Einstein

frameless10: goat(JP), Ian Hawgood, Boris Labbé @ Einstein Kultur, München, 2016-11-16

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Die von Karin Zwack und Dr. Daniel Bürkner kuratierte und vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München geförderte frameless-Reihe zur experimentellen Musik im digitalen Zeitalter ging am vergangenen Mittwoch in die zehnte und für das sich langsam verabschiedende Jahr 2016 letzte Runde, die Veranstalter hatten bei der Auswahl der Künstler zum Jahresfinale einmal mehr außerordentliches Gespür bewiesen.

Der über die Maßen gelungene Abend wurde im Kellergewölbe des Einstein Kultur von Ian Hawgood eröffnet, der gebürtige Engländer lebt und arbeitet derzeit in Warschau und ist Betreiber des Ambient-, Experimental- und Electronica-Labels Home Normal, bei seinem frameless10-Auftritt beeindruckte der Brite im abgedunkelten Gewölbe mit einer digitalen Elektronik-Arbeit, die zwischen pochend-monotonem Industrial-Beat, feinem, sphärischem Ambient, sich in die Gehörgänge fräsenden Electronica-Drones und erhabenen, nahezu sakralen, kontemplativen Momenten im Geiste der deutschen Kraut-/Ambient-Pioniere Popol Vuh alles bot, was das Herz der Experimental-Freunde begehrte. Selbst in den abstraktesten Passagen wohnte der individuell entworfenen Soundlandschaft ein latent vertrauter Grundton im Sinne des Wohlklangs inne, Verstörung über die komplexe Arbeit wäre fehl am Platze gewesen, was auch der herzliche und lang anhaltende Applaus des aufmerksamen Publikums unterstrich.
(*****)

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Foto © Ian Hawgood / Courtesy Of The Artist / Vielen Dank an Karin Zwack

Das Quartett goat(JP) aus Osaka spielte instrumentalen Minimal Techno ohne Elektronik, mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Saxophon-Gebläse, dass weit mehr an harten Rhythmus-Gitarren-Anschlag als an Jazz angelehnt war. Die vier jungen Japaner zelebrierten präzise auf den Punkt gespielt eine treibende, harte, ineinander greifende Rhythmik, die sofort ihre hypnotische Kraft entfaltete. Der disziplinierte, nichtsdestotrotz im Klang ekstatische Vortrag rief in seinen wuchtigsten Momenten Erinnerungen an intensive, Gitarren-getriebene Stakkato-Attacken der Washingtoner Straight-Edge-Hardcore-Institution Fugazi wach und wurde in einem Intermezzo von digitaler Drone-/Doom-Elektronik unterbrochen und bereichert, die die Musiker zum Innehalten und Sammeln nutzten, um im finalen, euphorisierenden Werk punktuelle Gitarrenausbrüche zu wagen, die sich in ihrem explodierenden Anschlag in bester Postrock-Manier präsentierten. Ein mehr als würdiger Schlusspunkt für ein hervorragendes frameless/frameworks-Jahr, leider ließen sich die Musiker trotz frenetisch-gebührendem Applaus nicht mehr zu einer in dem Fall hochwillkommenen Zugabe bewegen. 45 Minuten Intensivst-Bedienung für zappelnden Körper und tanzenden Geist auf einem Niveau, dass Experimental- und Post-/Prog-Rockfreunde gleichermaßen zu beglücken wusste.
(***** ½)

Die Videoinstallation des Abends lieferte der 1987 in den Pyrenäen geborene Franzose Boris Labbé mit seiner Arbeit „Kyrielle“, für die er Aquarelle in Handarbeit fertigte und diese digitalisierte. In einem sich zusehends anschwellenden Gewirr gehen Menschen, stolpern übereinander und richten sich wieder auf. Der tägliche Kampf des Lebens, visualisiert in digitaler Verdichtung, ein Abbild der Beeinflussung des Organischen durch die Technik.
Der Künstler selbst beschreibt die Arbeit auf seiner Homepage wie folgt:
„The word Kyrielle in french means „long series of various things“, besides, le jeu des Kyrielles “the game of Kyrielles” is a word game that is presented as a child´s song, taking as the first syllable the last syllable of the previous expression as in the famous french nursery rhyme : Marabout, Bout de ficelle, Selle de Cheval, etc… The repeating rhythms and cycles have a hypnotic quality, and encourage the viewer’s eye to wonder playfully and explore different figures. The piece was built with 285 watercolors, letting the drawing deforms himself gradually from improvisation movements. The animated figures are developing a complex symmetric abstraction, and then returning to the minimalist aesthetic of the initial white. The final piece, on a palindromic form, was then digitally designed. Kyrielle was inspired, among others, from works like Tango of the filmmaker Zbigniew Rybczynski or the paint Children’s Games by Pieter Bruegel the Elder.“
Boris Labbé wurde für seine Arbeiten mit Preisen bei diversen Festivals ausgezeichnet, unter anderem bei der Ars Electronica, beim Annecy Festival, dem roBot Festival in Bologna und beim Multivision Festival in St. Petersburg.

