lyrics unterstreicht.
In ähnlich intensiver Gangart und Technik präsentiert sich das neue, dieser Tage erschienene Album der französischen Band Ni. Polyrhythmische Noise/Math-Rock- und Jazzcore-Gewitter, die Assoziationen zum energischen, komplexen Poltern der kanadischen Hardcore-Götter von NoMeansNo wecken, zu den ersten Würfen des Instrumental-Punk-Trios Gone von Black-Flag-Gitarrist Greg Ginn, entfernt zum Funk-beeinflussten Postpunk der frühen Arbeiten von Gang Of Four, vor allem zu ihrem epochalen „Entertainment!“-Debüt. Und doch treffen diese Vergleiche den Sound der experimentellen Formation aus Bourg-en-Bresse/Département Ain nur im Ungefähren, wie auch der einleitende Querverweis zur Robert-Fripp-Formation.
Das im Kontext der Rockmusik klassisch besetzte Quartett verschmäht weitgehend Soli wie jegliches Melodische im Tempi-wechselnden Instrumental-Zusammenspiel von Bass, Drums und Gitarren-Riff-Stakkato, pflegt dafür umso leidenschaftlicher das Variieren und Überlagern unterschiedlichster Rhythmen und schafft so eine höchst individuelle Spielart aus beinhartem, trockenem wie unvermittelt zuschlagendem Hardcore in einem weiten Feld von Prog- und Math-Freiheitsgraden, den kompromisslosen Ansatz dann und wann mit spontanem Gebrüll aus dem Sludge-Metal-Höllenschlund mit Nachdruck auf die Spitze treibend.
Der unkonventionelle Sound der Band ist von atemberaubender Nervosität wie Ideen-Vielfalt, die den Konsumenten kaum Schritt halten lassen und dem Tonträger damit selbst nach dem x-ten Abhören die  spannungsgeladene Energie erhalten.
Man darf wohl von einem Konzept-Album sprechen, alle Titel beschäftigen sich thematisch mit Phobien, mit der Abneigung gegen das Sprechen (nicht weiter verwunderlich bei annähernd rein instrumental umgesetzten Kompositionen), mit seltenen Ausprägungen wie der Angst vor Hühnern, vor dem Sonnenlicht, vor der eigenen Unvollkommenheit, neben etlichen anderen Formen von Zwangsstörungen. Musikalisch ist die Interpretation dieser neurologischen Furcht-Zustände in den aktuellen Arbeiten von Ni exzellent gelungen, wie diese sind sie letztendlich schwer in Worte zu fassen, eine existenzielle und im Extrem erschütternde, an Raserei grenzende Erfahrung, die zum tieferen Verständnis am eigenen Leib erlebt werden muss, via Konserve oder vorzugsweise in der konzertanten Konfrontation, siehe unten .
(***** – ***** ½)

Ni eilt der Ruf einer höchst beeindruckenden, radikal agierenden Live-Band voraus, am 18. März spielen sie im Rahmen der 94. Ausgabe der geschätzten Experimental-/Postrock-Reihe Maj Musical Monday in der Münchner Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, 20.00 Uhr.

Weitere Termine der Pantophobie-Promotiontour:

15.03.Louvain La Neuve – Ferme du Biéreau
16.03.Hofheim – Jazzkeller
17.03.Basel – Renee Bar
19.03.Prag – Bike Jesus
20.03.Jena – Kassablanca
21.03.Hamburg – MS Stubnitz
22.03.Bremen – Tor 9
23.03.Zeulenroda – Schieszhaus
24.03.Würzburg – Immerhin
28.03.Brüssel – Recyclart
29.03.Paris – Cirque Electrique
30.03.Tours – Festival Super Flux
12.04.Baden – Royal
13.04.Berlin – Hintertreffen Festival
14.04.Mainz – Haus Mainusch
20.04.Gerardmer – Geradm’Electric
06.06. – Gibloux – Farvagny
27.07.Burg Herzberg – Festival Burg Herzberg
14.09.Montpellier – Black Sheep