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Ben Frost + Origamibiro @ Frameworks Festival, Einstein Kultur, München, 2016-03-11

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Tag 2 des Frameworks Festivals für experimentelle Musik war der Tag der extremen Gegensätze, Freunde des gepflegten Ambient wurden ebenso beglückt wie die hartgesottenen Hörer finsterer Drones.
Den Abend eröffnete das audio-visuelle Künstlerkollektiv Origamibiro, gepaart mit ausgesucht britischer Höflichkeit zelebrierten der Gitarrist Tom Hill und der Kontrabassist Andy Tytherleigh (aka Shmoov/Hubtone/Debaser Boy) ihre analog-akustisch vorgetragenen, sich genügend Zeit zur Entfaltung nehmenden musikalischen Meditationen, die mit elektronischen Beigaben in Form von Field Recordings, Ambient-Soundlandschaften und gesampelten Geräuschen wie dem Zerknüllen von Filmrollen und dem Schütteln einer Wasserflasche ergänzt wurden, zwischen abstraktem Trance und wunderschönen Melodien/Rhythmen wandernd bot das Klangbild wohltuende musikalische Entspannung, die das Publikum trotz bedächtig-harmonischem Grundton immer forderte und genügend Wendungen parat hielt, um die Grundspannung auf hohem Niveau zu halten.
Exzellent bereichert wurde der akustische Wohlklang durch die zu Teilen live vor Ort produzierte visuelle Installation von Jim Boxall (aka The Joy Of Box), der sympathische Brite legte über vorhandenes Videomaterial seine parallel zum Konzert abgescannten Bilder aus Büchern und Dia-Fotos, dezent in der Darstellung verzerrt bot sich den Besuchern ein optischer Rausch, der den akustischen Gehalt der Multimedia-Aufführung ideal unterstützte.
(**** ½ – *****)

Nachdem Festival-Kurator Daniel Bürkner an all jene, die diesbezüglich nicht gerüstet waren, den nötigen Gehörschutz für die folgende Aufführung verteilt hatte – Bürkner auch dahingehend ein vorbildlicher, nicht genug zu lobender Kümmerer um die Veranstaltung und das Wohl der Besucher – stand mit der Aufführung des aus Melbourne stammenden und im isländischen Reykjavik ansässigen Experimental-Künstlers Ben Frost das Highlight der diesjährigen Veranstaltungsreihe an. Frost ist im Bereich der abstrakten Musik kein unbeschriebenes Blatt, er hat unter anderem bereits mit Größen wie Brian Eno und Tim Hecker in Kooperation produziert und gilt als Ikone des experimentellen Noise.
Das knapp einstündig aufgeführte Werk des gebürtigen Australiers lotete am Freitagabend die Grenzbereiche zwischen Minimal-Klassik, abstraktem Drone und den Härten des Black Metal aus, kontemplative, Melodien erkennen lassende Ambient-Verzerrungen gaben sich mit einem weißem Rauschen die Hand, welches sämtliche gängigen Soundstrukturen zersetzte und auflöste, im Verbund mit der angedeuteten, Schmerz-erzeugenden Intensität des Metal formte sich ein gleichermaßen verstörendes und faszinierendes Soundgebilde, dessen Sog sich der Zuhörer schwer entziehen konnte, die unfassbare Schönheit des markerschütternden, kompromisslosen Lärms der Swans in ihrem konzertanten Rausch oder die finalen, atonalen Auflösungen der ellenlangen Ton-Meditationen von J. R. Robinsons Ambient-Metal-Projekt Wrekmeister Harmonies mögen als Anhaltspunkte dienen.
Die düstere Grundstimmung wurde durch den abgedunkelten, vom Trockeneis durchfluteten Raum und den sporadisch aufblitzenden Lichtimpulsen optimalst verstärkt, so könnten sich postmortale Zustände anfühlen, eine vom Grundrauschen durchwirkte Düsternis, in dem das Zucken des Lichts den Weg aus der Finsternis weist.
(***** – ***** ½)